1. OSTERN 1979*) 2. Die Papstwahl von 1903 3. Das Ende Luthers 4. WAHLHILFE BESONDERER ART - 5. WARNING REGARDING A SUPPOSED BISHOP 6. Nachruf auf Herrn Jean André Perlant 7. DER HL. KONRAD VON PARZHAM 8. ÜBER DAS GEBET 9. FÜR DEN GEGENWÄRTIGEN AUGENBLICK 10. Der hl. Ignatius von Antiochien 11. NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN 12. MITTEILUNGEN DER REDAKTION
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Das Ende Luthers |
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Das Ende Luthers
von E.C.
übers. von Eugen Golla
(aus "Societe Augustin Barruel" Nr.21, Mai 1992)
Vorwort der Redaktion:
Bereits vor gut sechs Jahren, als sich im Zuge der 400-Jahrfeier von
Luthers Tod auf Seiten der Reform-'Kirche' die Versuche nur so
überschlugen, Luther als rechtgläubigen Theologen zu rehabilitieren,
haben wir eine Studie des Kölner Psychologen und Theologen Albert Mock
("Abschied von Luther - Psychologische und theologische Reflexionen zum
Lutherjahr" - Köln 1985) besprochen, worin dieser den Nachweis führte,
daß Luthers Klostereintritt nicht das geringste mit einer tatsächlichen
Berufung zu tun hatte - nach dem Willen seines Vaters soltte er
Rechtswissenschaften studieren -, sondern daß er ursächlich mit dem
Mord an seinem Freund Buntz zusammenhing, den er im Streit erstochen
hatte, weswegen er, um der Strafverfolgung zu entgehen, Unterschlupf im
Kloster xx suchte und fand. Die Belege für diese Behauptung waren mit
historischer Akkribie zusammengestellt und die Vorgänge selbst mit
psychologischem Einfühlungsvermögen nachkonstruiert worden. (Vgl.
EINSICHT XVII/4 vom Dezember 1987, S. 110-112.) Diese Untersuchungen zu
Luthers Person werden im folgenden Beitrag weitergeführt. Darin
analysiert der Autor E.C. die Studie von Roland Dalbiez, einem
Psychoanalytiker aus der Schule Freuds, über "die Angst Luthers" (die
bei diesem zum Selbstmord geführt hatten). Das Interesse von E.C. ist
es zu zeigen, daß mit den Freudschen Kriterien der Psychoanalyse die
besonderen Umstände, die Luther in den Selbsmord trieben, nicht adäquat
beurteilbar seien und daß die Tat Luthers nur dadurch verständlich
wird, wenn man die moralischen Kategorien von Schuld, elementarer Angst
vor der Verdammnis und absoluter Verzweiflung anwendet und sie nach
diesen Kriterien bewertet.
E. Heller
***
Martin Luther hatte sein Studium der Rechtswissenschaften am 20. Mai
1505 an der Universität Erfurt begonnen. Leider traf er nach einiger
Zeit seinen Freund Hieronymus Buntz. Es kam zum Streit und zum Duell,
in welchem Luther seinen Gefährten tötete. Im Juni desselben Jahres
begab sich Luther - beunruhigt über die Folgen dieses Mordes - zu
seinem Protektor und Freund Johannes Braun, einem Kollegiats-Vikar in
Eisenach, um ihn um Rat zu fragen. Dieser empfahl ihm, in ein Kloster
einzutreten, um den gerichtlichen Folgen der Affäre zu entgehen. So
trat Luther am 17. Juli 1505 in das Kloster der Augustiner-Eremiten in
Erfurt ein. Er kam so in den Genuß des Asylrechtes, das damals von der
weltlichen Gerichtsbarkeit anerkannt wurde. Seine erste, von ihm selbst
herausgegebene Abhandlung trägt bezeichnenderweise den Titel "De his
qui ad ecclesiam confugiunt tam judicibus secularibus quam Ecclesiae
Rectoribus et Monasteriorum Praelatis perutilis" ("Über die, welche in
der Kirche Zuflucht nehmen; sehr brauchbar für weltliche Richter als
auch für Leiter einer Kirche und Prälaten von Klöstern"). Sie erschien
1517 zunächst anonym, in einer neuen Auflage aber unter Luthers Namen.
