Wieviele Katholiken gibt es
in der Bundes-Republik Deutschland
von
Prof. Dr. Diether Wendland
Vorbemerkung der Redaktion:
Im folgenden werden zwar hauptsächlich die Möglichkeiten einer
Einflußnahme seitens der Katholiken in Deutschland geprüft, doch werden
dabei auch grundsätzlich das Verhältnis von Kirche und Staat und das
Dilemma angesprochen, welchem Christen gegenüberstehen bzw. in welches
diese geraten, wenn sie in der Öffentlichkeit als Christen wirken
wollen. Deshalb erscheint der Abdruck der nachfolgenden Abhandlung
gerechtfertigt, die der Autor mit dem bezeichnenden Untertitel "Zur
leeren Hoffnung traditionalistischer Gruppen auf eine 'Katholische
Volkspartei' (KVP) in einem demokratischen Staatswesen" versehen hat.
Eberhard Heller
***
Wer heutzutage diese Frage ernsthaft stellt (uns wurde sie schon früher
oft gestellt), und zwar nicht in religiöser oder auch kirchlicher
Beziehung, sondern in einer religions- und kulturpolitischen Absicht,
der wird erhebliche Schwierigkeiten haben, eine sichere Antwort zu
finden und schließlich zu der Überzeugung gelangen, daß sie im Grunde
gar nicht mehr zu beantworten ist.
Aber warum nicht? Wo liegt das eigentliche Problem, das hier aus dem
Dunkel emporsteigt und eine sichere Beurteilung der Sachlage so
erschwert, ja fast unmöglich macht? Gewiß läßt sich die genaue Anzahl
der Katholiken nicht feststellen, auch nicht annähernd, und selbst dann
nicht, wenn man nur die Volljährigen und Erwachsenen zahlenmäßig
erfassen würde, auf die allein es doch wohl ankäme. Dennoch aber läßt
sich diesbezüglich eine Hochrechnung machen, die viele Millionen
aufweist, indes wohl kaum mehr als 18 Millionen in West- und
Mitteldeutschland. Das ist freilich nicht viel bei einer
Gesamtbevölkerung von über 7o oder 75 Millionen. Es ist deshalb auch
nicht angebracht, das moralische und politische Gewicht der kath.
Mitbürger maßlos zu überschätzen, wie dies gerade bei uns oft
geschieht, weil man in religiösen Bereichen die Dinge nicht
nüchtern-realistisch betrachtet und erst recht nicht kritisch genug
wägt, obwohl man doch weiß, daß die deutsche Wählermasse auf eine
besondere Weise unpolitisch und sentimental ist.
Auch Katholiken regen sich bei Gelegenheit über dieses oder jenes
fürchterlich auf, aber sie tun nichts dagegen, sondern lassen dann "die
anderen machen", von denen sie glauben, sie täten etwas in ihrem Sinne,
obwohl diese in Wahrheit das Gegenteil tun oder getan haben, wie sich
hernach so oft herausstellt. Dann aber läßt sich kaum noch etwas ändern
und ungeschehen machen. So ist es nun einmal im politischen Leben,
welches von den verschiedensten Seiten her eine Gesellschaft prägt,
zwangsläufig! Das sehen viele nicht oder machen sich falsche
Vorstellungen vom (relativen) Eigenleben der Gesellschaft in Volk und
Staat. Dabei gilt auch und gerade im Politischen nach wie vor die alte
Wahrheit: die Macht der Bösen, eine Minderheit, weiß um die Ohnmacht
der mehrheitlich Guten und rechnet zugleich mit der "Masse der Dummen",
deren Nützlichkeit darin besteht, gefügig zu sein und leicht verführt
werden zu können.
