55. Jahrgang Nr. 1 / Januar 2025
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Ausgabe Nr. 5 Monat Juni 2003
Über das Papsttum der Römischen Bischöfe


Ausgabe Nr. 2 Monat Juni 1999
NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN


Ausgabe Nr. 4 Monat Oktober 1997
MITTEILUNGEN DER REDAKTION


Ausgabe Nr. 2 Monat Juli 1996
NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN


Ausgabe Nr. 4 Monat November 1996
VERSINKT DER KATHOLISCHE WIDERSTAND IM SEKTIERERTUM?


Ausgabe Nr. 4 Monat November 1996
CLOQUELL ZUM BISCHOF KONSEKRIERT ?


Ausgabe Nr. 2 Monat Juli 1995
WELCHE PHILOSOPHIE? - Einleitung


Ausgabe Nr. 3 Monat Oktober 1995
Was will und beabsichtigt Bischof Oliver Oravec?


Ausgabe Nr. 4 Monat Dezember 1995
NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN


Ausgabe Nr. 2 Monat Juli 1994
Offener Brief an Abbé Raphael Cloquell


Ausgabe Nr. 3 Monat September 1994
Was will und beabsichtigt Bischof Oliver Oravec?


Ausgabe Nr. 4 Monat Dezember 1994
OFFENER BRIEF


Ausgabe Nr. 3 Monat August 1992
ZUR AKTUELLEN SITUATION - ANTWORT AN EINEN RATLOSEN KATHOLIKEN -


Ausgabe Nr. 6 Monat März 1991
AUS EINEM BRIEF VON S.E. MGR. ORAVEC


Ausgabe Nr. 7 Monat April 1990
BISCHÖFLICHE ERKLÄRUNG


WELCHE PHILOSOPHIE? - Einleitung
 
WELCHE PHILOSOPHIE?

von
Eberhard Heller
unter Mitarbeit von Christian Jerrentrup


Einleitung

Seit Beginn der Herausgabe unserer Zeitschrift begann man, entweder sachlich offen über die philosophische Ausrichtung des jeweiligen Redakteurs oder einzelner Mitarbeiter des neuen Blattes zu diskutieren, wie dies z.B. + H.H. Dr. Otto Katzer und der damalige Redakteur, Herr M. Wildfeuer, taten, oder mehr oder weniger verdeckt, aber direkt aggressiv die von den EINSICHT-Mitarbeitern vertretene philosophische Ausrichtung zu beargwöhnen. Diese nämlich gaben unumwunden zu, nicht den von der Kirche empfohlenen Thomismus zu vertreten, sondern  ihren theologisch-dogmatischen Argumentationen (die n.b. nie widerlegt wurden!) als phiosophisches Fundament die auf Kant und Fichte fußende Transzendental-Philosophie zugrundezulegen. (N.b. das Ergebnis des Disputes mit H.H. Dr. Otto Katzer war, daß er, der ausgebildete Thomist, sich von der Stichhaltigkeit der Argumentation und von unserem redlichen Bemühen um die Darstellung der Wahrheit überzeugen ließ und mit uns in bestem Einvernehmen bis zu seinem Tod zusammenarbeitete.)