In dieser Schrift wird daran erinnert, daß jemand gemäß dem Gesetz des
Moses nicht schuldig sei, wenn er irrtümlich oder unüberlegt jemand
getötet hat, ohne sein Feind zu sein. Im Kloster fand Luther jedoch
seinen Seelenfrieden nicht. Seine mehr als nur zweifelhafte 'Berufung'
war ja nicht der Liebe zu Gebet und Einsamkeit entsprungen, sondern die
Furcht vor der Rechtsstrafe gewesen.
Durch sein ererbtes Temperament - unterstützt noch durch die Erziehung
in seiner Familie - neigte Martin Luthers Charakter zu
impulsiver, unkontrollierter, ja blinder Gewalttätigkeit. Auf Grund
geringster Anlässe handelte er spontan, ohne lange zu überlegen.
Zugleich war er ein skrupulöser Mensch, der noch lange nach einer
solchen blinden Aktion über den Irrtum oder Fehler nachdachte, den er
bei einiger Überlegung hätte vermeiden können. Solche Veranlagung zur
Skrupulosität - man findet sie häfig an - steigert sich aber
normalerweise zu solch einer Panik, die zum Selbstmord treiben könnte.
Ein während eines Streites verübter Totschlag, der mehr zufällig als
vorausgeplant war, hätte niemals diese Krise hervorrrufen können, die
sich im Laufe des Lebens bis hin zum Selbstmord hätte steigern können.
Dafür muß es noch andere Gründe geben.
Ein der Freudschen Schule zugehöriger Psychoanalytiker, Roland Dalbiez,
veröffentlichte unlängst eine Studie über "die Angst Luthers", in
welcher er eine sehr seltsame These aufstellt. Er schreibt Luther "eine
sehr schwere Angstneurose zu, eine so schwere, daß man sich fragen muß,
ob es sich um eine solche handelt, die im Grenzbereich zwischen der
Neurose, dem selbstmörderischen Raptus einerseits, oder dem
teleologischen antiselbstmörderischen Auomatismus andererseits liegt."
(Dalbiez entscheidet sich schließlich für keine der beiden Lösungen und
verweist auf das Unterbewußte, das sich ihm so zwanghaft präsentiere.)
Um der Stimme seines Gewissens zu entfliehen, um das in ihm
aufsteigende Grauen zu ersticken, nahm Luther zunächst Zuflucht zu
einer These, die fälschlich dem hl. Augustinus zugeschrieben wird: über
die Rechtfertigung durch den Glauben allein, ohne Werke, mittels der
Gnade des Opfers Christi, der die Sünden der Menschen auf sich nahm.
Luther hat diese These so ausformuliert: "Man muß auf Christus blicken,
damit du, sobald du sehen wirt, daß deine Sünden nachgelassen sind, vor
deinen Sünden, dem Tode und der Hölle in Sicherheit sein wirst. Daher
wirst du sagen: 'Meine Sünden sind nicht meine, denn sie sind nicht in
mir, sie sind in einem anderen, nämlich in Christus, folglich können
sie mir nicht schaden.' Tatsächlich ist die äußerste Anstrengung
erforderlich, um sich dieser Dinge mittels des Glaubens zu bemächtigen
und sie zu glauben, so daß man sagen kann: Ich sündige und ich sündige
nicht, damit das Gewissen besiegt werde, dieser überaus mächtige
Herrscher, der so oft die Menschheit in die Verzweiflung fortriß, die
sie zum Messer oder zum Strick greifen ließ.' Bekannt ist das Beispiel
von diesem Menschen, der in Versuchung fiel, aber vor seinem Gewissen
sagte: 'Ich habe nicht gesündigt.' In der Tat vermag das Gewissen nur
dann ruhig zu sein, wenn die Sünden seinem Blickfeld entzogen sind. Sie
müssen folglich dem Blickfeld so entzogen sein, daß du weder auf deine
Tat, noch dein Leben, noch dein Gewissen, sondern nur auf Christus
blickst." (In Esaiam prophetam" scholia, Kap. 53.)
