PREDIGT ÜBER DAS PFINGSTFEST
vom
hl. Leo d. Gr., Papst von 440 bis 461
Wenn wir uns in unserem Inneren ein Bild von der Hoheit des Heiligen
Geistes machen wollen, so dürfen wir uns ihn in keiner Weise
verschieden von der Majestät des Vaters und des Sohnes denken; denn das
Wesen der göttlichen Dreifaltigkeit weicht in nichts von seiner Einheit
ab. Von Ewigkeit her ist der Vater der Erzeuger des mit ihm gleich
ewigen Sohnes. Von Ewigkeit her ist der Sohn vor aller Zeit vom Vater
gezeugt. Und von Ewigkeit her ist der Heilige Geist der Geist des
Vaters und des Sohnes. Daher ist der Vater nie ohne den Sohn, der Sohn
nie ohne den Vater gewesen, wie auch Vater und Sohn niemals ohne den
Heiligen Geist waren. Deshalb ist auch in der Dreifaltigkeit keine
Person älter oder jünger; denn es gibt in ihr keinen Unterschieddes
Bestehens. Die unwandelbare Gottheit dieser hochheiligen Dreieinigkeit
ist eins in ihrem Sein, ungeteilt in ihrem Wirken, einmütig in ihrem
Wollen, gleich in ihrer Macht und ebenbürtig in ihrer Herrlichkeit.
Wenn nun die Heilige Schrift so von ihr redet, daß sie eine Handlung
oder einen Ausspruch einer einzelnen Person als angemessen zuzuweisen
scheint, so läßt sich dadurch der Katholik in seinem Glauben nicht
wankend machen, sondern sieht darin vielmehr eine Belehrung. Durch
diese besondere Zuteilung eines Wortes oder einer Tat soll uns die
Wahrheit der Dreieinigkeit zum Bewußtsein gebracht werden! Es soll also
unser Geist nicht trennen, was unser Gehör unterscheidet! Nur deshalb
werden gewisse Dinge unter dem Namen des Vaters oder des Sohnes oder
des Heiligen Geistes erzählt, damit das Bekenntnis der Gläubigen in der
Frage der Dreieinigkeit nicht fehlgehe. Da diese nämlich unteilbar ist,
so würde man nie das Vorhandensein der Dreifaltigkeit erkennen, wenn
von ihr immer nur gemeinsam die Rede wäre. In zweckmäßiger Weise führt
uns also gerade die Schwierigkeit, dafür Worte zu finden, zur
Erkenntnis hin, und kommt uns die göttliche Unterweisung gerade durch
unser Unvermögen zu Hilfe: Da man bei der Gottheit des Vaters und des
Sohnes und des Heiligen Geistes weder an eine einzige Person noch an
eine verschiedene Wesenheit denken darf, kann man zwar die wahre
Einheit und die wahre Trinität einigermaßen in seinem Innern als ein
und dasselbe empfinden, aber nie in ein und dasselbe Wort kleiden.
Lassen wir also, Geliebteste, zu unserem Heile in unseren Herzen den
Glauben feste Wurzel fassen, daß der ganzen Dreieinigkeit zugleich ein
und dieselbe Kraft, ein und dieselbe Hoheit und ein und dieselbe Natur
eigen ist, daß sie nicht gesondert ist in ihrem Wirken, nicht trennbar
in ihrer Liebe und nicht verschieden in ihrer Macht, daß sie zusammen
alles erfüllt und alles in sich birgt! Was nämlich der Vater ist, das
ist auch der Sohn und der Heilige Geist. Die wahre Gottheit kann bei
keinem von ihnen größer oder kleiner sein. Das göttliche Wesen der drei
Personen muß sich unser Glaube so vorstellen, daß die drei Personen
nicht zu einer werden und ihre gleiche Natur (in allem) die Einheit
wahrt. Wenn wir uns diesen Glauben, Geliebteste, so recht zu eigen
gemacht haben, dann können wir wohl nicht daran zweifeln, daß mit der
Herabkunft des Heiligen Geistes über die Jünger des Herrn am
Pfingstfeste die Austeilung der göttlichen Gnade nicht erst begann,
sondern nur in größerem Maßstabe fortgesetzt wurde. Auch die
Patriarchen und Propheten, die Priester und alle Frommen, die in
früheren Zeiten gelebt haben, wurden von demselben Geiste geheiligt und
erfüllt. Ohne seine Gnade wurden nie Sakramente eingesetzt, nie
Mysterien gefeiert. So war also die Kraft der Gnaden stets dieselbe,
wenn auch das Maß der Geschenke nicht immer das gleiche gewesen ist.
