IN DEN HÄNDEN DER HENKER
- EIN MISSIONAR AUS VIETNAM BERICHTET -
von
Pater Charrier
Was ein Missionar 1841 aus der Kerkerzelle in Vietnam berichtet:
"18. October 1841.
In der Nacht des 5. October bestieg ich ein Schiff von Bau-no, um mich
in die neue Wohnung, die man mir bereitet hatte, zu begeben. Als wir in
der Nähe eines heidnischen Dörfchens vorbei kamen, hörten wir den Ruf:
Wer da? Unser erschrockener Schiffspatron stotterte einige Worte;
sogleich wird die Trommel gerührt, und das ganze Dorf, die einen auf
Schiffen, die anderen zu Fuß, eilt herbei, uns zu verfolgen. Wir
sprangen in den Fluß; bald aber fühlte ich mich erschöpft; ich fiel
drei bis vier Mal, und schon glaubte ich, meine letzte Stunde sei
gekommen. Indessen suchte ich im Wasser fortzukommen und watete durch
dasselbe, bald bis an den Gürtel, bald bis an den Hals, manchmal auch
über den Kopf hinaus; einmal fiel ich in eine Vertiefung, und nur durch
kräftiges Auftreten auf den Boden konnte ich mich wieder an die
Oberfläche des Wassers schwingen. Nachdem ich zwei Stunden lang so
mühsam gewatet war, keinen Schritt weiter zu tun vermochte und mich von
mehr als hundert Personen verfolgt sah, ohne daß eine Möglichkeit,
ihnen zu entrinnen, vorhanden war, sagte ich zu meinen Begleitern, sie
sollten fliehen, so gut sie könnten, und mich allein lassen, damit die
Heiden keine Christen in meinen Strafprozeß verwickeln möchten. So
wurde ich denn gefangen und, vom Kopf bis zu den Füßen durchnäßt, auf
die Wachstube ihres Dorfes geführt. *)
Gegen neun Uhr am anderen Morgen kam der Kriegsmandarin der
Unter-Präfectur an, der mich in einem Netze in seine Wohnung tragen
ließ. Hier band man mir die Arme und legte eine Kette um meinen Hals;
am folgenden Tage aber sperrte man mich in einen Käfig und führte mich
in die Hauptstadt des Bezirkes. Auf dieser Reise antwortete ich nichts
auf die verschiedenen Fragen, welche die Leute meiner Bedeckung an mich
stellten. Am l0. October gegen neun Uhr Morgens berief mich der
Großmandarin vor das Verhör. - Wie heißt du? - Peter Charrier, mit dem
Beinamen Doan, Großmeister (Grand Maître) der Religion Jesu. - Wie alt
bist du? - Achtunddreißig Jahre. - Seit wie vielen Jahren bist du in
diesem Reiche? - Seit acht bis neun Jahren. - Was hast du während
dieses so langen Aufenthaltes getan? - Ich habe aus allen meinen
Kräften und von ganzem Herzen die Religion gepredigt. - An welchen
Orten hast du gewohnt? - An sehr vielen; ich bitte dich, Großmandarin,
mich mit Aufzählung derselben zu verschonen, sonst möchtest du gegen
den Willen des Fürsten handeln, indem du die Macht, die er dir zum
Glücke des Volkes verlieh, zum Unglück desselben anwendest. - Und wenn
man dich peitscht, wirst du sie nicht angeben? - Nein, selbst wenn du
mir die Gebeine zerschmetterst und die Eingeweide ausreißest; wie
könnte ich mich dazu verstehen, so viele wackere Leute ins Unglück zu
stürzen? - Willst du die Dörfer, die dir eine Zuflucht gewährten, nicht
angeben, so sage mir doch wenigstens, durch welche Hauptbezirke du
gekommen bist. - Auch das sage ich nicht. Erlaube mir, eine Frage an
dich zu stellen, Großmandarin. Gesetzt, ich hätte deine Provinz
