Fast eine Weihnachtsgeschichte
von
Eberhard Heller
Vielleicht kennt der eine oder andere die Geschichte von dem Riesen,
der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt? Ich habe sie vor Jahren
einmal in einem Kinderbuch entdeckt, geblieben ist bloß dieses Bild.
Wir 'stricken' dieses Bild für unseren Gebrauch ein wenig um in eine
Parabel:
Ein Mann steht vor einem Fenster in
seinem Haus und erblickt in der Ferne einen großen, großen Riesen, der
über die Berge wandert. Der Mann bekommt Angst, er traut sich nicht,
aus seinem Haus zu gehen. Was mag wohl der Riese im Schilde führen?
Doch der bleibt weit draußen. Am nächsten Tag sieht er den Riesen
wieder: ein unglaublich großer Kerl wartet da draußen. Doch als er
genauer hinschaut, meint er zu entdecken, daß er gar nicht so grimmig
dreinschaut, im Gegenteil! er hat sogar eher ein gemütliches Gesicht,
und er winkt ihm sogar zu. Eines Tages entschließt sich der Mann, den
Riesen doch einmal näher kennen zu lernen. Er trifft Vorkehrungen für
eine längere Wanderung. Wie er nun unterwegs ist, stellt er
überraschend fest, daß der Riese um so kleiner wird, je näher er ihm
kommt. Und schließlich steht er erstaunt einem Mann gegenüber, der
nicht größer ist als er selbst und der ihn aus freundlichen, aber etwas
alten und traurigen Augen anschaut. "Ich habe hier auf Dich gewartet"
sagt der nun Nicht-mehr-Riese zu unserem Mann, "ich wußte, Du wirst
kom-men." - "Ja, aber wer sind Sie, wie kommt es, daß Sie in der Ferne
aussehen wie eine Riese, aber eigentlich gar keiner sind, wenn man bei
Ihnen ist?" - "Ich bin der Riese 'Pflicht'. Meine Freunde nennen mich
auch 'Hingabe', aber von denen habe ich nur sehr wenige. Ich bin nur
ein Riese für die, die mir ausweichen und keine Verantwortung tragen
wollen. Für die werde ich sogar zum Alptraum. Für die aber, die bereit
sind, die Lasten, die Gott ihnen auferlegt, auf sich zu nehmen, für die
werde ich zum Freund. Denn je mehr man sich den Aufgaben, die einem
bestimmt sind, aus Über-zeugung und mit Hingabe widmet, für den wird
die Pflicht eine immer kleinere Last, wenn man nur 'Ja' sagt. Und wenn
dann Deine Last einmal wirklich schwer wird, dann helfe ich Dir." -
"Ja, aber warum schaust Du 'Pflicht' aus der Ferne aus wie ein Riese?"
- "Weil mich zunächst alle für übermächtig halten und vor mir fliehen.
Viele bleiben aber auch nur weit, weit weg von mir."
Soweit unsere Parabel. Ich füge noch an, daß unser Mann und der Riese
'Pflicht', der in Wirklichkeit ja gar kein Riese ist, gute Freunde
wurden.
Wir haben in den letzten Jahren weiß Gott keinen Grund zum Jubeln.
Überall, wohin man schaut, neue Probleme, neuer Haß, neues Mißtrauen,
neue Belastungen und Verwirrungen. Sieht man einmal von den sog.
'Krustentieren', das sind diejenigen, die sich selbst eingeschlossen
haben, die in irgendwelchen Illusionen schwelgen, um den (dreckigen)
Boden unter sich vergessen zu können, ab, so muß man schlicht
feststellen, daß wir, die sog. wahren Katholiken, in einer tiefen
Identitätskrise stecken. Das hat mehrere Gründe. Ich weise nur auf zwei
hin. Einmal gehen bei vielen Gläubigen immer mehr 'Lichter aus', d.h.
ihr Glaubensverständnis verkümmert, weil es keine Nahrung mehr bekommt,
weil jede Vertrauensbasis fehlt. Mich dauern am meisten die Leute, die
aus Angst, etwas zu verlieren, nicht mehr fähig sind, über ihren ach so
begrenzten Horizont zu schauen, und alles Neue, sei es auch eine der
elementarsten Wahrheiten, für Häresie halten. Auf der anderen Seite
fällt gewissen Leuten nichts Besseres ein, als immer neue Verwirrungen
zu stiften, die unser religiös-kirchliches Anliegen nur der
Lächerlichkeit preisgeben. Ich denke da an solche Aktionen wie die sog.
'Papstwahl', wie das Auftreten des Betrügers Roux, wie das Einsickern
von Sektierern bei Leuten, die partout eine Soutane blitzen sehen
möchten, ohne zu kontrollieren, wer in ihr steckt.
All diese Belastungen sind schier nicht mehr zu ertragen, wenn wir sie
nicht mit dem und für den mittragen würden, der für unser Heil die
größten Lasten getragen hat und der uns zugesichert hat: "Mein Joch ist
sanft und meine Bürde ist leicht" (Matth. 11,30). Wir stehen wieder vor
dem Fest der Geburt Unseres wahren Herrn und Heilandes, der uns erlöst
hat. "Er kam in Sein Eigentum, doch die Seinen nahmen Ihn nicht auf."
(Joh. 1,11) Tun wir es! Denn trotz all der Düsterkeit um uns herum...
eines sollten wir nicht vergessen: das Heil ist mit Seiner Geburt
angebrochen, auch für uns! Wir können und sollen daran Anteil haben!
"Denn allen, die Ihn aufnahmen - d.s. die, die Ihm nachfolgten und auch
heute noch nachfolgen, die ihre Lasten in Seiner Gefolgschaft
tragen -, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden" (Joh. 1,12). |