Auch die seligen Apostel besaßen schon vor dem Leiden des Herrn den
Heiligen Geist. Selbst in den Werken des Erlösers zeigte sich die
Stärke seines Wirkens. Wenn der Herr seinen Jüngern die Macht gab,
Krankheiten zu heilen und Teufel auszutreiben, so verlieh er ihnen
dadurch die Kraft des nämlichen Geistes, durch die er selbst den
Dämonen gebot. Diese Macht sprachen die gottlosen Juden Jesus ab und
führten sein göttliches hilfreiches Wirken auf den Satan zurück. Wegen
dieser Blasphemie vernahmen sie mit Recht den Urteilsspruch des Herrn:
"Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber eine
Lästerung gegen den Geist wird nicht nachgelassen werden. Wer immer ein
Wort redet gegen den Menschensohn, dem wird vergeben werden; wer aber
redet gegen den Heiligen Geist, dem wird nicht vergeben werden, weder
in dieser Welt noch in der zukünftigen." (Matth. 12,31 f.) Daraus geht
zur Genüge hervor, daß ohne Anrufung des Heiligen Geistes keine
Vergebung der Sünden stattfindet, daß niemand ohne ihn in
ersprießlicher Weise seine Schuld beklagen oder so, wie es sich gehört,
zu Gott beten kann, nach den Aussprüchen des Apostels: "Um was wir
beten sollen, wie es sich gebührt, wissen wir nicht, aber der Geist
selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern." (Rom. 8,26.)
"Niemand kann sagen: 'Herr Jesus', außer im Heiligen Geiste." (1 Kor.
12,3.) Ihn entbehren zu müssen, ist gar verderblich und todbringend, da
niemand Verzeihung erlangt, wenn ihn sein Fürsprecher verläßt. Alle
Jünger, die an den Herrn Jesus glaubten, trugen also, Geliebteste, den
Heiligen Geist (schon vor seiner Herabkunft) in sich. Auch die Gewalt,
Sünden nachzulassen, hatten die Apostel schon damals erhalten, als sie
der Herr nach seiner Auferstehung anhauchte und sprach: "Empfanget den
Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden nachlasset, denen sind sie
nachgelassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten."
(Joh. 20,22 f.) Allein zur Erreichung jener Vollkommenheit, die den
Jüngern zugedacht war, wurden noch mehr Gnaden und eine noch stärkere
Inspiration in Bereitschaft gehalten. Durch diese sollten sie
empfangen, was sie noch nicht besaßen, und in den Stand gesetzt werden,
das Empfangene sich noch besser zu eigen zu machen! In diesem Sinne
sprach der Herr: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es
jetzt nicht fassen. Wenn aber jener Geist der Wahrheit kommt, so wird
er euch die ganze Wahrheit lehren; denn er wird nicht von sich selber
reden, sondern alles, was er hört, wird er reden, und das Zukünftige
wird er euch verkünden; denn von dem Meinigen wird er nehmen und euch
verkünden." (Joh. 16,12 ff.)
Was hat es zu bedeuten, daß Herr seinen Jüngern den Heiligen Geist
verhieß , obwohl er bereits gesagt hatte: "Alles, was ich von meinem
Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan?" (Joh.15,15.) Warum sagte
er trotzdem noch zu ihnen: "Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber
ihr könnt es jetzt nicht fassen. Wenn aber jener Geist der Wahrheit
kommt, so wird er euch die ganze Wahrheit lehren?" (Joh. 16,12 f.)