durchzogen und wäre dann in einer benachbarten gefangen worden, wäre es
dir lieb, wenn ich dem Mandarin dieses andern Bezirkes anzeigte, daß
ich durch den deinigen gezogen sei? Nein, gewiß nicht; diese Erklärung
könnte dich in Verdacht bringen. So handle denn gegen Andere, wie du
willst, daß sie gegen dich handeln. - Wo sind deine Schüler? Wie viele
hast du? Wie heißen sie? - Ich weiß nicht, wo sie sind; ihre Namen
brauch ich nicht anzugeben, das wäre zum Mindesten unnütz. -
Nach diesen Fragen sagte der Großmandarin zu obersten Richter: 'Seine
Antworten sind spitzfindig, man muß ihn noch weiter verhören.' Noch am
Abend desselben Tages ließ mich der Großmandarin abermals rufen; ich
erwartete, man werde nun sämtliche Foltergeräte zur Schau stellen, und
täuschte mich auch nicht. Als ich ins Gerichtshaus kam, sah ich einen
Haufen Pfähle, Holzblöcke, Ketten, Ruthen, Zangen und einen Schmied,
der aus vollen Backen sein Feuer anblies. Man nahm mich aus meinem
Käfig heraus, und nach Wiederholung der früheren Fragen setzten die
Richter das Verhör folgendermaßen fort: Kennst du Thack, einen
Rebellenanführer? - Nein, der Krieg ist mir fremd, und ich habe hier
keinen Empörer angetroffen. - Du sollst die Wahrheit bekennen, oder man
wird dich mit Ruthen peitschen. - Man mag mich peitschen oder mir die
Eingeweide ausreißen, dennoch werde ich immerfort nein sagen; wie
könnte ich etwas behaupten, das gar nicht ist? - Nun mußte ich mich auf
den Boden legen, die Henkerbanden mich an Pfähle. In diesem Augenblick
bat ich den Herrn, er wolle die Streiche, die ich empfangen sollte,
zählen, und er zählte sie so gut, um sie zu mildern, daß ich fast keine
Schmerzen empfand.
Zuerst versetzt man mir einen Streich, dann fragt man mich von neuem.
Man schlägt wieder, die einen sagen, achtmal, die andern zehnmal, ich
selbst aber fühlte nur drei Streiche. Ich mußte wieder sitzen, um
verhört zu werden. Meine Freude war unbeschreiblich: die Leute des
Mandarins sagten zueinander: Man kann ihm nicht beikommen.
Der Großmandarin begann abermals: Vielleicht wirst du in die Hauptstadt
abgeführt, würde dich das freuen? - Muß ich in die Hauptstadt gehen, so
gehe ich; lieber aber wäre es mir, ich würde hier hingerichtet. - Würde
es dich aber nicht freuen, wenn dich der König verschonte und dich nach
Europa zurückschickte? - Nein, im Gegenteil, ich würde mit der ersten
Gelegenheit zurückkehren, um den Anamiten von neuem die Religion zu
predigen. - Wenn man dich auffordert, auf das Kreuz zu treten, wirst du
es tun? - Sage mir nichts von dieser Entweihung! Der Herr des Himmels
hat mir nie ein Leid getan; warum sollte ich ihn schmähen? Ich werde
ihn weder im Leben noch im Tode je verlassen, und auch er verläßt mich
niemals. Von Kindheit an habe ich ihm gedient, und bin fest
entschlossen, ihm immerdar zu dienen. - Hierauf sagte der Großmandarin
zum Gerichtsbeamten: Ihr müßt einen Bericht an den König machen;
vielleicht befiehlt er, ihn ebenfalls in die Stadt zu führen, wie die
zwei anderen Europäer, welche zu Anfang dieses Jahres im Bezirk von
Nam-Dinh ergriffen wurden und die man noch, ohne sie zu töten, in Hue
gefangen hält.
Das ist nun in kurzem, was mir seit meiner Gefangennehmung begegnete.