Verdirbt Politik den Charakter, wie viele Leute meinen? Nein! sondern
sie offenbart ihn! Das kommt immer ans Tageslicht. Dies kann man
bereits bei den sog. 'Berufs-' und 'Spitzenpolitikern' sehen, die in
der wahnhaften Einbildung leben, für jedes Regierungsamt bestens
geeignet zu sein. Es gibt auch nur selten einen Parteipolitiker, der
die Qualitäten eines Staatsmannes besitzt. Im übrigen ist die
Demokratie schon von Natur aus (nicht erst als Massendemokratie) eine
sehr gefährdete Staatsform und keineswegs ein Allheilmittel, wie
heutzutage offen oder verdeckt propagiert wird. Die Wirklichkeit sieht
anders aus.
Nach diesen Vorbemerkungen, die voller Zweifel stecken und auch ein
ungutes Gefühl hervorrufen (das man jedoch nicht unterdrücken sollte),
stellt sich die konkrete Frage, warum eigentlich hat seit etwa 30
Jahren der doch an sich legitime katholische Einfluß im öffentlichen
Leben und auf dasselbe so schnell und dermaßen abgenommen, daß davon
heute im Ernst nicht mehr gesprochen werden kann? Wer dies öffentlich
täte, würde nicht bloß ein Kopfschütteln bei Sachkundigen und kritisch
eingestellten Mitbürgern hervorrufen, sondern sich selbst der
Lächerlichkeit preisgeben.
Katholiken, die das nicht glauben wollen, mögen doch einmal ihre
gegenteilige Meinung in der Öffentlichkeit vertreten, am besten in
einem öffentlichen Vortrag vor vielen Zuhörern mit anschließender
Diskussion. Das wäre doch wenigstens ein allgemeines Gelächter wert und
eine hübsche 'Story' für Journalisten. Warum hat denn der katholische
Einfluß, dem ein besonderes Profil zu eigen ist, unverwechselbar!, auch
im deutschen Volke seine Prägekraft verloren und ist im
innenpolitischen Bereich nirgendwo präsent?
Man darf eine solche Situation nicht mit einer kirchlichen verwechseln
und erst recht nicht mit einer innerkirchlichen, sonst erkennt man gar
nicht die wahre Sachlage, wie sie nun einmal tatsächlich vorliegt.
Vielmehr muß man hier die Dinge sehr genau unterscheiden, um eine
allgemeine Situation richtig zu sehen, in der sich "religionsmündige
Katholiken" heute befinden, gleichgültig, ob ihnen das bewußt ist oder
nicht. Doch leider leben viele in den Tag hinein und kümmern sich nur
um ihre persönlichen Belange (das Geld und der Bauch sind ihre
Hauptgötter), währenddessen um sie herum "die Welt zum Teufel geht",
auch im Politischen, angeheizt durch immer dieselben Politikmacher,
auch wenn diese bereits senil sind und am Rande des Grabes stehen.
Es ist verständlich, wenn manche mit dem Gedanken einer "Katholischen
Volkspartei" (KVP) spielen, um auf diesem Wege auch der geistigen
Umweltverschmutzung den Kampf anzusagen und ihr entgegenzutreten. Indes
machen sie ihre Rechnung ohne den Wirt, der ihnen eine ganz andere
Rechnung mit Mehrwertsteuer (mit dem, was heute angeblich mehr wert
ist) präsentieren würde. Darüber besteht überhaupt kein Zweifel. Diese
Katholiken setzen vieles voraus, was in der angeblich noch katholischen
Bevölkerung überhaupt nicht (mehr) voraussetzbar ist und auch schon
lange nicht mehr existiert. Das gilt generell, einschließlich der
höheren Bildungsschicht, von der man doch an sich etwas anderes
erwarten können sollte, und zwar nicht bloß quantitativ, sondern vor
allem qualitativ. Aber dem ist nicht so, leider.
Von den etablierten "C"-Parteien, die sich bedenkenlos und dreist als
'christliche' bezeichnen (dieses Faktum sollte niemand übersehen), kann
doch sicherlich kein orthodoxer Katholik erwarten wollen, daß sie als
Organe politischer und kultureller "Willensbildung im Volk" spezifisch
katholisches Gedankengut oder katholische Lebenswerte in ihrem Programm
haben, um solchen Gütern und Werten ein Daseinsrecht zu verschaffen.