Wollte damit der Herr etwas zu verstehen geben, daß sein Wissen
geringer sei, oder daß er vom Vater weniger gehört habe als der Heilige
Geist, während doch gerade er die "Wahrheit" ist der der Vater nichts
sagen und der Geist nichts lehren kann ohne das "Wort", während es
gerade deshalb heißt: "Von dem Meinigen wird er nehmen" (Joh. 16,15.),
weil Vater und Sohn geben, was der Geist empfängt? Es sollte mit jenen
Worten keine neue Wahrheit verkündet und keine neue Lehre gepredigt,
sondern nur die Fassungskraft derer vermehrt werden, die unterwiesen
wurden! Es sollte dadurch nur jene standhafte Liebe gesteigert werden,
die alle Furcht aus sich verbannt und vor der Wut der Verfolger nicht
zurückbebt. Und es wurde auch der Wille der Apostel feuriger und ihre
Kraft stärker, seitdem sie der Heilige Geist aufs neue so reichlich mit
seinen Gnaden erfüllt hatte. Von der Erkenntnis der Lehre schritten sie
dazu fort, alle Leiden geduldig zu ertragen: kein Sturm könnt sie mehr
schrecken. Ihr Glaube trug sie siegreichen Schrittes hinweg über die
brandenden Wogen der Zeit und die Raserei der Welt. Den Tod verachtend,
brachten sie allen Völkern das Evangelium der Wahrheit.
Auch die weiteren Worte des Herrn: "Alles, was er hört, wird er reden,
und das Zukünftige wird er euch verkünden" (Joh. 16,13.) sollen wir
nicht oberflächlich betrachten oder nur mit halbem Ohre hören! Denn
abgesehen von anderen Aussprüchen der Ewigen Wahrheit, durch welche die
Verruchtheit der Manichäer zuschanden gemacht wird, widerlegt gerade
dieses Wort ihre ganze falsche und gotteslästerliche Lehre auf
deutlichste. Um sich nämlich den Anschein zu geben, als folgten sie
einem großen und erhabenen Meister, glaubten sie, in ihrem Lehrer Mani
sei der Heilige Geist erschienen, und der vom Herrn verheißene Paraklet
sei erst gekommen, als dieser Betrüger der Unglücklichen auftrat. Sie
glaubten, der Geist Gottes habe dergestalt in ihm gewohnt, daß Mani
selbst nichts anderes als dieser Geist war, der als Mensch durch sein
Wort und seine Rede seine Anhänger in alle Wahrheit einführte und ihnen
die bisher verborgenen Geheimnisse vergangener Zeiten erschloß. Wie
verkehrt und nichtig diese Meinung ist, das zeigen uns gerade die (noch
folgenden) gewichtigen Worte des Evangeliums. Mani, dieser Diener
teuflischen Irrwahns und Urheber unzüchtigen Aberglaubens, trat erst
260 Jahre nach der Auferstehung des Herrn mit seiner
verdammungswürdigen Lehre hervor. Es war dies unter dem Konsulate des
Kaisers Probus und des Paulinus, als bereits die achte Verfolgung gegen
die Christen ausgewütet und schon eine viele Tausende zählende Menge
von Märtyrern durch ihren Sieg die Verheißung des Herrn als wahr
erwiesen hatte, der da sprach "Wenn sie euch aber (den Gerichtshöfen)
überantworten, so seid nicht besorgt, wie oder was ihr reden sollt;
denn es wird euch in jener Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt!
Denn nicht ihr seid es, die da reden, sondern der Geist meines Vaters
ist es, der in euch redet." (Matth. 10,19 f.)
Die Erfüllung dieser Verheißung des Herrn konnte nicht so viele
Menschenalter hindurch verschoben werden. Auch hat jener Geist der
Wahrheit, der der Welt der Gottlosen versagt bleibt, seinen
siebenfältigen reichen Gnadenschatz nicht etwa zurückgehalten, um so
vielen Generationen der Kirche seine Erleuchtung zu entziehen, bis
jener ungeheuerliche "Fahnenherold" schändlicher Lügen geboren würde.