Niemand ist in meinen Prozeß verwickelt, was mich außerordentlich
freut. So habe ich es denn endlich errungen, was ich so lange ersehnte,
das Glück, für Jesus Christus zu leiden! Die Streiche, die ich erhielt,
habe ich aber kaum empfunden; ich hätte tausend solche ausgehalten. An
der Stelle, wo man mich schlug, bin ich nicht einmal geschwollen. Nach
geendetem Verhör führte man mich zu Fuß in meinen Käfig, wo ich Ihnen,
mit einer großen Kette beladen, aber froh und wohlauf, schreibe. Ich
habe keinen Grund zur Unruhe, alles behandelt mich recht manierlich.
Charrier, apost. Missionar."
Einen Tag später schrieb der inhaftierte Missionar an seinen Bischof:
"Jenes Tages, da man mir die Hände an
einen Pfahl und die Füße an einen anderen band, als ich, auf den Boden
hingestreckt, mich wie ein Opfertier, das zum Schlachten vorbereitet
wird, in den Händen der Henker sah, da war mein Herz an Jesus geheftet,
und ich sprach zu ihm: Mein Gott! Für dich und um deines Namens willen
werde ich so behandelt. Ich opfere dir diese geringen Leiden, die ich
aus Liebe zu dir und zur Abbüßung meiner Sünden erdulde; ich bin nicht
wert, für deinen Namen zu leiden, aber mache du mich würdig; zähle für
mich die Rutenstreiche, die diesen sündigen Leib zerfleischen werden. "
Das, mein teurer Landsmann, waren die Gedanken Ihres Freundes während
seiner Geißelung. O, wie erbarmungsvoll ist unser göttlicher Jesus
gegen die, welche er aufs Schlachtfeld ruft! Geißeln und Qualen reizen
mich zum Lächeln und erfüllen mich mit Freude, die in dem Maße zunimmt,
als der Tag herannaht, da mein Haupt unter dem Schwerte des Tyrannen
fällt und meine Seele sich frei nach dem so heiß ersehnten Ziele
schwingen kann.
'Was tun Sie aber den ganzen Tag und die ganze Nacht in Ihrem Käfig?'
werden Sie fragen. - O, mein teurer Freund, nie war ich so glücklich;
ich erhebe mein Herz zu Jesus und Maria, wiederhole im Geiste die Namen
der Missionare, die für das Evangelium gelitten haben, und flehe sie um
ihre Fürbitte an, damit ich bald an ihrem Glücke teilnehme. Von Zeit zu
Zeit stimme ich in meinem Kerker die schönen Worte an: Wie schön, o
großer Gott, sind deine Gezelte! Abwechselnd singe ich auch den Psalm:
Laudate Dominum omnes gentes (Lobet den Herrn alle Völker), den
Dankhymnus Te Deum, oder das Gebet Veni Creator (Komm Schöpfer Geist).
Alles, Wächter und Gefangene, suchen mir gefällig zu sein, ohne einen
Lohn dafür zu verlangen. Was will man mehr? Die Martyrerpalme ist
bereit; und es wäre mir leid, wenn sie noch länger auf sich warten
ließe.
Wenn wir uns hienieden nicht mehr sehen, so finden wir uns im Himmel
wieder. Leben Sie wohl! Ihr Freund, mit der Kette an Hals und Füßen, in
seinem Käfig, den 5. des 9. Mondes, 19. October 1841.
P. Charrier."
*) Kaiser Minh-Menh hatte in Vietnam folgende Verordnung
erlassen: "Wenn sich europäische Priester unter anamitische Untertanen
einschleichen, so verfallen sie der nämlichen Todesstrafe, wie die
Verbreiter schlechter Lehren. In Erwägung, daß schlechte Lehren das
Herz des Volkes verderben, sollen die Beförderer derselben, nachdem sie
einige Zeit im Kerker zugebracht, erdrosselt werden."
(aus: MISSION AKTUELL 1/84, S. 14 f.)
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