Dalbiez behauptet, mit diesem Text beweisen zu können, daß Luther
versucht hatte, der Angst mittels dem, was er einen "teleologischen
anti-selbstmörderischen Automatismus" nennt, zu entfliehen. Wir können
diesen Text immer wieder lesen..., einen Automatismus finden wir in ihm
nicht, sondern eine ganz und gar sophistische Schlußfolgerung: die
Ablehnung der Wahrheit, die direkt ins Auge springt: Ich habe
gesündigt, will das aber nicht wahrhaben. Es ist die äußerste
Anstrengung (maximus labor) erforderlich, um das Gegenteil von dem zu
behaupten, was man als wahr erkannt hatte. Dies ist eine Art, sich in
Lügen zu verstricken und sich nach Belieben etwas einzureden, um sich
als frei von jedem Fehler und Irrtum bewundern zu können bzw. zu
lassen. Aber das Gewissen bleibt unabänderlich das gleiche, wie das
Auge, das Kain aus dem Grabe, das er sich selbst grub, anblickte.
Dieses in unserer Seele festhaftende Gewissen ist nichts anderes als
die Stimme Gottes, der Vernunft. Übrigens erkannte auch Dalbiez an, daß
Luthers "Beitritt zur Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben
allein, ihn nicht ganz befriedigte. Kurz, man kann sagen, daß er
niemals imstande war, unbedingt an ihr festzuhalten."
Wenn Luther sich sein eigenes religiöses und moralisches System
fabrizierte, wußte er dennoch sehr wohl, daß es ein Trugbild war, dem
er nicht in allem beizupflichten vermochte. Dies signalisiert die
Haltung eines Kindes, das errötend zu seiner Mutter sagt: "Das war ich
nicht!"... voll Unruhe, ob seine Lüge auch "ankommen" wird.
Diese Abneigung gegen die Stimme des Gewissen kann nicht nur
menschlichen Ursprungs gewesen sein. Sie setzt wahrscheinlich eine
dämonische Versuchung voraus. Der Teufel weiß sehr wohl, daß er Herr
über die Seele eines Menschen gewinnen kann, wenn sich dieser gegen die
vernünftige Stimme des Gewissens auflehnt.
Dalbiez fährt fort: "Man muß es [d.i. das Gewissen] ununterbrochen
bekämpfen, denn es droht immer, sich an die Verzweiflung anzulehnen, um
den Menschen zu zwingen, sich die Kehle durchzuschneiden oder sich
aufzuhängen." [Das ist ein Irrtum!] Die Drohung kommt nicht vom
Gewissen, sondern durch eine ablehnende Haltung gegenüber seiner
Mahnung: "Für jede Sünde Barmherzigkeit. Ein eingestandener Fehler ist
schon halb verziehen." Die Gewissensruhe folgt dem Akt des
Eingeständnisses [und der Wiedergutmachung]. Leugnet man aber vor sich
selbst, schuldig zu sein, hüllt man sich in einen widersinnigen Stolz
ein. Die nicht eingestandene und folglich nicht gesühnte Schuld
verfolgt uns unausweichlich. Sie wird quasi zur fixen Idee, dann der
Ursprung einer Neurose, die in Selbstmord enden kann, nur weil man der
Stimme des Gewissens, d.h. dem Blick Gottes entfliehen will.
