"Die Propheten laufen nie mit der Mehrheit."
Zum 70. Todestag des christlichen Publizisten und Märtyrers
Fritz Michael Gerlich
von
Magdalena S. Gmehling
Samstag 30. Juni 1934. Es ist der Tag der Röhm-Affäre. Hitlers
Weggefährte wird gefährlich. Überflüssig ist nun die paramilitärische
Organisation der SA. Überdrüssig geworden ist Hitler all jener, die zu
viel wussten. Die Gelegenheit ist günstig. Nicht nur die Führungsclique
um den homosexuellen SA-Stabschef Röhm wird an diesem Sonnabend samt
ihrem Anführer ermordet. Brutal entledigt man sich auch der
bürgerlichen Antinazis. Die braune Diktatur beginnt endgültig.
Abge-sehen hat man es auf Leute wie Gustav Ritter von Kahr, ehemaliges
Mitglied der Bayerischen Volkspartei, Ministerpräsident, seit 1923
Generalstaatskommissar in Bayern und von 1924-1930 Präsident des
Verwaltungsgerichtshofes. Er vereitelte 1923 Hitlers Bürgerbräuputsch.
Man wird seine Leiche durch Spitzhacken verstümmelt im Dachauer Moor
finden. Jagd gemacht wird auch auf mutige Publizisten wie Dr. Fritz
Michael Gerlich, Archivrat, ehemaliger Chefredakteur der Münchner
Neuesten Nachrichten, mittlerweile Herausgeber des "Geraden Weges".
Eine halbe Stunde vor Mitternacht trampeln Stiefel der SS über die
Korridore des Münchner Polizeigefängnisses in der Ettstraße. "Raus mit
dem Gerlich, der Sau!" Der Gefangene wird nach Dachau abtransportiert
und dort in der gleichen Nacht erschlagen. Wir zitieren den Bericht des
Lagerhäftlings Lübben (Schliersee). Er schildert, wie betrunkene
SS-Leute redselig vor den in der Kantine zum Dienst eingeteilten
Häftlingen prahlten.
"... Neben den SS-Scharführern unter dem Spitznamen 'Boxer' und 'Iwan
der Schreckliche' war der Arrestverwalter Kantschuster' für mich der
scheußlichste Begriff des brutalen Sadisten. Unauslöschlich hat sich
mir auch der Eindruck eingeprägt, als er dann schilderte, wie er zum
Wagen gegangen sei, in dem Dr. Gerlich eingeliefert wurde, und zu ihm
gesagt habe: 'So, jetzt mußt du arbeiten, du Hund!', worauf Dr. Gerlich
ganz frech gesagt hat: 'Ich bin ja froh, wenn ich arbeiten kann!'
Kantschuster schilderte dann mit entsprechenden Gebärden.- Na ham mir'n
außi aus'm Wag'n und ind Zelln eini, und na ham mir draufbrennt, und
zsammgsackt is'r wiar a Mehlsackl. ... Als Kantschuster mit Kollas und
Hörmann fortgegangen war, habe ich das Geschirr vom Tisch geräumt und
wurde dabei von Uhl ins Gespräch gezogen. Ich konnte es nicht
unterlassen in vorsichtiger Form darauf hinzuweisen, daß das Ausland
den Fall Gerlich doch wahrscheinlich als vorsätzlichen Mord bezeichnen
würde. Auf die Frage der Schwester Pia: 'Warum?' bemerkte ich, daß Dr.
Gerlich doch von der ersten Stunde an in der Ettstraße gesessen hätte
und darum nichts mit dem Röhmputsch zu tun haben könnte. Noch nie in
meinem Leben habe ich einen solch würgenden Ekel, einen solchen Abscheu
verspürt, als wie ich dann aus dem Mund einer 42-jährigen Frau, der
'Schwester Pia' die Bermerkung hörte: 'das war doch die beste
Gelegenheit, ihn umzulegen'. " (zitiert nach Erwein Frhr. von Aretin) 1)
Wer nun war dieser außergewöhnliche Mann, der am 15. Februar 1883 in
Stettin geboren, sehr früh die "geistige Pest" des Nationalsozialismus
durchschaute, schonungslos geißelte und schließlich Schriftleiter des
politisch bedeutendsten anti-nationalsozialistischen Kampfblattes
"Der gerade Weg" wurde?
