Auf den Höhen des Geistes
Gespräche eines russischen Mönches über das Jesus-Gebet
S. N. Bolsakov
übers. von P. Bonifaz Tittel OSB, Wien 1976
7. Fortsetzung:
11. Vater Michail, Panteleimonklostsr auf dem Athos
1951 traf ich auf dem Athos Vater Michail. Er war Gastmeister des
Panteleimonklosters, ein hochgewachsener Mann, herzlich und gütig und
hatte in seinem hohen Alter noch ein äußerst gutes Gedächtnis. Er war
1896 auf den Athos gekommen und erzählte gerne, wie er auf dem Weg zum
Athos in Moskau der Krönung des Zaren Nikolaus II.
beiwohnte.
Einmal saß ich in meinem Zimmer, dessen Wände mit den Bildern des Zaren
Alexanders II. und seiner Gemahlin sowie des Moskauer Metropoliten
Filaret geschmückt waren. Die Fenster und die Türe auf den Balkon hatte
ich geöffnet, um die herrliche Morgensonne hereinzulassen. Unten lagen
die Gebäude des Klosters, Kirche und Gärten, umgeben von Bergen und
strahlend blauem Himmel. Ich saß gerade beim Fenster und las ein
Manuskript, das ich in der an Handschriften so reichen Bibliothek
gefunden hatte. Es waren die 'Aufrichtigen Erzählungen eines Pilgers.'
(...)
Es klopfte an der Tür und herein trat Vater Michail. "Ich habe Wassilij
gesagt, er soll Ihnen Tee mit Brot und Fleisch bringen, stärken Sie
sich."
"Sie kümmern sich sehr um mich, Vater Michail, ich schäme mich schon fast."
"Warum sollte ich mich um einen so seltenen Gast nicht kümmern? Heute
kommen Russen nur mehr sehr selten zu uns, nicht so wie früher. Es
kommen wohl immer mehr Touristen, Katholiken und Protestanten, doch die
meisten sind nur neugierig, ohne Glauben. Sie wollen nur einen Blick
herein werfen und ziehen von Kloster zu Kloster. Sie beschäftigen sich
da mit einer Handschrift? Schauen Sie nur, wie schön sie geschrieben
ist, auf Russisch."
"Wissen Sie, Vater Michail, das ist das Original der 'Aufrichtigen
Erzählungen eines Pilgers'. Zweifellos war der Pilger auf dem Athos und
schrieb hier seine Erlebnisse für seinen geistlichen Führer,
Priestermönch Ieroni Ieronim Solomenzev, auf. Als der Archimandrit aus
Kasan diese Handschrift als Buch herausgab, hat er nicht wenig aus ihr
gestrichen. Unter anderem fehlen zwei vollständige Geschichten."
"Da schau her! Warum hat er sie wohl gestrichen?"
"Die kleinen Auslassungen sind verständlich. Dort urteilt der Pilger
hart über die Leute der Theologischen Akademie, an der die Priester
ausgebildet werden. Solche liberale Gedanken hätten wohl der Hierarchie
nicht gefallen, und Schwierigkeiten wird der Kasaner Archimandrit auch
nicht gewünscht haben. Der Pilger kritisiert scharf die erstarrte
Scholastik, die damals gelehrt wurde. Zwei Erzählungen hat der
Archimandrit vermutlich deshalb ausgelassen, weil er gedacht hat, sie
könnten Leser aus dem Mönchsstand verstimmen. Schließlich ist die Er
zählung von einem Laien niedergeschrieben worden und war nur für seinen
geistlichen Vater bestimmt."
"Was steht denn in diesen Geschichten?"
"In der ersten Geschichte, sie ist eigentlich der Anfang des Buches,
wird erzählt, wie der Pilger in einer obskuren Herberge übernachtete.
