OSTERN 1979*)
von
+ H.H. Dr. Otto Katzer
Liebe Christen!
Die vorausgegangenen Tage, besonders der Gründonnerstag und der
Karfreitag waren und sollten auch keine Tage der Freude sein. Das
deutet schon der Name Gründonnerstag an: "grün", welches von "greinen"
kommt und klagen, jammern bedeutet. Ein Tag also des Jammerns und des
Klagens haben wir begangen wegen des Verrates des Menschen an Gott, so
wie wir es bei Judas sehen, dem wir - leider nicht so selten - in der
einen oder anderen Form nachgefolgt sind. Der Karfreitag ganz besonders
aber war und sollte ein Tag der Besinnung sein, einer Besinnung, in der
wir ernsthaft Rechenschaft abzulegen haben, bevor wir einst selbst
gerichtet werden. Da hätten wir den Herrn bitten sollen, er möge - so
wie er es einst in das Schweißtuch der Veronika getan hat - sein mit
Blut überströmtes, mit Wunden besätes, mit Dornen gekröntes Haupt tief
eindrücken in unser Herz, damit wir immer und überall seine liebevollen
Augen sehen, die uns verfolgen auf Schritt und Tritt, und damit wir aus
seinem vom Fieber ausgedorrten Mund die Worte hören: "Das alles habe
ich aus Liebe zu Dir getan. Was wirst Du aus Liebe zu mir tun?"
Karfreitag, das heißt: ein Tag der Besinnung. Und wenn wir uns
überprüft haben, dann wurde uns vielleicht bewußt, daß nicht wenige
"Dornen und Stacheln", welche dem Heiland am Kreuze so viel Leid
verursachten, von uns stammten, von unseren Sünden. Und wenn wir seinen
vom Fieber ausgedorrten Mund betrachten, dann mußten wir uns
eingestehen, daß es der heiße Hauch des Hasses war, die Lieblosigkeit
jener Worte, die aus unserem Mund kamen und unseren Mitmenschen
verletzten, die ihn so leiden ließen. All diese Bilder der menschlichen
Bosheit müssen tief in uns eindringen, damit wir überhaupt eine
Vorstellung davon enwickeln, daß wir der Erlösung bedürfen, wenn wir
überhaupt noch Hoffnung haben dürfen, gerettet zu werden. Denn das Bild
des Herrn, der mit Wunden übersät, mit Dornen gekrönt ist, sollte immer
klar vor unseren Augen dastehen.
Als Moses sah, daß das Volk Israel das Gebot, das Gott ihm gegeben
hatte, mißachtete, zerschmetterte er die Gesetzestafeln und damit
zugleich das Glück der ihm anvertrauten Herde. Denn das Gesetz und die
gewissenhafte Einhaltung der Gebote Gottes waren die einzige
Bürgschaft, die einzige Bürgschaft für das zeitliche und einst das
ewige Leben. Ähnlich wie die Israeliten befinden wir uns, meine Lieben,
auf dem Weg aus der Gefangenschaft, aus dem 'Ägypten der Sinne' in die
ewige Heimat. Aber Verrat begleitet uns, so wie es auch unter Moses
geschah; denn nicht Gott ist unser letztes Ziel, sondern Brot (Geld),
Ehre und Macht. Dafür sind wir bereit, alles herzugeben, zuletzt auch
unseren Gott im Allerheiligsten Altarsakrament. Und da hat der 'Moses
des Neuen Testamentes', Jesus Christus, die 'Gesetzestafeln'
zerschmettert. Und ich frage euch: Wer kennt heute noch die 10 Gebote
Gottes? Wir könnten vielleicht sagen - wie das z.B. in Frankreich
geschehen ist: Die sieben bzw. zehn Gebote Gottes lauten eigentlich
ganz anders, nicht so und so; denn sie sind angeblich nur Gebote, die
sich an das jüdische Volk richteten. Nein, das sind Gebote Gottes,
Naturgesetze! Und wenn die Menschen sie nicht einhalten werden, dann
sind sie es, die sich damit selbst zum Leiden und Sterben, ja zum
ewigen Tode verurteilt haben. Fragt nur nach, wieviele Kinder die 10
Gebote Gottes noch kennen. Wenn es überhaupt noch welche gibt, die
davon eine Vorstellung haben, wer beobachtet sie?