Fritz Gerlich stammte aus einer verarmten, streng kalvinistisch
geprägten, großbürgerlichen Kaufmannsfamilie. Nach dem frühen Tod des
Vaters nahm die energische und tüchtige Mutter klug die Erziehung der
drei Söhne in die Hand. Fritz - ein kühler Norddeutscher, dessen reger
Widerspruchsgeist früh auffällt - wendet sich schließlich dem Studium
der Geschichte zu und schließt in der geliebten Wahlheimat München
seine Studien mit einer "summa cum laude" bewerteten Dissertation über
das "Testament Heinrichs IV." ab. Nebenbei entwirft er, aus Gründen des
Broterwerbs, für die Firma Kathreiners Malzkaffee-Fabriken,
Werbebroschüren. Eine Tätigkeit, derentwegen ihn später die politischen
Feinde naiv spöttelnd verhöhnen. Gerlichs überragende Kenntnisse und
Prüfungsergebnisse tragen ihm eine sofortige Anstellung als Assessor im
Kgl. Bayer. Geheimen Staatsarchiv ein.
Um die Entwicklung und geistig-geistliche Wende dieses Feuerkopfes zu
verstehen, muss man sich seine Gedankenwelt vergegenwärtigen. Die
Epoche zwischen 1907-1920 kennzeichnet sein Bemühen in bedrängter Zeit,
den Prozess des eigentlich wirtschaftlichen Denkens aufzudecken. Es
entsteht neben der Berufstätigkeit eine 405 Seiten umfassende
Untersuchung über "Geschichte und Theorie des Kapitalismus"
(Duncker&Humblot. München und Leipzig 1913). Ausgangspunkt waren
Gerlichs praktische Erfahrungen bei Kathreiner. Ãœberaus geistreich und
material-intensiv belegt er seine These, dass der Kapitalismus
eigentlich in seinen Anfängen bis in die Geschichte des frühen
Altertums zurückzuverfolgen sei. Er schließt das Werk mit einer
interessanten Theorie des Kapitalismus ab.
In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg stand Gerlich der National-Liberalen
Partei und dem Denken des protestantischen Theologen und
Sozialpolitikers Friedrich Naumann (1860-1919) nahe. Aus dieser
Gedankenwelt ist auch sein polemischer Artikel gegen den von Papst Pius
X. eingeführten "Antimodernisteneid" zu verstehen. Gerlich betrachtete
dieses Versprechen als eine Art Geistesknechtung. Er dachte liberal.
Der Katholizismus war für den norddeutsch geprägten intoleranten
Skeptiker vorläufig indiskutabel. Aus gesundheitlichen Gründen
militär-untauglich, kämpfte Gerlich während der Zeit des 1. Weltkrieges
mit geistigen Waffen. Er trennt sich von den National-Liberalen und
schlägt die alldeutsche Richtung ein: "... bei der Originalität seines
Geistes muß man sich wundern, daß er sich nicht von dem tragischen
Irrtum zu trennen vermochte, als hinge es nur von der deutschen
Willenskraft ab, einen Krieg siegreich zu beenden, in dem doch die
ganze Welt die Unerschöpflichkeit ihrer Hilfsmittel gegen ein Land ins
Feld führen konnte...". 2)
Bereits in den Jahren 1916/1917 gibt es seitens Gerlichs - gestützt auf
die Geldmittel seines Freun-des Liecke - den
kämpferisch-publizistischen Versuch einer Wochenschrift: Die
"Wirklichkeit" - Deutsche Zeitschrift für Ordnung und Recht. 1917 wurde
das Organ bereits verboten. Aretin urteilt: "Die Ebene des Kampfes der
'Wirklichkeit' war die Zeitlichkeit, die Ebene des Kampfes 'Des geraden
Wegs' war die Ewigkeit. Wäre Gerlich für seinen Kampf in der
Wirklichkeit erschossen worden, was nicht ganz außerhalb des Bereiches
der Möglichkeit lag, so wäre ein mutiger Politiker gefallen; der Mann
der für den 'Geraden Weg' in den Tod ging, war auch ein Märtyrer, ein
Blutzeuge im ewigen Kampfe St. Michaels gegen die Feinde Gottes."
