IN MEMORIAM H.H. PFR. FRANZ MICHAEL PNIOK
von
Eberhard Heller
In dem ersten kurzen Nachruf (vgl. EINSICHT Nr. 4 vom Dez-. 1994, S.
120) haben wir Ihnen bereits die Mitteilung machen müssen: Am 27.
November 1994 verstarb nach einem aufopferungsvollen Seelsorgerleben im
hohen Alter von über 88 Jahren H.H. Pfarrer Franz Michael Pniok, der
knapp 20 Jahre die Kapelle St. Michael in München als Pfarrer betreut
hatte. Er war der erste Priester, der nach dem Verbot der hl. Messe zum
1. Fastensonntag 1976 in den Widerstand gegangen war.
Pfarrer Pniok war am 6. September 1906 in Lawek (Kr. Pless) /
Oberschlesien geboren worden. Von seinem Elternhaus wurde er religiös
nachhaltig geprägt. Viele Beispiele, die er später bei uns in seinen
Predigten einbaute, spiegelten seine Jugend in einer
ländlich-bäuerlichen Umgebung wider, verwurzelt in festen moralischen
Kategorien. Dem religiösen Leben in der Familie maß Pfr. Pniok immer
eine große Bedeutung bei, eine besondere Rolle in der religiösen
Erziehung sollte nach ihm die Mutter spielen. Zu seiner Heimat hatte er
ein enges, ausgeprägtes Verhältnis. In seinen jungen Jahren und auch
später war er ein begeisterter Motorradfahrer. Nach dem Studium der
Theologie - vermutlich in Hinzendorf/Oberschlesien, wo die
Salvatorianer, bei denen Pniok eingetreten war, ein Studienkolleg
besaßen -, war er am 29. Juni 1936 in Passau zum Priester geweiht
worden. Die Salvatorianer - eigentlich: Societas Divini Salvatoris
(SDS), Gesellschaft des Göttlichen Heilandes - waren am 8.12.1881 als
Apostolische Lehrgesellschaft von dem Weltpriester Joh. Jordan in Rom
für innere und äußere Mission gegründet worden. In Passau besaß der
Orden ein Studienhaus. Wie aus seinen Berichten hervorgeht, muß P.
Pniok während des Krieges als Seelsorger in seiner oberschlesischen
Heimat eingesetzt gewesen sein. Wegen der Betreuung polnischer
Katholiken wäre er beinahe von den Nazis erschossen worden. Auf jeden
Fall wurde er an diese brutale Begebenheit erinnert, als das Münchner
Ordinariat zur Fastenzeit 1976 dazu aufforderte, Kleriker, die noch die
"alte" Messe lesen würden, zu denunzieren.
Nach dem Ende des Krieges kam P. Pniok als Flüchtling in die Diözese
Regensburg und erhielt im September 1945 in Thalmassing eine Stelle
als Kooperator. Durch die Kriegswirren und die Flucht aus
Oberschlesien hatte er zunächst den Kontakt zu seiner Ordensprovinz
verloren. Im Dezember des gleichen Jahres kam er als Seelsorger nach
St. Peter in Straubing / Niederbayern. Dort blieb er bis zum Juli 1954.
Eigentlich hatte er im Sommer dieses Jahres vor, nach Kanada
auszuwandern. Doch dieses Vorhaben zerschlug sich. So kam er im Oktober
1954 als Kooperator nach Ulrichsberg in der Pfarrei Grafling bei
Deggendorf. Bei einer Visitation seiner Ordensoberen in der Diözese
konnte er den Kontakt zu den Salvatorianern wieder herstellen und sich
in die Ordensgemeinschaft reintegrieren. Schon im September 1956 nahm
ihn das Kloster Hamberg / Österreich auf. Im Februar 1957 wurde
er von seinem Ordensoberen abberufen, um im September 1957 als
Pfarrprovisor die Pfarrei Pisweg in der Diözese Gurk bei Klagenfurt zu
übernehmen. In Gurk besaßen die Salvatorianer ein Studienkolleg für
Novizen, dem P. Pniok bis 1960 angehörte.