Mitten in der Nacht fährt eine Troika mit einem betrunkenen Kutscher
gegen das Haus und zertrümmert das Fenster, bei dem er schlief. In der
Handschrift steht nun, daß zum Pilger die Herbergswirtin mit der
Absicht der Frau des Potiphar schlich, als er sich niedergelegt hatte.
Durch ihre Liebkosungen erwachte in ihm die Lüsternheit und das sonst
andauernde Gebet begann zu verstummen. Vermutlich wäre der Pilger in
die Sünde gefallen, wäre nicht diese Troika gekommen. Die Frau übrigens
erlitt dadurch einen solchen Schock, daß sie erkrankte. Durch die
Gebete des Pilgers wurde sie geheilt."
"Ja, es ist schon eine große Sache, das Jesus-Gebet, Sergeij
Nikolaevic," bemerkte Vater Michail, "es rettet wirklich aus Tod und
Schande. Es ist wirklich so, wenn die unzüchtige Leidenschaft
aufsteigt, dann wird sie durch das selbsttätige Jesus-Gebet abgekürzt.
Dann ist Kraft schon von Nöten!"
"Aber warum beschäftigen sich dann eigentlich Verheiratete fast nicht
mit diesem Gebet. Wohin führt das?" fragte ich.
"Vergleichen Sie doch selbst! Eine Sache ist die gesetzmäßige,
gesegnete Ehe, eine ganz andere die unzüchtige Gier, die beim Pilger
zur fremden Frau erwachte. Daraus entstehen Unzucht und Ehebruch.
Natürlich dachte der Vater Archimandrit, daß jemand, der sich in diesen
Dingen noch nicht richtig auskennt, leicht verführt werden kann. Sie
wissen doch, was denen geschieht, die die Kleinen verführen? Besser
wäre es für diese Menschen, sie wären nicht geboren! Der Teufel ist ein
Lügner. Jedes Mittel ist ihm recht, damit er an sein Ziel kommt. Er
kann uns auch durch dieses große Gebet umbringen, wenn wir keine Demut
haben. Haben Sie verstanden? Es ist schon lange, lange her, 1896 war's,
als ich auf den Athos kam. Ich sah mit meinen eigenen Augen Vater
Stratonik, der großen Einfluß auf Vater Siluan ausübte, über den Vater
Ilarion in seinem Buch 'Auf den Bergen des Kaukasus' schrieb. Er lebte
dort als Einsiedler. Das Buch ist gut, zwei Auflagen wurden gedruckt,
es passierte die Zensur. Nun, der Autor, Vater Ilarion ist kein
Akademiker, vielleicht hat er manches unklar ausgedrückt, aber er war
rechtgläubig. Das Buch fiel zwei gelehrten Adeligen in die Hände, Vater
Antonij Bulatovic aus dem Andrejevskij Kloster und Vater Alexij
Kirejevskij aus unserem Kloster. Sie begannen zu streiten. Einer hielt
das Buch für den Gipfel der Weisheit und Rechtgläubig-keit, der andere
für ganz häretisch. Durch ihre Streitigkeiten verwirrten sie nicht
wenige einfache Mönche und es entstand ein Tumult. Hunderte russische
Mönche schickte man vom Athos fort, dann kam noch der Krieg und der
russische Athos begann langsam zu sterben. Wo hat das ganze hingeführt?
Die Alten blieben, junge gibt es keine mehr. Hätten sich Vater Antonij
und Alexij wirklich mit dem Jesus-Gebet beschäftigt, wie es sich
gehörte, in der Demut des Herzens, dann hätten sie nicht einen so
großen Streit entfacht. Was kann das schon für ein Gebet sein, wenn
einer den ande-ren mit gemeinsten Ausdrücken beschimpft? Wer stolz,
ungeduldig und herrschsüchtig ist, der soll sich mit dem Jesus-Gebet
nicht beschäftigen. Er sündigt beim Beten ja die ganze Zeit, wenn er
nicht bereut. Dann wird dieses Gebet ihm selbst zum
Gericht."