Wer so etwas glaubt, der hat noch nie deren Programme genau gelesen.
Nichtsdestotrotz aber wurde und wird immer noch behauptet, das
'katholische Volk' sei doch in diesen Parteien 'gut aufgehoben', auf
jeden Fall besser als in den anderen, die sich als 'staatstragend'
durch allgemeine Wahl qualifiziert haben bzw. qualifizieren. Der
Durchschnitts-'Katholik' glaubt das alles, ohne sich darüber
beunruhigende Gedanken zu machen; nur manchmal stößt er in seinem
Freundeskreis oder am Stammtisch die furchterregende Drohung aus, bei
der nächsten Wahl "denen da oben in der christlichen Partei einen
Denkzettel zu verpassen". Das haut natürlich keinen 'Spitzenpolitiker'
vom Sockel, da er die christlichen Pappenheimer in seinem Wahlkreis
kennt. Inzwischen aber macht er weiter seine (vermeintlich)
'christliche Parteipolitik' - bei guter Bezahlung, versteht sich!
Gesellschaft. Dies ist doch alles gar nicht wahr, sondern der reinste
Bluff. Eine Staatskrise, die man heute nicht mehr ausschließen kann,
würde das sofort ans Tageslicht bringen.
Und warum halten eigentlich sogar gebildete Katholiken an dem
Irrglauben fest, sich als 'christlich' bezeichnende Parteien seien auch
schon ein Garant für gute Politik, wenn man dort die wirklich
christlichen Prinzipien und Grundwerte zum Fenster hinauswirft und sich
sogar mit anti-christlichen Gruppen verbrüdert oder sich ihrem Druck
willig beugt.
In Deutschland war immer schon der kultur-politische (nicht der
sozial-politische) Bereich im gesamten Erziehungs- und Bildungswesen
ein besonderer Prüfstein für den Wert des Staates, in dem ein Volk
lebt. An dem, was sich dort abspielt, läßt sich leicht erkennen, wohin
die Reise geht. Der Durchschnittsbürger aber begreift das nicht, das
ist ihm "zu hoch", wie man leicht in Erfahrung bringen kann, und
deshalb weiß er auch nicht, welcher Zündstoff in der Propaganda von der
"multikulturellen Gesellschaft" steckt. Hinzu aber kommt dann noch die
Tatsache, daß heute die Perspektive Christentum und Kultur völlig
verdunkelt worden ist und an ihre Stelle eine grandiose Chaotik
getreten ist, von der auch die Katholiken betroffen sind.
Wer aber hat sie denn in diese Situation hineingezogen? Das waren doch
keine anonymen Mächte und Gewalten, sondern agile Volksgenossen, die im
Rahmen der "Kulturhoheit der Länder" sich als 'Kulturpolitiker'
aufspielten. Diesen Funktionären innerhalb und außerhalb der
politischen Parteien schaute der ideologische Liberalismus und
Sozialismus aus allen Knopflöchern, vor allem und unübersehbar vor
Landtagswahlen. Dem demokratischen Durchschnittskatholiken fiel das gar
nicht auf, da er in seinem verengten Horizont immer noch glaubte, in
einer angeblich christlichen Gesellschaft zu leben (zumindest
überwiegend)! Selbst heute noch gibt es nicht wenige Katholiken, die
die Bundesrepublik Deutschland als solche (oder auch Österreich) für
einen christlichen Staat halten. Hier fragt es sich, wie lange sie das
wohl noch durchhalten werden. Es hat jedoch keinen Sinn, darauf zu
hoffen, daß ihnen demnächst ein kleines Licht aufgeht.