Brieflich bat er am 28.2.1960 den Ordensoberen um die Freistellung von
der "Societas" und die Überstellung an den Bischof von München und
Freising, da er mit dem zu erwartenden Gehalt als Weltpriester seine
alten Eltern unterstützen wollte. Seinem Ersuchen wurde vorerst
zumindest teilweise entsprochen: bereits im gleichen Jahr kam er in die
Diözese München und Freising, wo er später als Pfarrkurat in Alling -
ab dem 1. Januar 1962 - eingesetzt wurde. In dieser Stellung trat er am
8. Januar 1965 aus seinem Orden aus und wurde in die Diözese
München-Freising inkardiniert. In der Pfarrei Alling blieb er bis zu
seinem Ausscheiden aus dem Pfarramt Ende Oktober 1971. Das Eintreten in
den Ruhestand mit gerade 65 Jahren war aber auch gesundheitlich
bedingt: Pfarrer Pniok war von Herzbeschwerden geplagt und litt zudem
an Diabetis.
Wir lernten Pfr. Pniok in der Damenstiftskirche in München kennen, wo
er sonntags ab 1974 mit Zustimmung des ehemaligen Kirchenrektors, H.H.
Prof. Wiesheu, für uns, d.h. für einen Kreis traditions-verpflichteter
Gläubigen, die hl. Messe las, nachdem unser Refugium, St. Benno, wo
H.H. Pfr. Maierhofer gewirkt hatte, für uns verschlossen war. Die
Privaträume, in denen damals H.H. Kaplan Storck las, waren für unsere
Gemeinde zu klein. Wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustandes las
Pfr. Pniok werktags die hl. Messe meist ohne Gottesdienstbesucher sehr
früh in der Brüderkapelle von St. Bonifaz, weil er sich zeitlich nicht
binden wollte.
Als wir begannen, mit ihm zusammenzuarbeiten, ahnte damals noch
niemand, daß er für die nächsten 20 Jahre unser Seelsorger sein würde,
und ihm war sicherlich auch nicht bewußt, daß er damit gleichsam im
Alter von knapp 70 Jahren seine zweite Berufskarriere startete, nachdem
er wegen der erwähnten gesundheitlichen Probleme eigentlich sein
Kirchenamt als Pfarrer von Alling im Landkreis München hatte aufgeben
müssen. Und daß Pfr. Pniok trotz dieses Handikaps sein pastorales Amt
für unsere kleine Gemeinde ohne Unterbrechung dann so lange hat ausüben
können - oder dürfen -, das war dann schon ein besonderes Geschenk, und
es wurde auch von allen Gemeindemitgliedern als solches verstanden. Er
fühlte sich, obwohl er persönlich sehr zurückhaltend war, dennoch den
Gläubigen von St. Michael eng verbunden, wollte wirklich mit allen
Verpflichtungen ihr Pfarrer sein. Trotz aller sonstigen theologischen
Probleme und Differenzen, die im Laufe der Zeit auftauchten und die
nicht wegdiskutiert werden sollen, repräsentierte Pfr. Pniok wirklich
ein Stück der alten Kirche, in der ein Pfarrer nicht nur Autorität hat,
sondern von ihr gleichsam umgeben ist, um andere an diesem Vorzug
teilnehmen, profitieren zu lassen, besonders die Kinder... 'umgeben'
von Autorität gleichsam wie von einer Wolke, auf der die gesamte
Gemeinde Platz hatte.
Seine Predigten, die er hielt, waren einfach, aber entsprangen seinem
Erfahrungshorizont als Seelsorger, und der war weit. Beispiele, wie das
folgende, in dem er das Schicksal eines Bauern schilderte, der auf der
Flur mutwillig ein Kreuz zerschlägt, um dann im darauffolgenden Jahr an
der gleichen Stelle ums Leben zu kommen, bleiben in ihrer
Anschaulichkeit und Eindringlichkeit für Gottes Gerechtigkeit einfach
im Gedächtnis haften. Wie ernst ihm sein Auftrag als Seelsorger für die
ihm anvertrauten Gläubigen war, geht auch aus folgender Predigtsentenz
hervor: "Ich möchte euch alle im Himmel wiedersehen." Ein solcher
Wunsch war bei dem spröden Mann schon eine rechte himmliche
'Liebeserklärung'.