Nicht einmal das kann man diesem Manne zugestehen, daß er auch nur
einigermaßen göttliche Erleuchtung besaß, da auch er zu dem Teile der
Welt gehörte, der den Geist der Wahrheit zu zu fassen vermag. Erfüllt
vom Geiste des Teufels widerstand er dem Geiste Christi. Während den
Heiligen Gottes der Paraklet die Gabe verlieh, Zukünftiges
vorherzusagen, wandte sich dieser mit seinen unverschämten und
gottlosen Fabeleien der Vergangenheit zu, damit nicht der Ausgang der
Dinge seinen Betrug entlarve. Und gleich als ob das heilige Gesetz und
die von Gott erleuchteten Propheten uns nicht über die Ewigkeit des
Schöpfers und den Verlauf der Schöpfung unterwiesen hätten, erdachte er
zum Schimpfe Gottes und zum Schaden alles Guten unerhörte und
miteinander in Widerspruch stehende Lügen. Wen anders konnte er
übrigens für seine wahnwitzigen Lehren zu gewinnen hoffen als recht
einfältige Leute und solche, die sich schon allzusehr vom Lichte der
Wahrheit entfernt haben, die sich in blinder Unwissenheit oder aus
schmutzigen Gelüsten Dingen zuwenden, die nicht heilig , sondern
verabscheuungswürdig sind? Allgemeines Schamgefühl hindert uns, auf
diese Gebräuche der Manichäer in unserer Predigt näher einzugehen,
obgleich sie durch ihr eigenes Geständnis schon bis ins kleinste
bekannt geworden sind.
Keinem von euch wird man wohl, Geliebteste, vorreden können, daß der
Heilige Geist den Urheber einer solch gottlosen Lehre auch nur
einigermaßen mit seinen Gnaden bedacht hat. Von jener Kraft, die
Christus seiner Kirche verheißen und gesandt hat, ist nicht das
Geringste auf ihn übergegangen. Wenn der selige Apostel Johannes sagt:
"Der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht
war" (Joh. 7,39), so heißt das: Die Himmelfahrt des Herrn war die
Veranlassung, den Geist zu senden. Diese Sendung mußte der
notwendigerweise leugnen, der in Abrede stellt, daß die wahre
menschliche Natur Christi auf den Thron zur Rechten des Vaters erhoben
wurde. Im Gegensatz dazu wollen wir, Geliebteste, die wir durch die
Wiedergeburt aus dem Heiligen Geiste dazu berufen sind, mit Leib und
Seele zur ewigen Glückseligkeit zu gelangen, das hochheilige Fest des
heutigen Tages durch eine vernünftige Gottesverehrung und in reiner
Freude feiern! Mit dem seligen Apostel Paulus wollen wir bekennen, daß
unser Herr Jesus Christus "auffahrend zur Höhe die Gefangenschaft
gefangen geführt und den Menschen Gaben verliehen hat!" (Eph. 4,8.)
Jedes unserer Worte soll das Evangelium Gottes verkünden "und jede
Zunge bekennen, daß der Herr Jesus Christus in der Herrlichkeit Gottes
des Vaters ist!" (Phil. 2,11.)
Mit der heutigen Festfeier müssen wir aber auch, Geliebteste, als
fromme Übung das Fasten verbinden, das sich apostolischer Überlieferung
gemäß an sie anschließt. Auch das ist ja zu den großen Gnadengaben des
Heiligen Geistes zu zählen, daß uns gegen die Lockungen des Fleisches
und die Fallstricke des Satans die Schutzwaffe des Fastens verliehen
wurde, wodurch wir mit Gottes Hilfe alle Versuchungen siegreich
bestehen können. So wollen wir denn am Mittwoch und Freitag fasten und
am Samstag beim heiligen Apostel Petrus die Vigilien feiern! Dieser
wird unsere Bitten befürworten, damit wir würdig werden, in allem
Gottes Barmherzigkeit zu erlangen durch unseren Herrn Jesus Christus,
der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebt und waltet in Ewigkeit.
Amen.
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