Warum ich römisch-katholisch bin
Brief an einen muslimischen Freund
Zunächst herzlichen Dank für Deinen Brief. Ich weiß Dein Vertrauen zu
schätzen und hoffe, daß Dich meine Reaktion nicht zu sehr enttäuscht.
Daß ich auf der "geistlichen Akzeptanzebene" die islamischen
Vorstellungen von Christus und seinem Kreuzestod nicht teilen kann,
wirst Du sicher verstehen, aber es geht Dir ja auch nicht darum mit mir
in eine solch spezifische Debatte einzutreten. Meine Erklärung hört
sich vielleicht einfach an, ist aber durchaus nachvollziehbar.
Natürlich hatte Jesus sicher auch Angst vor den schrecklichen Qualen,
die auf ihn warteten, er wußte ja ganz genau, was auf ihn zukam. Daher
seine verzweifelte Bitte, auch angesichts seiner - außer Judas -
nichtsahnenden Jüngerschar, diesen Kelch, wenn es möglich ist, an ihm
vorübergehen zu lassen. Er hätte sich ja zudem leicht aus der Affaire
ziehen können, wenn er im Ölgarten den Versuchungen Satans gefolgt
wäre, aber er hat es nicht getan, sondern diese Schlange zertreten und
seine Angst besiegt. Ähnlich ist auch sein Ruf am Kreuz zu verstehen.
Natürlich fühlte er sich in diesen furchtbaren Stunden verlassen, doch
Gott hat seine Bitte erhört und mit der Auferstehung Jesu den Tod
besiegt.
Ob es sich nun um den christlichen Glauben an den dreifaltigen Gott
oder an Christi Wort "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh 14,6) handelt, wenn es
ernst wird, ist man mit dem „interreligiösen Dialog“ in der Regel
schnell am Ende. Nur ein Beispiel: Deine Vermutung, die Christen hätten
mit dem Geburtsfest Jesu ein heidnisches Festdatum besetzen wollen, das
Fest des spätrömischen "Sol invictus" etwa oder ein germanisches
Sonnenwendfest, wurde durch die christliche Rhetorik mit ihren auf
Christus bezogenen Sonnenvergleichen tatsächlich erhärtet. Es ist aber
offenbar anders gewesen. Es war nämlich gar nicht das Datum des 25.
Dezember, das die Kirchenväter beschäftigte; sie blickten auf ein ganz
anderes Datum, den 25. März, der nach alter jüdischer Tradition der Tag
war, an dem Gott das Werk der Weltschöpfung begann. Indem sie dieses
Datum als den Tag annahmen, an dem Maria auf Ankündigung durch den
Engel ihren Sohn vom Heiligen Geist empfing, ergab sich der 25.
Dezember neun Monate später als Geburtstag von selbst. Es gibt keinen
Zweifel, daß der 25. Dezember, der im vierten Jahrhundert nach Christus
schließlich zum Weihnachtstag erklärt wurde, ausschließlich unter dem
Gesichtspunkt des Glaubens gewählt worden war. Es war natürlich
niemandem daran gelegen, den gleichsam standesamtlich korrekten
Geburtstag Jesu herauszufinden, für den sich offenbar keiner der Jünger
und Evangelisten interessiert hatte. Das Ideal der Apostel war jedoch -
wie das erst im Mittelalter in die Liturgie geratene Schlußevangelium
beweist -, jeden Tag Karfreitag und Ostern, aber eben auch Weihnachten
zu feiern.