'Entdeckt' worden war Pfr. Pniok von Herrn Rainer, der sich in der
damaligen traditionalistischen Münchner Szene bestens auskannte, als er
die "alte Messe" las. Damals gehörte es noch gleichsam zu den
allgemeinen Christenpflichten, solch orthodoxe Fossile - und das Lesen
der "alten Messe" galt als Zeichen für Rechtgläubigkeit - gleichsam
'auszugraben'. Pniok erklärte sich dann bereit, für uns die
Sonntagsmesse in der Damenstiftskirche zu lesen. Und für uns bedeutete
das, wieder ein Stück heile Kirchenwelt zu besitzen.
Als dann der 1. Fastensonntag 1976 nahte, mit dem offiziösen Verbot,
öffentlich die "alte Messe" zu lesen, war davon auch Pfr. Pniok
betroffen, dem gesagt wurde, entweder sich dem Erlaß zu beugen oder die
Kirche zu verlassen. Die Entscheidung war klar: Pfr. Pniok blieb bei
der Feier der "alten Messe", was das Ende für dieses schöne
Barock-Refugium bedeutete. Pfr. Pniok zu bitten, mit uns - wie wir das
vorhatten - in den kirchlichen Widerstand zu gehen, konnten wir wegen
seines Gesundheitszustandes nicht wagen. Da geschah etwas Unerwartetes:
Pfr. Pniok, der solch brutales Vorgehen mit den Methoden der Nazis
verglich, welche er an seinem eigenen Leib erfahren hatte, machte Herrn
Dr. Hiller, dem damaligen Vorstand des Convents Pius VI., den
Vorschlag, weiterhin für uns die hl. Messe zu lesen, wenn wir ihm
entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung stellen könnten. Die fanden
wir: für eine gewisse Zeit fanden wir Unterschlupf im sog.
"Künstlerhaus", bis wir am Gründonnerstag 1976 in die Kirche "St.
Michael" in der Baaderstr. umziehen konnten. Es war eine schwierige
Zeit, voller Hoffnung, voller Einsatzbereitschaft. Die hl. Messen waren
gut besucht. Für H.H. Pfr.Pniok war es jedoch ungewohnt, liturgisch
gleichsam die Messe 'aus dem Koffer' zu lesen. Wir hatten trotz seines
Angebotes nicht im Sinne, den kranken Priester mit der Seelsorge all zu
sehr zu belasten, konnten wir doch hoffen, daß H.H. Kaplan Storck nach
seiner Promotion zu uns stoßen würde.
Um ihn in dieser Anfangssituation, die für ihn ungewohnt war, nicht zu
überlasten, luden wir zur Feier der hl. Messe auch andere, mit uns
befreundete oder bekannte Priester ein: H.H. Kaplan Felix Jeker, H.H.
P. Lorenz Straßer, H.H. Dr. Katzer, H.H. Pfr. Aßmayr, mit dem sich Pfr.
Pniok angefreundet hatte. Beide Priester vertraten sich dann auch
wechselseitig: Pfr. Pniok ging zu den Tirolern nach Biberwier und Pfr.
Aßmayr kam nach München, wo er sehr willkommen war. Pfr. Pniok weilte
auch des öfteren bis zu dessen Tod bei H.H. Aßmayr, der ihm den Zugang
zur Mystik eröffnete, welche Pfr. Pniok wiederum versuchte, in seine
Predigten einfließen zu lassen. Konfraternielle Hilfe bekam Pniok auch
von H.H. Pfr. Leutenegger aus der Schweiz, der ihn später sogar
regelmäßig entlastete.
Auch wenn H.H. Pfr. Pniok nicht so sehr den persönlichen Kontakt zu den
einzelnen Gemeindemitglieder aufnahm und auch die theologischen
Positionen des kirchlichen Trägervereins, der für die organisatorischen
Voraussetzungen seiner Pastoral zuständig war, nur teilweise mittrug,
so tat das seiner Fürsorglichkeit keinen Abbruch. Dieses Fürsorgedenken
trat bei ihm immer stärker zum Vorschein, je älter er wurde, und ließ
sein teilweise barsches Benehmen wieder vergessen.
Er hatte großes Vertrauen in die Segenskraft, die Gott ihm verliehen
hatte, und so teilte er seinen Segen häufig aus: der Gemeinde nach den
Sakramentsandachten, und den kleinen Kindern dann noch einmal extra.
