DER MODERNE HOMINISMUS
UND SEINE ABARTIGE RELIGIOSITÄT
von
Prof. Diether Wendland
Dieser oder jener Mitmensch und Zeitgenosse, sagen die Leute, sei
religiös, ja sogar sehr religiös - im Gegensatz zu nur wenig oder
überhaupt nicht mehr religiös. Was aber wird darunter verstanden oder
für gewöhnlich damit gemeint? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage
ist gar nicht so einfach; denn es gibt hier mehrere Antworten, die
"jedoch oft nur das eine Dunkle mit einem anderen ebenso Dunklen
'beantworten' und somit gar nichts erhellen, geschweige denn aufklären,
so daß die Sache selbst auch weiterhin dunkel bleibt.
Indessen ist dies keineswegs verwunderlich, wenn man bedenkt, daß es
sich im Hinblick auf das Religiöse (ein substantiviertes Adjektiv) um
einen unbestimmten Begriff handelt, den man sogar mit unsinnigen
Inhalten auffüllen kann, ähnlich wie das "Göttliche". Es wird jedoch
kein vernünftiger Mensch von einem anderen sagen, dieser sei göttlich.
So etwas wäre doch wohl zu absurd und bereits ein Symptom für Paranoia.
Sicherlich ist der Mensch auch ein religiöses Wesen. Daraus aber folgt
nicht, daß dann auch jeder Mensch religiös sei oder sein müsse. Wenn
aber ein Mensch nicht religiös ist, was ist er dann und worin besteht
dann wohl seine Menschenwürde? Etwa darin, irreligiös und dadurch in
Wirklichkeit gottlos zu sein? Dieser Verdacht liegt nahe und kann dann
auch nicht beseitigt werden, wenn sich jemand ein religiöses Mäntelchen
umhängt (z.B. das 'Fromm-tun' bei jeder Gelegenheit im privaten und
öffentlichen Leben). Es stimmt doch etwas nicht mit dem so hoch
geschätzten 'religiösen' Menschen, gleichgültig, ob dieser nun
irgendeiner 'Kirche' angehört oder nicht. Etwas Unbestimmtes schleicht
durch sein Gemüt und prägt sein 'religiöses Leben', das hinter Fassaden
zu verbergen gesucht wird. Das ist der wahre Sachverhalt, der sogar
leicht erkannt werden kann, wenn jemand die angebliche Religiosität
seiner Zeitgenossen, mit denen er allenthalben leben und auskommen muß,
aus Distanz betrachtet und sich nicht von einem religiösen Gerede in
Wort und Schrift beeindrucken läßt, welches - bei Licht besehen - nicht
das geringste mit der christlichen Religion zu tun hat, sondern sie nur
mißbraucht.
Leider gibt es kein Gesetz, das so etwas unterbinden könnte. Dadurch
jedoch wird nicht bloß der religiöse, sondern jeder Mensch dem Unwahren
und Bösen ausgesetzt. Es gibt heutzutage kein Massenmedium, das dies
nicht tut. Man kann dies auch als die sanfte Gewalt der Verführung
bezeichnen, die im übrigen nicht ohne einen beabsichtigten Mißbrauch
der Freiheit gedacht werden kann.
Der moderne Hominismus bewegt sich in diesem Rahmen in Lehre und
Propaganda, indem er primordial "das Menschliche" oder "die
Menschlichkeit" zu einem sittlich-religiösen Prinzip von allgemeiner
Geltung erhebt. (Darum ist der moderne Hominist auch der Überzeugung:
wenn Gott - von dem man doch nichts wissen kann - einen Menschen sogar
mit der ewigen Strafe der Hölle belegt, wie die Christen behaupten,
dann ist das schlechthin unmenschlich und barbarisch. Ein solcher
Gott-Barbar kann doch unmöglich Gott sein! Man müßte mit Leuten, die
sich so etwas ausgedacht haben, kurzen Prozeß machen oder sie zumindest
in die Wüste schicken. Aber warum? Nun, um der Menschlichkeit willen
und damit in der ganzen Menschheitsfamilie allseitig Frieden einkehre.)
Der moderne Hominist ist nicht so human, wie er sich gibt. Er trägt
einen Januskopf und ist doppelgesichtig. Diese Doppelgesichtigkeit
wiederum macht es dann anderen Mitmenschen, die nichts Böses ahnen, oft
recht schwer, sein wahres Gesicht zu erkennen. Darum durchschauen sie
auch nicht das Wesen des Personenkults, der sich um sog. 'Prominente'
rankt, obwohl es sich um moralisch minderwertige Menschen handelt.
