WELCHE PHILOSOPHIE?
von
Eberhard Heller
Fortsetzung:
I. Systematische Voraussetzungen philosophischer Vermittlung
- oder: welche Bedeutung hat can. 1366 § 2 des CIC
für das Studium der Philosophie
Inhaltsangabe:
Einleitung
Unsere Aufgabenstellung
Thomistische Philosophie und Transzendentalphilosophie - Versuch eines Vergleiches
Systematische Abgrenzung der Transzendentalphilosophie gegenüber dem Thomismus
Wer ist ein Philosoph?
Das Problem der Autorität
Wo muß eine Vermittlung philosophischer Behauptungen ansetzen?
Anwendung dieser Überlegungen auf die Bestimmungen in Kan. 1366 § 2 des CIC
Warum die Reglementierung des Philosophie-Unterrichts durch eine Rechtsvorschrift?
Fehlpositionen
Die Interpretation von Kan. 1366 § 2 des CIC als Rechtsrat
Zusammenfassung
***
Einleitung
Die überwiegend zustimmende Reaktion auf den ersten Teil unserer
Abhandlung über die philosophie-geschichtliche Einordnung des Thomismus
haben den Autoren gezeigt, daß die Informationen über dieses
wissenschaftliche Problem 1), welches eher am Rande unseres
Themenkreises anzusiedeln ist und unsere Anstrengungen zur Bewahrung
des Glaubensgutes, des "depositum fidei", in der heutigen
Auseinandersetzung scheinbar nur mittelbar berührt, durchaus angenommen
wurden. 2) In Wahrheit hat sich bei der Bearbeitung des 1. Teil allein
schon aus historischer Sicht immer mehr gezeigt, daß das Entstehen
moderner theologischer, d.h. im Klartext: häretischer Positionen
durchaus als Reaktion auf die Verpflichtung und die Festlegung auf den
philosophischen Thomismus zu verstehen ist (ich denke dabei u.a. an die
modernen Theologen Karl Rahner, Lehmann oder Metz), der - weil
methodisch summarisch verfahrend - eine eigentliche Begründung und
systematische Geschlossenheit vermissen läßt. 3)
Das Problem liegt nicht so sehr in den thomistisch-philosophischen
Positionen, die sich unter Fach-Philosophen rein sachlich abklären
ließen, sondern vielmehr darin, daß die Kirche diesem philosophischen
Ansatz in der Neuzeit eine solche Bedeutung beigemessen, ihm quasi eine
Monopolstellung verliehen und die Probleme, die durch den hl. Anselm
(der sogar schon 100 Jahr vor Thomas seine Ausführungen zur Auffindung
eines absoluten Wissensgrundes veröffentlichte - "Monologion",
"Proslogion", De veritate"), durch Descartes, Kant, Reinhold und Fichte
in die philosophische Debatte eingebracht worden waren, durchaus
ingnoriert hat. Insofern ist es auch unter diesem Gesichtspunkt
geboten, die Beschäftigung mit dem philosophischen Positionen des hl.
Thomas aufzunehmen, um zu sehen, was sie leisten und was nicht, ob sie
u.U. geeignet sind für die Widerlegung des durch neuere philosophische
Theoreme fixierten theologischen Modernismus in seinen faszettenhaften
vielfältigen Spielarten, was eingefleischte Thomisten immer noch meinen
... oder ob der philosophische Thomismus gegebenenfalls zu korrigieren
ist bzw. neue methodische und theoretische Lösungsansätze formuliert
werden müssen. 4)
Die Erwiderungen auf unsere Ausführungen im ATHANASIUS, Heft 3/95,
S.26, dessen Argmentation bzw. Darstellung in Heft 5.6/94 in der
EINSICHT XXV/2 kritisiert worden war, sind nicht geeignet, sich mit
ihnen ausführlicher zu beschäftigen, polemisieren doch die Herausgeber
H.H. Baird und Herr Dr. Filser gegen Behauptungen, die von uns nie
aufgestellt worden waren. Baird und Filser bestätigen u.a. noch einmal
die Entscheidung ihres Vereins, daß an dem nicht mehr existierenden
Seminar Hl. Blut in München thomistische Philosophie doziert würde, 5)
eine höchst bemerkenswerte Verlautbarung.
Unsere Aufgabenstellung
Wir nehmen unsere Ausführungen über die Phiolsophie des hl. Thomas wieder auf und wollen prüfen,
1. was diese Vorschrift, sie an den
katholischen Seminarien zu lehren bzw. sie zu studieren (nach Can. 1366
§ 2, CIC) hinsichtlich des Vortrages bzw. des Studiums dieser
thomistischen Positionen sowohl für den Dozenten als auch den Studenten
bedeutet, welche Anforderungen sie an beide stellt;
2. welcher Grad der Verpflichtung hinsichtlich einer möglichen Adaption
mit dieser kirchenrechtlichen Bestimmung verbunden sein kann, ob mit
der Auflage, den Thomismus zu studieren, auch die Annahme seiner
Positionen verbunden sein muß. 6)
Bei diesen Fragestellungen gehe ich von der rigoroseren Interpretation
des Can. 1366 § 2 aus 7), wonach mit dem Konjunktiv "pertracent" eine
Rechtsvorschrift ("müssen betreiben") - und kein Rechtsrat ("sollen") -
gemeint sein soll, um von eventuellen Gegnern nicht den Vorwurf zu
hören, ich habe das Problem auf das philologische Gleis abgeschoben.
Bei der Beantwortung dieser beiden Fragen, die sich mit der Philosophie
als Wissenschaft und den besonderen Bedingungen ihrer Vermittlung
beschäftigen, klammern wir das eigentliche Ziel der gesamten
Untersuchung, nämlich die philosophische Kritik des Thomismus, vorerst
noch aus. Dieser Teil der Abhandlung bleibt einer noch folgenden
Untersuchung vorbehalten. Darin wird zu untersuchen sein, unter welchen
Voraussetzungen ein alternatives philosophisches Lehrsystem nicht nur
legitim, sondern sogar geboten ist, und das, um sogar dem Buchstaben
der Enzyklika "Aeterni patris" Leos XIII., auf der ja der Kan. 1366 § 2
theologisch fußt, zu entsprechen.
Thomistische Philosophie und Transzendentalphilosophie - Versuch eines Vergleiches
Um beide Fragen beantworten zu können, müssen wir uns zunächst über
Aufgabe, Methode und Gegenstand der Philosophie Klarheit verschaffen,
wobei ich bemüht sein werde, sowohl den thomistischen
Philosophie-Begriff 8) als auch den der Transzendentalphilosophie zu
entfalten, um beide vergleichen und gegeneinander abgrenzen zu können.
9)
Vom Wortsinn meint Philosophie "Liebe zum Wissen", "Weisheitsliebe".
Aber über dieses Anfangsstadium des bloßen Interesses - der "Liebe" -
ist sie in ihrer langen Geschichte zu handfesten Resultaten vorgestoßen
und hat sich zur eigentlichen "Wissenslehre" (um einen griechischen
Terminus zu gebrauchen: zur "Sophologie") entwickelt. Was will
Philosophie? Sie will erkennen! Sie strebt die vollkommene Erkenntnis
der gesamten - der Thomist würde eingrenzen: objektiven - Wirklichkeit
an, zu der neben dem rein faktischen Sein - dem was uns erscheint -
auch der Wertbereich, d.h. das, was gelten soll, gehört. Diese
Gesamtwirklichkeit - ihren Gegenstand - will sie aber nicht in den
konkreten Ausprägungen als solchen erfassen - das wäre Historie -,
sondern sie will sie begreifen nur in ihren allgemeinen Bestimmungen,
in ihrem Wesen, in den dem je konkret Einzelnen zugrunde liegenden
Prinzipien. Philosophie ist also Prinzipienwissenschaft, in der die
gewonnenen prinzipiellen Bestimmungen in einen Zusammenhang gebracht,
einander zugeordnet werden, bzw. in Prinzipien dargestellt und aus
(höheren) Prinzipien abgeleitet werden, um so die Vollständigkeit ihrer
(prinzipiellen) Momente zu erzielen.