Verfolgen wir nun den Weg in den Abgrund, den Luthers Leben darstellt.
Wir bsitzen über seine Angstneurosen das Zeugnis Melanch´tons: "Wenn er
konzentriert an Gottes Zorn dachte oder an Beispiele des göttlichen
Strafgerichtes, wurde er plötzlich von einem solchen Schrecken
ergriffen, daß er beinahe sein Bewußtsein verlor. Ich selbst sah ihn
anläßlich der Teilnahme an einer Gelehrten-Disputation - bestürzt über
deren Ausgang -, wie er sich auf ein Bett im benachbarten Zimmer
hinstreckte, wobei er unter Stöhnen folgenden Spruch ausstieß, den er
oft wiederholte: "Gott schloß alle Menschen in die Sünde ein, um sich
ihrer zu erbarmen." Aber die Menschen sind nicht in der Sünde
eingeschlossen, befangen! Sie sind im Besitz der Freiheit, die
Versuchung von sich zu weisen. Sie sind nicht die 'Gefangenen' ihres
"freien Willens", wie Luther behauptete.
Cochlaeus erzählt uns von einer Krise, in die Luther fiel, als er noch
Mönch war. Als er beim Chorgebet aus der Lesung über Besessenen nach
dem Markus-Evangelium vortrug, stürzte er plötzlich mit einem Schrei zu
Boden: "Das bin ich nicht, das bin ich nicht!"
In einem Fragment der "Tischreden" wird von einem Gespräch Luthers mit
dem Pastor Leonhardt von Guben berichtet, welches im Jahre 1515
stattgefunden hat: "Er [d.i. Leonhardt] erzählte uns, daß ihn während
seiner Gefangenschaft der Teufel schlimm gequält habe und herzlich
lachte. Als er ein Messer in die Hand nahm, sagte er ihm noch: 'Gut,
töte dich!' Oft habe er auch ein Messer weit wegwerfen müssen. Ebenso,
wenn er auf dem Boden einen Bindfaden liegen sah, hob er ihn auf und
drehte ihn zu einem Strick zusammen, an dem man sich aufhängen konnte.
Ebenso habe ihn der Teufel soweit gebracht, daß er nicht mehr fähig
gewesen sei, das 'Vater Unser' herzusagen, noch die Psalmen zu lesen,
die ihm doch so bekannt gewesen wären." Da erwiderte ihm der Doktor
Luther: "Dasselbe stieß mir auch oft zu, indem mir, sobald ich ein
Messer in die Hand nahm, sogleich üble Gedanken kamen, so daß ich
außerstande war zu beten, und der Teufel mich dann aus dem Zimmer
schleuderte."
Dalbiez folgert daraus , es sei unmöglich zu bestreiten, daß Luther von
der Idee, Selbstmord zu begehen, gepeinigt wurde. Er schreibt:
"Dadurch, daß der freie Wille vernichtet gewesen sei, handele es sich
aber nicht mehr um eine Versuchung, sondern um einen krankhaften
Impuls." Die Behauptung, daß der freie Wille "vernichtet gewesen sei",
ist gleichbedeutend mit der Behauptung, die Gnade Gottes vermöge keinen
Sünder zu retten, da sich diese Gnade immer an unsere Freiheit wendet.
(...)