Als römischer Katholik, der mit großer Trauer sieht, wie sich Seine
Kirche zu Tode reformiert hat und wie sich als Vorhut einer
lendenlahmen und konturenlosen Welt-Einheitsheitsreligion nach dem
Geschmack der UN ein symbol-, bilder- und kunstfeindlicher
Protestantismus breitmacht - im Gegensatz zu Dir bin ich überzeugt, daß
die Ökumene das völlige Verschwinden des traditionellen und orthodoxen
Katholizismus zur Folge haben wird, nicht umsonst hat der Vorsitzende
der sogenannten „deutschen Bischofskonferenz“ "Kardinal" Lehmann, eine
der größten Pfeifen hierzulande, kürzlich in einem wunderschönen
Freudschen Versprecher vom kommenden "Evangelischen Katholikentag"
gesprochen -, bin ich vollständig der Ansicht, daß Religion primär
einem metaphysischen Bedürfnis geschuldet ist und nicht allein der
Entscheidung für die besseren Beweise. Aus der menschlichen Existenz
und ihren organisch-materiellen Abgründen, aus Einsamkeit, Alter,
Schmerz, Krankheit und Tod müßte dem verzweifelten Mensch ein Licht
aufgehen, dem er unbeirrbar folgt, weil es das einzige ist. So habe ich
letztlich wieder zum Glauben gefunden, nachdem ich in den letzten
Jahren ein paar Mal dem Tode sehr nahe war. Allerdings hatte ich den
Katholizismus gewissermaßen schon mit der Muttermilch aufgesogen. Nach
Krieg und Flucht lebten wir ein paar Jahre in Mechernich, einem vor
Katholizismus geradezu dampfenden Bergarbeiterdorf in der Eifel, dem
Geburtsort meiner lieben Mutter. Es war eine Welt der absoluten Macht
der katholischen Kirche, mit der ersten Messe um 5 Uhr morgens, mit
Frauen, die, wenn sie mit 30 Jahren Witwe geworden waren, mit 70 Jahren
auch noch schwarz trugen, bis sie - ohne je wieder geheiratet zu haben
- zur letzten Ruhe gebettet wurden. Das habe ich alles noch erlebt. Es
war eine Welt der Autorität, der Feste und der harten Arbeit. Das mag
ich heute vielleicht romantisieren, ich glaube aber, daß es eine
bessere Welt war. Diese Welt ist natürlich verschwunden. Heute kann man
auch auf dem Marktplatz von Mechernich Heroin kaufen.
Ich habe diese katholische Prägung auch noch behalten, als wir 1949
nach Frankfurt kamen. Aber das war immer dieser rheinische
Katholizismus meiner Mutter, sehr liberal eben. Aber auch Christus ist
auf der einen Seite ungeheuer radikal, hart, auf der anderen Seite von
einer wahren, seelsorglichen, einfühlenden Liberalität. Man darf das
nur nicht mit Liberalismus verwechseln, der ist freilich des Satans.
Aber wahre christliche Liberalität stammt von Christus und von der
Praxis des Gottmenschen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt.
Irgendwann in der Pubertät habe ich dann leider das Interesse am
Glauben verloren und in den "Revolutionswirren" von 1968 begonnen Gott
zu verleugnen.
Daß ich wieder zum Katholizismus fand, hat auch damit zu tun, daß ich
die selbstverantwortete religiöse Individualität des Protestantismus
für eine höchst unsichere und gefährdete Sache halte. Das
protestantische "Alleinsein mit Gott" macht mir Angst und die Spannung
zwischen katholischer Wahrheit und protestantischer Freiheit halte ich
letztlich für unauflösbar. Und Luther ist auch heute noch für mich in
erster Linie ein schrecklicher Verschwender, weil er das Wertvollste an
der Kirche weggeschmissen hat, die Symbole. Daß mir bei vielen
süßlich-kitschigen Darstellungen der Muttergottes mit dem Jesulein auch
die Galle hochkommt ist doch klar, aber es gibt eben auch eine Heilige
Kunst (Giotto), dessen Franziskuslegende und Marien- und Heilandsleben
zum Wundervollsten gehören, was Menschen vollbracht haben.