In seiner Abhandlung "Begriff, Begründung und Rechtfertigung der
Philosophie" definiert Lauth die Aufgabe der Philosophie wie folgt:
"Philosophie ist eine freie Tätigkeit, in der vollkommene Erkenntnis
der Prinzipien des Ganzen der Wirklichkeit erstrebt und in der diese
Erkenntnis gewonnen und vollzogen wird." 10)
Der Philosophierende schreitet dabei von einem relativen Nicht-Wissen
zu einem immer umfassenderen Wissen fort, wobei diesem Erkenntnisprozeß
die stillschweigende Voraussetzung zugrunde liegt, auch erkennen zu
können. D.h. dem je individuellen Erkenntnisvorgang ist bewußt, daß dem
Wesen des Bewußtseins die grundsätzliche Möglichkeit zur Erkenntnis
inhärent, eröffnet ist. 11) Er läßt nichts als Wissen gelten, was nicht
durch und in Evidenz gesichert ist, d.h. sein Zweifel und Bezweifeln
ist ein methodisches. Der Zweifel selbst kann sich nämlich selbst nicht
verabsolutieren: Er kann nicht daran zweifeln, daß er zweifelt! Hier
ist eine Grenze für den Zweifel! Man kann nicht daran zweifeln, daß man
zweifelt, denn um zweifeln zu können, muß man eben zweifeln. Man kann
zweifeln, soviel man will, aber daß man zweifelt, muß man positiv
behaupten. Der Zweifelnde muß sich selbst als Zweifler behaupten,
sonst ist nicht einmal gewiß, daß er zweifelt. (Ich merke nur an: hier
ist in der Tat eine Position des notwendigen Denkens gewonnen, d.h. ein
in dieser Hinsicht gesichertes Moment des Wissens gewonnen, was sich
auch in Descartes Formel "cogito - ergo sum" wiederfindet. 12)
Die philosophischen Erkenntnisse werden reflexiv gewonnen. Das Denken
rekonstruiert dabei den ihm im Bewußtsein ursprünglichen gegebenen, an-
oder eingeschauten und bereits primär verstandenen Gehalt. Den
philosophisch relevanten Gegenstand erfaßt das Denken durch
Abstraktion, d.h. durch Aus- und Abgrenzen bestimmter Momente.
Philosophische Erkenntnisse werden nicht in einem Schlag gewonnen,
sondern durch diskursives Denken, indem von einem Moment zum an-deren
übergegangen wird. Es ist ein Grundgesetz des menschlichen Geistes,
geistige Akte nur nach-einander zu vollziehen. Das Denken kann sie
nicht alle in einem Moment setzen, sondern nur in auf- einander
folgenden Setzungen, also es kann die Totalität der Wahrheit reflexiv
nur diskursiv erfas-sen, d.h. immer nur bestimmte Aspekte (der
Wahrheit). Aber dieses Gesetz der Diskursivität ist dem Denken bewußt,
weswegen es die jeweiligen Momente als Teil-Aspekte einer umfassenden
geisti-gen Einheit versteht. 13)
Die Philosophie verfährt reduktiv, bis sie das begründende Prinzip
gefunden hat, um dann deduktiv die disjungierenden Momente wieder
einzuholen. Damit wäre ihre Methode skizziert.
Ich weiß: die Thomisten melden Protest an. Hinsichtlich ihrer
Vorstellung von Philosophie - wie überhaupt der der gesamten Scholastik
- ist methodisch einschränkend zu sagen: sie wählen, um "die Dinge
(...) aus ihren letzten Gründen zu begreifen" 14), das sog.
Summenverfahren, welches dem römischen Rechtsverfahren entlehnt
ist. Es besteht darin, daß gegen eine gemachte Behauptung
Einwände erhoben werden, die das Behauptete zu widerlegen oder in
seiner Geltung zu korrigieren suchen. Der Disput wird entschieden aus
sog. höheren oder letzten Gründen, wobei deren Autorität oder Dignität
unterschiedlicher Natur sein kann: allgemeine Denkgesetzte,
Offenbarungsaussagen etc. Hierbei muß jedoch angemerkt werden, daß das
Einführen unausgewiesener Momente - auch wenn sie in der Tat der
Offenbarung angehören! - philosophisch-wissenschaftlich nicht legitim
ist. Auf diese Weise verlöre die Philosophie ihre wissenschaftliche
Basis und Eigenständigkeit und wür-de zum bloßen Bekenntnis oder zur
Weltanschauung verkümmern.
Erkenntnis ist nur dann erlangt, wenn sich die Wahrheit des Erkannten
dem Philosophen einsichtig darstellt. Es geht also nicht um bloßes
geistiges Konstruieren - im Sinne von Spielregelsystemen oder
Erklärungsmodellen (die nur versuchen, etwas zu rekonstruieren, dabei
aber im Bereich der Hypothese bleiben) -, sondern um Evidenz des als
erkannt Behaupteten. Eine solche Evidenz ist dann erreicht, wenn die
Wahrheit dessen, was als Wissen angesetzt ist, unmittelbar als solche
einleuchtet. Erst dann können wir von wirklichem Wissen reden. Ohne
Offenheit für die Wahrheit und deren Vollzug gibt es keine Erkenntnis,
kein wirkliches Wissen, und der Wille zur Wahrheit, d.i. die
intentionale Ausrichtung auf sie, ist die conditione sine qua non für
den Erkenntnisakt.
Um das Vorgetragene besser verstehen zu können, möchte ich das, was ich
hier als Philosophie umschrieben habe, abgrenzen gegen andere
Wissenschaften und geistige Aktivitäten. Die Philosophie setzt sich ab
gegen die Einzelwissenschaften, die nur Teilbereiche - nach
methodischen Vorgaben - der Wirklichkeit erkennen (erforschen) wollen.
Sie setzt sich ab gegen die Kunst, die das Allgemei-ne, das prinzipiell
Gültige in der konkreten Gestaltung erfassen will. Die Philosophie
setzt sich weiterhin ab von der Weltanschauung - auch einer sog.
'christlichen'! -, die zwar auch den Aspekt, die gesamte Wirklichkeit
erfassen zu wollen, für sich veranschlagt, dabei aber der Gesamtschau
den Vorzug vor der entscheidenden Frage nach der Wahrheit gibt, und der
Ideologie, die als unbewährte Konzeption meist eingesetzt wird zur
Durchsetzung bestimmter (auch irrationaler) Interessen.
Dadurch aber, daß die Philosophie die Prinzipien der gesamten
Wirklichkeit, aus der sich die Einzelwissenschaften ihren methodisch
ausgegliederten Teilbereich herausnehmen, darstellt, konzipiert sie
zugleich für diese deren Metatheorie, in dem sie die jeweils geltenden
und bestimmenden prinzipiellen Voraussetzungen für die einzelnen
Teilbereiche aufzeigt. So ist es wissenschaftlich nur möglich,
Rechtswissenschaften oder Soziologie zu studieren, wenn ein
wissenschaftlich ausgewiesener Rechtsbegriff erstellt wurde oder ein
wissenschaftliches Interpersonalitätskonzept vorliegt.
Dieser Beschreibung - nicht eigentlich schon Definition - der Aufgabe
der Philosophie und ihrem methodischen Vorgehen dürften unschwer alle
Thomisten - zumindest in großen Teilen - zustimmen. Um diese Annahme zu
belegen, greife ich auf eines der üblichen Lehrbücher der thomistischen
Philosophie zurück, auf das von Pater Lehmen S.J. aus dem Jahre 1909,
welches speziell "zum Ge-brauch an höheren Lehranstalten und zum
Selbstunterricht" konzipiert wurde und die kirchlichen Bestimmungen
hinsichtlich des philosophischen Unterrichts berücksichtigt, ohne
jedoch schon die kanonischen Bestimmungen aus can. 1366 § 2 des erst
1916 erschienen CIC zu kennen. 15) Lehmen beschreibt die Aufgabe der
Philosophie folgendermaßen: "Dem Wortlaut nach ist Philosophie Liebe
zur Weisheit; sachlich ist sie die Weisheit selbst. Weisheit ist
Wissen. (...) Sodann wollen wir durch das Wort 'Wissen' ein höheres,
über die gewöhnliche Art hinausgehendes zweifelloses Erkennen
ausdrücken, und diesem Wissen entspricht das Substantiv 'Wissenschaft'.