Gehen wir in unseren Recherchen weiter. Luther blieb bis zu seinem Tod
Professor für Exeges in Wittenberg. Unter seinen Studenten befand sich
sein Lieblingsschüler Hieronymus Weller. Er war gleichfalls von der
Melancholie befallen, versunken in eine krankhafte Traurigkeit, von der
er sich schwer lösen konnte. Luther gab ihm folgende Ratschläge:
"Jedesmal, wenn dich der Dämon mittels dieser traurigen Gedanken quälen
wird, suche sofort die Gemeinschaft von deinesgleichen auf oder beginne
zu trinken oder zu spielen, ergeh dich in Scherzen, suche dich zu
zerstreuen. Manchmal muß man sogar eine Sünde begehen - aus Haß und
Verachtung des Teufels, im ihm so keine Gelegenheit zu geben, uns für
nichts Skrupel zu schaffen. (...) Glaubst du etwa, daß ich aus einem
anderen Grund weniger Wasser trinke, mich immer weniger in meinen
Worten zurückhalte und immer mehr leckere Speisen liebe? Hierdurch will
auch ich den Teufel foppen und quälen, ihn, der sich vorbereitet, mich
zu quälen und zu verspotten! O, daß ich doch schließlich einige 'gute'
Sünden fände, um den Teufel zu prellen, um es ihm begreiflich zu
machen, daß ich keine Sünde anerkennen und daß mein Gewissen mir keine
vorwirft! Wir müssen völlig den gesamten Dekalog aus unserem Blickfeld
enternen, wir, die der Teufel so angreift und so peinigt." In einem
Kommentar zum Galater-Brief - erschienen 1535 - fragte Luther, wie das
Gesetz aufgehoben worden sei. Wir wissen sehr wohl, daß es sich um das
mosaische Gesetz handelt. Hier seine Antwort: "Es war ganz und gar -
ohne jede Einschränkung - von der Art, daß es den Gläubigen weder
anklagen noch quälen kann, eine Lehre von höchster Wichtigkeit, die von
den Dächern verkündet werden müßte, bringt sie doch gewissen Trost, vor
allem in den Stunden, wo uns das Entsetzen packt. Ich sagte es oft und
wiederhole es nochmals, denn man kann niemals genug sagen: der Christ,
welcher durch den Glauben die Wohltat Christi ergreift, steht über
allen Gesetzen, er ist frei von allen Verpflichtungen anstelle des
Gesetzes. (...) Wenn Thomas [der hl. Thomas v.A.] und die anderen
Theologen der Schulen vom Gesetze Mosis sprechen, sagen sie, daß damit
gerichtliche und zeremonielle Gesetze der Juden gemeint sind, die
aufgehoben wurden, aber daß dies nicht für die Moralgesetze gilt [d.i.
der Dekalog]. Sie wissen nicht, was sie sagen."
Wie wir sehen, gibt es bei Luther zwei Aussagen, die sich scheinbar
widersprechen, die sich aber in Wirklichkeit sehr gut ergänzen. Auf der
einen Seite behauptet er, der Mensch sei in die Sünde eingeschlossen,
er vermöge seinem Gewissen nur mittels der Rückübertragung der Sünde
auf Christus zu entkommen. Ein Eingeständnis der menschlichen Ohnmacht
im Hinblick auf das Heil, eine Verneinung des freien Willens.
In einer zweiten Entwicklungsperiode verlangt er die Befreiung von den
Gesetzen der Moral, d.h. er lehnt damit die von Gott aufgegebene und in
unsere Natur eingeschriebene natürliche Wertordnung ab... eine
Ablehnung jedes durch das Gewissen ausgesprochenen Gebotes der
Vernunft. Er will so imstande sein, sich von den unvernünftigen und
zügellosen Leidenschaften mireißen zu lassen und zugleich die Vorwürfe
des Gewissens mit Lügen und Sophismen, die ihn jedoch nicht mehr weiter
täuschen können, in sich ersticken. Das ist die Quadratur des Kreises.
Es bleibt nur noch die endgültige Verzweiflung, aus der es dann kein
Entrinnen mehr gibt.
Eines Tages, einige Zeit vor seinem Tode, saß Luther an einem schönen
Sommerabend auf einer einsamen Bank hinten in seinem Garten in
Wittenberg. Seine Frau, Katharina Bora, kam zu ihm. Er war in eine
traurige Stille versunken. Seine Gedanken waren zum Himmel gerichtet.