Nun aber stelle man sich einmal vor, es gäbe katholische Staatsbürger,
die tatsächlich bestrebt wären eine KVP gründen zu wollen, und dies
nicht zuletzt deswegen, weil die Bevölkerungsstatistik von ca. 27
Millionen Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland spricht. Diese
Menge scheint gewisse Leute in den konservativen Gruppen zu
faszinieren, so daß sie dann ganz falsche Schlüsse daraus ziehen. Doch
schon eine diesbezügliche Flugblätteraktion könnte sehr ernüchternd
wirken. Denn wer würde diese Leute nicht für verrückt erklären, bar
jeden politischen Verstandes? Aber warum wäre das generell so? Etwa,
weil diese Katholiken tatsächlich ein wenig verrückt wären oder nur
deswegen, weil es für eine solche Partei keine breite Basis in der
katholischen Bevölkerung gäbe, die sie auch tragen könnte? Oder
schließt eine rechtsstaatliche Demokratie eine militante KVP (militant
deswegen, weil sie kein frommer Gesangsverein wäre) etwa aus, die das
katholische Volk wirksam vertreten möchte? So etwas wird niemand
ernsthaft behaupten wollen. Warum aber sind dann Millionen sog.
Katholiken nicht in der Lage, in einer freiheitlichen Demokratie eine
KVP ins Leben zu rufen, damit diese auch ihre Rechte und berechtigten
Interessen vertreten und wahrnehmen könnte? Wer oder was hindert sie
denn daran? Das ist hier die Frage, die sich einem geradezu aufdrängt.
Oder gibt es in Wirklichkeit doch keine so große Anzahl deutscher
Katholiken, sondern nur Millionen Verirrte, die sich nur katholisch
nennen, weil sie beim Standesamt oder einer anderen Verwaltungsbehörde
als röm.-katholisch registriert sind? Dann freilich könnte niemand eine
KVP gründen, sondern allenfalls einen kath. staatsbürgerliche
Kulturverein auf Landesebene. Doch selbst ein solcher Verein könnte
heute nicht mehr existieren. Er würde bereits tot sein, bevor er
überhaupt geboren wäre. Außerdem hätte er nicht die mindeste politische
Bedeutung.
Das Denken in politischen Kategorien ist insbesondere deutschen
Katholiken weitgehend fremd, was mit deren Mentalität zusammenhängt.
Die wenigen Ausnahmen bestätigen hier nur die Regel. Und das wissen
natürlich auch die 'anderen'. Katholiken suchen in ihrem eigenen
Lebensinteresse nicht politische Führer, sondern begnügen sich mit
Hirten, die sie "weiden", was gänzlich außerhalb des sog. öffentlichen
Interesses liegt. Hier zeigt sich ihre staatsbürgerliche Schwäche und
Kritiklosigkeit, die bis in die von den Parteimanagern gelenkte
Personalpolitik hineinreicht. Man frage sich doch einmal konkret:
welche Richter, Staatsanwälte oder andere hohe Beamte in Staat und
Verwaltung sind noch orthodox katholisch? (N.b.: in der ehemaligen
'DDR' hat es solche Volksgenossen nie gegeben.) Und wie verhält es sich
eigentlich bei denen, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und
Fernsehen das Sagen haben? Man werfe doch nicht mit Steinen auf das,
was uns aus Mitteldeutschland nach der dortigen 40-jährigen Umerziehung
'kulturpolitisch' zuwächst, wenn man selbst im Glashaus sitzt.