(...) Man kann aber auch von den zwischen den einzelnen Arten der Dinge
bestehenden Unterschieden sowie von den diese Unterschiede bedingenden
Gründen absehen und nur das auf die letzten Gründe zurückführen, was
den Arten gemeinsam ist. Auf diese Weise wird ein vollendetes, d.h. auf
den letzten Gründen beruhendes Wissen, wenn auch nur bezüglich der
allgemeinsten Bestimmungen, der Dinge erreicht, während die besonderen
Wissenschaften dieselben Dinge nach ihren besonderen Bestimmungen zum
Gegenstand haben. (...) Philosophie ist demnach jene Wissenschaft,
welche die Dinge, insofern sie durch die menschliche Vernunft erkennbar
sind, aus ihren letzten Gründen zu begreifen sucht." 16) Weiter: "Der
menschliche Verstand ist für die Wahrheit erschaffen; er kann also zur
Erkenntnis der Wahrheit gelangen, und solange er sich nur von der
Evidenz bestimmen läßt, ist jeder Irrtum ausgeschlossen: was die
Vernunft mit Evidenz als wahr erkennt, das ist notwendig wahr." 17)
Auch das spezifische Verhältnis von Philosophie und
Einzelwissenschaften beschreibt Lehmen ähnlich: "Der Wert der
Philosophie tritt besonders durch die Beziehung zu den übrigen
Wissenschaften hervor. Weil sie auf die letzten Gründe des Seins und
Erkennens zurückgeht, so verleiht sie den übrigen Wissenschaften einen
doppelten Vorzug, dessen sie ohne die Philosophie entbehren müßten: sie
bietet denselben die letzte und notwendige Grundlage und verbindet sie
eben dadurch zur Einheit." 18)
Systematische Abgrenzung der Transzendentalphilosophie gegenüber dem Thomismus
Worin besteht nun der Unterschied zu der im ersten Teil der Abhandlung
angesprochenen Transzendentalphilosophie sowie sie zuerst von Kant
bestimmt wurde? Er besteht darin, daß es ihr nicht um eine
Seins-Metaphysik (nur des objektiven Bereichs der Wirklichkeit) geht -
wie im Thomismus und der gesamten Scholastik -, sondern um eine
eigentliche Wissenslehre, die nichts aus ihrer Erkenntnisbemühung
ausgeschlossen sehen will, die also auf die Totalität der objektiven
als auch der subjektiven Wirklichkeit ausgerichtet ist, und darin auch
das sich ansetzende Bewußtsein als unmittelbar geistiges Handeln mit
einbezieht. 19) Sie will daraus nicht wiederum ein Objektives machen,
sondern in ihrer Reflexion dieses sich setzende Bewußtsein als solches
erkennen. In der Transzendentalphilosophie wird das Wissen nach den
Bedingungen seiner Möglichkeit hinterfragt, d.h. in ihr wird das
Wissen zum Ausgangs- und Endpunkt der erkenntnisbegründenden
Untersuchungen gemacht, um in ihm den Punkt aufzusuchen, an dem es
alles andere (Einzel)Wissen festmachen kann: die absolute Wahrheit. In
dieser Hinsicht ist das Bewußtsein - die Einheit von Bewußtheit und
Sein - jener unhintergehbare Horizont, auf dem sich Wissen ansiedeln
kann.
Der Transzendentalphilosoph stellt nicht nur Reflexionen (über
bestimmte - objektive - Gegenstände) an, sondern er reflektiert auch
die Bedingungen seiner eigenen Reflexion. Seine spezifisch
transzendentalphilosophische Frage lautet: Wie kann ich wissen, was ich
da als Wissen behaupte? Welches Wissensfundament ist absolut tragfähig,
um auf ihm ein Reich des Erkennens und des Wissens aufzubauen? Er fragt
also nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt.
Kant nennt diese Art zu philosophieren "transzendental", weil sie nicht
einfachhin den Gegenstand der Erkenntnis für sich reflektieren, sondern
eine Erkenntnis erreichen will, die sich "mit unserer Erkenntnisart von
Gegenständen, insofern diese a priori möglich sein soll, überhaupt
beschäftigt." 20) Für ein System derartiger Erkenntnis, das unter
diesem Aspekt die apriorischen Bedingungen des Gegenstandes im Wissen
und die Bedingungen dieses Wissen selbst erreichen will, nennt Kant
"Transzendentalphilosophie" 21). Nur unter Sicherstellung dieser
Erkenntnisbedingungen - letztlich deduktiv aus der Wahrheit abgeleitet
- lassen sich dann weiterhin philosophische Probleme lösen und als
gesicherte Behauptungen im Wissen ansiedeln. In diesem Sinne spricht
z.B. Fichte nicht mehr von Philosophie, sondern er nennt seine
Systemdarstellung(en) "Wissenschaftslehre(n)". Der
Transzendentalphilosophie geht es also um eine Selbstableitung des
Wissens, in das es dann die einzelnen Erkenntnisse hereinholt und in
ihm systematisch ansiedelt.
Um einmal ein Beispiel dieser Denkungsart aufzuzeigen: Wir haben weiter
oben das Zweifeln angesprochen, dabei aber auch schon das
transzendentalphilosophische Verfahren angewendet. Ich greife hier auf
die Argumentationsweise des einstigen Münchener "Studentischen
Arbeitskreises für Transzendentalphilosophie" (aus den späten 60igern)
zurück: "So, wie es eben am Beispiel des Zweifels gezeigt wurde: Das
untranszendentale Denken zweifelt einfach an etwas. Das transzendentale
Denken bezieht dieses sein eigenes Tun - das Zweifeln - in die
Reflexion mit ein und erkennt, daß die Bedingung seiner Möglichkeit,
sein Vollzug, oder auch seine geistige Setzung, Behauptung ist."
Dagegen 'vergißt' der Thomist (ebenso der Scholastiker) - um es
vereinfacht zu sagen -, bei seiner Reflexion auf's Reflektieren zu
sehen. Auch wenn er von der Seele und speziell dem Erkenntnisvermögen
spricht, werden diese Momente wiederum nur objektiv, d.h. abgetrennt
vom Akt des Erkennens selbst betrachtet. Sie werden als objektives
Substrat behandelt. 22)
Weiterhin ist dem Thomismus der Systemgedanke - so wie er in der
Transzendentalphilosophie gefaßt ist - weitgehend fremd. Nach Lehmen
ist die Philosophie jene Wissenschaft, "welche die Dinge, insofern sie
durch die menschliche Vernunft erkennbar sind, aus ihren letzten
Gründen zu begreifen sucht." 23) D.h., daß es hier nicht um den einen,
absoluten Grund geht, aus dem die übrigen Momente deduktiv entfaltet
werden, sondern es geht um "letzte Gründe", also nur um partielle
Identitäten. Wie diese "letzten Gründe" wiederum gedacht werden sollen,
wird nicht gesagt. Der Systemgedanke, welchen zunächst der Philosoph
Karl Leonhard Reinhold (1757-1823) scharf gefaßt hatte 24), wird von
Fichte noch radikalisiert: "Was ist nun, und wofür wird allgemein
gehalten, Philosophie überhaupt, oder, was sich leichter dürfte angeben
lassen, was soll die Philosophie? Ohne Zweifel: die Wahrheit
darstellen. Was aber ist Wahrheit, und was suchen wir eigentlich, wenn
wir sie suchen? (...) Die Wahrheit daher, absolute Einheit und
Unveränderlichkeit der Ansicht. Daß ich nun aus dem Grunde, weil uns
dieses gleich zu weit führen würde, den Zusatz der Ansicht weglasse;
das Wesen der Philosophie würde darin bestehen: Alles Manigfaltige (das
sich uns denn doch in der gewöhnlichen Ansicht des Lebens aufdringt)
zurückführen auf absolute Einheit. (...) Alles Mannigfaltige - was nur
zu unterscheiden ist, seinen Gegensatz, und Pedant hat, schlechthin
ohne Ausnahme. Wo noch irgend die Möglichkeit einer Unterscheidung
deutlich oder stillschweigend, eintritt, ist die Aufgabe nicht gelöst.
Wer in oder an dem, was ein philosophisches System als sein Höchstes
setzt, irgend eine Distinktion als möglich nachweisen kann, der hat
dieses System widerlegt." 25) Dagegen begnügt sich die Scholastik - und
mit ihr auch Thomas v.A. - mit der "philosophia perennis", d.h. mit
einer sich weiterentwickelnden Philosophie.
Eine systematisch aufgebaute Philosophie läßt nicht nur ein Aufsteigen
vom niedrigsten zum höchsten Prinzip zu, sondern ermöglicht auch ein
einsichtiges Übergehen von einer Disjunktionsebene auf die andere oder
von einer Teildisziplin der Philosophie zur andern. So kann man z.B.
einsichtig von den Prinzipien der Moralphilosophie übergehen zur
Interpersonalität und diese als Applikationsrahmen der in der Moral
geltenden Prinzipien ausweisen oder man kann die konkrete Außenwelt
bezüglich des absoluten moralischen Prinzips weiterbestimmen als
"Material der Pflicht", als wirkliche Aufgabe. (Ich erinnere an die
etwa gleichlautende Setenz in der Genesis, wo Gott zu Adam und Eva
spricht: "Machet euch die Erde untertan." 26) )
Wer ist ein Philosoph?
Die bisherige ausführliche Betrachtung über die Konzeption von
Philosophie (im Thomismus und in der Transzendentalphilosophie) war
nötig, um die folgenden Überlegungen adäquat nachvollziehen zu können.
Darin geht es um die spezifischen Bedingungen, unter denen
philosophische Aussagen vermittelt werden können.
Der Systemvergleich mit dem Aufzeigen gleichgelagerter, aber auch
unterschiedlicher Ziele und Auf-gaben war insofern notwendig, um diese
Vermittlungsbedingungen nicht nur von einer vom Thomismus abweichenden
Philosophie-Konzeption zu betrachten, sondern um diese auch von den
immanenten Voraussetzungen und dem Selbstverständnis des Thomismus
nachzukonstruieren.
