Wieviele Katholiken gibt es
in der Bundesrepublik Deutschland
von
Prof. Dr. Diether Wendland
Fortsetzung:
Selbstbewußte katholische Staatsbürger, die als röm.-kath. Christen
noch orthodox katolisch und als solche auch erkennbar waren, wurden
mehr und mehr aus der 'politischen Landschaft' eliminiert und lebten
künftig nur noch im vor-politischen Bereich, irgendwo in der
Gesellschaft. Heute sind sie, ohne es zu wollen, politisch ortlos
geworden. Dieser Prozeß begann bereits in der zweiten Hälfte der 6oer
Jahre, als sich (auch) in der Bundesrepublik Deutschland die
innenpolitische Situation kultur- und sozialpolitisch veränderte,
angeheizt von Ideologen und 'Halbgebildeten' übelster Sorte. Die kath.
Gesamtbevolkerung - nicht bloß das altbekannte unpolitische
'Kirchenvolk' - aber träumte vor sich hin und bemerkte gar nicht, was
in der Öffentlichkeit wirklich vor sich ging, d.h. im Staat und in der
Kirche.
Kaum zwanzig Jahre später aber traf man nur noch vereinzelt auf
verärgerte und enttäuschte Katholiken, die nach einem Gespräch in
öffentlichen Angelegenheiten staatlicher oder kirchlicher Natur offen
sagten: ich bin schon lange aus dem 'C-Parteizirkus' und dem
'Konzilsverein' ausgetreten. Die Gründe dafür waren immer die gleichen.
Außerdem ist es ja auf die Dauer entnervend, in seinem Lebensbereich
für etwas zu kämpfen, wenn man immer nur gegen etwas zu kämpfen
gezwungen ist, ohne daß sich Erfolge zeigen, die einen trösten.
Fürwahr, die Situation wurde trostlos und unerfreulich. Kein Wunder,
wenn nicht wenige politisch engagierte Katholiken, vor allem aus der
höheren Büdungsschicht, resigniert haben und einer Verzweiflung nahe
sind, weil sie keinen Ausweg mehr sehen. Diese Katholiken kämen nicht
einmal auf den Gedanken, eine KVP gründen zu wollen. Denn es fehlen im
kath. Volksteil alle Grundvoraussetzungen für einen durchaus legitimen
"politischen Katholizismus", um auch als Korrektiv zu wirken. Leider
wird dieser Defekt im deutschen Volkskörper von vielen wie ein Fatum
hingenommen - obwohl er produziert ist - und von nicht wenigen gegen
alle Vernunft sogar für etwas Positives gehalten und ausgegeben,
wodurch jedoch die Verwirrung noch vergrößert wird (von Katholiken
wohlgemerkt!).
Auch 'Führungskräfte' in Partei und Staat, die sich als Katholiken
bezeichnen, nennen auf eine geschickte Weise das Gute schlecht und das
Schlechte gut und kochen ihr politisches Süppchen gleich auf mehreren
Feuern, die von anderen am Brennen gehalten werden, welche im
Hintergrund bleiben und nur selten 'auf dem Markt erscheinen'. Der sog.