Warum sind heute Millionen angeblich katholischer Staatsbürger, die
sich zweifelsohne für Demokraten halten und sehr entrüstet täten, wenn
man dies bezweifeln würde, partei-unfähig geworden? Liegt das an ihrem
mangelnden Interesse oder an politischer Unmündigkeit? Nun, es wird
sicherlich beides der Fall sein, so daß man auch deswegen die Hoffnung
auf eine KVP begraben sollte. Wer aber hat den Interesselosen
eingeredet, auch katholische Christen müßten zuerst einmal in einer
bereits bestehenden "staatstragenden Partei" Mitglied werden, um, wie
es so schön heißt, "christliche Werte" einzubringen und wirksam
vertreten zu können. Im übrigen begrüße man jederzeit eine solche
Mitarbeit? Wie aber sieht außerhalb eines solchen Geredes die innere
Situation einer politischen Partei wirklich aus, ganz abgesehen von der
'Klüngelwirtschaft'? Da geht es gar nicht mehr um unaufgebbare
christliche Werte und ebensolche Zielsetzungen in bezug auf das
Gemeinwohl, dem eine politische Partei doch dienen soll, sondern um
ganz andere Dinge, die diesen Partei-Demokraten viel näher liegen und
deren Demokratieverständnis oft auch ein recht seltsames ist. Es gibt
nicht wenige kritische Katholiken der höheren Bildungsschicht mit
politischem Sachverstand, die in vielen Jahren die üble Erfahrung
machen mußten, daß die Einbringung spezifisch christlicher Werte, die
dem Gemeinwohl nützen, nicht möglich und auch ihre Mitarbeit gar nicht
wirklich erwünscht war, so daß sie sich wieder ins Privatleben
zurückzogen - teils aus Resignation, teils aus Selbstachtung. Die Zahl
dieser "Aussteiger" ist beträchtlich und größer, als gewöhnlich
angenommen wird.
Hier handelt es sich nicht um katholische Mitbürger, denen die sog.
Parteipolitik ein Greuel ist oder die aus Verärgerung sagen: "Ach, wir
können doch sowieso nichts ändern, wir sind halt zu wenige, und
Mitläufer möchten wir nicht sein...". Denn auch in den politischen
Parteien wird die Politik immer nur von einzelnen gemacht, die ihre
'Parteifreunde' (oder Parteigenossen) im Hintergrund haben und auf die
sie sich stützen. Andernfalls werden sie bald 'ins Abseits gestellt'
und sitzen dann nur noch herum wie die "Hinterbänkler" in einem
Parlament.
Die Frage, wieviele Katholiken gibt es in der Bundesrepublik
Deutschland, die eine eminent politische ist, da sie sich speziell auf
katholische Staatsbürger und Volksgenossen bezieht, wäre gewiß leichter
zu beantworten, wenn es eine existenzfähige KVP gäbe, die von
selbstbewußten Katholiken getragen würde. Eine solche Partei aber kann
es weder heute noch in Zukunft geben, nicht einmal als Splitterpartei
unter 'ferner liefen'. Im übrigen sind Splitterparteien undemokratisch,
eo ipso politisch wertlos und nichts anderes als pseudo-demokratische
Sekten in Staat und Gesellschaft. Es besteht der begründete Verdacht,
daß diejenigen, die mit dem Gedanken einer KVP spielen, keine
orthodoxen Katholiken, sondern pseudo-katholische bzw. 'katholisierende
Sektierer' sind, die man heute überall finden kann, nicht bloß im
kirchlichen Bereich, sondern auch in den 'christlichen Parteien',
paradoxerweise, obwohl sie auch dort nichts zu vermelden haben.
Aus alldem aber folgt, daß es sich bei der Sache mit den Millionen von
angeblichen Katholiken, d.h. von katholischen Mitbürgern, um eine
imaginäre Zahl und um eine politische Fiktion handelt. Es gibt diese
Millionen in Wirklichkeit nicht, es sei denn, nur auf dem Papier.
Papier jedoch ist nicht bloß geduldig, wie man zu sagen pflegt, sondern
als nicht mehr verwendbares Altpapier auch wertlos. Dennoch ist die
Frage nach der Möglichkeit oder auch Unmöglichkeit einer echten KVP
nicht sinnlos, sondern im Gegenteil sogar sehr nützlich und
aufschlußreich; denn sie läßt eine konkrete Problematik in Erscheinung
treten, die zwar oft dunkel geahnt, aber nur selten deutlich genug ins
Bewußtsein tritt. Nur die oben erwähnten "Aussteiger" sind sich darüber
mehr oder weniger im klaren, zumal diese auch wissen (nicht bloß
vermuten), daß eine KVP, wenn es sie gäbe, unverzüglich gleich mehrere
politische Gegner auf den Plan rufen würde, die sich sogar gemeinsam
gegen sie wenden und eine durchaus feindliche Phalanx aufbauen würden.