Nun aber zu unserer Frage: Wer ist ein Philosoph? - Die Antwort ergibt
sich aus der Bestimmung der Philsophie. Ein Philosoph ist nach den
angestellten Überlegungen jemand, der sein Interesse auf die Erkenntnis
von Prinzipien richtet und der durch Reflexion dieses Wissen gewinnt,
dessen Wahrheit er unmittelbar selbst als wahr erkannt hat, also in
Evidenz im Akt des Erkennens. Und ohne diesen geistigen Vollzug, ohne
Vollzug von Evidenz, hat er schier nichts. Ein Philosoph ist also ein
Selbstdenker, dessen Streben auf Wahrheit ausgerichtet sein muß.
Verfolgt er andere Ziele bzw. fehlt diese Intention auf Wahrheit um
ihrer selbst willen, sind, nein können seine Resultate auch nicht wahre
wissenschaftliche Erkenntnisse sein. Also dieser Wahrheitswille, diese
Ausgerichtetheit auf Wahrheit ist konstitutiv für deren Vollzug, ohne
welchen keine wissenschaftlichen Resultate erzielt werden könnnen.
Dieser Vollzug der Evidenz ist also notwendig an jemanden gebunden, der
sie vollzieht. Darum kann eine fremde Person für mich auch nicht
einsehen. Es liegt auch keine philosophische Einsicht vor, wenn durch
einen Computer mittels logischer Programme eine begriffliche Synthese
erzielt wird; denn der Computer kann weder die Wahrheitsfrage stellen
noch eine Einsicht vollziehen.
Das Problem der Autorität
Wenn ein Philosoph schon ein Selbstdenker ist, ist zu fragen, welche
Bedeutung dann fremden Behauptungen überhaupt noch zukommen kann. Es
ist klar, daß ihnen keine wirkliche Erkenntnisdignität zuzumessen ist,
solange sie nicht in Einsicht (nach)vollzogen worden sind. Behauptungen
anderer haben - auf die philosophischen Reflexionen bezogen - darum nur
hypothetischen Charakter, solange deren Wahrheit nicht einsichtig
nachvollzogen worden ist. Fremde Behauptungen - mögen sie auch noch so
eloquent vorgetragen worden sein - können aus sich keine Autorität
beanspruchen.
Das gilt selbstverständlich auch für die vorliegende Untersuchung! Und
darum bitte ich die verehrten Leser, alles Gesagte vorerst
einzuklammern und ihm erst dann Gewicht beizumessen, wenn die einzelnen
Gedanken einsichtig nachvollzogen worden sind.
Autorität ist lediglich die Wahrheit selbst, auf deren Horizont sich
Behauptetes erst ensichtig als Wissen erweisen muß. Jemand, der fremde
philosophische Gedanken bloß erinnernd rezepiert, ohne sie eingesehen
zu haben, kann zwar eine Menge historischer Kenntnisse haben, ohne
jedoch auch nur einen einzigen philosophischen Gedanken vorgetragen zu
haben. Er kann auch nicht den Anspruch erheben, Philosoph zu sein. D.h.
auch wenn jemand sämtliche Schriften eines Philosophen genauestens
kennt, sie sogar auswendig deklarieren kann - gehen wir einmal davon
aus, daß dieser jemand zumindest verstanden hat, daß es sich bei den
memorierten Sätzen um philosophische Theorien handelt -, meinetwegen
die "Summa theologiae" des hl. Thomas v. Aquin oder die
"Wissenschaftslehre" von Fichte, ja sogar deren Positionen exakt
wiedergeben kann, ohne sie selbst einsichtig nachvollzogen zu
haben, ist vielleicht ein guter Philologe oder Kenner der
Philosophiegeschichte, ein Philosoph ist er deswegen noch lange nicht.
Dieser Anforderung selbsttätigen geistigen Vollziehens stimmt auch H.H.
P. Lehmen zu: "Der Philosoph darf sich nicht begnügen, die von anderen
gewonnenen Resultate philosophischer Forschung einfachhin zu
registrieren; er nimmt sie nur an, nachdem er die für sie sprechenden
Gründe selbst geprüft und als haltbar und überzeugend befunden hat;
denn Philosophie ist keineswegs bloß Geschichte der Philosophie." 27)
Wo muß eine Vermittlung philosophischer Behauptungen ansetzen?
Welche Bedeutung haben nun die angestellten Überlegungen hinsichtlich
eines philosophischen Unterrichts z.B. an katholischen Seminaren oder
anderen Lehranstalten? Kann Philosophie überhaupt vermittelt werden,
und wenn ja, wie muß sie doziert werden, damit der Eigenvollzug des
Denkens für den zu Unterrichtenden angeregt wird und gewährleistet
bleibt?
Im Gegensatz zu anderen (Einzel)Wissenschaften, die eine Menge
von einfachen Daten zu vermitteln haben (z.B. in der Geschichte:
historische Fakten; in der Chemie: bestimmte Formeln), die umfangreiche
Recherchen oder aufwendige Experimente voraussetzen, welche vom
Studierenden in toto nie nachvollzogen werden könnten, werden die
Resultate solcher Disziplinen größtenteils - nicht nur! - auf Vertrauen
in die Kompetenz und die Sachautorität des Dozenten hin angenommen, an
sie wird geglaubt. Wir haben bereits gesehen, daß eine solche Art der
Wissensvermittlung ausscheidet, da nur jeweils im Akt des Denkens
einsichtig vollzogene Behauptungen als Wissen gelten können.
Wenn nun jemand sich philosophisches Wissen nicht als Autodidakt
aneignen will, sondern die Hilfe eines Dozenten, einer Lehranstalt in
Anspruch nehmen möchte, in der davon ausgegangen wird, daß zwischen
Lehrenden und Studierenden Unterschiede im Wissen - auf der einen
Seite ein relativ vollständiges, auf der anderen relatives Nicht-Wissen
- vorhanden sind, unter welchen Umständen kann eine solche Institution
hilfreich sein? Oder anders gefragt: Welche Voraussetzungen müssen
erfüllt sein, damit sich eine Vermittlung von Einsicht(en) in einem
Philosophie-Unterricht vollziehen kann?
Da der Lehrende bereits weiß, daß philosophisches Wissen demjenigen,
den er unterrichten will, nur durch dessen Vollzug eigener Einsicht
entsteht, kann er - der Lehrer - sein Wissen gleichsam nicht als
fertiges Produkt vermitteln, nicht als abgeschlossenes Resultat oder
fertige Theorie, die so einfach übernommen werden müßte, sondern als
eigentlich geistiges Operieren, in das er den Schüler einbindet, indem
er ihm eine Gedankenkonstruktion anbietet mit der ex- bzw. impliziten
Aufforderung, diese (Vor)Konstruktion als Hypothese einmal anzunehmen,
sie zum eigenen Problem zu machen, um zu sehen (einzusehen), ob sie
sich im Horizont der Wahrheit als Wissen einsichtig bewährt. Der
Philosophie-Student hat Vertrauen in seinen Lehrer nur in dem Punkt,
daß er davon ausgeht - wiederum vorerst nur hypothetisch -, daß dieser
bereits Wissen einsichtig vollzogen hat, welches er in der
beschriebenen, d.h. zurückhaltenden Weise zunächst als Vorkonstruktion
aufnimmt, um es entweder einsichtig als Wissen nachvollziehen zu können
oder um es einsichtig (!) als falsch verwerfen zu müssen. Er nimmt also
die vermittelten Inhalte des Lehrers zunächst als bloße Behauptungen
auf, um dann zu prüfen, ob sie wahr oder falsch sind. Somit hat das,
was als wirkliches oder angebliches Wissen vorgetragen wird, für den
Studenten vorerst nur Hypothesen-Charakter, bis der Vollzug der
Einsicht geleistet ist (mit positivem oder negativem Resultat). Die
Vermittlung philosophischer Positionen hat für den Studierenden nur
propädeutischen Charakter - und das wird von dem Dozenten nicht nur
zugestanden, sondern dem Studierenden ausdrücklich erklärt!