Zudem haben es nicht erst seit heute viele Katholiken und andere
Christen gar nicht mehr so gerne, wenn sie in der Öffentlichkeit als
besonders religiös bezeichnet oder dafür gehalten werden, da sie
fürchten, auch dadurch in ein schiefes Licht zu geraten. Doch dafür
gibt es eine einfache Erklärung. Denn schon lange standen
erfahrungsgemäß sog 'religiöse Menschen' in ihrer 'Gläubigkeit' in dem
Geruch, ausgesprochen einfältig, unaufgeklärt, wenig gebildet und auch
ansonsten auf religiösem Gebiet geistig ziemlich beschränkt zu sein.
Das ist eine unleugbare Tatsache, die jedoch keineswegs immer nur auf
einer böswilligen Unterstellung von glaubens- und gottlosen Leuten
beruhte, wie so manche Geistlichen wider besseres Wissen behaupteten.
Wer aber möchte sich dann wohl einem solchen Geruch und Verdacht gerne
aussetzen? Also tut man alles, um nicht als religiös oder zumindest
nicht als besonders religiös zu gelten oder gar in Erscheinung zu
treten. Außerdem kennen diese Katholiken zweifelsohne die bereits
allgemein akzeptierte neue 'Glaubenslehre' von dem modernen
"aufgeklärten, sich seiner selbst bewußt gewordenen und freien
Menschen", der in seiner individuellen 'Persönlichkeitsentwicklung' aus
Überzeugung prinzipiell a-religiös, zugleich aber auch allen seinen
Mitmenschen gegenüber tolerant ist. A-Religiosität und Toleranz sind in
der Persönlichkeit dieses modernen Menschen, der auf seine Weise
'fromm' ist - jedenfalls glaubt er das -, 'harmonisch verbunden'.
Deshalb achtet er auch die religiösen Gefühle im Menschen, da er ja
selbst, wie er behauptet, an ein "höchstes Wesen" glaubt, und hat auch
nichts gegen die "Religionsfreiheit" einzuwenden... wenn alle tolerant
sind, gleichgültig, ob diese nun an 'Kirchen' oder andere
Religionsgemeinschaften gebunden sind oder nicht. Nur Freiheit und
Toleranz sind echte Persönlichkeitswerte. (Schon der weise Dichter
Goethe verkündete den humanitären Geistern seiner Zeit: "Höchstes Glück
der Erdenkinder sei nur die Persönlichkeit"!)
Bereits der Persönlichkeitshominismus mit seinem Personenkult 'genialer
Persönlichkeiten' reduzierte das Religiöse auf das rein Humane und
machte aus dem Menschen ein a-religiöses Wesen, dem als Ideal nicht die
blanke Gottlosigkeit vorschwebte, sondern die Selbstherrlichkeit. Diese
Idee vom Menschen oder dieses Menschenbild liegt dem humanitären
Atheismus zugrunde, der viele Gesichter hat und den sittlichen Menschen
paralysiert. Zudem hat - nebenbei bemerkt - diese Idee, die einer
Wahnidee gleichkommt, auch eine politische Komponente, die heute in
ganz Europa zum Tragen kommt. Man analysiere nur einmal die Triebkräfte
der Demokratismus-Ideologie oder der propagierten "multikulturellen
Gesellschaft". Vielleicht gehen dann auch einigen konziliaren
Neu-'Katholiken' in ihrem wahnhaften Ökumenismus-Glauben doch noch die
Augen auf. Der moderne a-religiöse und zugleich tolerante (oder besser:
tolerant sein wollende)! Hominist ist kein militanter Atheist, der
Andersdenkende, die seine Haltung nicht teilen, kaltblütig ermordet
(dazu ist er zu vornehm!), sondern im Kern seines Wesen ein bewußt
a-theistischer Humanist, der weiß, was er will - im Gegensatz zu vielen
Christen in ihrem rührseligen Gefühlsglauben und ihrer sentimentalen
Liebe -, und er ist dies auch deswegen, weil seiner Meinung nach alle
christlichen Bekenntnisse immer auf irgendeine Weise in-human waren und
es auch sind, da sie sich u.a. nie auf karitative Tätigkeit in der
menschlichen Gesellschaft beschränkten, sondern Macht über die Menschen
anstrebten, um sie sich zu unterwerfen, ja sogar im Namen Gottes bzw.
irgendeines Gottes.