Das wäre so sicher wie das Amen in der Kirche, vor allem dann, wenn
eine KVP auch auf Dauer existenzfähig wäre und einen politischen Faktor
darstellen würde.
Wer aber wäre(n) dann wohl ihr(e) Hauptgegner? Es lohnt sich, darüber
einmal nachzudenken, um die politische Situation im öffentlichen Leben
(die der kirchlichen sehr ähnlich ist) deutlich zu erfassen und richtig
zu bewerten, in der sich Millionen Katholiken befinden und in die sie
von 'schlauen Füchsen' hineinmanövriert wurden, so daß auch eine
mögliche KVP ihren Existenzgrund verlor. Denn eine echte KVP wäre von
ihrem Wesen her nicht irgendwie katholisch und schon gar nicht
irgendwie christlich, sondern eindeutig römisch-katholisch und
repräsentativ für orthodoxe Katholiken, die es als selbstbewußte
Staatsbürger entschieden ablehnen würden, für Bürger zweiter Klasse
gehalten zu werden oder als Parias zu gelten. Woher kommt es denn, daß
die meisten (gewiß aber nicht alle!) Katholiken so unvermögend sind
oder so große Schwierigkeiten haben, die reale politische Situation zu
durchschauen, in der sie sich selbst befinden. Das liegt nicht immer
nur an einem Desinteresse am Politischen, sondern vor allem an einem
Mangel an Aufklärung und einer zweckdienlichen Information. Denn die
ganze politische Atmosphäre ist geschwängert nicht bloß durch falsche
Informationen, sondern durch Desinformationen, d.h. durch eine
beabsichtigte und gelenkte Verbreitung von Halb- und Unwahrheiten, um
möglichst viele Mitbürger auf einen politischen Irrweg zu bringen und
sie zu einem falschen Verhalten im öffentlichen Leben zu bewegen. 'Gut'
ist, was diesen Demagogen und ihren Freunden nützt! Bei Volkstribunen
wissen die Leute bald, woran man ist. Bei Demagogen hingegen wird die
Sache schon erheblich schwieriger; bei den sog. Berufspolitikern aber
sollte niemand blind voraussetzen, daß sie auch etwas von Politik
verstehen. Parteipolitiker wiederum, gleichgültig welcher Couleur, die
für alle Probleme immer nur "politische Lösungen" suchen - wie sie bei
jeder Gelegenheit behaupten -, sind jedoch auf politischem Gebiet die
gefährlichsten, da sie in Wahrheit nur ihre persönlichen Interessen
vertreten und an der Macht bleiben wollen. Man erkennt sie bereits
daran, daß sie einfache, aber präzise Fragen entweder überhaupt nicht
oder immer nur ausweichend beantworten. Naive Leute halten das für
Diplomatie oder für politische Klugheit.
Deutsche - aber auch österreichische - Katholiken, die noch nicht
gänzlich historisch entwurzelt sind, sollten sich heute daran erinnern,
daß nicht erst das Dritte Reich des "nationalen Sozialismus" mit seiner
besonderen 'Weltanschauung' von Anfang an bestrebt war, den sog.
politischen Katholizismus in Volk, Staat und Gesellschaft zu
vernichten, was auch in einer unglaublich kurzen Zeit mit
durchgreifendem Erfolg gekrönt war. Was waren denn die Ursachen für
diese Katastrophe, die sogar heute noch nachwirkt? Dies zeigt sich auch
daran, daß selbst Katholiken, die sich für christliche Politiker
halten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Schreckgespenst des
Antisemitismus an die Wand malen (um sich als 'christlich' zu
profilieren, weil man sonst nichts Bedeutendes zu sagen hat), aber vom
politischen Anti-Katholizismus gar nichts mehr wissen oder ihn wider
besseres Wissen einfach verschweigen. Diese Leute wären auch unter den
ersten, die vor einer KVP, sobald sie sich als ein politischer
Machtfaktor erwiese, ihre warnenden Stimmen erheben und gegen sie mobil
machen würden. Auch die sog. 'freie' Presse würde gegen sie mit
böswilligen Unterstellungen und Verleumdungen operieren, wie sie es
schon früher getan hatte, als sich der politische Katholizismus
formierte. Warum lernt man nichts aus der Geschichte eines Volkes, das
es nie zu einer echten Nation gebracht hat (Symbol dafür ist der
"Deutsche Michel" mit der Schlafmütze) und das heute in seiner Mehrheit
einem teils liberalistischen teils sozialistischen "Demokratismus"
verfällt, der aber auch gar nichts mit einer rechtsstaatlichen
Demokratie zu tun hat.