Bei der Vermittlung ist noch ein weiterer Aspekt zu betrachten. Da der
Lehrer seine theoretischen Behauptungen nicht als fertiges,
abgeschlossenes Produkt vermitteln, er also nur eine geistige
Vorkonstruktion liefern kann, besteht auch das Vermitteln darin, daß er
dem Lernenden den Verlauf seines Konstruierens in einzelnen Schritten
vorträgt. Er sagt nicht einfach: Die gemachte Behauptung kann/ darf der
Studierende nur als Hypothese aufnehmen, die er erst nach dem Vollzug
der Einsicht in sein Wissen als Erkenntnis aufnehmen darf, sondern er
konstruiert die Vorkonstruktion vor. Das ist kein Pleonasmus, sondern
damit will ich folgendes sagen: Der Dozent läßt vor dem Studierenden
gleichsam seine Gedankenfolge entstehen, er lädt ihn damit ein, diese
Folge selbst zu durchschrei-ten. Der philosophische Vortrag ist also
ein gedankliches Vorkonstruieren im status nascendi, d.i. im Status des
eigentlichen gedanklichen Entstehens, ist eine Vermittlung des
Entstehens, wenn man so will, eine Art "Werkstattgespräch". Auch Ihnen,
verehrter Leser, der Sie die vorliegende Abhandlung studieren, will ich
damit eine Vorkonstruktion unterbreiten, in die Sie sich gedanklich
'einklinken' und versuchen sollen, sie nachzukonstruieren. (N.b. es ist
nicht ein persönliches Entgegenkommen des Lehrers, wenn er nach der
vorstehend beschriebenen Methode unterrichtet, sondern sie ist
konstitutiv für die philosophische Vermittlung im interpersonalen
Bereich. Ganz einfach: wer es nicht so macht bzw. machen will, will
etwas anderes, als Studenten philosophisch auszubilden.)
Nicht so ausführlich, aber von der Grundeinstellung ähnlich beschreibt
auch das Lehrbuch von P. Lehmen S.J. das Vermittlungs- und
Autoritätsverhältnis von Lehrer und Schüler, den er auch auf den
Vollzug eigener Einsicht verweist. Er schreibt: "Philosophie ist nicht
Geschichte, und ihre Lehrsätze sind nicht geschichtliche Tatsachen, die
auf fremdes Ansehen hin angenommen werden. Philosophie ist
Vernunfterkenntnis, und die Überzeugung, mit der wir ihre Lehrsätze
annehmen, muß den Gründen entsprechen, auf denen sie beruhen. Der
Lernende wird freilich mit Vertrauen seinem Lehrer entgegenkommen
müssen, wenn er Fortschritte machen will. Aber an die Stelle der
Autorität muß bald die Prüfung der für eine Behauptung angeführten
Gründe treten. Nachdem der Sinn einer Beweisführung richtig erfaßt und
genau erwogen ist, muß deshalb der Lernende Gründe mit Gründen zu
bekämpfen, Einwendungen zu machen und diese durch eigenes Nachdenken zu
lösen suchen." 28)
Anwendung dieser Überlegungen auf die Bestimmungen in Kan. 1366 § 2 des CIC
Welche Konsequenzen ergeben sich nun aus den vorgetragenen Überlegungen
für unsere Frage, was es heißt, - hinsichtlich einer
Wissensvermittlung, die die besonderen Bedingungen der Philosophie
berücksichtigt -, wenn die Kirche für den Philosophie-Unterricht an den
Seminarien in Kanon 1366 § 2 des CIC den Thomismus vorschreibt. Ich
gehe davon aus - wie bereits angesagt, daß der Kanon als
Rechtsvorschrift zu interpretieren ist, d.h. daß er den Unterricht des
Thomismus verpflichtend vorschreibt. Zunächst setze ich voraus, daß es
sich um Philosophie handelt, die unterrichtet werden soll, und daß es
sich dabei um die Vermittlung philosophischen Wissens handelt ... und
nicht um Pseudo-Dogmen oder einen Appendix an sie, an die geglaubt
werden muß. Es darf sich auch nicht um Philologie des hl. Thomas
handeln, in der es darauf ankäme, sich genaueste Textkenntnisse
anzueignen - diese könnten nur als Vorstufe, als Vorbereitung auf die
eigentlich philosophische Reflexion angesehen werden.
Man geniert sich fast, es auszusprechen: es gelten auch für eine
katholische Lehranstalt hinsichtlich der Philosophie keine besonderen,
auch keine sog. christlich-weltanschaulichen Voraussetzungen
hinsichtlich der Methode der Wissensvermittlung.
Damit ergäbe sich für das Dozieren der philosophischen Positionen des
hl.Thomas, daß auch sie den allgemeinen Bedingungen philosophischer
Vermittlung unterworfen sind. Um es kurz zu machen: Die zu lehrenden
Positionen können demnach nur als Vorkonstruktion verstanden werden,
von der gilt, daß versucht wird, sie einsichtig nachzuvollziehen. D.h.
der Dozent richtet an die Schüler die Aufforderung, die jeweiligen
Behauptungen in eigener Einsicht zu verifizieren. Kann der Schüler das
nicht, ist der jeweilige Satz zu verwerfen. Dieses "Nicht-Können" meint
nun nicht: er, der Schüler, kann es qua Individuum mit seinen
begrenzten Fähigkeiten nicht, sondern heißt: es läßt sich objektiv
dartun, daß eine bestimmte Vorkonstruktion sich nicht nachvollziehen
läßt. Da durch die Vermittlung seitens des Lehrers, der im Auftrag der
Kirche handelt, keine notwendige Verbindung zur Übernahme des Inhaltes
des Vermittelten bestehen kann - der Akt der unmittelbaren Einsicht ist
stets ein freier Vollzug, der sich nur an der sich ihm zeigenden
Wahrheit orientiert -, muß es seitens des Studierenden offen bleiben,
ob das Vermittelte in der Tat vor der Wahrheit bestehen bleiben kann
oder ob es sich als falsch erweist.
Um es von der Seite der Kirche her zu beleuchten: Da sie durch ihr
Oberhaupt und in ihm nur Unfehlbarkeit für den Glauben und die Sitten
beanspruchen kann, keineswegs aber für die Philosophie - die
Offenbarung ist nur die negative Norm der Philosophie -, ist auch eine
in der Rechtsform vorgeschriebene Vermittlung philosophischer
Positionen keineswegs im Glauben bindend, sondern kann nur unter
disziplinären Aspekten gesehen werden. D.h. die Kirche hat in Sachen
Philosophie positiv nicht die Autorität, die sie in Glaubens- und
Sittenangelegenheiten hat. Ihr Aufgabe beschränkt sich darauf, nur dann
philosophische Sätze zu zensieren, wenn diese gegen die Offenbarung
gerichtet sind bzw. wenn sie diese ganz oder teilweise leugnen 29) -
unter der expliziten Voraussetzung, daß die Offenbarungsaussagen
absolut gewiß sind. Da die Wahrheit ungeteilt ist, kann sie sich
hinsichtlich ihres doppelten Erscheinens (in der Vernunft und in der
zweiten göttlichen Person) auch nicht widersprechen.
In diesem Zusammenhang muß man auch die Bemühungen des hl. Stuhls zur
Klärung des Verhält-nisses von Philosophie und Offenbarung sehen. In
dem Schreiben "Qui pluribus" vom 9. November 1846 bestimmte Pius IX.:
"(...) Denn wenn auch der Glaube über der Vernunft steht, so kann
dennoch niemals eine wahre Unstimmigkeit oder eine Gegensätzlichkeit
zwischen ihnen (d.i. Glaube und Vernunft) angetroffen werden, denn
beide stammen aus ein und derselben Quelle der unveränderlichen und
ewigen Wahrheit (...) und leisten sich so wechselseitig Hilfe, daß die
rechte Vernunft die Wahrheit des Glaubens beweist, schützt und
verteidigt, der Glaube aber die Vernunft von allen Irrtümern befreit".
30) (N.b. viele Rechtsfanatiker übersehen diesen Sachverhalt. Es geht
um Wahrheitsfindung, eine Aufgabe, der sich auch - und man muß dies
gegenüber einer bestimmten Gruppe von blinden Thomisten betonen - der
hl. Thomas verpflichtet wußte!!! 31) Die Auflage der Kirche, den
philosophischen Thomismus zu lehren und zu studieren, von der Dozenten
und Alumnen betroffen sind, hat - unter inhaltlich-sachlichen,
methodischen und autoritativen Gesichtspunkten gesehen - also nur
propädeutischen und pädagogisch-disziplinären Charakter, und darf, wie
gezeigt wurde, auch nur diesen haben.
Die Kirche, die diese Bestimmung erlassen hat, kann zwar den Wunsch
hegen, daß auch die Alumnen ihrer Anstalten die inhaltlichen Positionen
des von ihr favorisierten Lehrers übernehmen möchten, aber sie darf
dadurch die Selbständigkeit des geistigen Vollzuges, der eigenen
Einsicht nicht aufheben wollen.
Warum die Reglementierung des Philosophie-Unterrichts durch eine Rechtsvorschrift?