Plötzlich schrie er auf: "O schöner Himmel, niemals werde ich dich
sehen!" Die unglückliche Katharina Bora, erschreckt von dem, was sie
gerade gehört hatte, stand auf und näherte sich ihm: "Wenn wir nun
später dorthin zurückkehren?" - "Nein", erwiderte Luther, "unnötig
daran zu denken!" - "Weshalb denn?" - "Weil das Fleisch zu tief in den
Schmutz trat." Um dem Anblick des Himmels zu entgehen, der seiner Seele
so viele Gewissenspein zufügte, erhob sich der Unglückliche und schloß
sich in seiner Wohnung ein.
Es war quälender Wahnsinn, der ihn nicht mehr verließ. Die Verzweiflung
nagte an seinem Herzen. Ed. Drumond schrieb: "Der Unglückliche wollte
manchmal seine Zuflucht zum Gebet nehmen, aber er war dazu nicht
imstande. Sogar sein Gebet war ein Aufschrei des Hasses: 'Ich bin nicht
imstande zu beten, ohne zu fluchen, und wenn ich sage: Geheiligt sein
dein Name, wiederhole ich: verflucht, verurteilt sei der Name Papist.
Sage ich: Dein Reich komme, wiederhole ich: verflucht, verurteilt,
vernichtet sei das Papsttum! Sage ich: Dein Wille geschehe, wiederhole
ich: verflucht, verurteilt seien die Absichten der Papisten! Das ist
mein Gebet'".Das Leben des Apostaten wurde wahrhaft zur Hölle. Er
fürchtete den Tod so sehr wie er ihn auch in seinen Wünschen
herbeirief. "Die Welt hat mich satt und ich bin es ihrer" verkündete
er. "Die Trennung wird bald erfolgt sein. Ach, wäre ich ein Türke hier,
um mich zu töten ..." In seinen "Tischreden" schrieb er: "Der Teufel
verführt die Menschen zuerst zum Ungehorsam und dann zum Verrat wie
Judas; darauf stößt er sie so sehr in die Verzweiflung, daß sie dadurch
enden, indem sie sich aufhängen oder erwürgen. Denn die Stimme des
Teufels hat einen so schrecklichen Klang, daß Menschen nach einem
nächtlichen Zwiegespräch mit dem Dämon tagsdarauf tot aufgefunden
wurden, was mir oft hätte zustoßen können."
Diese Überlegungen zeigen, welch klaren Blick dieser Mann über seinen
eigenen Schicksalsweg besaß. Es ist wohl wahr, daß Selbstmord nicht
notwendigerweise immer ein Akt des Wahnsinnes ist, er kann auch ein Akt
der letzten Erleuchtung in dämonischer Besessenheit sein. Hier nun der
Bericht seines Dieners Rudtfeld über seinen Tod, veröffentlicht vom
Gelehrten Sedulius 1606: "Martin Luther ließ sich von seiner gewohnten
Unmäßigkeit überwältigen und trank derart im Übermaß, daß wir gezwungen
waren, in vollständig betrunken wegzutragen und in sein Bett zu legen.
