Über das Gebet
von
Evagrius Ponticus (+399)
Die Seele, die durch ein reiches Tugendleben gereinigt ist, vermittelt
ihrem schauenden Geiste unerschütterliche Ruhe, eine Seelenstimmung,
die zum Gebete notwendig ist.
Das Gebet ist ein Verkehr des schauenden Geistes mit Gott. Darf er
dabei noch rückwärtsblicken, wenn er zu seinem Herrn gehen und mit ihm
ohne jede Vermittlung verkehren will?
Als sich Moses dem brennenden Dornbusch nähern wollte, mußte er seine
Sandalen ablegen. Wie willst du ihn schauen, der jeden Gedanken und
jede Gemütsregung übersteigt, wenn du nicht frei bist von allen
leidenschaftlichen Regungen?
Zuerst erbitte die Gabe der Tränen, um durch Reue deine Herzenshärte zu
erweichen. Bekenne dir selber deine Sünden gegen den Herrn, damit du
von ihm Verzeihung erlangest.
Bewahre die Geduld und bete mit Innbrunst. Entferne die zerstreuenden
Gedanken aus deiner Vorstellungswelt und lege alle irdischen Sorgen ab;
denn sie stören dich und schwächen deine Kraft.
Glaubst du vielleicht, die Teufel wüßten nicht um deine Begeisterung
für das wahre Gebet? Sie erregen in dir Gedanken über die
verschiedensten Dinge, die sich dir wie in Zwang aufdrängen. Sie
bemühen sich, das Gedächtnis aufzupeitschen, das sich dann an
Erinnerungen festklammert und den Verstand veranlaßt, ihnen noch einmal
nachzuspüren. Gelingt es ihm nicht, so wird er von Trauer und Sorge
erfüllt. Im Gebet selbst aber beunruhigen die bösen Geister das
Gedächnis mit Ergebnissen solcher Untersuchungen und Erinnerungen, um
durch diese Störungen ein unfruchtbares Gebet zu bewirken.
Zwinge dich dazu, während des Gebetes deinen Geist stumm und taub werden zu lassen.Dann wirst du beten können.
Das Gebet ist ein Aufleuchten der Sanftmut und kennt keinen Zorn.
(aus "Kleine Philokalie - Belehrungen der Mönchsväter der Ostkirche über das Gebet" Einsiedeln, Zürich, Köln 1956, S. 27 f.)
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AUS DER NOBELPREIS-REDE ALEXANDER SOLSCHENIZYNS VON 1970:
"In der letzten Zeit ist es Mode geworden, über die Nivellierung der
Nationen zu reden, über das Verschwinden der Völker im Kochtopf der
modernen Zivilisation. Ich bin ganz und gar nicht dieser Meinung...
Eine Nivellierung der Nationen wäre um nichts besser als ein
Gleichmachen der Menschen: ein Charakter, ein Gesicht. Die Nationen
bedeuten den Reichtum der Menschheit, die Gesamtheit der
verschiedensten Persönlichkeiten; selbst die geringste Nation trägt
ihre besonderen Farben, birgt eine eigene Facette des göttlichen
Entwurfs in sich." (zitiert nach: "SDV e.V.", Rundbrief Nr. 26,
Postfach 111611 - D - 60051 Frankfurt / Main) |