BUCHBESPRECHUNG:
Mary Ball-Martinez:
“DIE UNTERMINIERUNG DER KATHOLISCHEN KIRCHE”
(deutsche Übersetzung: Johannes Rothkranz)
eine kritische Beurteilung von Rev. Fr. Courtney E. Krier
übersetzt von Eugen Golla
Dieses Buch von Frau M.Ball-Martinez, dessen Erscheinen allgemein
bejubelt wurde, hat keineswegs nur die Aufgabe, eine bloße Ansammlung
von Meinungen hinsichtlich der Lösung der Krise der katholischen Kirche
zu sein.
Frau Martinez's eigentliche These lautet: Zu Beginn dieses Jahrhunderts
gab es in Italien fünf Persönlichkeiten, denen es vorbehalten war, im
Laufe der nachfolgenden Jahrzehnte die Umwandlung der
römisch-katholischen Kirche voranzutreiben: Pietro Gasparri, Giachomo
della Chiesa aus Genua, der später als Benedikt XV. regierte, Eugenio
Pacelli, der sich als Papst Pius XII. nannte, Angelo Roncalli,
der spätere Papst Johannes XXIII. und Giovanni Battista Montini, der
dann als Paul VI. bekannt wurde (vgl. S. 28).
Weshalb sie den Titel "Papst" für Johannes XXIII. beibehält und nicht
auch für die anderen benutzt, dieser Aspekt ist wie so vieles andere in
diesem Buche unverständich, aber die Konsequenzen aus der Auflistung
dieser Personen als Prälaten sind alles andere als alltäglich. Die
Autorin setzt fort:
”Schon das Leben dieser vier Männer war
wie das Leben eines Kindes mit dem seiner Eltern eng verknüpft... ihre
Laufbahnen verflochten sich, was als eine Art Bemühung um
Zusammenarbeit angesehen werden kann, welche eine praktische
Unterstützung ihrer außergewöhnlichen Unternehmungen war. Eine
Verschwörung? Der Ausdruck ist zu ungenau mit seinen melodramischen
Nebentönen und zu stark vereinfachend, weil dadurch die Tatsache nicht
in Erwägung gezogen würde, daß die Genannten (...) ohne fünf größere
Wunder nicht imstande gewesen wären, anders zu handeln als sie es
taten. Sagen wir, daß sie die gleiche Vision hatten, die Vorstellung
von einer Umgestaltung der katholischen Kirche.(...) Auf Montini, den
schwächsten dieser fünf und auf Pacelli, den stärksten, lastete jeweils
der schwerste Druck“ (vgl. S.28–29).
Die Annahme dieser These (nämlich die Einstufung dieser vier Personen
als legitime Päpste; Anm. d. Red.) führt zu alternativen
Schlußfolgerungen:
– entweder zur Verurteilung auch der
Päpste Benedikt XV. und Pius XII. - zusammen – mit Paul VI. und
Johannes XXIII. als a-katholisch und ihrem Ausschluß vom Papsttum
– zufolge dieser Bewertung
– oder zu der Auffassung, das Papsttum sei eine rein
(kirchen)politische Institution ohne – göttliche Legitimation -
und nicht u.a. auch Hüterin des Glaubens.
Zu dieser Auffassung muß man gelangen, wenn man sieht, daß die von der
Autorin erhobene Anschuldigung, diese vier Personen, welche alle
beanspruchten, Nachfolger auf dem Stuhl Petri gewesen zu sein, hätten
unorthodoxe Lehrmeinungen eingeführt, von gravierender Bedeutung wäre.
Die erste Annahme läßt sich nicht halten, da hinsichtlich der
Amtsführungen und den Entscheiden von Benedikt XV. und Pius XII. der
Verdacht auf Häresie nicht erhoben wurde (bzw. rechtens auch nicht
erhoben werden kann; Anm. d. Red.). (N.b. die angeblich ”neue Idee“ von
der Kirche als ”mystischer Leib Christi“ ist - entgegen der Auffassung
der Autorin - Teil der Lehre der Kirche, die sich aus den Worten
Christi und den Briefen des hl. Paulus entfalten läßt.) 1)
Die andere Schlußfolgerung würde einer Ableugnung des katholischen Glaubens gleichkommen.