Christus hat uns seine Lehre zu glauben aufgegeben, die im Katechismus
aufgezeichnet ist. Ich möchte gerne einmal fragen: In welchem Haus ist
er überhaupt noch zu finden? Vielleicht auf dem Dachboden des
Großvaters oder Großmutter? Und wenn er noch irgendwo zu finden ist,
wer liest ihn? Und wenn er gelesen wird, wer richtet sich nach ihm?
Weshalb herrscht heute - sogar in den Reihen des Klerus - dieses Chaos,
dieses Unwissen selbst in elementarsten Glaubenswahrheiten vor, warum?
Weil niemand mehr den Katechismus kennt, die Grundwahrheiten des
heiligen Glaubens. Daran scheitern u.a. auch jene, die vielleicht mit
hohen kirchlichen Würden bekleidet sind (korrekt: waren). Glaubt ja
nicht, daß ihr, wie Eva es versucht hat, euch entschuldigen könnt: "Ach
was, der Pfarrer hat mich verführt, mein Bischof hat mich verführt, der
Papst hat das ja gesagt, und ich mußte gehorchen." Nein, gehorchen muß
auch er den Wahrheiten in diesem Buch, welches die meisten nicht haben,
nicht kennen und nicht kennen wollen. Ja, es ist sonderbar hier in
dieser Welt. Da hört man heute nur gar zu oft die Worte: "Wo zwei oder
drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen."
Mit keinen Worten des Heilandes wird solcher Unfug getrieben, als eben
mit diesen Worten. Der Herr sagt nämlich auch: "Nicht jeder, der zu mir
sagt: 'Vater, Vater', wird eingehen in das Himmelreich, [o nein!] nur
der, der den Willen meines Vaters tut, der wird eingehen in das
Himmelreich." Und der göttliche Heiland betont: "Der Vater und ich, wir
sind eins!" Deshalb ist das, was ich sage, auch das, was der Vater
sagt. Und folgendes sagte Christus beim Letzten Abendmahl: "Tut dies zu
meinem Andenken." D.h. wir sollen das Opfer darbringen, und nicht nur
allein der Priester in Verbindung mit Christus, sondern in Verbindung
mit dem Priester auch die Gläubigen, also auch Ihr. Ich habe bereits
einigemale darauf hingewiesen, wie das zu verstehen ist und daß sich
der Altar in der Kirche gleichsam ausdehnen soll zu einer Bühne, auf
der sich das gesamte Leben abspielt, die also auch euer Arbeitsplatz
ist. Und wie das Opfer überall und jederzeit dargebracht werden kann,
wie es sichwiederholt in den drei wesentlichen Teile der hl. Messe, so
sollen alle Äußerungen unseres Lebens in dieses Opfer eingebunden sein.
Wir müssen dafür Sorge tragen, daß es wohlgefällig ist, damit auch wir
mit verwandelt werden und zuletzt eine innige Verbindung mit Christus,
mit dem Gottessohn eingehen. Wer nun vermeint, mit Christus
vereint zu sein glaubt, das Opfer aber ausschließt oder nicht opfert in
jedem Augenblick seines Lebens, der ist auch nicht vereint im Namen
Jesu. Christus ist nämlich dort nicht gegenwärtig, wo das Buß- und
Sühneopfer ausgeschlossen wird.
Wenn wir nun bedenken, was Christus alles für uns getan hat, dann
müßten wir eigentlich auch einmal Rechenschaft ablegen für unser
vergangenes Leben.
Die hl. Messe ist - wie wir wissen - die Vergegenwärtigung und
unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers Christi. Daran also nehmen
diesmal auch wir teil, denn wir müssen mit Ihm leiden, mit Ihm sterben,
wenn wir wieder mit Ihm auferstehen wollen. Wir müssen das Kreuz auf
uns nehmen, unser Ich begraben, daß nicht mehr wir leben, sondern
Christus in uns, daß unsere Gedanken fürderhin Christi Gedanken sind,
unsere Worte Christi Worte und unsere Taten Christi Taten! Und wir
müssen uns immer wieder fragen und prüfen, ob wir dem Willen Christi
wirklich entsprechen oder ob wir Unserem Herrn nur Liebe vorheucheln?