"Kann man es eigentlich einem Menschen ansehen, ob er richtig betet, Vater Michail?"
"Ja, sehr leicht. Er bricht über niemanden den Stab. Vom Archimandriten
Isaakij aus Optina erzählt man, daß er aufmerksam den Mönchen zuhörte,
wenn sie kamen und sich übereinander beschwerten und dann sagte: 'Da
schau einmal, so ein böses Wort hat er gesagt und geschlagen hat er
Dich auch noch - so etwas kann man nicht durchgehen lassen!' - Am
Schluß seiner Rede sagte er: 'Geh´ auch Du zu Deinem Beleidiger und
bitte ihn um Verzeihung.' - 'Ja aber der hat mich doch beleidigt und
geschlagen!' - 'Christus sagt aber doch, wenn Dich jemand auf die eine
Backe schlägt, halte ihm die andere hin, und Du willst Dich abwenden.
Umsonst hat er Dich nicht beleidigt. Denke Du einmal nach, bis wohin
auch Du einen Menschen getrieben hast. Geh, und bitte ihn darum um
Verzeihung.' Vater Isaakij hat selbst niemanden verurteilt, Vater
Antonij und Alexij haben nicht so gehandelt und ein schlechtes Ende
genommen. Bleib immer im Frieden, Sergej, und Du wirst gerettet
werden."
(Das Buch kann bestellt werden im Verlag von Frau Dr. Herta Ranner, A-1070 Wien, Zeismannsbrunngasse 1)
***
Ãœber den hl. Don Bosco
Fragte man ihn, woher sein Erfolg stamme, so mochte er neben der
Liebensbemühung gerne auf die Mittel der katholischen Religion
hinweisen: Meßopfer, Kommunion, Beicht. (...) Nun ist es aber Sitte, in
allen Anstalten, Internaten und Instituten katholischen
Bekenntnisses, sehr ausgiebig von diesen Mitteln Gebrauch zu
machen.(...) Boscos religiöser Erfolg hat sich aber in betrüblicher
Weise nicht eingestellt. Im Gegenteil machten sich Übersättigung und
Überdruß, teils auch skeptisch kritischer Stimmung bemerkbar. - Wie mag
es zu dieser religiösen Degoutierung kommen? Hat man sich Begnadung
vielleicht allzusehr als physiko-automatischen Vorgang gedacht, der man
mit trockener Belehrung jederzeit den Weg bereiten kann? Begnadung ist
mit quantitativ operierender Sakramentspraxis nicht zu vollziehen. Sie
ist einmal Gottes Sache. (...) Ein Kind nimmt seine, gewöhnlich für das
ganze Leben entscheidenden religiösen Eindrücke in der Familie auf.
(...) Daß aber ein höchst werthaltiger, ein höchst geliebter Mensch,
von dessen Neigung das Kind lebt, als ein religiös Ergriffener
erscheint, so Gottes Wirklichkeit im subjektiv wertigsten Menschen
aufleuchtet, (...) das bewirkt in der Seele des Kindes das
unauslöschliche Stigma des Religiösen. In dermaßen affizierter Seele
ist der Grund für jene feinste Entscheidung Gott gegenüber gelegt, nun
vermag das, Sakramentum ex opere operatum zu wirken, die innere Quelle
ist entsiegelt, Gott wird durch den geliebten Menschen erfahren, so daß
die Liebe überspringen kann auf ein Objekt, das nirgends
gegenständlicher erlebt wird als nur im Bilde des religiös ergriffenen
und zugleich geliebten Menschen. Welche Mutter aber wäre so ergriffen
vom Göttlichen wie Bosco, der Heilige? So wird er, der alle von Buben
heiß begehrte Qualitäten verkörpert, zum Medium, in dem Gott für Buben
erfabrbar gemacht ist. (aus: Dilger, Franz: "Giovanni Bosco" Olten
1946, S. 136 f.) |