DIE BEGEGNUNG
von
Gloria Riestra De Wolff
übersetzt von Eugen Golla
Eingehüllt in dunkle Schleier folgte die Jungfrau -
das Herz durchbohrt von sieben Schwertern,
Ausschau haltend nach ihrem Sohn, der durch die erregte Menge
hindurch bei jedem Schritt das rote Blut vergoß...
So düster, breit und traurig wie auf diesem Gang
war niemals noch die Straße der Bitternis...
Wie einen Mast durch tobende See
trug Jesus das Kreuz, langsam, erschöpft und verzerrt...
Und es blickte die Jungfrau in Seine Augen,
um noch einmal sich in ihrem Glanze zu spiegeln...
Jemand stieß sie weg, andere, die wußten,
daß sie die Mutter war, hatten Mitleid und weinten...
Und Er stand vor ihr: eine handvoll Fetzen,
wie ein Windstoß, wie ein Hauch, verschmachtend, ohnmächtig...
Aber da waren Seine Augen, die durch den Tränenstrom hindurch
in Liebe brannten wie des Himmels Abgründe
Sehend, daß sie in dieser Welt ausgelöscht werden sollten...
Es erstarrten die Worte auf den von Galle getränkten Lippen.
Und Jesu Augen und denen Seiner Mutter
entströmten Meere von Liebe, Zärtlichkeit und Kummer,
wußten sie doch, daß dies der letzte Gang...
Es erbebten die Steine und die Welt erschauerte schweigend,
Und als der Befehl erging: "Schnell!", da schritt voran
die Falanx derer, die zur Hinrichtung führten ihren Gott...
(aus: "Das Mahl der Liebe")