Nachösterliche Reminiszenzen
von
Eberhard Heller
Wenn orthodoxe Christen sich gegenseitig ein frohes Osterfest wünschen,
so begrüßen sie sich mit dem Zuruf "Christus ist erstanden" und der
Angesprochene bekräftigt diese Botschaft mit dem Aus-ruf "Er ist
wahrhaft auferstanden". Wenn wir das geistig-religiöse Szenarium heute
betrachten, so wird uns nur selten jemand begegnen, der uns diese
Ostergewißheit vermittelt. Wie in den Schneetunneln, die sich die
Fußgänger dieses Jahr in den tief verschneiten Alpentälern graben
mußten, um sich durch die Schneemassen, die sich meterhoch auftürmten,
einen Weg zu bahnen, sich das Rufen verlor, die Stimmen gedämpft
wurden, so verhallte diese Botschaft heute in der geistigen Kälte und
den Eiswüsten menschlicher Gleichgültigkeit. Gelegentlich hören wir sie
noch diese Botschaft "Christus ist erstanden", zaghaft, eher wie mit
einem Fragezeichen versehen: "Christus ist erstan-den?" ... "Ist er
wahrhaft auferstanden?" Wer gibt uns die Gewißheit? Vielleicht der
Tankwart, der uns ein frohes Osterfest wünscht, oder die Bedienung im
Lokal, die nicht vergessen hat, daß Christus für uns gelitten,
gestorben, aber auch wieder auferstanden ist, um auch uns dieses neue
Leben zu bringen, um es denen zu verheißen, die eintreten in den Neuen
Bund, den er uns anbietet... Die Welt wird ärmer, viele Menschen leben
in materieller Not, doch selbst diese Not vermag es nicht mehr, das
Bedürfnis nach Reichtum zu wecken. Dreißig Prozent der Deutschen können
mit "Ostern" nichts anfangen, wissen nicht, daß die Kirche Seine
Auferstehung feiert. Beide - die materielle Armut und die geistige
Dürre - schreiten Hand in Hand und mit verdüstertem Blick dahin, ohne
Freude, ohne Zuversicht. Nicht einmal die Sehnsucht beflügelt die
Herzen. Man merkt dieser Welt die Idee der Erlösung, die sie durch
Christi Auferstehung erfahren hat, nicht mehr an: eine Welt ohne
wirkliche Hoffnung... Ist wirklich alles verhallt in den Tunneln von
Kälte und Tod?
Und dann begegne ich ihr doch noch, dieser Botschaft vom neuen Leben,
die das Heil bedeutet, laut und klar: "Christus ist erstanden." - "Er
ist wahrhaft auferstanden!" Sie ist mächtig und unmißverständlich wie
ein Befehl, der erfüllt werden soll, wie eine Nachricht, die
weitergegeben werden muß. "Christus ist erstanden von dem Tod, er ist
wahrhaft auferstanden". Und wir sollen Zeugen sein, Zeugen und
Vermittler wie Relaisstationen, die die Signale wieder verstärken
sollen, um die Glut der Hoffnung neu zu schüren, die sich unter der
Asche aus Verzweiflung und Angst verborgen hielt. Die Nebel der Nacht?
Vergessen sind sie nicht, aber überwunden!
Die Osternacht-Liturgie jubelt, mahnt, rüttelt uns auf: "Exsultet iam
angelica turba caelorum: exsul-tent divina mysteria..." "Frohlocket
nun, all ihr himmlischen Chöre der Engel! Frohlocket ihr göttlichen
Mysterien. Töne hell, Posaune des Heiles, preise den Sieger, den
erhabenen König! Erfreue dich, o Erde, überflutet vom Strahl aus der
Höhe. Licht des ewigen Königs umleuchtet dich!"
Denn "Christus ist erstanden, Er ist wahrhaft auferstanden!"
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