"Kleine Mann auf der Straße" hat diese Leute noch nie zu Gesicht
bekommen oder sie sich eingehend betrachten können. Er lebt außerhalb
der 'politischen Situation' und kann sie auch nicht durchschauen. Er
glaubt (meint) nur, er wisse Bescheid; in Wirklichkeit jedoch ist er
unwissend und immer geneigt, "auf's falsche Pferd zu setzen". Außer dem
Fehlen des "politischen Katholizismus", dem schon der
Nationalsozialismus das Lebenslicht ausgeblasen hatte (nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde eine Wiederbelebung dieses Katholizismus von mehreren
Seiten verhindert, ja sogar von sich katholisch nennenden Christen),
gibt es jedoch noch andere Gründe, weswegen sich heute eine KVP nicht
mehr gründen ließe, die ebenfalls ihre Geschichte haben. Einer dieser
Gründe ist ein ziemlich hintergründiger, der leider viel zu wenig
beachtet wird, falls er überhaupt noch bekannt ist. Es ist nicht so
einfach, dies in wenigen Worten zureichend deutlich zu machen, da es
sich um ein recht seltsamen Phänomen handelt. Denn in einer
rechtsstaatlichen Demokratie (die mehr ist als ein abstrakter
demokratischer Rechtsstaat) liegt für orthodoxe Katholiken die Politik,
insbesondere die Staats-, Kultur- und Sozialpolitik, einzig und allein
in den Händen der kath. Laienschaft, nicht jedoch in der Hand des
Klerus, auch wenn Kleriker zugleich Staatsbürger sind. Aufgrund einer
solchen Sachlage aber steht der orthodoxe Laienkatholik zwei ihm
durchaus feindlich gesinnten Positionen gegenüber, worüber er sich nie
täuschen sollte: einerseits einem unkatholischen Klerikalismus
machthungriger Kleriker, die auch ihr Weisungsrecht mißbrauchen (z.B.
eine bestimmte Partei wählen zu sollen) und sich in Dinge einmischen,
die sie gar nichts angehen; und andererseits einem Antikatholizismus
machtbesessener Nichtkatholiken, gleichgültig, ob diese sich nun
Christen oder anders nennen. Eine echte KVP stünde, sofern sie
überhaupt existieren könnte, auch heute noch in einer solchen
Situation, ganz abgesehen davon, daß sie die römische 'Konzilskirche1
vor Ort zum Feinde hätte.
Es ist in diesem Zusammenhang auch kein Nachteil, sich einmal an das
traurige Schicksal der Zentrumspartei in der Weimarer Republik zu
erinnern, einer kath. Partei, die nie den Geruch des Klerikalismus
loswerden konnte, obwohl sie unsinnigerweise von Bischöfen sogar des
Laizismus verdächtigt wurde. Der Klerus hatte (was man immer
verschweigt) ein gestörtes Verhältnis zu einem demokratischen
Staatswesen und lebte in dem gefährlichen Irrglauben, daß der
unpolitische "religiöse Katholizismus" (jeder kath. Verein hatte einen
geistlichen Vorsitzenden) einen "politischen" ersetzen könnte. Dadurch
aber wurde das kath. Volk de facto in politischer Unmündigkeit
gehalten. Hier lag auch die tiefere Ursache dafür, daß sich die
Zentrumspartei nicht zu einer echten KVP entwickeln konnte. Sie blieb
eine Art "Kath. Klub"mit feudalistischem Einschlag. (Wer kannte nicht
das ironische Schlagwort verärgerter Katholiken von den drei großen
"K", das sich auf die politische Stellung der Frau bezogt Kirche,
Kinder, Küche?!) Es ist deshalb auch eine Illusion konservativer
Katholiken, heute eine KVP gründen zu wollen in der irrigen Annahme,
man könne auf eine kath. Tradition zurückgreifen. Nein, das kann man
eben nicht, leider! Der heutige Durchschnittskatholik (aber nicht bloß
der deutsche) weiß als Staatsbürger nichts mehr von seiner eigenen
geschichtlichen Vergangenheit in den letzten 15o Jahren, die doch noch
verhältnismäßig leicht überschaubar sind. Wie aber soll er dann
verstehen, wo er heute in Staat und Gesellschaft steht oder welche
Position ihm zugewiesen worden ist bzw. wem er das zu verdanken hat?
Die menschliche Geschichte ist kein Naturprozeß,vielmehr wird sie von
Menschen gemacht und in der Regel auf dem Rücken des Volkes.
Die Demokratie setzt voraus und verlangt auf eine besondere Weise ein
sittlich und politisch reifes Volk, und zwar sowohl in seiner Ganzheit
als auch in seinen Teilen. Darin besteht ihre ständige Problematik, die
der liberalistische und sozialistische Demokratismus verdunkelt und
unkenntlich macht. Das ist heute weitgehend der Fall, so daß viele die
politische Gesamtsituation und ihre Dynamismen ganz falsch beurteilen.
