AUFRUF AN ALLE KATHOLISCHEN CHRISTEN
von
Tomas Tello
übers. von H. Pieter
Ein jämmerliches Schauspiel bieten die sogenannten katholischen
Traditionalisten. Wenn man alle Anzeichen richtig deutet, muß man zu
dem Schluß kommen, daß wir in der ganz großen Drangsal stecken, die von
Christus prophezeit wurde (vgl. Matth. 24,21), eine solche Drangsal,
die es in dieser Ausprägung noch nie gab und auch nie mehr geben wird.
Es ist dies die geistige Verwirrung, Angst, Bestürzung, die innere
Zerrissenheit der gläubigen Seelen, die aufrichtig Gott suchen. Es
herrscht die Todesangst von Gethsemani.
Nichts verunsichert jedoch den guten Willen der Gläubigen so sehr wie
das Erleben der traurigen Wirklichkeit all der Spaltungen und des
unversöhnlichen Gegeneinander unter den sog. Traditionalisten. Der
skandalöse Progressist kann einen zentrifugalen, im Endergebnis
abschreckenden Effekt auslösen. Wirklich gefährlich sind jedoch nur
solche, die sich klammheimlich einschleichen unter dem Etikett eines
Traditionalisten. Sie wirken zerstörerisch. Diese Leute sind es dann
auch, die irreparable Schäden anrichten können, indem sie
ungerechtfertigt das Monopol der wahren Tradition für sich beanspruchen
gegenüber jenen Gläubigen, die ihnen auf Gedeih und Verderb vertrauen,
zuweilen in Form eines wütenden Fanatismus.
Ganz offenbar fehlt es hier an Liebe. Man beschimpft und
anathematisiert sich gegenseitig mit atemberaubender Unbekümmertheit.
Welch ein Skandal! Wenn auf allen Seiten Aufrichtigkeit regiert hätte
und sich der katholische Widerstand ohne den Lärm von
Rangstreitigkeiten und ohne weitere differenzierende Attribute zu einem
Block zusammengeschlossen hätte, wäre die furchtbare Krise der Kirche
(vielleicht) schon überwunden, allein schon dadurch, daß ein völliger
Wiederaufbau der Hierarchie - einschließlich ihrer Spitze - hätte
stattfinden können.
Man darf niemals daran zweifeln, daß die Kirche, diese durchgestaltete
und vollkommene Gesellschaft (societas perfecta), durch göttliches
Recht alle notwendigen Vollmachten besitzt, um sich selbst wieder zu
restituieren, wiederherzustellen und zu erneuern bzw. zu korrigieren,
wenn sie sich wegen der Schwachheit ihrer menschlichen Elemente in eine
so tiefe Krise gestürzt sieht, wie es z.B. in der Krise des sog.
abendländischen Schismas geschah.
In dieser Situation von heute die Lösung von einem "Deus ex machina" zu
erwarten, wie es z.B. Mgr. Guerard des Lauriers O.P. (r.i.p.)
vorgeschlagen hat, ist eine ungeheure Verirrung, die die Kraft des
katholischen Widerstandes lähmte und immer noch schwächt. Man vermißt
hier den fehlenden Willen zu einer konstruktiven Auseinandersetzung
bzw. Dialog. Hier werden mit dem Anspruch eines Vorkämpfers -
unbegreiflich angesichts der Größe der Krise - absurde Theorien aus dem
Ärmel geschüttelt ohne die geringste objektive Entsprechung in der
Lehre der Kirche, sogar gegen sie! Groß ist die Verantwortung solcher
Verwirrer (...). "Qui autem pertubat vos, portabit iudicium, quicumque
ist ille". (Gal. 5,lo - "Wer euch aber verwirrt, der wird das Gericht
zu tragen habe, wer immer er auch sei.") Laut schreien müßte man:
"Katholische Christen in der ganzen Welt vereinigt euch im Namen
Christi, um bis zum Umfallen für die Wiederherstellung der katholischen
Kirche und ihrer Hierarchie zu kämpfen." Lernen wir doch von den
"Kindern dieser Welt", die immer klüger als die Kinder des Lichtes
sind, wie uns unser göttlicher Meister versicherte, einer gemeinsamen
Strategie zu folgen! Die Kinder dieser Welt einigen und vereinigen sich
sooft wie nötig und setzen sich an einen Tisch. Sie veranstalten
Marathonsitzungen und diskutieren und verhandeln ein Thema so lange...
bis zur Erschöpfung, bis sie eine gemeinsame Plattform gefunden haben
und bis sie einige für alle beteiligten Gruppen akzeptable Lösungen
erreicht haben, zugleich stellen sie verschiedene-Grundprinzipien für
ein gemeinsames, gut koordiniertes Handeln auf, um so zum Ziel zu
gelangen.