Man kann natürlich fragen, welchen Sinn es macht, eine Rechtsvorschrift
für Lehrmaßnahmen in einem Fach zu erteilen, die sich letztendlich auf
den Stellenwert eines Propädeutikum reduzieren lassen. Um diese Frage
im Sinne von Leo XIII., der auch persönlich ein großer Bewunderer der
Wissenschaft des hl. Thomas v. A. war, zu beantworten, muß man auf
seine Ausführungen in "Aeterni patris" zurückgreifen, die zunächst die
Aufgabe der Philosophie bestimmen, um dann den hl. Thomas als
vorzüglichen Vertreter dieses Faches zu bejubeln: "(...) zunächst
nämlich vermag die Philosophie, wenn sie von Weisen sachgemäß betrieben
wird, gewissermaßen den Weg zum wahren Glauben zu ebnen und zu festigen
und die Herzen ihrer Zöglinge für die Aufnahme der Offenbarung
angemessen vorzubereiten. (...) Sind so [mit Hilfe der Philosophie] die
festesten Grundlagen gelegt, so ist immer noch der fortwährende und
vielfältige Gebrauch der Philosophie erforderlich, damit die heilige
Theologie die Natur, Beschaffenheit und den Geist einer wahren
Wissenschaft annehme und anziehe. In dieser vornehmsten der
Wissenschaften ist es nämlich überaus notwendig, daß die vielen und
verschiedenartigen Teile der göttlichen Lehren gleichsam zu einem
Ganzen verbunden werden, daß alle ihren jeweiligen Orten angemessen
zugeordnet und aus ihren eigenen Prinzipien abgeleitet durch ein
geignetes Band miteinander zusammenhängen; daß schließlich alle und die
einzelnen durch ihre eigenen und zwar unüberwindlichen Beweise
bestätigt werden. (...) Schließlich ist es auch Aufgabe der
philosophischen Wissenschaften, die von Gott überlieferten Wahrheiten
gewissenhaft zu schützen und denen, die sie zu bekämpfen wagen,
entgegenzutreten. In dieser Hinsicht ist es ein großes Lob der
Philosophie, daß sie als eine Schutzwehr des Glaubens und als ein
starkes Bollwerk der Religion gilt." 32)
"Unter den scholastischen Lehrern ragt als Fürst und Meister aller
Thomas von Aquin weit heraus, der, wie Cajetan bemerkt, weil er die
alten heiligen Lehrer aufs höchste verehrte, darum gewissermaßen die
Einsicht aller erlangt hat. Thomas sammelte ihre Lehren und fügte sie
wie zerstreute Glieder eines Leibes zu einem einzigen zusammen, teilte
sie in wunderbarer Ordnung ein und mehrte sie so mit großem Zuwachs,
daß er mit Fug und Recht als einzigartiger Schutz und Zierde der
katholischen Kirche gilt. (...) Indem Wir also verkünden, man solle mit
willigem und dankbarem Herzen alles aufnehmen, was weise gesagt, was
von irgend jemand nützlich erfunden und ausgedacht wurde, ermahnen Wir
Euch alle (...) nachdrücklich, zum Schutz und zur Zierde des
katholischen Glaubens, zum Wohle der Gesellschaft und zum Wachstum
aller Wissenschaften die goldene Weisheit des heiligen Thomas
wiederherzustellen und möglichst weit zu verbreiten." 33)
Leo XIII. ging es primär um die Instrumentalisierung der Philosophie
für die Theologie, die durch ihre begriffliche Transparenz theologische
Positionen aufbereiten und (mit)aufklären sollte: "Philosophia ancilla
theologiae". Der Papst erhoffte sich davon, daß die Theologiestudenten
mit dem (klaren) Begriffsapparat des Thomismus gegen moderne Irrtümer
gefeit werden könnten, um ihnen das Abirren in naturalistische oder
atheistische Systeme zu ersparen und um ihnen sogleich den Weg zu
eröffnen, von dem er annahm, daß er ihre intelektuelle Formation
optimal fördern würde. Man kann vielleicht davon ausgehen, daß Leo
XIII. auf die strenge Begrifflichkeit des hl. Thomas zurückgegriffen
hat, um in der damaligen Zeit einer allgemeinen Konfusion der
philosophischen Meinungen vorzubeugen, daß er also gleichsam die
'Notbremse' gezogen hat (zu der er disziplinär berechtigt war), weil er
andererseits sehr wohl um den Stellenwert der Philosophie zur
begrifflichen Absicherung theologischer Positionen wußte. (Ob
allerdings für diese disziplinäre Maßnahme die spätere
kirchenrechtliche Verankerung erforderlich war, kann bezweifelt werden.)
Um den Sinn einer solchen Maßnahme von einer anderen Seite her zu
beleuchten, möchte ich folgendes Beispiel zur Illustration anführen. Es
wäre z.B. sehr wohl auch vorstellbar, wenn ein Papst in Zeiten, in
denen die jungen Menschen ausgesprochen verwöhnt wären, verbindlich
vorschreiben würde, daß die Alumnen in den Seminarien regelmäßig zum
Bergsteigen gehen oder sich anderen körperlichen Ertüchtigungen widmen
sollten - am besten bei "Wind und Wetter", damit "wetter-feste", d.h.
willensstarke, durchsetzungs- und einsatzbereite, sozial mitfühlende
und sich ihrer Pflicht hingebende junge Männer aus ihnen werden sollen,
die später einmal zu Priestern geweiht werden könnten. Eine Garantie,
daß durch diese sportliche Betätigung tatsächlich willensstarke
Persönlichkeiten herangebildet werden, ist dadurch aber nicht
garantiert, denn die Annahme bzw. Zustimmung zu dieser Maßnahme als
pädagogisches Mittel liegt bei jedem einzelnen.
Eine solche Maßnahme hätte - auch wenn sie in der Form einer
Rechtsvorschrift gegeben würde -, von der Sache her nur eine begrenzte
Effektivität, zumindest träte ein Erfolg nicht notwendig ein. Gleiches
gilt von der Vorschrift, an den Seminarien Philosophie nach dem
hl. Thomas zu studieren: vom Resultat her bildet das Thomas-Studium nur
die philosophische Propädeutik für das eigentliche Selbst-Studium der
Philosophie. Um gleich bei dieser zu bleiben: in disziplinärer Hinsicht
wäre es auch vorstellbar, daß eines Tages die Schriften Kants oder
Fichtes vorgeschrieben werden, wenn man einmal den damit verbundenen
propädeutischen Vorteil erkannt haben sollte.
Fehlpositionen
Bestimmte Kreise haben leider die sachlich unhaltbare Vorstellung - wie
wir ausführlich gezeigt haben -, daß mit der Verpflichtung, ein Fach
nach einem bestimmten Autor zu studieren, auch die unkritische
Übernahme von dessen Positionen verbunden sein muß. Hier liegt entweder
Unkenntnis der philosophischen Aufgabe oder eine unzulässige
Gleichsetzung der Theologie mit der Philosophie vor. Würde die
Selbständigkeit der Philosophie geleugnet oder ignoriert, würde sich
die Kirche eben jener unabhängigen wissenschaftlichen Plattform
begeben, von der Papst Leo XIII. gesagt hat, "schließlich ist es auch
Aufgabe der philosophischen Wissenschaften, die von Gott überlieferten
Wahrheiten gewissenhaft zu schützen und denen, die sie zu bekämpfen
wagen, entgegenzutreten. In dieser Hinsicht ist es ein großes Lob der
Philosophie, daß sie als eine Schutzwehr des Glaubens und als ein
starkes Bollwerk der Religion gilt." 34)
Die Interpretation von Kan. 1366 § 2 des CIC als Rechtsrat
Wir haben unseren bisherigen Überlegungen, welche Konsequenzen sich aus
der Anwendung bzw. Befolgung des Kanon 1366 § 2 für das Studium der
Philosophie ergeben - auch im Selbstverständnis der Thomisten -, die
Auslegung dieses Paragraphen als Rechtsvorschrift (der Thomismus muß
studiert werden!) zugrunde gelegt. Dabei kann man einmal davon
ausgehen, daß damit der Ausschluß anderer Philosophenschulen bzw.
Systeme implizit mitgemeint war: die Studenten müssen nach Thomas
unterrichtet werden, also nach keinem anderen. Legt man aber dem Kanon
1366 § 2 die Interpretation "sie sollen den hl. Thomas studieren"
zugrunde, d.h. man versteht diese Vorschrift als Rechtsrat - wir haben
sogar gezeigt, daß vieles für eine solche Auffassung spricht -, dann
ergibt sich aus der Applikation dieser kirchenrechtlichen Bestimmung
eine andere Konsequenz: das Exkludieren anderer Philosophenschulen bzw.
Systeme könnte dann nicht mehr gemeint sein. Dieses "sollen" ließe die
Möglichkeit, nach weiteren Philosophen zu unterrichten, offen! Wenn man
in dieser Hinsicht die Aussagen z.B. von Pius XII. einmal genau
analysiert, wird dort sogar gewissermaßen vorausgesetzt, daß die
Studenten mit Offenheit an moderne Probleme herangehen sollen. 35)
Die Auslegung des Kanon 1366 § 2 als Rechtsrat läßt aber noch eine
weitere Möglichkeit zu, nämlich die des Alternierens: dieser Konjunktiv
würde besagen "sie sollen, müssen aber nicht ... nach Thomas
studieren", d.h. zum hl. Thomas könnten auch andere Autoren als
Philosophen herangezogen werden (wie das historisch vor Leo XIII. ja
auch der Fall war).