Die Autorin scheint also davon auszugehen, daß der Begriff der Kirche
als ”mystischer Leib Christi“ eine neue ”Terminologie“ darstelle,
welcher den Köpfen derer entstamme, die den Begriff der Kirche ändern
wollten, d.h. eine Terminologie, die gleichsam durch Pius XII. in die
Kirche erst 'hineingeschlüpft' sei. Pius XII. ließ jedoch den Terminus
vom ”mystischen Leib“ nicht in sie 'einschlüpfen', weil aller Augen auf
den Krieg gerichtet waren, sondern umgekehrt: weil aller Augen auf den
Krieg gerichtet waren, versuchte er die Krieg führenden Nationen daran
zu erinnern, daß sie - zumindest was den katholischen Teil betraf - in
der Kirche vereint seien, welche die veränderlichen, nationalen Grenzen
überschreite. Nein, die Autorin beachtete weder die Aussagen des Neuen
Testamentes noch die der Kirchenlehrer noch die Texte anerkannter
Theologen der katholischen Kirche. Daher ist ihre Behauptung, die
Enzyklika ”Mystici Corporis“ sei ein bedeutendes Beispiel für eine
”Veränderung“ gleichbedeutend mit der Behauptung, die Kirche sei
niemals für den ”mystischen Leib Christi“ gehalten worden, sondern - um
die Worte von Ball-Martinez zu gebrauchen - nur für eine ”juristische
und gesellschaftliche“ Einrichtung (vgl. S. 16) oder ”institutionelles“
Gemeinwesen (S. 17). Wenn hier ein großes Beispiel für eine Änderung
bestehen soll, dann nur für die, welche sich die Kirche nur so
vorstellen können, wie sie die Autorin gerade beschrieben hat.
Der hl. Paulus schreibt: ”Ihr aber seid eine Körperschaft Christi,
einzeln seine Glieder“ (1 Kor 12,27) und an einer anderen Stelle:
”Alles hat er Ihm zu Füßen gelegt und hat Ihn zum alles überragenden
Haupt der Kirche gemacht, die Sein Leib ist, die Fülle dessen, der
alles in allen erfüllt” Eph 1, 22 f.). Darauf - auf das Verhältnis
Christi zu Seiner Kirche - spielt der hl. Paulus auch an, wenn er
weiter schreibt: ”Dieses Geheimnis ist groß - ich deute es aber auf
Christus und die Kirche“ (Eph 5,32) - aber nicht deshalb, weil Paulus
die Kirche lediglich für eine unsichtbare Einheit hält, sondern wegen
der Größe dieser Einheit zwischen Christus und der Kirche, der ”Braut
Christi“, für welche er auch die Worte gebraucht: ”Daher sind sie zwei
in einem Fleisch“ (vgl.1 Kor 6,16). In diesem Sinne kann er auch sagen:
”Ihr aber seid der Leib Christi, und Glieder von einem Gliede“ (1 Kor
12,27). Der hl. Augustinus bekundete diesen Sachverhalt mit folgenden
Worten: ”Was die Seele für den menschlichen Leib ist, das ist der
Heilige Geist für Christi Leib, der die Kirche ist.“ (Sermo 267;
4,4) Und so erinnert uns Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika ”Divinum
illud“ von 1897 daran: ”Christus ist das Haupt der Kirche, der Heilige
Geist ihre Seele.“ Papst Pius XII. formt diesen Glauben der Kirche nur
weiter durch, wenn er schreibt: ”Um die wahre Kirche Jesu Christi zu
beschreiben, ist kein Name edler, hervorragender und göttlicher als der
Ausdruck ”Mystischer Leib Jesu Christi“ (Enzyklika ”Mystici Corporis“
von 1943). Folglich ist die Behauptung absurd, der Begriff der Kirche
als ”Mystischer Leib Christi“ - so wie er in ”Mystici Corporis“
konzipiert ist -, weiche von der Lehrtradition der Kirche ab. (N.b.:
Überdies würde die Beurteilung Papst Pius XII. als Abweichler auch eine
Verzerrung der Idee des Papsttums darstellen, wenn man ihn dann
über-haupt noch als Papst akzeptieren könnte.)
Ist es eigentlich erforderlich, eine innere Verbindung zwischen
Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul II. und den Päpsten Pius
XII., Pius XI., Benedikt XV. und dem hl. Pius X. herzustellen? Dieser
Versuch würde das Zerrbild der Häresie, die in den Schriften der
erstgenannten wuchert, aufheben, wenn man behauptete, die letzteren
hätten sie auch akzeptiert, aber nur nicht schriftlich fixiert... so,
als ob legitime Päpste als solche die Kirche in den Irrtum führen
könnten!