Für den modernen Hoministen ist das Inhumane der 'Kirchen' eine schon
lange ausgemachte Sache, die heute nur noch Ignoranten und
Unaufgeklärte leugnen. Dies jedoch wird sich ändern, wenn das
Bildungsniveau allgemein gehoben und von seinen religiösen Schlacken
befreit sein wird.
Der moderne Hominist kämpft auch nicht, wie ihm so manche Theologen und
Soziologen zu Unrecht unterstellen, gegen das Christentum, sondern er
distanziert sich nur von ihm - aus humanitären Gründen! Dies tut er
dann aber auch gründlich und kompromißlos. Er ist wirklich a-religiös
bis auf die Knochen, da ihm jede Religion gleichgültig ist, nicht
jedoch schlechthin anti-religiös, so daß er schließlich in seinem
Hochmut und Zynismus auch dem religiösen Irrglauben verfällt, er könne
sogar Jesus Christus tolerierer! Darin gipfelt seine abartige
Religiosität.
Viele, ja die meisten Christen von heute, die einem begegnen und mit
denen man in ein Glaubensgespräch kommt - was zu einer Rarität geworden
ist -, sind keineswegs religiös im Sinne des Christentums, da ihr
religiöses Denken nicht mehr in der christlichen Religion verwurzelt
und von ihr geprägt ist. Vielmehr sind sie mehr oder weniger, je nach
Bildungsniveau und Bewußtseinslage, a-religiöse Hoministen, die oft
auch unbewußt dem fortschreitenden humanitären Atheismus verfallen, der
übrigens schon im 19. Jahrhundert sein Unwesen in der Gesellschaft
getrieben hatte, vor allem unter den sog. Gebildeten, die ironisch als
"Bildungsphilister" apostrophiert wurden. Schon damals war der
Parallelismus von humanitärem und militantem Atheismus offenkundig.
Heute ist es müßig, sich darüber zu streiten, welcher Atheismus der
gefährlichere ist. Denn beide hatten und haben letztendlich zum Ziel
einen allgemeinen Anti-theismus anti-christlichen Charakters. Nur die
Methoden und Praktiken dieser Atheismen sind verschieden, nicht aber
ihre Grundtendenz. Außerdem sind die Grenzen zwischen dem einen und dem
anderen Atheismus fließend, was sich zwangsläufig zu Verwirrungen
führt, so daß nicht mehr erkannt wird, was eigentlich vorliegt. Darum
sind auch gläubige Katholiken, die dem modernen Hominismus auf den Leim
gingen, unfähig geworden, den in ihm liegenden humanitären Atheismus zu
erkennen und zu begreifen. Das sind auch die gleichen Leute, die in
ihrem Irrglauben immer nur das Schreckgespenst des Kommunismus an die
Wand malten. Bei vielen erschöpfte sich ihre katholische Religiosität
in einem weltanschaulich aufbereiteten Anti-Kommunismus, als ob der
Teufel nur in dieser Gestalt erscheine oder erscheinen könne. Die
strammen Katholiken waren gegen den Kommunismus... und wunderten sich
dann darüber, daß das Vatikanum 2 den Kommunismus nicht dogmatisch
verurteilt hat, sondern anstatt dessen alle Gläubigen sogar ermunterte,
mit dem Atheismus "Dialoge" zu führen. Das muß man sich einmal ganz
konkret vor Augen stellen, um dann auch das Absurde darin zu erfassen.
Schon Friedrich Nietzsche (1844-1900), der viel von Kulturanthropologie
verstand, hatte die 'neue Religion' des "Freigeistes" bzw. der "Freien
Geister" propagiert, indem er sehr aufschlußreich bemerkte: ein "Freier
Geist" ist ein "Umwerter aller Werte" par excellence, aber nicht aus
Affekt oder bösartiger Gesinnung, sondern "wie ein kalter Engel, der
die ganze religiöse Lumperei durchschaut." - "Europa wird einmal freie
Geister haben." - "Der Freigeist hat die Aufgabe, den gelehrten (!)