Nicht alle Gewalt, sondern nur alle Staatsgewalt geht vom Volke aus,
vorausgesetzt natürlich, daß dies nicht verhindert oder unterlaufen
wird, was auch durch politische Parteien und ihre Mitläufer geschehen
kann. (N.b.: das haben die deutschen Volksgenossen in der ehemaligen
'DDR', die von einer 'friedlichen Revolution' phantasiereich redeten
und "wir sind das Volk" riefen, bis heute nicht begriffen. Darum führte
ihr vermeintlich politisches Bewußtsein nicht zu einer selbstkritischen
und nüchternen Bestandsaufnahme, sondern schlug in eine Hilflosigkeit
der angeblich Enttäuschten um, anstatt daß diese einsehen,
unbegründeten und falschen Erwartungen nachgelaufen zu sein.)
Es läßt sich in einer Demokratie auch keine scharfe Grenze ziehen
zwischen dem politischen und dem vor-politischen Bereich, der wiederum
nicht mit dem außer-politischen verwechselt werden sollte, sonst
erkennt man gar nicht, wo politische Parteien in einem Staatsganzen
angesiedelt sind und von woher sie ihre Kraft beziehen. In den U.S.A.
sind Parteiwesen und Staat derart vermischt, vermengt und vermanscht,
daß man dort von Demokratie überhaupt nicht reden kann. Das tun nur
naive Europäer. Eine KVP in den U.S.A. wäre nicht bloß absolut
undenkbar, sondern der reinste Witz. Auch derartige Vergleiche können
ein Problem beleuchten.
Wieviele angebliche 'christliche Politiker', die sich für Katholiken
halten und nicht selten sogar in der 'röm. Konzilskirche' noch aktiv
sind, empfinden es nicht einmal als eine Diskriminierung, wenn sie von
Journalisten als "Christdemokraten" apostrophiert werden, was nicht
bloß ironisch, sondern zynisch gemeint ist, obwohl es bekanntlich eine
sog. "christliche Demokratie" weder gibt noch geben kann. Denn es gibt
weder ein "allgemeines Christentum" (sondern nur eine universale
Kirche) noch volkspolitisch ein "allgemeinen Katholizismus" in einem
demokratischen Staatswesen. Dies alles sind Träume a-politischer
Zeitgenossen, denen das Politische in Volk und Staat ein "Buch mit
sieben Siegeln" ist. Wie aber will man dann als 'mündiger Bürger', der
man zu sein glaubt, politisch richtig denken und handeln und sich gegen
windige Politstrategen und üble Politikmacher zur Wehr setzen? Das sind
doch wohl nichts anderes als große Illusionen, die leider auch
gefährlich sind. Viele junge Mitbürger wissen gar nicht - denn darüber
hat sie niemand aufgeklärt, als sie noch zur Schule gingen -, wie
verfänglich die These von der "freiheitlich demokratischen
Grundordnung" ist und wie leicht sie mißbraucht werden kann. Diese
Problematik wird viel zu wenig beachtet, ja sogar unterdrückt;
insbesondere von denen, die im "Trüben fischen" wollen. Man schaue sich
doch jene Politiker etwas genauer an, deren besondere Qualifikation
darin besteht, in der Öffentlichkeit immer mit den gleichen
nichtssagenden Worten zu jonglieren und in die Kamera zu lächeln.