Auch die Propaganda vom sog. "freien (Staats-)Bürger in einer freien
Gesellschaft" ist nichts anderes als eine die Demokratie zersetzende
politische Parole, auf die vor allem die 'umerzogene' antiautoritäre
Jugend hereingefallen ist und nun angeblich 'nach dem Sinn des Lebens
sucht', obwohl sie sich nur ausleben will (auf Kosten anderer, versteht
sich).
Staatsbürger, die noch orthodox katholisch sind, beurteilen diese Dinge
ganz anders als die sog. 'religiösen Meinungsmacher' innerhalb und
außerhalb der 'Kirchen'. Denn orthodoxe Katholiken wissen noch, da sie
keine Sektierer sind, um die wahren Werte einer Volksgemeinschaft im
nationalen, kulturellen und sozialen Bereich. Eine echte KVP könnte
diese schützen oder wenigstens verteidigen, wenn sie existieren und
einen Machtfaktor im öffentlichen Leben darstellen würde. So aber
bleibt es, wie es ist in Volk und Staat, wo andere Mächte walten, d.h.
Herrschaft ausüben. Der "politische Katholizismus" fehlt an allen Ecken
und Enden, was viele mit großer Freude erfüllt. Warum beachtet man
nicht ihr hämisches Grinsen? Christus, der Herr, hat bekanntlich
befohlen: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!" Dies aber bedeutet
auch, da es sich nicht bloß um eine Steuerfrage handelt: gebt ihm
nicht, was ihm nicht zusteht, und entzieht ihm das, was er sich zu
Unrecht angeeignet hat! Im übrigen ist die Demokratie nur als eine
rechtsstaatliche Staatsform legitim. Andernfalls zerstört sie sich
selbst und geht im Sumpf der Massengesellschaft mit ihren sittenlosen
und asozialen Instinkten unter.
Demokratische Parteien aber "wirken bei der politischen Willensbildung
des Volkes mit" (Art. 21,1 GG). Das macht dann die ganze Sache so
pikant und läßt böse Din-ge ahnen. Denn politische Parteien sind weder
gut noch böse, sondern nur nützlich und nur ein Mittel zum Zweck. Nun
aber gibt es bekanntlich auch ungeeignete Mittel dieser Art, die
dennoch ein zähes Leben haben - dank der unpolitischen Masse ihrer
Wähler und vieler Naivlinge, die vom Politischen nichts verstehen. Der
Weg vom gewöhnlichen Bürger zum mündigen Staatsbürger ist ein sehr
langer und mit vielen Illusionen gepflastert. Die unpolitischen
Zeitgenossen sind für ein geordnetes Staatswesen weitaus gefährlicher
als die a-politischen, d.h. diejenigen Leute, denen die Politik
gleichgültig ist.
Die Politik ist auch nicht "die Kunst des Möglichen", was man den
lieben Mitbürgern so oft einzureden versucht, wenn üble Ziele verfolgt
werden, sondern die geschickte Wahrnehmung eigener (nicht fremder!)
Interessen, insofern sie berechtigt sind. Was in so manchen "Seminaren
für politische Bildung", die von gewissen Institutionen veranstaltet
werden, verzapft wird, das grenzt bestenfalls an orientalische oder
andere Märchen. Und so etwas nennt man dann auch noch
'Erwachsenenbildung'. Erwachsen wird man von selber, aber damit noch
lange nicht sittlich und politisch reif. Warum betrachtet man nicht
genauer und möglichst kritisch die geistigen Fundamente des allgemeinen
Erziehungs- und Bildungswesens in einem demokratischen Staat? Wo bleibt
auch hier die Kontrolle durch mündige Staatsbürger, die sich als
katholisch bezeichnen? Von den 'christlichen Parteien' und ihrer
verwaschenen Kulturpolitik kann das doch niemand erwarten. Denn dort
herrscht ein ganz anderer Geist, der dem kath. Volk an sich fremd ist.
