LEON BLOY
von
Eugen Golla
Für die Leser der EINSICHT ist dieser Schriftsteller kein Unbekannter,
brachte sie doch außer der Übersetzung von "Celle qui pleure"
wiederholt Auszüge aus seinen Schriften und Tagebüchern. Bloy, der
erste bedeutende Repräsentant, der nach dem Positivismus und
Naturalismus um 1890 der katholischen Literatur Frankreichs wieder zu
neuem Leben verhalf, war allerdings nicht dazu geschaffen, das
verklärte, melancholisch-pathetische Christentum eines Chateaubriand
wiederzuerwecken. Vielmehr ging er - besonders in seinen
pamphletistischen Essays - rücksichtslos gegen alles vor, was dem
absoluten Anspruch Gottes widersprach. Er riß daher den Heuchlern ihre
Maske vom Gesicht, besonders den platten, wohlgenährten Bürgern ohne
eigentliche geistige oder religiösen Ideale bzw. Ideen, und geißelte
ohne Schonung nicht nur die besitzende Klasse, die sich gegen die
Armen, aber auch gegen DEN ARMEN verschloß, und die Mittelmäßigkeit,
sondern auch den Klerus, sofern er gleichgültig, resignierend oder
beschwichtigend dem damals schon einsetzenden Verfall religiöser Werte
gegenüberstand. Die französische konterrevolutionäre
Literaturzeitschrift LECTURE ET TRADITION enthält in ihrer Nr. 164, vom
Okt. 1990 verschiedene Artikel über ihn. Ihnen sind die folgenden
Auszüge aus zwei Besprechungen einer von Maurice Bardèche verfaßten
Biographie Leon Bloys entnommen.
I.
Verfasser von Dogmen, unbarmherziger Inquisitor, der vor sein Tribunal
sämtliche Besitzer von Reichtümern zitiert, Leon Bloy, war eine
außergewöhnliche Gestalt der Literatur, die glücklicherweise das laue
Wasser unseres Alltags auswechselte.
Geboren 1846 in Perigueux in einer Familie von Kleinbürgern, verbrachte
er zwei Drittel seines Lebens damit, die Gesellschaft im Namen Christi
zu exkommunizieren. Sicherlich, eine solche wie eine Flut
dahinströmende Heftigkeit, das stolze Bewußtsein, im Besitze der
Wahrheit zu sein und der grimmige Stil eines verwüstenden Verfassers
von Schmähschriften beunruhigten einige seiner Freunde, mit denen er
sich noch nicht zerstritten hatte, und sie verschlossen ihm beinahe
sämtliche Türen. Er ermüdete den besten Willen, aber er spöttelt, indem
er die göttliche Herrschaft nur für sich und mit eigenen Mitteln
vorbereiten will. (...)
Dieser undankbare Bettler, wie er sich selbst bezeichnet, ein wahrhaft
berufsmäßiges Pumpgenie, war täglich auf der Suche nach ein paar
Francs, um seine Frau und seine Kinder ernähren zu können. Aber sein
Regen von Ohrfeigen brachte ihm manche Feindschaft ein, und das
wenigste, was man sagen kann, ist, daß das Elend eine chronische
Situation wurde.
Maurice Bardèche verfaßte ein Buch über Leon Bloy, das einen ganz und
gar neuen Zugang zu diesem Anarchisten, der in das Göttliche versenkt
ist, schuf, denn im Gegensatz zu gewissen weihrauchstreuenden
Sulpizianern verschleiert er nicht seine Fehler, und Gott weiß, falls
er an ihnen festhielt, daß sie zwischen Heftigkeit und Zorn lagen. Bloy
war aber vor allem derjenige, welcher für die Stummen, Schwachen und
Unterdrückten sprechen konnte - und das mit einer unvergleichlichen
Kraft. Er besaß nach seiner Art als Dichter die drei christlichen
Kardinaltugenden - auch wenn er sie bisweilen auf eine wenig orthodoxe
Art zerrieb. Barbey d'Aurevilly') verglich ihn mit der Traufrinne einer
Kathedrale, die die Wasser des Himmels auf Gute und Böse speit.
Ich möchte sagen, daß er mehr als dies ist: er ist die unvollendete
Kathedrale mit ihren in Stein gehauenen Dämonen und Engeln, mild
gegenüber den Unterdrückten und feindlich den Mächtigen. Er leidet mit
den Armen. "Das Blut der Armen", schreibt Maurice Bardèche, "das
schönste, das erregendste der Werke Bloys, enthüllt uns, wenn wir ihm
seinen wahren Sinn geben, folgende tragische Feststellung: Die
christliche Charitas ist heutzutage nicht abwesend von unserer Welt,
sie hat vielmehr keine Beziehung, keinen Platz; sie wurde in der Welt,
welche die Habgier der Menschen der Menschheit auferlegt hat,
undenkbar.'
Jean-Paul Roudeau
II.
Mit zwanzig Jahren ähnelt Leon Bloy einem russischen Anarchisten: "Ich
glaube an nichts, es lebe das Chaos, es lebe der Tod" (Ausdruck von A.
