DAS KREUZ, UNSER BEGLEITER AUF DEM WEG ZUM HIMMEL
vom
hl. Pfarrer von Ars, Jean-Marie Baptiste Vianney
Leiden müssen wir, ob wir wollen oder nicht. Die einen leiden wie der
gute Schächer, die anderen wie der böse. Beide litten auf gleiche
Weise. Aber der eine verstand es, sein Leiden fruchtbar zu machen: er
nahm es im Geiste der Buße an, und als er sich zu dem gekreuzigten
Heiland wandte, hörte er aus dessen Mund die wunderbare Verheißung:
"Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein." Im Gegensatz zu ihm
stieß der andere Flüche, Verwünschungen und Gotteslästerungen aus und
starb in schrecklichster Verzweiflung.
Es gibt ein zweifaches Leiden, nämlich ein liebendes und ein
ablehnendes. Die Heiligen litten geduldig, freudig und standhaft; denn
sie liebten. Wir leiden mit Zorn, Ärger und Überdruß, weil wir nicht
lieben. Wenn wir Gott liebten, würden wir uns freuen, leiden zu dürfen
aus Liebe zu ihm, der so viel für uns leiden wollte.
Ihr sagt, das sei schwer. Nein, es ist süß, sanft und tröstend, es ist
ein Glück ... Nur muß man lieben im Leiden und leiden in der Liebe.
Seht, meine Kinder, auf dem Weg des Kreuzes fällt einem nur der erste
Schritt schwer. Die Furcht vor den Kreuzen ist unser schlimmstes Kreuz
...
Wir haben nicht den Mut, unser Kreuz zu tragen. Welch ein Irrtum! Denn
was immer wir tun, das Kreuz hält uns fest, und wir können ihm nicht
entrinnen. Was haben wir also zu verlieren? Warum sollen wir unser
Leiden nicht lieben, wenn uns dadurch der Weg zum ewigen Leben
erschlossen wird? ... Trotzdem wenden sich die meisten vom Kreuz ab und
fliehen. Je mehr sie laufen, desto mehr verfolgt sie das Kreuz, desto
stärker trifft es sie und erdrückt sie unter seiner Last.
Versteht dies gut, meine Kinder: wer dem Kreuz gefaßt und tapfer
entgegensieht, dem wird es seltener begegnen. Und wenn es ihm begegnet,
wird es ihn nicht unglücklich machen. Als Liebender nimmt er es auf
sich, mutig trägt er es und wird eins mit unserem Herrn. Es reinigt ihn
und nimmt seiner Seele die Anhänglichkeit an diese Welt. Die Leiden
helfen ihm in seinem Leben hinüber zum Ufer der ewigen Glückseligkeit
wie eine Brücke über den Strom.
Wenn der liebe Gott uns ein Kreuz schickt, lassen wir uns entmutigen:
wir beklagen uns, wir murren und hassen alles, was unserem Wunsch
zuwiderläuft, immer wie auf Rosen gebettet zu leben. Doch nun beginnt
ein Dornenpfad, den wir gehen müssen. Durch das Kreuz gehen wir in den
Himmel ein. Die Krankheiten, Versuchungen, Schmerzen sind die Kreuze,
die uns zum Himmel führen. Das alles wird bald vorüber sein ... Richtet
eueren Blick auf die Heiligen, die vor uns angekommen sind ... Der
liebe Gott verlangt von uns nicht das Martyrium des Leibes, er will nur
das Opfer unseres Herzens und des Willens ... Der Herr ist unser
Vorbild. Laß es uns Machen wie die Soldaten des Königs. Eine Brücke,
die unter Gewehrfeuer lag, mußte überquert werden. Niemand wagte
voranzugehen. Da nahm der König selbst die Fahne, marschierte als
erster, und alle folgten. Tun wir das gleiche. Folgen wir unserem
Herrn, der uns vorangegangen ist.
Das Kreuz ist die Leiter zum Himmel. Wie tröstlich ist es, unter den
Augen Gottes zu leiden und am Abend bei seiner Gewissenserforschung
sagen zu können: "Wohlan, meine Seele, du hast heute zwei, drei Stunden
erlebt, in denen du Christus ähnlich warst: du bist gegeißelt, mit
Dornen gekrönt und mit ihm gekreuzigt worden ..." Welch ein Gewinn für
das Sterben! Wie gut stirbt es sich, wenn man unter dem Kreuz gelebt
hat!
Würde jemand zu sagen: "Ich möchte gerne reiche werden, was muß ich
tun?", ihr würdet ihm antworten; "Du mußt arbeiten." Richtig! Und um in
den Himmel zu kommen? Dafür müssen wir das Kreuz auf uns nehmen.
Leiden! Was hat es zu bedeuten? Es ist nur für kurze Zeit. Könnten wir
acht Tage im Himmel verbringen, wir würden den Wert dieses
gegenwärtigen Leiden begreifen. Wir würden das Kreuz nicht zu schwer,
die Prüfung nicht zu schmerzlich finden ...
In dieser Epoche eines unaufhörlich strömenden Heroismus hat er seinem
teuren "Kameraden" Toccanier folgende wundersamen Antworten gegeben,
die einer ewigen Bewunderung würdig sind:
"Mein Vater," fragte ihn eines Tages der junge Missionar, "wenn Ihnen
der liebe Gott die Wahl ließe: entweder sofort in den Himmel
hinaufzusteigen oder hier, wie
Sie es jetzt tun, weiterzuarbeiten an der Bekehrung der Sünder, was würden Sie wählen?"
"Ich würde bleiben."
"Aber im Himmel sind die Heiligen so glücklich! Keine Peinen, keine Versuchungen mehr!"
"Ja," erwiderte er, "die Heiligen sind sehr glücklich, aber das sind
Rentner. Sie haben allerdings tapfer gearbeitet; denn Gott straft die
Faulheit und belohnt nur die Arbeit; sie können aber nicht wie wir
durch Arbeit und Leid Seelen für Gott gewinnen..."
"Wenn Gott Sie bis zum Ende der Welt hier auf Erden belassen würde,
dann hätten Sie ein gut Stück Zeit vor sich, dann würden Sie doch
sicher nicht so früh morgens aufstehen?"
"Oh, mein Freund, ich würde immer um Mitternacht aufstehen. Es ist
keineswegs die Müdigkeit, die mich schreckt; ich wäre der glücklichste
Priester, wenn nicht der Gedanke wäre: ich muß als Pfarrer vor dem
Richterstuhl Gottes erscheinen!" Und zwei große Tränen rannen ihm über
die Wangen.
(aus: Trochu, Francis: "Der heilige Pfarrer von Ars - Johannes-Maria-Baptist Vianney 1786-1859" Stuttgart 1928, S. 461)
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