MITTEILUNGEN DER REDAKTION
München, den 14.9.1994, Fest Kreuz-Erhöhung
Verehrte Leser!
Es geschieht immer häufiger, daß viele von uns sich vor Situationen
gestellt sehen, in denen ihnen klare Entscheidungskriterien fehlen,
weil sie darauf nicht vorbereitet waren. Selbst vermeintlich fest im
Besitz geglaubte Prinzipien versagen, weil es sich dabei nicht um
eigentliche Grundsätze, son-dern nur um Applikationsschemata,
eintrainierte Verhaltensregeln handelte, die versehentlich für solche
gehalten worden sind. Diese Unsicherheit bezieht sich nicht nur auf
gesellschaftlich-soziale, politische, ökonomische und religiös-geistige
Bereiche, sondern auch auf die Bewältigung des ganz gewöhnlichen
Alltags, für die niemand mehr fertige Rezepte zu haben scheint, weil
dieser 'Alltag' immer komplexer wird bzw, von immer komplexeren
Faktoren mitbestimmt wird.
Um nur ein Beispiel zu nennen: es ist recht einfach, im
landwirtschaftlichen Bereich von den Regierungen vorgegebene Programme
zu kritisieren, da sie in der Regel viele Mängeln und Ungerechtigkeiten
aufweisen. Doch ein durchgeführtes, im Ansatz klares Konzept anzubieten
haben bisher die jeweiligen Interessenverbände m.W. auch nicht
geschafft, und es ist auch recht schwer, ein solches zu erstellen, da
nicht nur landwirtschaftliche Faktoren dabei ein Rolle spielen, sondern
auch ökonomische, soziale, politische, geopolitische, zu denen sich
dann noch das Problem eines sich wandelnden Selbstverständnis der Rolle
des Landwirtes (Bauers) in einer ökologisch sensibler Gesellschaft
hinzukommt. In der Tat ist es eben doch ein Unterschied, ob eine Kuh
als Milch- und Fleischlieferant oder als Umweltpfleger angesehen wird,
deren Halter dafür bezahlt wird, weil sie Gras frißt. Ich greife dieses
Beispiel heraus, weil es durch die öffentlichen Debatten hinlänglich
bekannt sein dürfte.
Schlimmer noch als in diesem Bereich sieht es im geistigen und
religiösen Bereich aus. Durch die Aufgabe des wahren Glaubens mit
seinen festen Prinzipien ist nicht nur das wahre religiöse Leben
öffentlich fast gänzlich erloschen, sondern dadurch haben auch andere
Bereiche, z.B. das soziale Mitempfinden, die gesellschaftliche
Mitverantwortung, ihre klaren Konturen eingebüßt. Was noch vor einem
viertel Jahrhundert fest umrissen stand und fraglos anerkannt wurde,
steht heute vielfach auf schwankendem Boden. Durch den Konkurrenzkampf
divergierender Weltanschauungen und Ideologien ist auch der ehemalige
gesellschaftliche Konsenz weggefallen, der trotz aller historisch
bedingter Unzulänglichkeiten, doch auf akzeptablen und akzeptierten
Moralvorstellungen basierte.
Erschwerend kommt für einen gläubigen Christen hinzu, daß auch die
religiös-katechetische vorkonziliare Unterrichtung im allgemeinen
längst nicht ausreichte, den Gläubigen das nötige Rüstzeug in die Hand
zu geben, um die heutige Krise durchstehen zu können. Bei dem durch die
Apostasie der Hierarchie bedingten Ausfall lehramtlicher
Entscheidungen, die heute in der Tat als religiöse Lebenshilfen für die
Bewältigung neuer Probleme dringend nötig wären, steht man ohne sie
recht hilflos und allein gelassen vor einem Berg schier
unüberwindlicher Schwierigkeiten.
In einer solchen Situation kann man entweder
— resignieren (1) oder
— sich einkrusten wie ein Fossil (2) oder
— sich mit den anstehenden Problemen grundsätzlich auseinandersetzen (3).
Zu (1): Man kann das z.B. in der Form tun, wie es Prof. Michael Ebertz,
Freiburg, Mitglied der Görres-Gesellschaft, empfohlen hat, nämlich
diesen Glaubensabfall als Schicksal hinzunehmen (vgl. MITTEILUNGSBLATT
DER PRIESTERBRUDERSCHAFT ST. PIUS X., Aug. 94, S.39).