Einzelne kritische oder skeptische Stimmen formierten sich bereits Ende der 70iger Jahre zu einer von den Herren Holzer und Erren inszenierten Kampagne gegen die EINSICHT, sie vertrete eine freimaurerische Philosophie, nämlich die des Freimaurers Fichte - eine völlig abstruse Behauptung, wobei die demagogische Wirkung des Reizwortes "Freimaurer" bewußt eingesetzt wurde... jeder Sachkompetenz höhnend.  Dieser Kampagne wurde damals unsererseits von Herrn Lauth nicht auf einer rein sachlichen, sondern - den Stil von Holzer und Erren aufgreifend - leider streckenweise nur auf einer polemischen Ebene begegnet. Dies hatte den Nachteil, daß die eigentliche Problematik, ob die von uns vertretene philosophische Position - eine andere, als die von der Kirche empfohlene! - sich auch legitimieren lasse (philosophisch und kirchlich autoritativ), verschoben und nicht aufgeklärt wurde und daß sich in diesem Halbdunkel von Unwissen und Mißtrauen gegenüber einer eventuell doch kirchenfeindlichen (?) Einflußnahme auf den Widerstand Gerüchte und Verleumdungen ansiedelten, die über bekannte Anwürfe von Frau Gerstner (KYRIE ELEISON, Nr. 1, 1994, in dem sie einen ehemaligen Kandidaten des Storckschen Seminars zu Worte kommen läßt und sich bei ihrer Polemik gegen Fichte auf Ernest Hello beruft) schließlich einen vorläufigen Höhepunkt in den - zugegebenermaßen - autoritativ und kirchenrechtlich am besten dokumentierten Vorwürfen von Herrn Dr. Filser gefunden haben. Auch wenn diesem philosophische Kompetenz abgeht - er argumentiert ausschließlich von einem formalistisch-legalistischen Standpunkt aus -, so stellt er im ATHANASIUS, Nr.5.6/94 - n.b. in einem von dem verstorbenen Bischof Storck, der ein über-zeugter Verfechter der Transzendentalphilosophie war, initiiertes Blatt -, den transzendental-philosophischen Unterricht, den die Kandidaten bisher erhalten hätten, als Ungehorsam gegen die Kirche dar. Filser hat bei seinen Ausführungen vornehmlich die Verhältnisse im Seminar des verstorbenen Bischofs Storck im Visier. Auch wenn wir von diesen Ausführungen nicht unmittelbar betroffen sind, so geht dieser Disput die Redaktion der Sache nach aber auch an, da das Problem kirchlicher Bestimmungen bezüglich des philosophischen Unterrichts an katholischen Seminarien über diesen Bereich weit hinausgeht und ebenso ganz allgemein das Philsophieren in katholischen Instituten meint, wovon auch unsere Arbeit berührt ist. - Auch wenn der Freundeskreis kein Seminar betreibt, so sprechen doch diese Bestimmungen ganz allgemein das Verhältnis von Philosophie und (orthodox) katholischer Theologie an, von dem die Ausrichtung der EINSICHT mitbetroffen ist. Außerdem wird dieses Problem inzwischen in einem größeren Kreis diskutiert. Darüber hinaus bin ich von einer Reihe von Lesern gebeten worden, dazu  Stellung zu nehmen.

Filser schreibt: "Bischof Storck hatte sich beim Aufbau des Priesterseminars bewegen lassen [Hervorhebung von mir], daß - immerhin unter seiner fachkundigen Begleitung - für die philosophische Ausbildung der Priesteramtskandidaten im wesentlichen die Transzendentalphilosophie nach Fichte von Universitätsprofessor Dr.Dr. Lauth vorgetragen wurde" 1), also eine von der Kirche nicht nicht nur nicht geförderte, sondern sogar eine von dieser angeblich (!!!) verbotenen (weil angeblich idealistischen!) Philosophie, der Filser und sein Verein das Prädikat "nichtkatholisch" 2) verleihen.