Eine KVP stünde hier vor einer nicht mehr zu bewältigenden Aufgabe und
würde im kulturellen Bereich sofort ins Abseits geraten. Denn sie
könnte und würde sich auch nicht beteiligen an dem Schattenboxen
zwischen den 'christlichen Parteien' und den 'Kirchen', da sie ein
Gegner beider Lager wäre.
Auch das haben diejenigen nicht bedacht, die heutzutage von einer KVP
träumen, ohne die politische Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist.
Nirgendwo existiert eine tragfähige Basis für eine KVP, weder in Bayern
noch in Nordrhein-Westfalen noch in anderen Regionen. Das wissen seit
30 Jahren mit Sicherheit alle deutschen Staatsbürger, die noch orthodox
katholisch sind. Wieviele das aber sind, läßt sich kaum erruieren, denn
sie erscheinen in keiner Statistik und treten auch sonst nicht an das
Licht der politischen Öffentlichkeit, um ihre Rechte in Staat und
Gesellschaft geltend zu machen.
Das hat viele Gründe, bei denen man jedoch die wesentlichen von den
unwesentlichen unterscheiden sollte, sonst gelingt es nicht, die reale
politische Lebenslage deutlich zu erfassen und zu durchschauen, in die
die registrierten Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland und
anderswo geraten sind. Die meisten sind sich dessen auch nicht bewußt,
wie schon die allgemeinen Wahlen beweisen. Man wählt halt, was man
immer gewählt hat, und beachtet nicht, was sich innerhalb der Parteien)
inzwischen veränderte. Dies aber beginnt auf geistiger Ebene, auch im
Politischen. Darum braucht man nicht immer so bestürzt zu tun, wenn
übelste Dinge in Erscheinung treten und nicht mehr im Verborgenen
gehalten werden können. "Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen
- und das Erhabne in den Staub zu ziehen" (Schiller).
Eine echte KVP, die von orthodoxen Katholiken als selbstbewußten
Staatsbürgerr getragen sein müßte, wäre in vielfacher Hinsicht ein
Prüfstein für den Wert unseres demokratischen Staatswesens, das,
nebenbei bemerkt, bislang noch keinen existentiellen Belastungsproben
ausgesetzt worden ist - weder von innen noch von außen. Eine solche
Partei würde sich auch von allen anderen wesentlich unterscheiden und
nie faule Kompromisse eingehen, wie sie heute an der Tages(un)Ordnung
sind und fast schon für normal gehalten werden. Außerdem wäre sie nicht
so leicht erpreßbar und ein offener Feind derartiger Versuche,
gleichgültig, woher diese auch kämen. Denn sie hätte unaufhebbare
Prinzipien, Zielsetzungen und Rechtsgrundsätze in bezug auf das
Gemeinwohl, das immer gefährdet ist und von den verschiedensten Seiten
angegriffen wird. Die geistige Umweltverschmutzung ist viel
gefährlicher als die ökologische, da sie als eine solche von vielen
nicht einmal erkannt wird, auch wenn sich der Unrat zu Bergen häuft.