Ohne der systematischen Kritik des Thomismus vorzugreifen, der noch ein
eigenes Kapitel zu widmen ist - liegt es heute nahe, diese
inkludierende Interpretation, d.h. einer Auslegung, nach der auch ein
Zu-Rate-Ziehen anderer Autoren gestattet ist, allein schon aus dem
Grunde nahe, weil gewisse philosophische Disziplinen vom hl. Thomas gar
nicht ausgebildet worden sind, weil dessen primäres Interesse eben
nicht der Abrundung eines philosophischen Systems galt, sondern der
theologischen Durchdringung der Offenbarung! So fehlen - um nur einige
Disziplinen aufzuzeiegn: eine durchgeführte Interpersonalitätslehre,
eine Rechtsphilosophie, eine Ästhetik etc.; andere Disziplinen wurden
nur unvollständig dargestellt: die Religionsphilosophie, die
Erkenntnistheorie (auf die wir in der eigentlich systematischen Kritik
noch zu sprechen kommen), die Ontologie.
Ich könnte, um gegenüber den Thomas-Fans, die den Kan. 1366 § 2
triumphalistisch um ihr Haupt schwingen, noch das Problem der
ungesicherten Textlage vorhalten, um sie aus ihren selbstgewählten
Höhen auf den Boden wissenschaftlicher Kleinst- ja Ziselierarbeit
herunterzuholen und sie darauf aufmerksam zu machen, daß die einzige
Thomas-Ausgabe, die nach heutigen Maßstäben der Editionstechnik
kritisch genannt werden kann, die von Papst Leo XIII. 1880 initierte
sog. "Editio Leonina", die 1882 ihre Arbeiten aufnahm und bis heute -
bis 1988! - erst 31 Bände vorlegen konnte, wobei die ersten Bände
dieser Reihe heutiger Textkritik nicht mehr stand halten! 36) D.h. es
ist nicht einmal genügend philologische Kleinarbeit geleistet, um die
eigentliche Aufgabe, die philosophische Durchdringung problemfrei
leisten zu können! Doch auf einzelne textkritische Probleme einzugehen,
spare ich mir, weil die wenigsten Sinn dafür haben und ihnen die
Schwierigkeiten handschriftlicher Entzifferung weitgehend unbekannt
sein dürften.
Zusammenfassung
Wichtig für unsere Überlegungen ist nur folgendes: auch wenn sich
jemand auf die rigoristische Interpretaton des Kanon 1366 § 2 festlegt,
die besagt, daß nur der hl. Thomas von Aquin als Autor für den
philosophischen Unterricht an katholischen Seminarien herangezogen
werden darf, resultiert aus unseren gesamten bisherigen Darlegungen:
unter Berücksichtigung philosophischer Vermittlung zwischen Lehrer und
Schüler ist dem Studium des Thomismus lediglich propädeutischer
Charakter beizumessen, womit eine inhaltliche Adaption oder Festlegung
auf thomistische Positionen bzw. eine kritiklose Übernahme derselben
sowohl seitens des Lehrers als auch des Schülers nicht einmal
intendiert sein darf. Denn vom Vollzug der eigenen Einsicht darf
niemand, der als Philosoph, d.h. als Selbstdenker gelten will,
dispensiert werden.
Die Aufgeregtheit vieler Thomisten und Traditionalisten, denen
philosophische Fachkenntnis in der Regel abgeht, hat ihren Grund in der
Angst, etwas zu verlieren, was sie bisher noch nicht (im geistigen
Besitz) hatten, nämlich eigene EINSICHT, die sie nach ihren üblichen
Vorstellungen davon, in der Form des bloßen Deklarierens und
Propagierens, auch gar nicht haben können.
Dies zu zeigen, war u.a. Aufgabe der vorstehenden Abhandlung.
In einem der nächsten Hefte werde ich die Debatte um die Bedeutung der
kirchlichen Bestimmungen in Kan. 1366 § 2 mit einer inhaltlichen
Analyse und Kritik grundlegender thomistischer Positionen weiterführen
und beenden.
***
Anmerkungen:
1) Um es noch einmal zu betonen: in unserer Abhandlung geht es
lediglich um die Untersuchung der philosophischen - und nicht der
theologischen! - Positionen des hl. Thomas. Seine theologischen
Auffassungen und ihr teilweises Abweichen von der kirchlichen Lehre
bleiben in diesen Überlegungen völlig unberücksichtigt.
2) Einmal abgesehen von der öffentlichen Erwiderung durch Herrn Dr.
Filser (s.b.u.), haben uns nur zwei kritische Stimmen erreicht. In der
einen Kritik wurde uns vorgeworfen, warum wir überhaupt das Problem
"Welche Philosophie" thematisiert hätten, warum wir nicht einfach die
Vorschriften in CIC can. 1366 §2 akzeptierten - diese Frage ist
speziell Gegenstand der vorliegenden Abhandlung -, in der anderen wurde
mir persönlich von einem Mit-arbeiter beschieden, daß er nicht "die
geistliche Autorität (...) eines kath. Bischofs besitze, einem
Katholiken zu verbieten, nach wie vor einer prinzipiell falschen
Philosophie anzuhängen und mit einer solchen hausieren zu gehen"... ein
Vorwurf, der - abgesehen von den persönlichen Imputationen - mit
Argumenten nicht weiter dargelegt wird. Außerdem liegt ihm implizit
zugrunde, daß es Aufgabe eines Bischofs ist, Amts-Autorität im Fach
Philosophie außerhalb eines Seminarbetriebes auszuüben, womit die
Philosophie behandelt würde wie kirchliche Dogmen, was - wie bereits
dargelegt (EINSICHT XXV/2, S. 30) - den Tod der Philosophie als
eigenständige Wissenschaft bedeuten würde. Die von der Kirche gehütete
Offenbarung ist nur eine negative Norm der Philosophie. Deswegen hat
die Kirche das Recht und die Pflicht, philosophische Theoreme, welche
den wahren Sinn der Offenbarung direkt oder indirekt angreifen oder
leugnen, als Irrtümer zu be- und dann vor der Öffentlichkeit zu
verurteilen. (Vgl. "Syllabus" n. 10, 11, 14) Dies ist aber nicht
geschehen!
3) Diesem Mangel gedachte u.a. der vormalige Thomist Rahner S.J. durch philosopische Anleihen bei Hegel Abhilfe zu verschaffen.
4) Kurz nach Erscheinen unserer Abhandlung über die
philosophie-geschichtliche Einordnung des Thomismus (in EINSICHT XXV/2)
wurde ich auf eine Arbeit von Etienne Couvert "Mort et résurrection du
Thomisme au XIXe siècle" (in LECTURE ET TRADITION; No 211-212 vom
Sept./Okt. 1994, S.9 ff.) aufmerksam gemacht, in der der Autor die
Entwicklung der Philosophie zu Beginn des 19. Jahrhunderts darlegt und
auch auf die Gründe eingeht, warum Leo XIII. den Thomismus so umfassend
wieder förderte.
5) Interessant in diesem Zusammenhang ist die Mitteilung von Herrn
Prof. Lauth an die Redaktion, wonach Herr Dr. Filser ein
philosophisches Lehrbuch von ihm, welches nach
transzendentalphilosophischen Kriterien aufgebaut ist, aber im
Buchhandel nicht mehr erhältlich war, auf eigene Initiative (und eigene
Kosten) kopiert habe, um die Ko-pien an die Seminaristen zu verteilen,
wohl wissend, daß es die Verpflichtung zum Thomismus nach CIC can. 1366
§2 gab, welches Problem von dem inzwischen verstorbenen Bischof Dr.
Storck mehrfach vor den Seminari-sten offen angesprochen worden war.
Herr Filser, der sich als Nicht-Philosoph angeblich so für den
philosophi-schen Thomismus erwärmt - eigentlich erwärmt er sich nur für
den ca. 1366 § 2 des CIC -, hatte sich zu Lebzeiten von Bischof Storck
auch sonst für den Unterricht der Transzendentalphilosophie in dessen
Seminar eingesetzt. - Was die Angelegenheit mit dem aufgelösten Seminar
betrifft, für welches Herr Filser immer noch Propaganda macht, so kann
sich jeder davon überzeugen, daß diese angebliche Institution nicht
mehr existiert. Selbst H.H. Kaplan Baird hat sich inzwischen von dem
Vereinsvorsitzenden Filser getrennt.