In diesem Satz ist gleich mehreres direkt falsch oder schief dargestellt. Storck hat sich nie "bewegen lassen", daß Transzendentalphilosophie von Herrn Lauth an seinem Seminar doziert würde. Storck selbst, der ja zunächst auch eine thomistisch geprägte Ausbildung in Münster erhalten und die Schwächen dieser philosophischen Ausrichtung kennen gelernt hatte, war davon überzeugt, daß nur mit einer Fundierung der Philosophie im absoluten Wissen die modernen Probleme überhaupt adäquat erfaßt und gelöst werden könnten. Die Klärung des philosophischen Standpunktes war für ihn persönlich mitentscheidend, Priester zu werden. Bei Gründung des Seminars im Jahre 1980 herrschte zwischen H.H. Kaplan Dr. Storck und Herrn Prof. Lauth ein erheblicher Dissens - u.a. auch wegen der Art und Weise, wie diese Gründung erfolgt war -, der erst Jahre später überbrückt wurde - m.W. im Jahre 1982. Und erst ab Februar 1985 - also erst fünf Jahre nach der Aufnahme des Lehrbetriebes! - hat Lauth auf Storcks Bitte im Seminar Philosophie unterrichtet. Was nun Lauths philosophische Kompetenz angeht, so ist diese international unbestritten, besonders was die Edition der Fichte-Gesamtausgabe betrifft. Lauth trägt Philosophie in durchaus eigenständigen Systemzyklen vor, und nicht einfach "nach Fichte", wie Herr Filser behauptet, wiewohl Lauth immer die immense Leistung Fichtes gerade in Hinsicht auf eine wissenschaftliche Begründung und Systematisierung der Philosophie betont, auf welcher er - Lauth - u.a. auch aufbaut. Die Transzendentalphilosophie als "nichtkatholisch" zu bezeichnen, illustriert am deutlichsten das totale Un- bzw. Mißverständnis des vorliegenden Problems. Mit dem Terminus "Philosophie" ist entweder Prinzipien-Wissenschaft (mit dem Anspruch auf absolute Wahrheit!) gemeint, die allgemein gilt und die von keiner Konfession in ausschließlichen Beschlag genommen werden kann,- dann ist das Gerede von einer sog. "katholischen Philosophie" völlig abstrus (ähnlich verfehlt, wie wenn man die Mathematik in eine "katholische" oder "nichtkatholische" einteilen würde, es würde nur die absolute Ignoranz derer verdeutlichen, die so etwas behaupten würden) - oder der Terminus "Philosophie" steht für die "Weltanschauung" bestimmter Gruppen, der aber dann jegliche wissenschaftliche Verbindlichkeit. Ich nehme zugunsten von Herrn Filser einmal an, daß er und sein Verein den Anspruch auf Wahrheit wohl doch nicht fallen lassen wollen, dann dokumentiert die Einstufung von Philosophien in sog. "katholische" und "nicht-katholische" schon überdeutlich sein seltsames Verhältnis zur Philosophie als Wissenschaft! (N.b. dieses Vermengen von kirchlich-autoritativen Momenten mit sachlicher Inkompetenz macht einen wesentlichen Teil der sog. 'katholischen' Misere aus!)

Nach dem Tode von Bischof Storck sei es - so Filser weiter - zu Kontroversen bezüglich der philosophischen Ausbildung gekommen, da der "Verein St. Athanasius Priesterseminar (...) nämlich im Zeitverlauf intensivere Nachforschungen über die tatsächlichen Regelungen und Anordnungen der katholischen Kirche, und zwar sowohl der Päpste als auch des kirchlichen Rechts, insbesondere hinsichtlich des philosophischen Studiums bei der Seminarausbildung angestellt habe. In deren Ver-lauf zeigte sich mehr und mehr, daß die katholische Kirche, zumindest bis zum Tode von Papst Pius XII., die philosophische Ausbildung der Priesteramtskandidaten klar und eindeutig geregelt und auch so angeordnet hat. (...) Die Kirche fordert diese Ausbildung nämlich 'nach der Lehre, den Re-geln und den Grundsätzen' des heiligen Thomas von Aquin (...). Diese Wirklichkeit ist im übrigen neuerdings von mehreren katholischen Bischöfen im Widerstand klar, eindeutig und verpflichtend bestätigt worden." 3)

Unter Hinweis auf verschiedene kirchliche Entscheidungen zugunsten des Thomismus - angefangen bei Pius IX., über Leo XIII., Pius X., Benedikt XV., Pius XI. und Pius XII., mit Hinweis auf die entscheidende Stelle im CIC, Kanon 1633, §2 - versucht Herr Filser nun nachzuweisen, daß diejenigen, die sich nicht an die zitierten kirchlichen Erlasse in dieser Angelegenheit hielten, "sich wissentlich und willentlich in einer wichtigen Sache gegen bestehende Anordnungen und Vorschriften der katholischen Kirche stellen" 4). Filser spekuliert weiter: "Wenn sich die Priesteramtskandidaten dazu bereit fänden, warum könnten sie dann nicht mit gleichem Anspruch auch in den theologischen Fächern ähnliche Abweichungen entweder für sich selbst beanspruchen oder zur Annahme solcher verpflichtet werden?" 5)