(...) Tagsdarauf begaben wir uns wieder zu unserem Meister, um ihm, wie
gewohnt, beim Ankleiden behilflich zu sein. Wir sahen nun - O Schmerz -
unseren (wie man ihn nannte) Meister Martin an seinem Bett aufgehängt
und elend erstickt. Wir meldeten den Fürsten, seinen Tischgenossen vom
Tage vorher, Luthers abscheuliches Ende. Vom Grauen erfaß wie wir,
veranlaßten uns diese unter tausend Versprechungen und feierlichsten
Schwüren, vor allem über dieses Ereignis für ewig tiefstes
Stillschweigen zu bewahren, damit nichts unter die Leute gebracht
werde. Sie verlangten von uns, den Strick vom schrecklichen Leichnam
Luthers zu entfernen, ihn auf sein Bett zu legen und unter dem Volke zu
verbreiten, daß mein Meister plötzlich aus dem Leben geschieden sei." *)
Der herbeigerufene Doktor Coster stellte fest, daß der Mund krampfhaft
verzerrt sei, das Antlitz schwarz, der Hals rot und entstellt, wie
erdrosselt. Man kann diese Diagnose nachprüfen auf einem Kupferstich,
der am Tage nach dem Tode von Lukas Fortnagel angefertigt wurde
(veröffentlicht von Jaques Maritain in seinem Werk "Trois reformateurs"
auf S. 49). In seinem Buch über "Die drei Reformatoren" gibt
Jaques Maritain u.a. ein beeindruckendes Verzeichnis von Luthers
Freunden, Gefährten und ersten Schülern, die Selbstmord verübten. Es
war dies eine wahre Epidemie. Georg Besler zum Beispiel, einer der
ersten Verkünder des Luthertums in Nürnberg fiel 1536 in eine so tiefe
Melancholie, daß er seine Frau inmitten der Nacht verließ und sich
einen Speer mitten in die Brust stieß. Es herrscht eine bitter Ironie
über diesem Szenarium von Luthers Prädikanten, die Werke zum Trost
gegen die Todesfurcht, Gottes Zorn, die Traurigkeit und den Zweifel
schrieben, anstatt die Gnade Gottes und das ewige Heil zu vermitteln.
Sie wußten nicht, wie sie die Tröstungen anrühmen sollten, welche ihr
'Neues Evangelium' brachte, im Vergleich zu den 'Ängsten', die nach
ihren Worten die katholische Lehre hervorgerufen hatte; sie waren
vielmehr gezwungen, so öffentlich die Aufmerksamkeit auf das Anwachsen
von Verzweiflung und Selbstmord zu lenken in Werken wie z.B. in jenem
von J. Magdeburgius: "Ein gutes Heilmittel, um die Qualen und den
Trübsinn zu mildern, an denen die Christen leiden" (Lübeck 1555).
Es ist vollkommen klar, daß eine religiöse Lehre, die dem Menschen
seinen freien Willen aberkennt, ihm dadurch zugleich die Möglichkeit
raubt, etwas für das ewige Heil seiner Seele tun zu können und ihn so
der Verzweiflung und dem Selbstmord anheimgibt.
Anmerkung der Redaktion:
*) Die These vom Selbstmord Luthers ist historisch umstritten und
mehrfach verworfen worden. Gewöhnlich geht man davon aus, Luther sei am
18.2.1546 morgens um 3 Uhr an Herzarterienverkalkung gestorben, an der
er schon länger litt. Die Mˆglichkeit, der Reformator habe Selbstmord
begangen, verbreitete zuerst Thomas Bozius 20 Jahre später. Auch wenn
man von der Annahme ausgeht, Luther sei eines natürlichen Todes
gestorben - es besteht kein Anlaß, uns auf einen Streit mit
(protestantischen) Historikern einzulassen -, so ist die hier
dargestellte Verstrickung Luthers in Schuld und Verzweiflung, der zu
entkommen er den falschen Weg wählte, auch und gerade über unhaltbare
theologische Reflexionen, so beredt, daß es für unsere Absicht
unbedeutend ist, ob seine Verzweiflung eine endgültige war oder nicht.
Zum anderen wird deutlich, dafl bestimmte Grundirrtümer Luthers sehr eng
mit herausragenden Ereignissen
in seinem Leben verknüpft sind. (Vgl. dazu auch Grisar: "Luther" 3 Bde., 31924/25.)
E. Heller
***
HINWEIS:
H.H. Kaplan Marcel MarmodÈe, der von dem verstorbenen Bischof Dr.
Storck am 1.11.1992 zum Priester geweiht wurde, hat seit Beginn dieses
Jahres auf die Ausübung seines priesterlichen Amtes resigniert und das
Seminar "Heilig Blut" in München verlassen. |
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