Der bitterste Augenblick im Leben Jesu war wohl der - den meisten
dürfte dieser Moment wohl unbekannt sein, der heute sogar noch
heuchlerisch retouchiert wird -, als er nämlich die Worte sprach: "Das
ist der Kelch meines Blutes, des Neuen und Ewigen Bundes, der für euch
und [leider nur] für viele [nicht für alle!] vergossen wird." "Denn
nicht alle gehen den Weg, den ich angedeutet hatte." Ich habe euch ja
gesagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben". Und im
Schlußevangelium der hl. Messe heißt es: "Er kam sein Eigentum, aber
die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Allen aber, [wieviele es auch sein
mögen! im Vergleich mit allen andern, die den Weg des Verderbens gehen,
wohl doch nur ein kleines Häuflein!] die ihn aufnahmen , [nur diesen
und diesen allein] gab er Macht, [wahrhaft] Kinder Gottes zu werden,
denen nämlich, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Fleische,
nicht aus dem Blute, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott
geboren sind." (Joh. 1,11-13) Diese Feststellung, daß so viele verloren
gehen würden, - während Er dabei ist, sein Erlösungswerk zu vollenden -
treffen zu müssen, war wohl der bitterste Augenblick im Leben des
Heilandes, der im Begriff ist, sein Leben herzugeben, um uns zu retten.
Unsere Aufgabe in den vergangenen Tagen hätte es sein sollen, über all
das nachzudenken: Wie groß war doch sein Opfer und dasjenige seiner
Mutter! Wir hätten zu der Einsicht gelangen sollen, daß nur ein
Gottmensch dies alles hatte auf sich nehmen können. Wir können es kaum
begreifen, denn wir sind gefühllos geworden, gefühllos bis zum Stein!
Glaubt ja nicht, daß das übertrieben ist. Darüber sollte bitte jeder
ernsthaft nachdenken! Jeder braucht sich nur einmal mit den Augen des
Heilandes betrachten, gleichsam in Seinen Spiegel schauen, da wird er
gleich die entsprechende Antwort bekommen.
Beim Propheten Isaias lesen wir: "Einen Weinberg hatte mein Geliebter
auf einem üppigen Gebirgshügel. Er umzäunte ihn, entfernte die Steine,
bepflanzte ihn mit edlen Reben, baute einen Turm in seiner Mitte und in
den Turm eine Kelter und wartete, daß er ihm Trauben brächte, aber er
brachte nur Herblinge. Höret also ihr Bewohner Jerusalems und ihr
Männer Judas, und richtet zwischen mir und meinem Weinberge. Was hätte
ich meinem Weinberge noch tun sollen und habe es nicht getan? Ich
wartete, daß er mir Trauben brächte. Warum bringt er nur Herblinge? Ich
weiß schon, was ich mit meinem Weinberge anfangen werde: Wegnehmen will
ich seinen Zaun, daß er geplündert, niederreißen seine Mauer, daß er
zertreten werde. Ich will ihn in eine Wüste verwandeln!" (Is. 5,1-5)
Wenn wir uns vor Augen halten, was der Heiland für uns getan hat,
welche Heilsmittel er uns gegeben hat in den Sakramenten, in den
Sakramentalien, in den zahllosen Gebeten, um uns zu retten, wenn wir
die gesamte Kirche und die Heiligen im Himmel betrachten, die auch auf
unsere Rettung aus sind, und an die armen Seelen im Fegefeuer denken
... und wenn wir dem gegenüber den kaum nennenswerten, mäßigen Erfolg,
den wir aufzuweisen haben, gleichsam als Resultat unseres gesamten
Leben ansehen, was dann? Haben wir da nicht allen Grund traurig zu
sein, so traurig, wie es der Herr beim Letzten Abendmahl war?!
Was bleibt uns da übrig? Wir können nur darauf hoffen, was uns das
heutige Fest andeutet: durch Gottes übergroßes Erbarmen auferstehen zu
einem neuen Leben! In der heutigen Welt, welche - und ich betone, es
ist nicht übertrieben, dieser Vergleich untertreib eher noch - mit
Sodom zu vergleichen ist, sollen wir uns die Warnung des Engels, die er
der Familie des Lot gegeben hatte, zu Herzen nehmen: "Rette deine
Seele, eile geschwind auf den Berg, auf den Kalvarienberg, und dort zu
den Füßen des Kreuzes suche dein Heil! Bleib ja nicht stehen, dreh dich
ja nicht um, damit nicht auch du umkommst!" Amen.
Anmerkung:
*) Vorstehende Predigt hat + H.H. Dr. Katzer am Osterfest 1979 gehalten, einige Monate vor seinem überraschenden Tod.
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