Auch wenn Herrn Filser sicherlich nicht alle Aussagen der Päpste zugunsten des Thomismus zu Lebzeiten von Mgr. Storck bekannt gewesen sein sollten, so hat Storck aus seiner Abweichung von den kirchlichen Vorschriften bezüglich des philosophischen Unterrichts von Anfang nie einen Hehl gemacht. Schon bei der Gründung wurde darüber diskutiert. Und dieses Thema hat das Seminar immer wieder beschäftigt. Auch Herr Filser hat von dieser Abweichung gewußt, was ihn nicht davon abgehalten hatte, das Seminar und seine Aktivitäten in einer Vertrauensstellung zu Bischof Storck tatkräftig zu unterstützen. Wenn er die Sache nun so darstellt, als ob er erst nach dem Tod von Storck erfahren hätte, daß dieser hinsichtlich der Philosophie anders als von der Kirche erwartet vorgegangen sei, so ist dies eine bewußte Irreführung seiner Leser. Das geschieht auch dort, wo er sich auf die Autorität der angeblich im Widerstand befindlichen Bischöfe beruft. Zunächst haben diese Bischöfe - ganz allgemein gesprochen - keine eigentliche Jurisdiktion, sondern nur pastorale Autorität. Zum andern: was soll das heißen, wenn sich ein Bischof Oravec, der von Hause aus Zahnmedizin studiert hat und sich nur für 1 1/2 Jahren an den Wochenenden der Theologie widmen konnte, der obendrein mit einer Reihe von Problemen bezüglich seiner Priesterweihe behaftet ist, für oder gegen etwas ausspricht, was er überhaupt nicht kennt!!! - hier: die Transzendentalphilosophie; nach eigenem Bekunden will er Fichte auf der Fahrt von Presov/Slowakei nach München 'studiert' haben!!! - so geschehen bei seinem Besuch in München, wo angeblich das ehemalige Seminar von Mgr. Storck noch weiterbestehen soll.

Filser unternimmt mit diesen Ausführungen unterschwellig den Versuch, aus diesem verkürzten legalistischen Blickwinkel den Eindruck zu erwecken, als ob die Kirche darüber befunden hätte, was als Philosophie zu gelten habe und was nicht. In dieser Hinsicht erschiene die Philosophie eher ein Appendix der Theologie, denn eine eigenständige Wissenschaft zu sein. Man muß Filser aber einräumen, daß die Kirche an solchen Mißverständnissen mitschuldig ist. Zusehr wurde neben der theologischen auch die philosophische Kompetenz des Aquinaten von den kirchlichen Autoritäten betont, wobei nicht unterschieden wurde, ob es sich bei der Favorisierung der Philosophie des hl. Thomas um didaktische Empfehlungen oder um die Verpflichtung zur Übernahme eigentlich inhaltlicher Momente handeln sollte. 6)

Verhielte es sich in der Tat so, würde das bedeuten, daß die Philosophie entweder ihrer wissenschaftlichen Eigenständigkeit beraubt und gleichsam lehramtlich diszipliniert würde, deren Sätze nicht mehr einzusehen, sondern zu glauben wären, oder daß die Kirche zu Recht die ihr zugewiesenen Bereiche, über die sie autoritative Entscheidungen fällen soll und muß - Glaube und Sitte -, nach Belieben erweitern dürfe. Hörte die Philosophie dann auf, eine eigenständige Wissenschaft zu sein, sähe sich letztlich auch die Theologie außerstande, ihre Inhalte ohne dieses wissenschaftliche Instrumentarium begrifflich zu präzisieren.

Damit wäre dann die sachliche Diskussion über philosophische Aussagen der eigentlich fachlichen Ebene entzogen und gleichsam dem theologischen Bereich zugeordnet, wodurch es quasi erlaubt erschiene, alle Nicht-Thomisten der Ketzerei zu bezichtigen. Wer die traditionalistische Szene kennt, weiß, daß dies laufend geschieht. Ich verweise noch einmal auf die von Filser oben ausgesprochenen Verdächtigungen. (Ich kann mich noch an einen Brief erinnern, in dem + H.H. Pfr. Aßmayr von einem fanatischen Thomisten in unflätiger Weise beschimpft wurde, weil er mit der EINSICHT, die bekanntlich von dezidierten Nicht-Thomisten redigiert würde, zusammenarbeitete.)

Da  die Debatte untergründig oder offen nicht abzureißen scheint und die Erwähnung des Reizwortes "Freimaurer" seine demagogische Wirkung noch immer ausübt, möchte ich versuchen, bei der Erörterung des Problems, welche Philosophie zu gelten habe, auch die Hintergründe der kirchlichen Entscheidung zugunsten des Thomismus zu klären, aber auch deren Selbstbeschränkung aufzuzeigen.
 