Zu (2): Sich einkrusten wie ein Fossil tun alle sog. Traditionalisten,
die ihre geistige Unfruchtbarkeit mit Glaubenstreue verwechseln, die
einen Status X als absolut ansetzen, sagen wir: das Jahr 1968 (Tod von
Pater Pio) oder das Jahr 1958 (Tod von Papst Pius XII.) etc., je nach
Geschmack, um einen 'Ahnenkult' zu beschwören. Alles, was von der
Ausprägung durch den Glauben zu diesem Zeitpunkt in irgendeinem Moment
dann abweicht, ist moralisch verdächtig, infam, häretisch,
blasphemisch, verdammt. (N.b. die Arroganz und Anmaßung solch
traditionalistischer Fossile, die durch ihr Verhalten den allgemeinen
geistigen Tod selbstverständlich noch beschleunigen, ist kaum zu
überbieten!) Sie fühlen sich immer in der Rolle von Racheengeln, die
ihr Schwert mit Vorliebe über den Köpfen derer schwingen, die sich um
eine Lösung der anstehenden Probleme bemühen. Sie begreifen nicht
einmal, daß der Rest der Welt kopfschüttelnd an ihnen vorbeizieht und
sie wie Versatzstücke aus einem Museum betrachtet.
Zu (3): Man kann sich auch bemühen, in aller Offenheit und mit viel
Geduld die anstehenden Probleme grundsätzlich zu lösen, wobei man damit
beginnen sollte, bei sich selbst zunächst einmal eine kritische
Bestandsaufnahme zu machen und bereit sein muß sich einzugestehen, daß
sicherlich eini-ges von dem, was man zum festen Besitz rechnete, nicht
mehr 'paßt' oder altes Gerümpel ist, um dann von den wirklich tragenden
Prinzipien aus eine Lösung der Probleme zu suchen. Auf mich persönlich
haben immer die enormen geistigen und physischen Anstrengungen der hl.
Theresa von Avila einen großen Eindruck gemacht, die sich schließlich
darauf konzentrieren konnte zu sagen: "Solo Dios basta" - "Gott allein
genügt".
Geistige Anstrengung also ist angesagt! Denn ohne diese geistige
Arbeit, die sich grund-sätzlich von dem Zuammenramschen der
traditionalistischen 'Krustentiere' unterscheidet, geht in der Tat
nichts mehr!!! Es ist nicht damit getan, daß man in fünf Minuten zu
geistigen Resultaten kommt, sondern daß man ringt, kämpft und in diese
moderne Auseinandersetzung (die zu allererst eine geistige ist!) zur
Ehre Gottes eingreift. Und dann zeigt uns Gott auch den Weg. Man sollte
sich regelmäßig mit den grundlegenden Glaubensinhalten beschäftigen,
mit der Sakramentenlehre z.B., um diese Inhalte als vernünftige zu
begreifen, um so sein Wissen über den Glauben zu erweitern oder zu
festigen. Es ist ja nicht so, daß unsere Mitmenschen überhaupt kein
Interesse an der von uns vertretenen Position hätten, sondern daß wir
vielfach unfähig sind, sie darzustellen. Jeder ist heute gleichsam in
die missionarische Pflicht genommen...!
Ich hoffe, daß Sie alle gut erholt aus den Ferien oder dem Urlaub zurückgekommen sind.
Ihr Eberhard Heller
* *** *
NEKROLOG:
In letzter Zeit sind von unseren Lesern verstorben:
1. H.H. Dr. Josef Lieball, Augsburg, vor kurzem noch goldenes
Priesterjubiläum, Kunstkenner, der sich besonders um die Analyse der
modernen religiösen Kunst mit ihren plasphemischen Darstellungen
kümmerte,
2.Herr Aloys Schmitt, aus Wiebelskirchen / Saar
3. Frau Käthe Wolf, aus Oberauerbach / Saarland, die uns mit S.E. Mgr. Thuc bekannt machte.
4.Frau Ruth Mitzlaff aus Frankfurt, die am 30.7.94 mit 72 verstarb und unsere Arbeit großzügig unterstützte,
5.Schwester Martha Brunner aus Gossau / Schweiz am 23.8.94 im Alter von
82 Jahren, die H.H. Pfr.Leutenegger auf seinen Reisen zu uns nach
München begleitete und viel für die hiesigen Gläubigen getan hat.
Beten wir für das Seelenheil der Verstorbenen: Herr laß sie ruhen in Frieden. Amen.
* *** *
Titelphoto: Kirche St. Maria della Salutein Venedig, Photo: E.H.
Redaktionsschluß: 21. September 1994 |