Der Staat ist und bleibt ein "weltlich Ding", auch wenn er von Gott
gewollt ist, und enthält in sich immer den Zündstoff zum Leviathan oder
zu seinem eigenen Untergang. Das heute so oft zu beobachtende
Mißbehagen gegenüber den etablierten Parteien und die
Staatsverdrossenheit vieler Mitbürger kommen doch nicht von ungefähr,
sondern haben ihre Ursachen. Die Bundesrepublik Deutschland ist zwar
wirtschaftlich (noch) ein Riese, aber politisch ein Zwerg, kulturell
jedoch überfremdet und chaotisch. In gesellschaftlicher Beziehung aber
zeigt sich - wie auch anderswo - eine 'Zivilisation' ohne Zucht und
Maß, die den besten Boden abgibt nicht nur für das organisierte
Verbrechen, sondern auch für eine neue Form des Verbrechens, für die es
noch keine Strafgesetzbucbr paragraphen gibt. Man wird auch vergeblich
darauf hoffen. Denn ein falscher Freiheitsbegriff hat viele bereits um
ihren Verstand gebracht. Der moderne Staat ist kein Organismus, sondern
die politisch organisierte Gesellschaft eines geeinten Volkes, dem das
National-Gemeinschaftliche eigentümlich ist. Die Propaganda von der
"multikulturellen Gesellschaft", an der sich auch sog. christliche
Politiker beteiligen, soll die natürliche Einheit von Volk, Nation und
Staat zerstören, damit sich oligarchische Gruppen leichter und
ungehemmter austoben können. Diese Gruppen, die man auch als "Kasten"
bezeichnen kann, sind international orientiert und pflegen als
'Weltbürger' (erster Klasse) ihre Beziehungen. Die "multikulturelle
Gesellschaft" ist ein inhaltsleeres Schlagwort und hat mit den
Wertbegriffen "Kultur" oder "Nation" (Kulturnation) nicht das mindeste
zu tun. Es dient nur zur Täuschung derjenigen, die sich leicht täuschen
lassen.
Jedes zivilisierte Volk in Europa, das das Barbarentum von sich
fernhält, hat eine eigene Kultur, eigene Sitten, eigene nationale Werte
und eine eigene Lebensform etc., alles Dinge, die von der
"Massengesellschaft", die alles gleichwalzt (auch im religiösen
Bereich), bedroht sind. Der pluralistische Parteienstaat mit seiner
Tendenz zum Demokratismus ist gegen dieses Übel der Vermassung
machtlos. Es ist mehr als traurig, daß man davor nicht bloß die Augen
verschließt, sondern von dieser Gefährdung mit politischen Floskeln
(z.B. "Demokratisierung der Gesellschaft") ablenkt und dadurch das Volk
betrügt. Die Völker Europas werden das noch zu spüren bekommen. Unsere
thematische Frage: "Wieviele Katholiken gibt es in der Bundesrepublik?"
ließe sich zu der noch prekäreren ausweiten: "Wieviele Katholiken gibt
es in Europa?" Niemand wird diese Frage beantworten können, da der
"politische Katholizismus" schon lange nicht mehr existiert und
nirgendwo eine echte KVP ins Leben gerufen werden könnte. Nicht alles,
ja kaum noch etwas, was sich heutzutage "katholisch" oder auch
"römisch-katholisch" nennt, ist in Wirklichkeit orthodox katholisch.
Sogar eine genauere Analyse der politischen Existenz vieler im
Öffentlichkeitsbereich eines demokratischen Staates bringt das zum
Vorschein. Nur darf man hier nicht den Fehler machen, 'christliche
Politiker' oder auch 'Kirchenbeamte' zu befragen. Dies wäre aber auch
höchst überflüssig, da deren sonderbare Meinungen doch allgemein
bekannt sind.
Viele deutsche Katholiken haben - oft auch aus Unwissenheit und
verführt von den Funktionären der 'röm. Konzilskirche' - das politische
Feld den Feinden ihres eigenen Volkes zur Bebauung überlassen. Das
begann schon in der Mitte der 60er Jahre, als sich die politische
Situation in Westdeutschland innenpolitisch veränderte. (In
Mitteldeutschland konsolidierte sich der SED-Staat, tyrannisierte das
Volk und saugte es aus, physisch und geistig.) Zwanzig Jahre später
konnte dieser Prozeß als abgeschlossen gelten, so daß orthodoxe
Laienkatholiken regelrecht politisch heimatlos wurden. Das ging nicht
spektakulär vor sich, sondern gleichsam schleichend durch eine fast
unbemerkte Ausgliederung aus dem öffentlichen Leben. Dies läßt sich
auch aus dem Wandel der Qualität von politischen Parteien und ihren
Führungsgremien ersehen, denen die wachsende Amoralität, Asozialität
und Gewalttätigkeit der sog. 'pluralistischen Gesellschäft' in ihrer
'Freizügigkeit' nicht einmal zu einem harten Stein des Anstoßes wird.