Ich möchte betonen, daß diese Debatte unter den gegebenen Voraussetzungen vornehmlich geführt wird, um traditionalistische Gläubige, die in dieser Materie nicht verwurzelt sind und die durch Propagandisten, die in der Regel sachlich inkompetent sind, verführt wurden, von der Rechtmäßigkeit unseres Vorgehens zu überzeugen und um ihnen zu zeigen, was die kirchlichen Bestimmungen für das Studium der Philosophie mit der Betonung des Thomismus wirklich bedeuten, auch auf die Gefahr hin, daß die Erörterung in dieser Form Wissenschaftlern grotesk erscheinen mag. Denn es bedarf unter Philosophen keiner Debatte mehr, daß eine Seinsmetaphysik alten Stils - d.h. ohne Wis-sensbegründung, keine wissenschaftliche Dignität mehr besitzt, und daß wissenschaftliche Philosophie als Prinzipienwissenschaft nicht summarisch (d.i. nach dem scholastischen Summenverfahren, das seinen Vorläufer in den römischen Gerichtsverfahren hat), sondern nur systematisch betrieben werden kann.

Zugleich bitte ich um Verständnis, wenn die nachfolgende Darstellung nicht die Ausführlichkeit aufweist, die die Barbeitung eines solchen Themas eigentlich erfordern würde. Doch ließen mir berufliche und anderweitige Verpflichtungen nicht mehr Zeit zur Ausarbeitung. Falls deshalb Probleme offen bleiben sollten, bitte ich um Nachfragen.

Es ist doch mehr als seltsam, daß gerade diejenigen, die sich nunmehr seit fast drei Jahrzehnten um eine begriffliche und theologische Klärung und Darstellung der modernen Häresien bemühen, die die versteckten Häresien der Reformer aufgedeckt und transparent gemacht und die die theologische Argumentation vorangetrieben haben, um klare Positionen beziehen zu können, die allgemein übernommen wurden - ich denke nur an solch entscheidende Aussagen über die Ungültigkeit des N.O.M. und die Vakanz des päpstlichen Stuhls spätestens seit Paul VI. -, von Ignoranten, ver-ängstigten und verunsicherten Gläubigen oder Fanatikern aber der Ketzerei und des Ungehorsams gegenüber der Kirche bezichtigt werden. 7)

Das Erzeugen dieser Transparenz war und ist nur möglich auf der Grundlage einer systematisch durchgeführten und wissenschaftlich abgesicherten Philosophie. Wie will z.B. ein Nur-Thomist das System eines Hegels durchschauen, dessen Dialektik u.a. einen Karl Rahner 8) und andere moderne Theologen beeinflußt haben - mit den bekannten Ergebnissen! - Und wie will er ihn widerlegen? Er verstünde nicht einmal dessen Ansatz und dessen Dialektik! Auch der Vorschlag Pius XI. (in seinem Schreiben "Deus scientarum Dominus" - vgl. Anhang) ist hier wenig hilfreich, nämlich dieses System mit dem des Thomas zu vergleichen. Daß sie von einander abweichen, das will der 'kath.' Hegel-Epigone ja und sagt es auch noch. Aber - um in der wissenschaftlichen Debatte zu bleiben! - solche Vergleiche sagen nichts darüber aus, welches System wahr ist, und welches nicht! Und die katholischen Institute machten es sich es zu leicht, darauf zu hoffen, daß Thomas in allen Punkte recht und der Gegener keine Argumente hätte.

In der Tat trifft es zu, daß sich die Päpste ab der Mitte des letzten Jahrhunderts,  beginnend mit Pius IX., besonders aber seit Leo XIII,  für einen Philosophieunterricht an den katholischen Seminarien nach "der Methode, der Lehre und den Grundsätzen" des hl. Thomas ausgesprochen haben. Diese Empfehlung hat unter Benedikt XV. auch eine rechtliche Normierung im CIC von 1917 erhalten. Im Kanon 1366, §2, heißt es: "Die Lehrer in den Priesterseminarien  sollen ihre Forschungen der Philosophie und der Theologie und die Unterrichtung der Alumnen in diesen Fächern ganz und gar nach der Denkweise (ratio), der Lehre und den Grundsätzen des Engelgleichen Lehrers (gemeint: hl. Thomas v. Aquin) betreiben und diese gewissenhaft einhalten." (der Anhang enthält alle wichtigen Dokumente zugunsten des Unterrichts nach der Lehre des hl. Thomas)