Lieber Freund, das, was Du heute im offiziellen Raum der Kirche ringsum
siehst, das ist nicht das wahre Erscheinungsbild der katholischen
Kirche, sondern eine Karikatur desselben. Das beginnt mit der
primitiven Vorstellung, alles zur Kirche heimzuholen, ein in jeder
Hinsicht überholter Integralismus. Christus braucht doch uns verkommene
Menschen nicht, sondern wir brauchen Ihn. Daher fand ich das eigentlich
immer ganz gut, wenn es einem nicht zu leicht gemacht wird, zum
Katholizismus zu konvertieren. Das geht weiter mit der Behauptung, die
gesamte Menschheit sei in einer ent-scheidenden Stunde ihrer
Entwicklung zur Reife gelangt (Gaudium et spes 77.1.). Eine dicke
Irrlehre! Es ist völlig unmöglich, daß die Menschheit kollektiv zur
Reife kommt. Im Gegenteil ist der Mensch in diesem nihilistischen
Jahrhundert so tief vom Geistigen abgekommen, wie nie zuvor. Die Leute
haben keine Ahnung von der Theologie der Väter, von der
jahrtausendalten Erfahrung des Gottmenschentums nicht den blauen Dunst
eines blassen Schimmers, aber sie haben theologische Standpunkte. Das
ist furchtbar! Und dann das ständige Geschwätz von der "Frohbotschaft"
anstelle der "Drohbotschaft". Ein völlig auf den Hund gekommenes
Frieden-Freude-Eierkuchen-Geseiere, unter aller Kritik. Es gibt keine
wahre Religiosität ohne das Erschrecken, die Devotion, das Gepacktsein,
das plötzlich Ergriffensein vor etwas Unerwartetem, das Staunen. Aber
man hat den Leuten ja das Staunen gründlich ausgetrieben, dafür ist man
jetzt "cool". Aber wo das Staunen fehlt, fehlt alles! Das ist auch mit
dem Wort gemeint: "Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit."
Betrat man früher eine Kirche, einen Dom oder eine Kathedrale, betrat
man damit auch die Unendlichkeit, die Ewigkeit und wurde der höheren
Dimension gewahr. So sollte die ganze Liturgie sein, überwältigend,
groß, herrlich, übernatürlich, himmlisch, jenseitig. Allein gegenüber
dieser Erkenntnis wird deutlich, wie brutal, barbarisch, seelenmordend
und kulturzerstörerisch die neue Art und Weise ist "Liturgie" zu
feiern. Da ist alles ganz flach, gemein, alltäglich, gewöhnlich. Diese
neue, abscheuliche, sakrilegische, schändliche Form der Messe ist eine
einzige Lästerung Gottes und seines Sohnes, der sich mit dem Kreuzestod
für viele opferte (statt "für viele" heißt es übrigens in der Neuen
Meßordnung "für alle", eine sehr entlarvende und bezeichnende
Fälschung). Und dann noch der sog. "Volksaltar" samt Hand- und
Stehkommunion, vor dem der Priester wie hinter einer Kneipentheke
steht, natürlich mit dem Gesicht zu den Gläubigen und die Heilige
Wandlung vollzieht. In der Ostliturgie verschwindet der Priester hinter
der Königspforte, hinter der Ikonostase. Da offenbart Er erst seine
Gegenwart, indem Er sich entzieht: "Er entschwand ihren Blicken. Da
gingen ihnen die Augen auf." Deshalb ist es so wichtig, daß der
Hochaltar in möglichst weiter Ferne ist von den Anwesenden, im Zeichen
der Entrücktheit. Nur der Ahnende kann verstehen, nur der weiß, daß er
nichts weiß, beginnt zu wissen: das ist ein wesentliches Grundgesetz
der heiligen Liturgie, um das die Menschen heute betrogen werden.
Man muß daher in Hinsicht auf die sogenannte „Konzilskirche“ vor einem
blinden Autoritätsglauben warnen, denn dieser ist bestens geeignet den
Geist zu verwirren. In diesem Punkt sind wir uns wieder sehr nahe. Ich
habe auch nicht vergessen, daß es in der Mehrzahl Muslime waren, die
gemeinsam mit dem wackeren Pfarrer Pietrek protestierten und
demonstrierten, als vor ein paar Jahren in Karlsruhe ein blasphemisches
Theaterstück aufgeführt wurde, in dem Christus als schwuler Alkoholiker
und Sozialhilfeempfänger verhöhnt wurde. Solch ein Dreck gilt
hierzulande inzwischen als Kunst, aber die Konzils-Katholiken scheint
es nicht zu stören. Und so bist Du, mit Deiner mir gleichzeitig
angsteinflößenden und inspirierenden Überzeugung, Deinem Glauben und
auch Deinem "Sendungsbewußtsein" mir viel näher als das ganze
katholisierende Gesindel, das, wenn es für sein Renommee einträglich
und nützlich ist, immer zu einem "Dialog" bereit zu sein scheint, ohne
jedoch jemals das Kind beim Namen zu nennen. Mein eigenes
"Sendungsbewußtsein" tendiert allerdings gegen null. Mir fehlt dafür
inzwischen das demokratische Verständnis für meine Mitmenschen. In
unserer erstaunlich geistlosen und erschreckend dekadenten Zeit kann
man sich eigentlich nur in sein Schneckenhaus zurückziehen und sich
seine Privatphilosophie zimmern, während sich die Spaßgesellschaft
ihren letzten Kick holt, bis sie eines Tages mit dem Ernst des
Elementaren, mit Gott und Satan, Liebe und Haß, Auferstehung und Tod,
Himmel und Hölle konfrontiert und wie ein Kartenhaus zusammenbrechen
wird.
