UNRUHIG IST UNSER HERZ
- AUSZUG AUS EINER PREDIGT -
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Liebe Christen!
"Unruhig ist des Menschen Herz, bis es ruht, o Gott, in Dir!" - Über
diese treffende und deshalb so bekannte Sequenz des hl. Augustinus
wollen wir uns heute etwas auslassen.
Leonid Glernow, ein russischer Schriftsteller, glossiert in einem
Märchen die Unruhe zweier unruhigen Herzen: Als Adam und Eva aus dem
Paradies vertrieben waren, machten sie sich gegenseitig Vorwürfe, daß
sie jetzt ohne Abendessen schlafen gehen müßten. Da trat der Versucher
an sie heran und sprach: "Auf Genossen, es gibt noch einen anderen Weg
zurück ins verlorene Paradies, aber - Zeit ist Geld!" Zuerst führte er
sie zu Fuß, dann setzte er sie auf einen Wagen, bald darauf steckte er
sie in ein Flugzeug und zuletzt in eine Weltraumrakete... in Richtung
'Paradies' soll der Flug gehen. So peitscht und treibt der Verführer
die beiden immer schneller und schneller voran, ihnen immer die Vision
vom verlorenen Paradies vorgaukelnd. Der alte Adam aber ist inzwischen
bereits mürbe geworden und verkommt zusehends. Die Pforten des
Paradieses sind jedoch nicht nur nicht zu sehen, sondern scheinen in
immer weitere Fernen zu rücken. Soweit Glernow.
Eine andere Sage, die dieses Thema auch behandelt, erzählt man sich im
Salzburger Land: Einst entschloß sich der Teufel zu jagen. In einer
wilden Jagd die Nacht hindurch verlor sein Pferd ein Hufeisen. Die
Turmuhr des nahen Dorfes schlug gerade Mitternacht, als der wilde
Reiter an das Tor des Hufschmiedes pochte. Mürrisch und unwillig wollte
der Schmied den nächtlichen Störenfried abweisen, als jener
blitzschnell aus seiner Tasche einen mit Goldstücken gefüllten Beutel
zückte und einige davon verführerisch im Mondlicht blinken ließ. Wer
die Macht des Goldes kennt, weiß, was kommt: Es dauerte nicht lange, da
war das Pferd beschlagen. Und als Lohn erhielt der Schmied nicht etwa
nur ein oder zwei Goldstücke, sondern den ganzen vollen Beutel. Lange
schaute er dem spendablen Reiter nach, versteckte seinen ungeheuren
Reichtum unter seinem Kopfkissen und schlief bis in den hellen Tag,
hatte er doch in dieser Nacht mehr verdient als sonst in Jahren nicht.
Wie er am nächsten Tag den Beutel öffnete, strömte ihm ein widerlicher
Gestank entgegen. Was er in der Nacht als Gold angesehen hatte, war
nichts anders als menschlicher Kot: es war das, was ein Teufel eben
geben kann.
Vor ungefähr zehn Jahren verfolgte ich einmal die Statistik der
Selbstmorde in der Welt. An erster Stelle stand Japan, gefolgt von der
Schweiz, Schweden, Österreich und der Tschechoslowakei. Tschechische
Ärzte untersuchten diese Phänomene und stellten fest, in welchen
Kreisen am häufigsten Selbstmord begangen wurde. Im Gegensatz zu der
materialistischen Auffassung, daß das irdische Wohl auch der Grund
irdischen Glückes sei, zeigte sich, daß in den sozial gut gestellten
Kreisen die Selbstmordrate am höchsten war. Die Psychiater gaben in
ihrer Fachzeitschrift ihrem diesbezüglichen Artikel den Titel, der
zugleich auch schon die Diagnose war: "Existentia de frustatione" (auf
gut Deutsch: Mangel an Sinnhaftigkeit des Lebens; man vergleiche dies
mit unserem Motto: "Unruhig ist unser Herz..."). Wenn Gott aus dem
Herzen des Menschen herausgerissen wird, gähnt statt dessen ein
bodenloser Abgrund darinnen. Und je mehr wir in ihn hineinwerfen, d.h.
mit Äußerlichkeiten zu füllen suchen, umso leerer wird unser Herz. Und
wir spüren: wir haben rein gar nichts! Das sagte uns Pascal.