Dies wäre nur möglich, wenn wir die Kirche nur als rein
politisch-juridische Institution betrachten würden. In diesem Fall wäre
eine rein politische Abweichung der Führungslinie nach links oder
rechts vorstellbar. Und mir scheint, daß gerade dies die Auffassung der
Autorin ist. Aber dann müssen wir fragen, worin der Unterschied
zwischen einer solchen (verkürzten) Vorstellung der Kirche und jeder
x-beliebigen anderen Einrichtung besteht, die ihre ursprüngliche
Identität behüten, d.i. bewahren will! Wir dürfen nicht vergessen, daß
Frau Ball-Martinez primär eine politische Schriftstellerin ist, welche
die Ereignisse fast ausschließlich aus diesem politischen Blickwinkel
wahrnimmt. 2) Ihr unzureichendes theologische Verständnis führt sie auf
Abwege; denn sie stellt sich die Kirche als eine Institution vor, die
Führer (d.s. Päpste) hat, die auch alles andere als rechtgläubig sein
können. Weil sie nämlich als Führer (d.i. als Päpste) gewählt sind,
müssen wir sie auch als (legitime) Führer (Päpste) akzeptieren, so
lange sie den rein gesetzlichen Formalitäten entsprechen. So kann z.B.
– nach der Autorin, Frau Ball-Martinez – die von den Modernisten
während des II. Vati-kanums umgestaltete 'Konzils-Kirche' den wahren
katholischen Glauben und die katholische Moral-lehre verändern bzw.
verfälschen, Gesetze und Glaubenssätze aufheben und dennoch orthodox
blei-ben. Und wie die Priester der Pharisäer z.Zt. Christi, die
beanspruchten, als Söhne Abrahams gerechtfertigt zu sein, nämlich als
Gottes auserwähltes Volk, so meinen jetzt sog. 'Katholiken', die dem
'Buchstaben des Gesetzes' zu folgen scheinen, durch die Mitgliedschaft
in einer kirchlichen Institution gerettet zu sein. Die neuen 'Zeloten'
mögen 'liberale' Ideen mittels zivilen (kirchlichen?) Ungehorsams
propagieren wie in einer politischen Gemeinschaft, während die
Opposition an der Macht ist, und sie erwarten die erträumte 'Utopie',
wenn ihre politischen Ideen wieder die akzeptierten Normen sein werden.
Wäre dies in der Tat aber die katholische Kirche?
Dieser Rufmord, insbesondere gegenüber der Person Pius XII. setzt sich
fort in Ball-Martinez Anschuldigung, dieser Papst habe zugegeben, Karl
Barth, ein protestantischer Theologe (der u.a. die Wundertaten Christi
leugnet, Anm.d.Red.) sei sein Lieblingsautor gewesen (S. 18). Weiterhin
behauptet sie - ohne Angabe von Quellen! -, das von Johannes XXIII.
einberufene II. Vatikanum sei - so wie es abgelaufen sei - eigentlich
von Pius XII. vorbereitet worden (S. 20).
Wie oben bereits nachgewiesen, werden seine Dekrete falsch
interpretiert - sei es das Nüchternheitsgebot, die reformierte Liturgie
der Karwoche, der überarbeitete Psalter als auch seine Schriften -, um
ihn so in die Ecke unheilbringender Intriganten stellen zu können. Ich
bin jedoch davon überzeugt, daß man, wenn man selbst die Enzykliken und
Dekrete unvoreingenommen liest, jenen Pius XII., den uns die Autorin
präsentieren möchte, darin nicht finden wird, sondern einen ganz
anderen! Machen wir uns bewußt, daß eine Opposition gegen die Reformen
Pius XII. oder deren Ablehnung einer Kritik an den Beschlüssen
des Konzils von Trient gleichkäme... jenen Dekreten, die viele
Modernisten für Abweichungen von früheren kirchlichen Entscheidungen
halten.
Weiterhin erscheint die These der Autorin (S. 22), Pius XII. habe
Montini als seinen Erben auf dem päpstlichen Thron auserkoren, allein
schon aus dem Grund unglaubhaft, da er diesem die Würde des Kardinalats
verweigerte, d.i. die Aufnahme in ein Kolleg, das zumindest seit dem
11. Jahrhundert den jeweiligen Papst wählte. Vielmehr war es Kardinal
Siri, den Pius XII. als seinen Nachfolger favorisierte. Was nun
schließlich die Behauptung der Autorin betrifft, jede Änderung in der
Lehre oder Praxis sei immer von der höchsten Stelle, d.i. vom Papst
selbst vorab gedeckt wor-den (S. 23) oder hätte dessen Zustimmung
besessen, so bedarf dieser Passus einer weiteren Klärung! Frau
Ball-Martinez versucht ihren Lesern einzureden, daß Pius XII. die
'Experimente', die zum Ende seiner Regierungszeit in Usus kamen, in der
Tat noch billigte. Das ist eine reine Unter-stellung! Die sog.