Man weiß schon, welchen Sinn das hat, wenn da jemand beteuert, daß er
über dieses oder jenes "doch sehr bestürzt und überrascht" sei. Es ist
für orthodoxe Katholiken nicht möglich, in solchen Parteien etwas zum
Besseren wenden zu wollen. Diese Erfahrung drängte sie ins Abseits und
machte sie zu Fremden im eigenen Staat. Darum treten sie in der
Öffentlichkeit auch nicht als eine geschlossene Gesellschaftsgruppe in
Erscheinung. Man sollte diese Katholiken nicht verwechseln mit den
katholisierenden religiösen Sektierergruppen, die sich allesamt in der
'röm. Konzilskirche' befinden und ihrem Rechtsbereich zugeordnet sind.
Die politische Situation - nicht bloß die kirchliche - orthodoxer
Katholiken, die in einem demokratischen Staate leben, hat sich in den
letzten 30 Jahren wesentlich und total verändert. Den
Durchschnittskatholiken aber interessiert das alles nicht, denn er hat
ganz andere Interessen, die sich mit denen der Nicht-Katholiken
weitgehend decken. Er spielt sogar das Spiel derjenigen, denen der
Anti-Katholizismus aus allen Knopflöchern schaut.
"Wieviele Katholiken gibt es in der Bundesrepublik Deutschland?" - man
spricht von Millionen... leichtfertig, ohne Überlegung und so, als ob
es diesbezüglich keine Probleme gäbe. Diese Zeitgenossen mit ihren
Zahlenspielchen sind nicht bloß politisch dumm, sondern 'nützliche
Idioten', d.h. nützlich für andere, die nach Macht und Einfluß gieren
und auch solche 'Privatleute' männlichen und weiblichen Geschlechtes
für ihre Zwecke brauchen. Es gibt eine Menge Leute, die sagen, wenn
Wahlen vor der Tür stehen, sie würden "christlich wählen". Doch bei
näherer Befragung stellt sich dann immer heraus, daß sie gar nicht
wissen, wovon sie überhaupt reden. Die politische Bildung dieser
Mitbürger ist gleich Null und entspricht auch ziemlich genau ihrer
religiösen Bildung. Sollte das noch niemandem aufgefallen sein? Am
schlimmsten aber sind diejenigen, welche diese Tatsache - borniert wie
sie sind - immer leugnen, um bloß nicht selbst in die Schußlinie zu
geraten.
Orthodoxe Katholiken wissen, wo das degenerierte und dekadente
Christentum anfängt und wie es dazu kommt. Sie wissen auch, warum ein
solches Christentum, das seinen Namen nicht verdient, in der
Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielt und spielen kann. Das wahre
Christentum ist nämlich ein tiefgreifender Unterscheidungs-Faktor, der
das menschliche Leben prägt und ausrichtet, nicht jedoch ein
'Fremdkörper' in der Gesellschaft und im Staate. Christentum und Kirche
aber lassen sich nicht trennen. Wenn das eine verschwindet, dann
verschwindet auch das andere. Hingegen gibt es den Staat oder auch eine
Staatengemeinschaft ohne Christentum und in dem (der) sich sog.
'christliche Kirchen' tummeln. Das bringt dann viele in Verwirrung,
weil sie weder vom Christentum noch von der Kirche einen klaren Begriff
haben. Der unbedarfte Durchschnittskatholik aber wird als Staatsbürger
und Mitglied einer 'Kirche' zum Objekt von denjenigen gemacht die aus
Eigennutz politisch agieren und Macht ausüben. Diese Zeitgenossen sind
mit uneinlösbaren Versprechungen und 'Heilsverheißungen' verschiedener
Art immer schnell bei der Hand und vergessen dabei nie, ihr Image als
Hoffnungsträger zu pflegen. Wer kennt nicht diese immer so
menschenfreundlich lächelnden Typen und ihre großen Gesten? "Keep
smiling" heißt die Devise, auch wenn es nichts zum Lachen gibt.