Menschen Ziele der Kultur zu zeigen", die nicht durch Wissenschaft zu
erreichen sind. "Der moderne Freigeist wird geboren aus dem Frieden der
Auflösung", insbesondere aller Religionen und Religionssysteme, die
sich 'Schmalspurtheologen' ausgedacht haben. "Dem freien Geiste geht
die pia fraus (der fromme Betrug) noch mehr wider den Geschmack als die
impia fraus." - "An die Stelle des Philosophen setze ich den freien
Geist: den Erlöser (!) von der Moral" (Nietzsche meint hier den von ihm
verabscheuten Moralismus, die verlogene Moral). Die arroganten
"Freidenker" und Möchte-gern-Philosophen sind gar keine "Freien
Geister", denn auch sie "gehören in die demokratische Bewegung", der
es, wie dem Pöbel, eigentümlich ist, das Aristokratische des
"Freigeistes" zu hassen: "dem Volke ist der freie Geist verhaßt"
usf.... Über das, was heute unter dem Titel "Emanzipation" oder
"Befreiungstheologie" propagiert und vertrieben wird, hätte sich
Nietzsche nur noch lustig gemacht. Er hat auch die fortschreitende
Zersetzung der christlichen Religion in Europa gesehen, so daß er auf
die Frage "Was hat Christus verneint?" die sarkastische Antwort gab:
"Alles, was heute christlich heißt." Denn das (dieses) "Christentum
paßt sich an die Religionen der niederen Masse an", wobei "der
religiöse Affekt die interessanteste Krankheit ist, der der Mensch
bisher verfiel."
Leider gab es auch katholische Theologen, die nichts Besseres
zustandebrachten, als Nietzsche zu verteufeln, anstatt den modernen
Hominismus zu analysieren, der im humanitären Atheismus seine Wurzeln
hat. Dieser wiederum setzt einen offenen oder geheimen Abfall vom
Christentum voraus, d.h. einen Abfall von der einzig wahren Religion,
und zwar sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben. Es ist
darum verständlich, wenn viele, die sich in den 'christlichen Kirchen'
tummeln und sich an sie gebunden fühlen, die wahre religiöse Situation
(Sach- und Lebenslage), in der sie sich befinden, gar nicht erfassen,
geschweige denn sie durchschauen. Außerdem haben ebenso viele überhaupt
kein Interesse daran, sondern leben, wie man zu sagen pflegt, in den
Tag hinein.
"Das Religiöse" und so auch das "christlich Religiöse", dem so manche
fromme Gemüter wegen seines Verschwindens nachtrauern, anstatt sich
darüber zu freuen, ist nichts anderes als ein unbestimmter und
unbestimmt bleibender seelischer Gefühlszustand, der weder gut noch
böse ist, da er dem sittlichen Bewußtsein, das sich im Gewissen
(concientia) reflektiert, erst nachfolgt und nur nachfolgen kann.
Außerdem hat dieser Zustand, den man auch als Stimmungslage oder
Grundbefindlichkeit bezeichnen kann, überhaupt keinen religiösen
Inhalt. Denn einen solchen besitzt nur das sittliche Bewußtsein, z.B.
wenn sich der Mensch, der ein vernunftbegabtes Wesen ist, einer Sünde
(peccatum) oder einer sittlichen Verfehlung (vitium morale) bewußt ist
oder wird, wonach sich dann ein bleibendes Minderwertigkeitsgefühl
(selbst nicht viel wert zu sein und nichts zu taugen) einstellt, das
man zwar verdrängen, aber nie restlos beseitigen kann. Für gewöhnlich
wird dieses Minderwertigkeitsgefühl durch folgende Mittel zu verdrängen
gesucht, die heute gang und gäbe sind: hochprozentige Alkoholika, harte
Drogen, ständige und wahllose Konsumierung schmerzstillender
Medikamente, sexuelle Ausschweifungen mit ihren menschenunwürdigen
perversen Praktiken, Vergnügungssucht (Spaßhaben) bei
Freizeitgestaltungen jeglicher Art, Berieselung durch ohrenbetäubenden
Lärm chaotischer Musik und Gesangsgeplärre u. dgl., um sich bloß nicht
auf sich selbst besinnen und sich seine moralische Würdelosigkeit
eingestehen zu müssen. Ablenkung und Zerstreuung heißt die Devise,
nicht etwa Selbsterkenntnis. Die Abtötung des sittlichen Bewußtseins
paralysiert das Gewissen und macht den Einzelmenschen zu einer
gewissenlosen Existenz in der menschlichen Gesellschaft, so daß er
sogar dem wahnhaften Irrglauben verfällt, das Böse 'verantworten' zu
können (wie z.B. die Terroristen oder die Mafiosi des organisierten
Verbrechens oder auch die durch und durch korrupten Leute in
öffentlichen Ämtern und politischen Positionen).