'Experimente' stehen in diametralem Gegensatz zu dem, was Pius XII.
verkündet und was die Kirche in ihren Dekreten bereits verurteilt
hatte! Vielmehr geschah es erst im Verlauf des II. Vatikanums, daß das,
was zunächst heimlich an verschiedenen Orten ohne Billigung bereits in
der Praxis experimentiert wurde, von der neuen Hierarchie nun erst
öffentlich gutgeheißen und für den allgemeinen Gebrauch freigegeben
wurde: die Hierarchen, welche die Änderungen und Verfälschungen in der
Lehre und/oder der Praxis promulgierten, waren somit Johannes XXIII.,
Paul VI. und Johannes Paul II. - und nicht Pius XII.! Man sollte nicht
so 'kausalistisch' denken und die Schuld eines 'modernistischen'
Bischofs auf seinen Konsekrator laden, da sonst Unser Herr an den Taten
Judas mitschuldig wäre, den Er doch ausgewählt hatte. Im konkreten
Alltag ist ein Papst nicht frei von menschlicher Begrenztheit und
demzufolge können von ihm auch untaugliche Kandidaten für Ämter und für
richterliche Bereiche bestimmt werden. Die Geschichte liefert uns dafür
genügend dokumentierte Beispiele. Die Unfehlbarkeit eines Papstes
bezieht sich nur auf den Glauben und die Sitte. Sie betrifft den Papst
in der Ausübung seines Amtes als oberster Hirte und Hüter des Glaubens
3)
Abschließend läßt sich zu dem Buch sagen: auch wenn hier nicht alle
erhobenen verschiedenartigen Anschuldigungen und Anklagen gegen
Benedikt XV. und Pius XII. Punkt für Punkt behandelt werden, die von
der Autorin unbewiesen einfach erhoben werden, (und deshalb in gleicher
Weise wieder zurückgewiesen werden könnten!), so führt doch die von
Frau Ball-Martinez angenomme politische Verschwörung - die sie ihren
Lesern verkaufen möchte, in der Konsequenz zu einer Ablehnung des
Papsttums, so wie es die Kirche lehrt. Zugleich bedeutete ihre An-nahme
die Außerkraftsetzung der Verfassung der Kirche, wie sie in ihrem
Selbstverständnis von ihr gelehrt wird. Konsequenterweise gäbe es dann
auch nur 'politische' Lösungen der Krise, in der wir uns als
katholische Christen befinden, wenn wir jene als Autoritäten im Vatikan
- nach den Vorstellungen der Autorin! - anerkennen sollten, die jetzt
Glieder einer 'Kirche' sind, welche mit der wahren Kirche, die Christus
auf Seine Apostel gründete, nichts zu tun hat.
Anmerkungen:
1) Man könnte einwenden, daß der Terminus ”mystisch“ vor ”Leib Christi“
in der Heiligen Schrift so nicht zu finden sei. Indessen wurde er von
den Theologen und auch der Kirche gebraucht, um den Leib Christi sowohl
von einem rein menschlichen zu unterscheiden als auch um ihn nicht zu
verwechseln mit dem menschlichen Leib Christi, den er annahm, als ”das
Wort Fleisch“ geworden war (vgl. Franzelin: "De ecclesia Christi" Rom
1887).
2) Ball-Martinez, deren Arbeiten der Redaktion gelegentlich vorlagen,
verwendet in ihren Darstellungen keine oder nur peripher
theologisch-dogmatische Argumente, um einen bestimmten Sachverhalt in
der nach-'konziliaren' Entwicklung zu kennzeichnen. Sie argumentiert
primär von einem politisch-historischen Kirchenverständnis her, ohne
die konstitutiven Momente zu berücksichtigen. In ähnlicher Weise hat
das auch Reinhard Raffalt ("Wohin steuert der Vatikan?" München 1973)
getan, der sich damit jeder eigentlichen Stellungnahme zum
nach-konziliaren Niedergang entzogen hat.
3) Man vgl. dazu auch meinen Artikel "Was bedeutet die Unzerstörbarkeit
der katholischen Kirche?" in: EINSICHT 23. Jahrg. Nr. 5,
Febr. 1994, S. 117-121. |