Mitteilungen der Redaktion
München, den 3.3.1993
Verehrte Leser,
das vorliegende Heft erreicht Sie verspätet, weil wir nach dem
Erscheinen des Dezember-Heftes noch zwei Sonderdrucke herausgegeben
haben (das "Directorium" in lat. Sprache und den Reprint von v.
Goechhausens "Enthüllungen..." - beide Drucke können bei uns bestellt
werden). Ich bitte um Ihr Verständnis.
Nach diesen Vorbemerkungen möchte ich Ihre Aufmerksam auf ein Problem,
besser auf eine Aufgabe hinlenken, die unser aller Schicksal prägen
wird. Wenn ich die Entwicklung der letzten Jahre resümierend betrachte
so wird mir folgendes immer klarer: wir sind unausweichlich an dem
Punkt angelangt, an dem eine elementare Entscheidung jedes einzelnen
hinsichtlich der von uns mitzugestaltenden und mitzuverantwortenden
Zukunft im religiösen Widerstand nötig wird. Entweder wir isolieren uns
gegenseitig noch weiter (durch persönliche Vorhaltungen, die
gegebenenfalls auch theologisch verbrämt sein können). .. dann wird uns
auch noch das bißchen Kirchlichkeit, welches wir hüten dürfen,
genommen, oder wir beginnen unmittelbar damit, unsere selbstverstrickte
Situation zu überprüfen, indem wir unsere Urteile über andere Personen
überdenken und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit aufbringen, um ganz
konkrete Schritte zum Wiederaufbau einzuleiten.
Ich rede hier nicht das Wort einer allgemeinen Kumpanei im 'großen
Vergessen'. Meiner Meinung nach gibt es aber noch genügend Potential -
bei ein wenig Geduld -, um unsere Kräfte zu kanalisieren. Entweder
bauen wir den Damm, der alle schützt - mit Gottes Hilfe natürlich -,
gemeinsam oder wir werden von den Fluten der allgemeinen
Gleichgültigkeit und Feigheit (Beispiel: das Schlachten auf dem Balkan
- die Mächtigen schauen tatenlos zu), der grassierenden Unwissenheit
und der Resignation hinweggespült. Vor uns liegt die Fastenzeit: Zeit
der Prüfung und Umkehr
Ihr Eberhard Heller
TITELBILD: Kupferstich von Matthaeus Merian (1593 - 1650) Szene nach Matth. 14, 29-32.
REDAKTIONSSCHLUSS: 3. März 1993 - mit diesem Heft ist der 22. Jahrgang abgeschlossen.
EINE EPISODE AUS DEN ANDEN
Auf steilem, holprigen Wege begegnet mir ein Mädchen, das schwer beladen seinen Weg geht.
"Da trägst du aber eine schwere Last", sage ich bedauernd und voll Mitleid.
Darauf schaut das Mädchen mich verwundert an:
"Ich trage doch keine Last, ich trage meinen Bruder!"
(aus: NACHRICHTEN DER EUROPÄISCHEN BÜRGERINITIATIVE Nr.74/92) |