Demzufolge wird aber dann auch das 'Religiöse', das nur ein seelischer
Gefühlszustand ist, durch das sittliche Bewußtsein - das in der
Geistigkeit (!) des Menschen liegt und das sich gegen alles Emotionale
wehrt, um sich nicht verdunkeln oder einnebeln zu lassen - nicht mehr
durch Zucht und Maß und rationale Normen beherrschbar, sondern es
degeneriert ebenfalls zu Zuständen der Zucht-, Maß- und Zügellosigkeit
wider alle Vernunft. Wer kennt nicht jene geistlosen 'frommen' Leute,
die immer nach einem 'religiösen Hochgefühl' oder nach 'religiösen
Erlebnissen' geradezu süchtig sind? Man kann diese seelische Verfassung
sogar an ihren Gesichtern und Verhaltensweisen ablesen, wenn man genau
hinschaut. Das so bestimmte 'Religiöse', das sich nur im Menschen
findet und ihn bewegt - reine Geister (Engel) sind in diesem Sinne
nicht 'religiös' - war immer schon ein Fallstrick für den religiösen
Menschen und wirkte sich verständlicherweise bei Frauen weitaus
negativer aus als bei Männern, weil auch deren Mentalität eben nicht
gleich ist. (N.b. es war sehr vernünftig, daß der Gründer der
Gesellschaft Jesu, der hl. Ignatius von Loyola, einen weiblichen Zweig
seiner Gesellschaft abgelehnt hat. Darum gingen früher intelligente
Frauen lieber bei Jesuiten zur hl. Beichte als bei anderen
Ordensgeistlichen. Aber das ist lange her.)
Auch die "Erweckungsbewegungen", die sogar epidemieartig auftreten
können, angeheizt von leidenschaftlichen Leuten, die sich
'Evangelisten' nennen, aktivieren nur das oben definierte 'Religiöse',
indem sie es zugleich enthemmen. Indessen werden von solchen Bewegungen
weder a-religiöse Menschen angesteckt noch wirklich religiöse mit einem
klaren sittlichen Bewußtsein, aber nicht aus denselben Gründen. Denn
dem Areligiösen ist jede Religion prinzipiell gleichgültig und bleibt
deshalb auch für ihn selbst ohne jede Bedeutung. Über die
'Erweckungsenthusiasten' und ihre fanatischen Anhänger kann er nicht
ganz zu Unrecht nur noch lachen.
Der in Theorie und Praxis Areligiöse, den man nicht mit einem alten
Heiden verwechseln sollte, ist in seinem Wesen ein degenerierter Christ
und humanitärer Atheist, der heute auf diesem Boden einem subtilen
Hominismus huldigt, dem er überall und auf jedem Gebiet zum Siege
verhelfen will. Er besitzt, obwohl er areligiös ist, nichtsdestotrotz
drei merkwürdige 'Dogmen', nach denen er sein Leben ausrichtet,
nämlich:
1. Freiheit (von allem und zu allem),
2. Selbstbestimmung (in allem) und
3. allgemeine Menschenwürde (ohne christliche Normen) -
und zwar, philosophisch gesprochen, im Sinne von bloßen Postulaten der
praktischen Vernunft, die allerdings keinen Inhalt haben und
erkenntnisleer sind. Es bleibt jedem wegen seiner Menschenwürde
freigestellt, sich bei diesen postulatorischen 'Dogmen' zu denken, was
er will und was ihm beliebt oder auch was ihm nützlich erscheint. Die
offenkundige Tatsache, daß der konkrete Mensch auch eine würdelose
Existenz ist und sein kann, die der Würde des Menschen restlos
entbehrt, wird einfach geleugnet und/oder aus dem sittlichen Bewußtsein
verdrängt. Dies alles verbirgt sich in dem überall verbreiteten Slogan
von der zu erstrebenden "Bewußtseinsänderung".