Im übrigen darf man Religionsfreiheit und religiöse Freiheit natürlich
nicht verwechseln, wie das heute leider so oft geschieht. Aber unsere
modernistischen "christlichen" Kleriker und Theologen würden vermutlich
noch nicht einmal Satan erkennen, wenn er leibhaftig vor ihnen steht.
Und wenn ihnen dann doch langsam etwas dämmerte, würden sie
wahrscheinlich in einen "interreligiösen Dialog“ mit ihm eintreten,
weil er "irgendwie ja vielleicht auch ein bißchen recht hat". Die
Tatsache, daß überall die obskursten und dubiosesten "Glaubenslehren"
wie Pilze aus dem Boden sprießen und religiöse Fanatiker oder
politische Dunkelmänner ständig versuchen den religiösen Menschen in
die Hand zu bekommen und zu beherrschen hat genau mit diesem
Indifferentismus und Relativismus zu tun. Auch daran sieht man, daß das
einstmals "christliche Abendland" völlig abgewirtschaftet hat.
Allerdings wirst Du sicher bestreiten, daß eine vernunftgemäße
Religions-Lehre, eine natürliche Religion seit dem Niedergang des
Christentums nirgendwo mehr in Erscheinung tritt.
Von der christlichen Religion ist heute nur noch sehr wenig zu
erblicken. Aber vielleicht ist das ja auch ganz gut so. Vielleicht wird
ja nach einer sehr harten Zeit der schweren Prüfungen aus der
christlichen Religion, die zu einer Spielwiese für nicht erwachsen
werden wollende Kinder, die liebestrunken in religiösem Schwachsinn vom
"lieben Heiland" faseln endlich wieder das, was sie einmal war und was
nach Seinem Willen ihre ewige Bestimmung ist: Ein Kampffeld in der
Welt, auf dem Schlachten geschlagen, aber nur wenige Siege gefeiert
werden. Das war immer schon so, und wird wohl auch in Zukunft wieder so
sein. Für echte Christen kann das aber nichts anderes heißen, als
zurück in die Katakomben zu gehen und noch einmal ganz von vorne
anzufangen. Das ist aber überhaupt kein Grund zum Verzweifeln, denn die
Verheißung Jesu an die Apostel, denen klar geworden war, daß sie ohne
Seine physische Gegenwart ihren Glauben nicht bewahren würden, lautete:
Ich bin bei euch bis zum Ende aller Tage!" Womit wir wieder bei der
Liturgie und den Sakramenten wären, in denen Jesus in Handauflegung, in
Salbung und in den Körpern von Brot und Wein physisch fortlebt. Hier,
in der Wahrheit und Schönheit des christlichen Glaubens, erlebt der
Christ jene Gnade, die auch einen ewig Zweifelnden wie den Dichter
August Strindberg zum Glauben zurückführte. Auf seinem Grabmal stehen
die Worte geschrieben, die er sich dort gewünscht hatte: "AVE O CRUX,
SPES UNICA - Sei gegrüßt o Kreuz, du einzige Hoffnung".
In diesem Sinne wünsche ich Dir Gottes Segen und bedanke mich für das in mich gesetzte Vertrauen und für Deine Freundschaft.
Dein Werner (Olles) |