Um zu verstehen, warum die Kirche erst ab diesem Zeitpunkt auf Thomas von Aquin zurückgreift und ihn so nachhaltig als philosophischen Lehrer empfiehlt  - zum ersten Mal durch Pius IX. in seinem Schreiben gegen Bonnetty (vgl. Anhang) -, ja sogar die Professoren und Studenten der Seminarien später auf diesen verpflichtet, es aber daneben sowohl mit kirchlicher Autorität als auch aus sachlogischen Gesichtspunkten geboten ist, einen anderen philosophischen Standpunkt als den des Thomismus einzunehmen, dazu bedarf es einer etwas ausführlicheren Darstellung. Denn dieser Rückgriff auf die Lehre des hl. Thomas ist nämlich nur dann verständlich, wenn man die philosophische Entwicklung zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit ihren divergierenden Ausrichtungen betrachtet. Zudem müssen die methodischen Ansätze der modernen Philosophie aufgezeigt und mit ihnen die heutigen theoretischen Problemfelder, welcher der Thomismus als solcher so nicht einmal thematisch erfassen kann, untersucht werden.

Unsere Erörterung ist eingeteilt in

a) einen philosophie-geschichtlichen und
b) einen systematischen Teil.

Anmerkungen:
1) a.a.O., S. 17.
2) a.a.O., S. 22.
3) a.a.O., S. 18 f.
4) a.a.O., S. 18.
5) a.a.O.
6) In den Vorbereitungskommission auf das II. Vatikanum hatten römische Theologen für die Stdien und Seminare ein vorläufiges Schema "De doctrina S. Thomae servanda" verfaßt, in dem dem Konzil eine Art Kanonisierung der thomistischen Philosophie nahegelgt wird. Die Methode und die Prinzipien des Thomas sollten  "außer Diskussion" stehen und wegen ihrer engen Verknüpfung mit den Dogmen der Kirche wie ein "dogmatisches Faktum" behandelt werden. (Vgl. Caprile, Giovanni: "Entstehungsgeschichte und Inhalt der vorbereiteten Schemata" in LThK,
Erg.-Bd. III, Freiburg i.Br. 1968, S. 665-726, besonders S. 706 f.) Wäre dieses Schema zum Zuge gekommen, würde das bedeutet haben, wie es Ludger Oeing-Hanhoff genannt hat, daß "eine schlimmere Pervertierung seines Erbes kaum denkbar" sei, "[d]a gerade Thomas eine selbständige Philosophie in der Kirche heimisch gemacht und das Recht freien Philosophierens auch gegenüber Einsprüchen der Kirche und der Theologie seiner Zeit zur Anerkennung gebracht hat". (Oeing-Hanhoff, Ludger: "Thomas von Aquin und die gegenwärtige katholische Theologie" in Eckert: "Thomas von Aquino. Interpretation und Rezeption" Mainz 1974, S. 245)
7) Man könnte diesen Sachverhalt, wenn man ihn einmal polemisch präsentieren wollte, auch so darstellen: Die Leute aus München, die die EINSICHT herausgeben, haben lange theologische Abhandlungen geschrieben, um zu demonstrieren, daß die sog. 'neue Messe' ungültig und der Hl. Vater ein Häretiker ist. Die Argumente sind zwar sehr gut vorgetragen -  alle haben sie inzwischen übernommen -, aber da sie ja angeblich Fichte-Freimaurerphilosophen sind, dürfen ihre Argumente nicht gelten. Also ist die neue Messe dann doch gültig und der Hl. Vater ein wirklicher Nachfolger des hl. Petrus? Was tun? Geh, lieber Traditionalist, wieder in die neue Messe, gehorche einem Häretiker, weil nach Deiner Ansicht nicht sein soll, was nicht sein darf!
8) Unter Traditionalisten ist es vielleicht weniger bekannt, daß Karl Rahners Dissertation "Geist in Welt" (1939) - auf Anregung von Maréchal und Heidegger entstanden -, in der er Positionen der thomistischen Schulphilosophie überschreitet, zunächst von der Universität Freiburg abgelehnt wurde, heute als Standardwerk der Thomas-Forschung gilt.
 
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