Orthodoxen Katholiken ist das Lachen schon längst vergangen. Sie
schauen mit großer Sorge in die Zukunft. Denn bereits das, was sich in
aller Öffentlichkeit an Schamlosigkeit, Unzucht, Gewissenlosigkeit,
Verdorbenheit, Freiheitsmißbrauch und brutaler Gewalt (des Pöbels)
zeigt und sich sogar unbeanstandet zeigen oder zur Schau stellen kann,
macht unmißverständlich deutlich, wohin sich die "offene Gesellschaft"
in ihrem vermeintlichen Pluralismus bewegt, die sich im übrigen nicht
selbst bewegt, sondern bewegt wird, indessen nicht von anonymen
Mächten. So etwas behaupten nur religiöse Phantasten und Obskuranten.
Unter den deutschen Staatsbürgern werden die orthodoxen Katholiken
sicherlich noch nicht ausgestorben sein. Doch nirgendwo gibt es
Anzeichen für das Erwachen eines "politischen Katholizismus", um viele
ergreifen und in Bewegung setzen zu können - "im Namen des katholischen
Volkes", und zwar eines Volkes, das auch vom Vatikanum 2 in die Irre
geführt worden ist, nicht bloß von sog. 'christlichen Parteien' und
ihren Mitläufern 'im Namen der Demokratie'. Wer kann diesen politischen
Knoten, der sich hier geschürzt hat, auflösen?! Man müßte ein scharfes
Zweihandschwert haben, um ihn zu zerschlagen. Wer aber könnte heute
einen solchen Zweihänder noch schmieden? Ein einzelner wäre dazu
jedenfalls nicht in der Lage. Hier müßten viele Hand anlegen und ebenso
viele mithelfen. Aber das tun sie nicht. Warum nicht? Nun, weil es
diese Vielen nicht mehr gibt, die nötig wären, um eine politische
Situation ändern zu können. (hnlich verhält es sich bei der religiösen
Situation von Katholiken auf kirchlichem Gebiet, einer Sachlage, die
die meisten nachweislich gar nicht erfassen und deshalb auch leicht zu
einem willenlosen Objekt einer anti-katholischen Kirchenpolitik
umfunktioniert werden konnten.)
Orthodoxe Laienkatholiken leben heutzutage gefährlich, wenn sie in der
Öffentlichkeit ihr Haupt erheben und versuchen, von ihren Rechten
Gebrauch zu machen. Denn sie werden von vielen nicht bloß als
politische Gegner, sondern als Feinde betrachtet und ausgegeben, die -
wie es so schön heißt - "den öffentlichen Frieden stören". Dahinter
aber steht die unverkennbare Absicht, diese Katholiken durch massive
Unterdrückung niederzuhalten und auf irgendeine Weise auszumerzen. Eine
politische Situation stellt sich nicht von selber ein, sondern ist das
Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses bzw. von Vorgängen in der
Gesellschaft. Sie hat ihre Wurzeln und entsteht im vor-politischen
Bereich eines Volksganzen. Manche erkennen sie erst dann, wenn
sozusagen "das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist".
***
Hinweis für unsere Leser
Die Abhandlung von Herrn Prof. Wendland über die Reform des neuen
Weiheritus (Sonderheft) hat nicht nur Zustimmung gefunden, sondern auch
verschiedene Einwände erfahren. Damit sich die vorgetragenen Argumente
bewähren können, haben wir uns entschlossen, einem der Kritiker, Herrn
Johannes Rothkranz, die Gelegenheit zu geben, in einem Sonderdruck
seine Einwände vorzutragen. Dieser Sonderdruck kann bei der Redaktion
bestellt werden.
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