Die Gesellschaftsmasse in einer den Staat tragenden Bevölkerung ist,
wie auch die Demoskopie beweist, nicht bloß wankelmütig, sondern
unverkennbar politisch naiv und dumm und erreicht nie ein höheres
Niveau. Sie ist auch das Ferment für Demagogen und für Parteipolitiker,
die sich sichtlich wohlfühlen, wenn sie bei Gelegenheit ein "Bad in der
Menge nehmen" können und sich dabei sogar selbst beklatschen. Eine
"Massendemokratie" aber gibt es nicht, wohl aber eine Pöbelherrschaft
(Ochlokratie), die sich in der wie eine Seuche sich ausbreitenden sog.
Subkultur zeigt, deren Hauptmerkmal die Demoralisierung der
Gesellschaft ist. Ihr Steigbügelhalter ist eine abartige Kulturpolitik,
die sich auch im Fernsehen und in vielen Illustrierten demagogisch
sichtbar niederschlägt. Wer wagt hier noch, von einem Kulturvolk zu
sprechen.
Die moderne Demokratie ist keine Gesellschaftsform und -Ordnung -
dieser Irrtum ist weit verbreitet -, sondern ein mit vielen Mängeln
behafteter pluralistischer Parteienstaat, in dem jede politische
Partei, die sich für staatstragend hält, auf verschiedene Weise
bestrebt ist, die Macht über das Staatsganze zu erringen - ob aber auch
zum Wohle des Ganzen, das freilich steht auf einem ganz anderen Blatt
und sollte von niemandem blind vorausgesetzt werden. Eine KVP würde in
einem solchen System nur eine nationale Minderheit repräsentieren und
stünde von vornherein im politischen Abseits, ja, sie würde sogar als
nicht koalitionsfähig diskriminiert werden. Darüber sollte sich
heutzutage doch kein orthodoxer Katholik täuschen. Diejenigen
(konservativen) Katholiken, die - aus welchen Gründen auch immer - nach
einer KVP fragen und auf sie hoffen, übersehen bereits, daß der
politische Katholizismus schon lange nicht mehr existiert und auch
nicht mehr zum Leben erweckt werden kann. Denn für einen solchen fehlt
in der katholischen Bevölkerung sowohl eine tragfähige Basis als auch
das politische Interesse. Eine KVP ist zwar rein theoretisch möglich -
wegen der vielen Menschen, die sich als katholisch haben registrieren
lassen -, aber aus vielfältigen Gründen praktisch schlechthin
unmöglich. Sie ist nichts anderes als eine religiöse Utopie. Ähnliche
Utopien gibt es auch im kirchlichen Bereich nach dem totalen
Zusammenbruch des "religiösen Katholizismus" von heute, der noch viel
schlimmer ist als derjenige im Dritten Reich unter den nationalen
Sozialisten - worüber es eine aufschlußreiche Literatur gibt. Am Ende
der Weimarer Republik gab es 32 Parteien und viele politische
Randgruppen, ein regelrechtes 'demokratisches Tohuwabohu', das sich
selbst zum Tode verurteilte und dann den Strick um den Hals legte. Doch
damals gab es noch kein allgemeines 'Demokratismussyndrom', das auch
die Grenzen zwischen den Parteien verwischt, so daß diese austauschbar
werden. Der sog. 'Machtwechsel' findet dann immer nur zwischen den
etablierten Parteien statt, nicht jedoch im Staate.
Die Staatsform der Demokratie wird zum Feigenblatt für politische
Hasardeure mit "Pokerface". Was weiß der Durchschnittsbürger davon?
Dieser glaubt, weil man ihm das eingeredet hat, eine Bundestags- oder
Landtagswahl sei eine 'Persönlichkeitswahl', obwohl es sich hierbei in
der Regel nur um Parteifunktionäre handelt, von denen einige wiederum
nur eine Partei benutzen, um in ihr oder über sie Karriere zu machen.
Das 'Demokratismussyndrom' wirkt ansteckend und verdeckt den wahren
Sachverhalt.
(Fortsetzung folgt)
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