Wichtig dabei aber ist auch die Erfahrung aller 'freien Menschen'
hinsichtlich einer Steigerung des "Selbstwertgefühls", das alle
Minderwertigkeitskomplexe beseitigt, insbesondere die religiösen, die
doch nur anerzogen sein sollen. In diesem Zusammenhang hatte schon
Nietzsche die interessante Bemerkung gemacht, die auf den a-religiösen
Hominismus paßt: "Der Atheismus ist die Folge einer Erhöhung (!) des
Menschen" durch seine Befreiung von der "Sklavenmoral", und sein
oberstes 'Dogma' lautet: "Höher als 'du sollst1 steht: Ich will!" Mit
anderen Worten: nicht das moralisch Gute ist der höchste Lebenswert,
sondern die Freiheit. Das Böse aber gibt es nicht und somit auch nicht
den Bösen. Diese Ideologie zieht durch das 'Gemüt' der modernen
Gesellschaft, die a-religiös ist, und prägt ihr Bewußtsein. Die
'Kirchen' und ihre Pseudotheologen aber haben gegenüber einem solchen
Bewußtseinswandel gar nichts Positives anzubieten. Es ist deshalb auch
kein Wunder, daß sie ihre 'Gläubigen', wenn diese nur ein wenig zu
denken anfangen, sehr bald verlieren. Die Menge der Kirchenaustritte
oder auch die der Kirchenwechsler ist jedoch dafür noch lange kein
Beweis. Und auch die Statistik vermag darüber überhaupt nichts
auszusagen. Man muß andere Methoden anwenden, um eine religiöse
Situation innerhalb und außerhalb der 'Kirchen' richtig zu analysieren.
Doch auch die Sozialpsychologie ist dafür gänzlich ungeeignet.
Der im humanitären Atheismus fest verankerte moderne Hominist hält sich
in seiner prinzipiellen A-religiosität (einer in Wirklichkeit abartigen
Religiosität in Theorie und Praxis) für einen elitären Menschen und
vertritt deshalb auch die These von der uneingeschränkten "freien
Entfaltung der Persönlichkeit", worauf jeder einen Rechtsanspruch habe
bzw. haben soll. Der moderne Hominist ist fasziniert von der Idee des
Elite-Menschen und seiner gesellschaftlichen Stellung jenseits von Gut
und Böse, die er durch freie und uneingeschränkte Entfaltung seiner
(bewundernswerten) Persönlichkeit zu erreichen sucht. Er ist beileibe
kein ungebildeter, irrationaler und primitiver Atheist, der immer nur
seine "menschlichen Bedürfnisse" befriedigen will und sich ausleben
möchte (in der Regel auf Kosten anderer); denn dieser gehört zur
a-religiösen blöden Masse und hat keinen 'elitären Geist'. Ihm fehlt
die Freiheit und Größe des humanitär-atheistischen Hoministen und dies
bereits deswegen, weil alle Menschen eben nicht gleich sind und auch
nicht die gleichen Chancen haben können. Es ist darum notwendig, den
elitären Hominismus vom vulgären klar zu unterscheiden, um eine
religiöse Situation deutlicher zu erfassen und auch leichter
durchschauen zu können, trotz ihrer diffusen Komplexität.
Sicherlich sind beide Hominismen gottlos und unmoralisch, aber nicht
auf die gleiche Weise. Hier bestehen große Unterschiede. Sie kommen nur
darin überein, in Theorie und Praxis ein ideologischer Religions-Ersatz
und vor allem gegen das Christentum gerichtet zu sein (nicht gegen
'Kirchen' - im Plural). Ihr gemeinsames 'Credo' lautet: ICH glaube an
den Menschen als das absolut freie Wesen und hoffe auf seine
Verwirklichung! Das gilt sowohl für den einzelnen als auch cum grano
salis für die Gesellschaft. Die Ideologen des humanitären Atheismus,
die übrigens auf philosophischer Ebene allesamt einem voluntaristischen
Idealismus verfielen ("Ego volo, ergo sum", "gut ist nur der gute
Wille" etc.) waren immer schon davon fest überzeugt, daß nur sie "den
neuen Menschen schaffen" könnten. Diese auf eine allgemeine
Bewußtseinsveränderung angelegte Zielsetzung richtete sich direkt und
insbesondere gegen 2 Kor. 5,17; Eph. 4,24 und Kol 3, l0: "Ist also
einer in Christus, ist er eine Neuschöpfung. Das Alte ist vergangen,
siehe, es wurde neu." - "(Ihr sollte ablegen den alten Menschen)... um
anzuziehen den neuen Menschen, der nach Gott (auf Gott hin) geschaffen
ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit." - "(Ihr habt den alten
Menschen ausgezogen) und den neuen angezogen, der sich erneuert zur
Erkenntnis hin, nach dem Bilde dessen, der ihn schuf." Es ist
notwendig, diese Aussagen des hl. Paulus in ihrem wahren Sinn und in
ihrer tieferen Bedeutung zu erfassen und zu begreifen.
(Fortsetzung folgt)
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