6) In einem weiteren Teil unserer Untersuchung wird die Frage gestellt,
unter welchen Umständen es nicht nur er-laubt, sondern sogar geboten
ist (unter den von der Kirche selbst gegebenen Voraussetzungen!), eine
vom Tho-mismus abweichende Philosophie zu studieren bzw. auch zu lehren.
7) CIC c. 1366 § 2: "Philosophiae rationalis ac theologiae studia et
alumnorum in his disciplinis institutionem professores omnino
pertractent ad Angelici Doctoris rationem, doctrinam et principia,
eaque sancte teneant." - "Die Lehrer in den Priesterseminarien sollen /
müssen ihre Forschungen der Philosophie und Theologie und die
Unterrichtung der Alumnen in diesen Fächern ganz und gar nach der
Methode, der Lehre und den Prinzipien des Thomas von Aquin betreiben
und diese gewissenhaft einhalten."
8) Vgl. dazu Lehmen S.J., Alfons: "Lehrbuch der Philosophie auf
aristotelisch-scholastischer Grundlage" 1. Bd., Freiburg im Brsg. 1909
9) Zur Frage des Begriffs der Philosophie sei auf folgende Abhandlungen hingewiesen:
1. Descartes, René: "Regulae ad directionem ingenii".
2. Descartes, René: "Discours de la methode".
3. Kant, Immanuel: "Kritik der reinen Vernunft". Kapitel: "Die Architektonik der reinen Vernunft".
4. Fichte, Johann Gottlieb: "Über den Begriff der Wissenschaftslehre".
5. Schelling, Friedrich Wilhelm J.: "Erlanger Vorlesung" von 1821.
6. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: "Die Phänomenologie des Geistes", Vorrede.
7. Reinhold, Karl Leonhard: "Ueber das Fundament des philosophischen Wissens" Jena 1791.
8. Kutschera, Franz von: "Über das Problem des Anfangs der Philosophie im Spätwerk Husserls" München l960.
9. Lauth, Reinhard: "Begriff, Begründung und Rechtfertigung der
Philosophie", München 1967 - Zur Einführung in unsere Problematik
empfehle ich besonders die Arbeit von Herrn Prof. Lauth.
10) Lauth, op. cit., S. 35.
11) Auch wenn der Thomist diese Voraussetzung nicht expreß reflektiert
haben sollte, kommt er nicht umhin, sie dennoch zuzugestehen.
12) Ich erwähne hier, daß diese Ebene des notwendigen Denkens, welches
auch der Mathematik und der formalen Logik zugrunde liegt, nicht die
eigentliche Stufe der Evidenz ist. Bei Descartes gilt dieses "cogito -
ergo sum" nur unter der Voraussetzung: "Deus est". Ähnliches gilt für
unsere Fragestellung: Reicht für die Wahrheit die bloße
Denknotwendigkeit aus? - Weil es notwendig zu denken ist, ist es wahr?
Darin erschöpft sich die Wahrheit als solche sicherlich nicht! Es wäre
also noch zu klären, wann in der Tat der Anspruch an wirkliche Evidenz
erfüllt ist.
13) Vgl. dazu auch Schüler, Wolfgang: "Die addidistische Denkmethode
als Instrument der Glaubenszerstörung" Hattersheim 1993
(Vortrags-Sonderdruck)
14) Lehmen S.J., Alfons: "Lehrbuch der Philosophie auf
aristotelisch-scholastischer Grundlage" 1.Bd., Freiburg im Brsg. 1909,
S. 2
15) s.b. Anmerkung 8)
16) a.a.O., S.1 f.
17) a.a.O., S. 6
18) a.a.O., S. 4 f.
19) Vgl. EINSICHT 25/2 vom Juli 1995, S. 44. - Kant hatte geschrieben:
"Bisher nahm man an, alle unsere Erkennt-nis müsse sich nach den
Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch
Begriffe auszuma-chen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde,
gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es da-her
einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser
fortkommen, daß wir annehmen, die Ge-genstände müssen sich nach unserem
Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten
Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die
über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll.
(...) In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der
Gegenstände betrifft, es auf ähn-liche Weise versuchen. Wenn die
Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte,
so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne;
richtet sich aber der Gegenstand (als Objekt der Sinne) nach der
Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese
Möglichkeit ganz wohl vorstel-len." (Kant, Immanuel: "Kritik der reinen
Vernunft" Riga 1787, S. XVI-XVII)
20) Kant, a.a.O., Vorrede, B 25.
21) Kant, a.a.O.
22) Vgl. dazu auch die erkenntnistheoretischen Ansätze des hl. Thomas
v. Aquin: "Summa theologiae", I, qu. 75-79, qu. 84-88; "De veritate"
qu. X.
23) Lehmen S.J., Alfons: "Lehrbuch der Philosophie auf
aristotelisch-scholastischer Grundlage" 1.Bd., Freiburg im Brsg. 1909,
S. 2. Fast gleichlautend wird die Aufgabe der Philosophie auch in
Wetzers und Welte's "Kirchenlexi-kon", 9. Bd., Freiburg i.Brsg. 1895,
Col. 2042, definiert.
24) Vgl. Reinhold, Karl Leonhard: "Versuch einer neuen Theorie des menschlichen Vorstellungsvermögens" Prag und Jena 1789.
25) Fichte, Johann Gottlieb: "Die Wissenschaftslehre" vorgetragen im
Jahre 1804, in "Nachgelassene Werke" II. Bd., Bonn 1834, S. 92 f.
26) Gen. I, 28
27) Lehmen S.J., Alfons: "Lehrbuch der Philosophie auf
aristotelisch-scholastischer Grundlage" 1.Bd., Freiburg im Brsg. 1909,
S. 5
28) a.a.O., S. 6
29) Syllabus, n. 10, 11, 14.
30) Pius IX,"Qui pluribus", 9.11.1846, (D 1635 ff., DS/DH 2776 ff.).
31) Geradezu unverständlich ist die Haltung jener Thomas-Anhäger, die
nicht bereit sind, außer ihrem Idol noch andere geistige Größen
anzuerkennen, wo doch gerade der hl. Thomas nicht zögerte, auf
Aristoteles zurückzugreifen, um die damals modernen Irrtümer des
Avveroismus zu bekämpfen.
32) Leo XIII., Enzyklika "Aeterni Patris", 4. August 1879 (CICF III, 136-150, n. 578; DH 3135-3140), in Auszügen.
33) a.a.O.
34) a.a.O. - Der Hinweis auf die Möglichkeit der wissenschaftlichen
Begründbarkeit theologischer Aussagen, d.h. einer wissenschaftlichen
Ansprüchen genügenden Religionsphilosophie, setzt natürlich voraus (wie
das bereits der hl. Anselm von Canterbury tat, der davon ausging, daß
fides und ratio, Glaube und Vernunft vereinbar seien), daß der Glaube
durch und durch vernünftig sei, wie das auch von Pius IX. (im
"Syllabus") bestätigt wurde.
35) Vgl. Pius XII., Ermahnung "Menti Nostrae", 23. September 1950,
III.3 (Mayer IV, 78): "Obwohl bei der intellek-tuellen Bildung der
jungen Seminaristen auch die anderen Fächer nicht vernachlässigt werden
dürfen, wie etwa das heute so wichtige Studium der sozialen Frage, so
muß doch besonderes Gewicht auf die philosophische und theo-logische
Ausbildung nach der Lehre des heiligen Thomas von Aquin (vgl.
C.I.C., can. 1366, 2) gelegt werden, und zwar unter Anpassung an die
heutige Zeit und mit Rücksicht auf die Irrtümer der Gegenwart."
36) Zur Textlage vgl. u.a. Weisheipl, James A.: "Thomas von Aquin -
Sein Leben und seine Theologie" Graz Wien Köln 1980, S. 321 ff.; ebenso
Pesch, Otto Hermann: "Thomas von Aquin" Mainz 1988, S. 404 ff.
* * * * *
HINWEIS:
Der Nachdruck von v. Goechhausens "System der Weltbürger-Republik" (Rom
1786), in dem der Autor - selbst ein Insider - das Programm der
Freimaurerei und des Illuminatismus darstellt, ist noch vorrätig und
kann bei uns bestellt werden.
Über führende Illuminaten aus Deutschland waren die Pariser Logen
instruiert worden, ihre Aktivitäten auf jene politischen Ziele zu
richten, die dann in politischer Hinsicht bestimmend waren für die
Französische Revolution, die in ganz Europa zu großen Erschütterungen
und Kriegen mit Millionen von Toten führte. Der Nachhall jener
revolutionären Ideen schlug sich schließlich im religiösen Bereich in
den Ergebnissen des Vatikanums II mit seinen Reformen nieder und
bestimmt inzwischen unser gesamtes geistiges, offiziöses
Klima.
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Riedhofweg 4, D - 82554 - Ergertshausen, Tel.: 08171/28816) oder an die
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