Es ist eine ganze Menge, was wir im Hinblick auf solche Strategien von den Feinden des Glaubens lernen könnten.
Ich glaube sogar aufrichtig, daß es für uns Katholiken viel leichter
sein dürfte, uns zu einigen, da wir schon als solche von einer
gemeinsamen Plattform ausgehen könnten. Gemeint ist die Einheit im
Notwendigsten (in necessaris unitas), d.h. im dogmatisch fixierten
Glauben, in den unfehlbaren Lehrentscheidungen der Kirche, Tenenda:
ihre heiligen Gesetze, die feststehenden theologischen Lehrsätze und
die ganz allgemein von der Kirche angenommene Lehre (vgl. Can. 129 und
1324 CIC). Trotzdem sieht man im katholisch gebliebenen Lager nur
Trennung und Zersplitterung, allem Anschein nach ohne die Möglichkeit
einer Einigung. Statt dessen reduzieren sich die Aktivitäten auf ein
unablässiges gegenseitiges Bombardement aus den jeweiligen Gräben und
Festungen heraus, mit schweren Folgen für die (geforderte) Liebe. Wie
uns deswegen die Progessisten auslachen werden! Ein uneiniges Heer kann
nie sein Ziel verfolgen.
Darum fordere ich alle auf, die Streitereien einzustellen, sich
zusammenzutun, um miteinander zu sprechen, bis man zu Schlußfolgerungen
gelangt ist, die es erlauben, eine einheitliche Strategie zur
Restitution der Hierarchie zu entwickeln, wie es während des
Abendländischen Schismas schon einmal geschah... mit dem allgemein
bekannten positiven Resultat. Jeder, dem der jetzige Zustand zuwider
ist und der allem Lärm über Rangstreitigkeiten entsagt, der nicht nur
angibt, mit Eifer für die Ehre Gottes und das Heil der Seelen zu
kämpfen, sondern es auch tut aus Liebe zur Kirche, möge sich dieser
Forderung anschließen! Differenzen gibt es nicht nur unter den
Traditionalisten im weiteren Sinne, sondern auch unter den
Sedesvakantisten selbst. Manchmal geht es bei diesen Streitigkeiten nur
um zweit- und drittrangige Fragen, die aber Erstarrung und Kälte in die
herzlichen Beziehungen tragen, welche unter ihnen herrschen müßten, und
die die Kräfte lähmen und ein Hindernis für die Lösung der Krise
bilden.
Ich glaube, es ist unsere Pflicht zusammenzuwirken, um das Hauptziel zu
verfolgen, und zwar nichts anderes als die Wiedererrichtung der
kirchlichen Hierarchie in ihrer Spitze als eines wesentlichen
Organisationselementes des Corpus Mysticum Christi. Wir setzen voraus,
daß die Vakanz des Hl. Stuhles eine unerschütterliche Realität ist.
Also müssen sich unsere 'Schüsse' auf die Zielscheibe einer Papstwahl
richten. Wir können nicht unablässig den Kehrreim "Sedesvakanz,
Sedesvakanz" wiederholen, ohne Hand anzulegen an die Lösung dieses
Problems. Wir müssen uns mit vollem Einsatz mit der Problematik einer
Papstwahl unter den gegebenen aktuellen Umständen beschäftigen und dann
das Problem praktisch - nicht nur spekulativ - entschlossen lösen - mit
Gottes Hilfe! Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß gesagt werden, daß
dieses Thema bereits mit allem Nachdruck und Ernst in der deutschen
Zeitschrift EINSICHT behandelt wurde (in einer Artikelserie) mit der
Generalüberschrift "Die Wiederherstellung der kirchlichen Hierarchie"
*). Ebenfalls hat es Abbé Zins in SUB TUUM PRAESIDIUM **) behandelt, wo
er die Notwendigkeit und die Dringlichkeit des Handelns aufgrund der
Konstitution "Vacante Sede Apostolica" vom hl. Papst Pius X. nachweist.