Die meisten von euch kennen die Märchen von Andersen. In einem geht es
um folgendes. Der wohlhabende Kaiser eines reichen Landes, der trotz
seines Reichtums unzufrieden ist und krank wird, wollte so gerne
glücklich sein. Die Ärzte zerbrechen sich die Köpfe über diese
Krankheit und kommen schließlich zu folgendem Beschluß: Der König könne
nur dann wieder genesen, wenn er das Hemd eines glücklichen Menschen
anziehen würde. Sofort werden Boten durch das ganze Land geschickt, um
nach einem Glücklichen Ausschau zu halten. Zunächst suchte man in der
unmittelbaren Umgebung des Königs, da man vermutete, dort müsse es doch
einen glücklichen Menschen geben, vielleicht unter seinen Ministern?
Aber keiner von ihnen war glücklich. Wer schon viel hatte, wollte mehr,
wer einen hohen Posten inne hatte, wollte noch einen höheren. Auch
unter dem hohen Adel und den wohlsituierten Bürgern der Stadt gab es
keinen, der sich glücklich nannte. Da suchten sie auf dem Land weiter,
auch vergebens, bis die Boten, die einen glücklichen Menschen suchen
sollten, endlich in einen tiefen Wald kamen, wo sie einen Köhler bei
seinem Meiler fanden. Sie unterhielten sich sehr angeregt mit ihm. Wie
sie sich so über verschiedene Dinge aussprachen, fanden die Boten, daß,
wenn überhaupt von allen Menschen, die sie kennen gelernt hatten, einer
glücklich genannt werden konnte, es dieser Köhler sei. Sie fragten ihn
nun, ob er dem kranken König zur Heilung seiner Krankheit sein Hemd
überlassen wolle. Doch da stellte sich heraus, daß der Köhler gar
keines besaß. Das Märchen sagt uns leider nicht, was aus dem armen
König geworden ist, doch diese Parabel macht überdeutlich, daß das
wahre Glück nicht in den Dingen dieser Welt zu finden ist.
Öffne dein Herz den himmlischen Gaben, die, dem Mairegen gleich, der
die Erde zum Blühen bringt, deine Sinne und dein Gemüt dem einzig
wirklichen Glück sich zuwenden lassen und es ihnen erschließen. So
wirst du auch jenen Mut erfahren, den der hl. Ignatius in seinen
Exerzitien zu erstreben auffordert: jene Unempfindlichkeit,
Leidenschaftslosigkeit, innerliche Ruhe, jenen Gleichmut, der mit immer
gleichem Mut Reichtum wie Armut, Gesundheit wie Krankheit, Ehre wie
Verachtung tragen kann. Das Verlangen des Christen sei auf die
unveränderlichen Güter, auf die unvergängliche Heimat gerichtet. Wenn
in den Herzen der Menschen nicht mehr das Verlangen nach dem ewigen
Leben, sondern nur nach dem sozialen oder gesellschaftlichen Status,
nach einem hohen "Lebensstandard" vorherrscht, können sie keine Ruhe
mehr finden; denn des Menschen Herz findet seine Ruhe, seine Freude,
seinen Frieden allein in und mit Gott.
Konzentrieren wir uns also darauf, auf die Dinge, die weder Rost noch
Motten verzehren können, hören wir auf, nach immer mehr Reichtum zu
schielen; denn dann werden die geistigen Müllhalden um uns herum immer
größer! So, wie das heutige Evangelium uns von der Verwandlung des
Heilandes berichtet, daß es bei der Wandlung in der hl. Messe, an der
wir mit offenem Herzen teilnehmen sollen, auch in uns zu einer
(Ver)Wandlung kommt, damit unser Herz zu einem Garten des Himmels wird.
Jeden Abend sollten wir fragen: "Mein Herr, was hast DU mit all dem,
was sich an diesem Tag ereignet hat, erreichen wollen?" Denn denen, die
Gott lieben, gereicht alles, ja alles, zum Guten! Amen.
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