Herzen). 2) 1867 trifft Bloy Barbey d'Aurevilly und bezwungen wird er
Katholik und Antirepublikaner. Er liest die Mystiker, wird erschüttert
von Katharina Emmerich und ihren Visionen vom Leiden Christi.
Maurice Bardèche bietet uns eine mustergültige Biographie von Leon Bloy
an. Er deckt seine sämtlichen Fehler auf, aber es ist keine
Anklageschrift. Dieses Buch zeigt, daß ein genialer Schriftsteller
zutiefst menschlich ist. Ist dies nicht tröstlich? Bloy lebte immer im
Elend. Bardèche zeigt, daß dies auf unüberlegtes Verhalten, die
Unfähigkeit, sich an einem Platz festzusetzen, Aufbrausen, schlechte
Charaktereigenschaften, die Unfähigkeit, mit seinem Geld - falls
welches bei ihm einging - zu haushalten, die Manie, bei sämtlichen
Freunden zu betteln, mangelnde Anstrengung beim Arbeiten u.s.w.
zurückzuführen war. Es gibt noch Schlimmeres, denn Bloy besaß ein
gebieterisches Verlangen nach Zärtlichkeit und körperlicher Liebe. Er
hatte, bevor er seine Frau kennenlernte, der Reihe nach viele Geliebte,
oft Prostituierte, die er in seine Mansarde aufnahm, oder kleine
Schauspielerinnen. Aus Anne-Marie Roulé, einer Rothaarigen, die einen
zugrund richten konnte, machte er eine Mystikerin, von der er
behauptete, geheime Offenbarungen zu erhalten. Es wurde aber nötig, sie
wegen Deliriums in eine Heilanstalt zu bringen. Als er verheiratet war,
ging Bloy ins Kaffeehaus, spielte Billard oder bekannte seine
Sündenschuld. Dieser unentwegte Katholik, der sagte, daß derjenige,
welcher die tägliche Kommunion ablehne, ein Deserteur sei, blieb zehn
Jahre den Sakramenten fern u.s.w. (...)
Bardèche hat recht mit seiner Behauptung, daß Bloy, obwohl Katholik,
den anarchistischen Verwünschungen seiner Jugend treu blieb: "Der Arme
repräsentiert Gott selbst, der Arme, immer besiegt, geohrfeigt,
verhöhnt, beleidigt, verflucht und in Stücke gehackt, aber nicht
sterbend... Die Ankunft Christi ist die Ankunft des vollkommenen Armen,
in welchem die ausgesuchtesten Greuel an Elend zusammengefaßt sind."
Albert Béguin 3) berichtet, daß in Bloy die große Angst herrschte, den
göttlichen Willen zu fragen: "Wie kommt es, daß nach der Ankunft des
Heilands, nach Vollbringung des Opfers, nach dem Aufsichnehmen der
Sünden die Jahrhunderte genau so wie die Jahrhunderte vorher einen von
Finsternis und Verbrechen beschwerten Verlauf nehmen?" Weshalb besitzt
das Böse immer noch eine solche Macht? Weshalb verzögert sich die
endgültige Ankunft Christi so lange? Bloy erwartete die Parusie, das
Ende der Welt. Bardèche betont, daß seine letzte Schrift seine gesamte
Ideenwelt zusammenfaßt. Sie hat den Titel "In der Finsternis" und
kommentiert den Krieg von 1914 bis 1918: "Was wird aus der Geschichte?
Einst erzählte sie von Lannes, Murat, Ney... Sie wird von einem
schrecklichen Greuel erzählen, der über die menschlichen Seelen fallen
wird."
Dennoch tröstet und erhebt die Lektüre von Bloy: jeder Leidtragende
trägt den gesamten Schmerz, er lebt ununterbrochen die Passion Christi,
ist in einer absoluten Gleichzeitigkeit mit sämtlichen Menschen
verbunden, die litten, leiden und leiden werden. Diese mystische
Gemeinschaft läßt die Zeit der Geschichte erlöschen. Bloy nimmt Pascal
wieder auf: "Jesus ist im Zentrum von allem, es ist unmöglich, auf ein
Wesen zu treffen, ohne auf IHN zu treffen." Umgekehrt, jedes Gebet,
jedes Verdienst kann einem Unbekannten helfen, ein Elend erleichtern
u.s.w. Jeder von uns kann alte oder aktuelle Ereignisse hervorbringen,
gemäß seiner übernatürlichen Verwandtschaft mit anderen unbekannten
Seelen... Bloy hatte eine wunderbare Vision vom Dogma der Gemeinschaft
der Heiligen, eine Vision, die mit derjenigen der heiligen Theresia vom
Kinde Jesu verwandt ist.
Jean Bastier
(übers.: Eugen Golla)
Anmerkungen:
1) Barbey d'Aurevilly, Jules Amadée, franz. romantischer Dichter (1808-1889); wirkte
auf die spätere franz. katholische Literatur.
2) Herzen, Alexander Iwanowitsch (1812-1870), russischer Schriftsteller mit starker
Wirkung auf die liberalen und sozialistischen Strömungen in Rußland.
3) Béguin, Albert, Autor des Buches "Bloy, mystique de la douleur".
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