Aber zu meiner Überraschung haben diese Stimmen kein Echo hervorgerufen
und auch nicht das verdiente Interesse geweckt. Es herrscht in dieser
Frage allem Anschein nach eine bestürzende Passivität unter den
Sedesvakantisten, wo doch in der Kirche nicht dringlicher wäre als die
Wahl eines Papstes. Daß nämlich die Kirch ein sichtbares Oberhaupt
haben soll, ist sogar dogmatisch gefordert (vgl. Denz. 3053-3058).
Diese dogmatische Forderung, diese dringende Notwendigkeit sollte uns
anstacheln, unermüdlich unter Aufbietung all unserer Energie, jeder
nach seinen Kräften, Talenten und Gottesgaben und alle zusammen unter
Gebet und Opfer - denn"wenn Gott nicht das Haus baut, arbeiten die
Bauleute vergebens" - uns zu bemühen, damit der HERR uns barmherzig
sein und Seiner Kirche einen Papst geben möge.
Dieses Thema müßte in allen konsequent katholischen, d.h.
sedesvakantistischen Organen behandelt werden unter Heranziehung
einschlägiger Untersuchungen und im Austausch von Argumenten und der
Bereitschaft, Kritik anzunehmen, bis gesicherte Erkenntnisse
stufenweise zu praktischen Lösungen führen. Lassen wir uns dabei leiten
von den Glaubensvätern zur Zeit des abendländischen Schismas - ohne
deren Irrtümer und Fehlverhalten -, als sie nach den Versuchen, eine
Lösung zu finden, durch Übereinkunft zwischen den beiden Päpsten und
durch ihren Rücktritt schließlich die "Via Concilii" beschritten, das
Monster der zweiköpfigen Kirche verjagten und die Kirche mit einem
(legitimen) Papst versahen. Ein noch schlimmeres Monster (als ein
zweiköpfiges) ist ein kopfloser Körper, denn, wie der Kardinal Peter
von Ailly auf dem Konzil von Konstanz sagte, "ein kopfloser Körper ist
die schrecklichste der Mißbildungen".
Sicherlich sind auf diesem Konzil auch in erheblichem Umfang
Regelverstöße vorgekommen und Irrtümer behauptet worden, aber das
Wichtigste wurde dennoch erreicht, und der neue Papst verdammte den
dogmatischen Irrtum des Konziliarismus und heilte "a radice" alle
Regelverstöße. Heute, nach einer umfassenden Entwicklung in der
Darstellung der Dogmen seit jener Zeit und dank der Gesetze des C.I.C.
ist es leichter, die Klippen zu meiden und innerhalb strikter Legalität
vorzugehen. Wir müssen das versuchen. Nur dürfen wir uns nicht diesem
Defaitismus verschreiben, der von vorneherein alles für legaliter
unmöglich hält. Alle gebildeten Gläubigen müssen sich beteiligen,
Geistliche wie Laien. Es handelt sich um eine lebenswichtige Frage für
den Glauben (und den Bestand der Kirche, Anm.d. Red.), und der Glaube
ist universal, ist allen gemeinsam. Er ist nicht nur Sache der
Kleriker, sondern auch der Laien, absolut aller Christen (Denz. 639).
Darum: alle Christen, die sich auf den Standpunkt stellen, daß wir
heute Sedesvakanz haben, alle Christen von Argentinien bis Kanada, von
Deutschland bis Süd-Afrika, von Indien bis Japan, einigen und
vereinigen wir uns!
Tomás Tello
Anmerkungen:
*) Vgl. EINSICHT XV/7, Febr. 1986, S.15o; XVl/l, April 1986; Juli 1986;
XVI vom Sept. 1986, S.65-72 und andere Artikel. Anm.d.Red.: das Thema
erfuhr bisher leider noch keine systematisch befriedigende Lösung.
**) Vgl. SUB TUUM PRAESIDIUM Nr.4 vom Juli 1986, S.21-39.
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