Was viele nicht bemerkten: von ihm ging in der Tat eine große
Segenskraft aus. Auf die Bitte einer befreundeten Familie hier in
München spendete er z.B. einem Jungen, der weit entfernt wohnte und
psychisch krank war, seinen Segen, worauf sich der Junge erholte und
wieder zu sich fand. Segenstunde und eintretende Besserung wurden
kontrolliert, und es zeigte sich, daß sich der psychische Zustand
unmittelbar nach der Erteilung des Segens besserte. Pfr. Pniok selbst
berichtete einmal in einer Predigt, wie er einer schwangeren Frau durch
seine Segnung helfen konnte, der die Ärzte vorausgesagt hatten, daß sie
nur unter Lebensgefahr würde entbinden können, und die aber danach
völlig normal ihr Kind gebären konnte.
Ein besonderes Ereignis nicht nur im Gemeindeleben, sondern auch für
Pfr. Pniok war der mehrmonatige Aufenthalt S.E. Mgr. Ngo-dinh-Thuc bei
uns in München. Nicht nur, daß Mgr. Thuc ihn zu seinem
Beichtvater nahm, sondern er levitierte auch zusammen mit H.H. Pfr.
Leutenegger jenes Hochamt am 21. März 1982, in dem S.E. Mgr.
Ngo-dinh-Thuc seine "Declaratio" über die Sedisvakanz öffentlich abgab,
die Pfr. Pniok dann in deutscher Sprache vortrug. (N.b. es wurde viel
darüber gesprochen, warum Pfr. Pniok die kirchliche Position des
Freundeskreises nicht teilte. Auch zur Redaktion der EINSICHT hatte er
ein distanziertes Verhältnis. Seine Kritiker, die ihn nur an seinen
theologischen Äußerungen maßen und diese allein zur Richtschnur ihrer
Bewertung nahmen, sollten nicht vergessen, daß er es war, der diese
Sedisvakanz-Erklärung öffentlich vortrug!) Rührend war noch, wie die
drei Kleriker beim anschließenden festlichen Beisammensein
ausrechneten, daß sie zusammen über 240 Jahre zählten!
Sicherlich ein Höhepunkt in seinem Priesterleben war die Feier des
Goldenen Priesterjubiläums am 29. Juni 1986, bei dem er auf 50 Jahre
pastorales Wirken zurückschauen konnte. Pfr. Pniok, der in den letzten
Jahren zurückgezogen lebte, feierte sein Jubiläum nur in kleinem Kreis.
Nachdem inzwischen die meisten seiner Konfratres aus dem
traditonsverbundenen Lager gestorben waren - H.H. Dr. Katzer schon
1979, Pfr. Aßmayr 1980, Pfr. Leutenegger 1982, Kaplan Dr. Jeker am
7.12.1990 mit nur 46 Jahren -, sah sich Pfr. Pniok immer mehr auf sich
gestellt, nachdem wir zudem aus der Kapelle in der Baaderstr. aus- und
in die Westendstr. in München umziehen mußten. Einmal abgesehen von
durch Krankheit bedingten Ausfällen - was höchst selten vorkam -,
konnte er bis Sommer 1994 die hl. Messe in St. Michael lesen. Sein
Dienst war besonders in der letzten Zeit sehr aufopferungsvoll. Er kam
zum Lesen der Messe auch dann noch, wenn er kaum noch konnte. Seine
Pflichtauffassung und besonders sein ausgeprägtes Gefühl für Disziplin,
eine Charaktereigenschaft, die seiner Generation besonders eigen ist,
hielten ihn hoch, so daß er seine letzte Kraft in seiner pastoralen
Aufgabe verzehrte. Doch dann im Sommer 1994 waren seine Kräfte
endgültig erschöpft. Bis zu seinem Tod wurde er von den Mallersdorfer
Schwester in Niederbayern gepflegt. Pfr. Pniok, der im Dritten Reich
schon erfahren mußte, daß Engagement gefährlich sein konnte, und der
wegen des Unrechtes, welches man den Gläubigen durch das Verbot der
"alten" Messe angetan hatte, in den Widerstand gegangen war, starb
letztlich einsam. Noch vom Sterbebett aus segnete er die wenigen
Besucher. Vier Tage vor seinem Tode erhielt er von Kaplan Rissling, der
ihn in der Seelsorge von St. Michael bereits vertreten hatte, die
letzte Ölung. Er starb am 1. Adventssonntag 1994. Seine letzte
Ruhestätte fand er schließlich auf dem Münchner Waldfriedhof, wo seine
Gemeinde von ihm Abschied nahm.
R.i.p.
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