3)
Von 1920- 1928 ist Dr. Gerlich als Hauptschriftleiter der "Münchner
Neuesten Nachrichten", die als Vorgängerin der "Süddeutschen Zeitung"
gilt. Dies bedeutet einen sagenhaften Aufstieg aber auch eine heikle
Aufgabe, "da für ihn, den Norddeutschen, der Weg zum Verständnis der
Lage um so schwerer war, und er gerade dieses Verständnis bei den
Besitzern des Blattes nicht anzutreffen hoffen konnte." 4)
In den Historisch-politischen Blättern und den durch Prof. Paul
Nikolaus Coßmann herausgegebe-nen "Süddeutschen Monatsheften"
erscheinen zur gleichen Zeit Gerlichs Gedanken über die kommunistische
Bewegung, die er schließlich in dem ideengeschichtlichen Werk "Der
Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich" (Verlag Hugo
Bruckmann/München) 1920 "wenigstens skizzenhaft" - wie er selbst betont
- niederlegt.
Beraten durch Coßmann und hellsichtig geworden durch seine eigenen
Nachkriegserfahrungen, ver-stand es Gerlich, die "Münchner Neuesten
Nachrichten" (MNN) kompromisslos zur Unterstützung Kahrs einzusetzen.
Jene Rede, welche der Generalstaatskommissar am 8.11.1923 im
Bürgerbräukeller halten wollte und die durch Hitlers Schuss an die
Decke verhindert wurde, war an Gerlichs Schreibtisch mit Coßmann und
Kahrs Pressechef Adolf Schied entstanden.
Bereits im Frühjahr 1923 kam es auch zu einer persönlichen Begegung mit
Hitler, um welche dieser nachgesucht hatte. "Gerlich erzählte über
diesen Besuch, Hitler sei zu jeder sachlichen Diskussion unfähig
gewesen. Es kam daher zu gar keinem Dialog. Hitler habe lediglich einen
Monolog losgelassen. Wenn es hie und da gelang, den Redestrom mit einem
Einwand zu unterbrechen, habe Hitler, ohne im geringsten auf den
Einwurf einzugehen, einfach dort weitergefahren, wo er gerade
unterbrochen war... " 5) Die Vorgänge im Bürgerbräukeller nahmen
Gerlich schließlich alle Illusionen über Hitler. Er hatte genug
Gelegenheit gehabt, dessen zweifelhafte Persönlichkeit zu studieren.
1924 tritt der katholische Monarchist, Erwein von Aretin, in die
Redaktion der MNN ein. Man be-gegnete sich mit Respekt, aber ohne
ausgesprochene Sympathie. In der Beilage der MNN, der "Einkehr" gelingt
es Erwein von Aretin am 3. August 1927, einen ausführlichen
begeisterten Bericht über ein visionär begnadetes, stigmatisiertes und
nahrungslos lebendes Bauernmädchen, Therese von Konnersreuth, zu
veröffentlichen. Gerlich und Coßmann dulden dieses Unternehmen,
wenngleich mit großer Skepsis und Reserve. Erwein von Aretin war durch
den Eichstätter Alttestamentler, Prof. Wutz, bei Therese Neumann
eingeführt worden. Der Artikel stellt sich als unerwartete Sensation
heraus. Er wird in 32 Sprachen übersetzt und muss viermal nachgedruckt
werden.
Besorgt um den Ruf seiner Zeitung, reist Gerlich schließlich selbst am
14. September 1927 nach Konnersreuth in die Oberpfalz, um "dem
Schwindel auf die Spur zu kommen". Das Phänomen hält aller Kritik
stand. So kam es zu jenem "Damaskuserlebnis", welches Gerlichs weiteres
Leben prägen wird. Dieser aufgeklärte Geist erfasst: das ist die
Wahrheit. Sein scharf logisch denkender Verstand erkannte sofort die
Notwendigkeit einer Lebensentscheidung. Gerlich forscht und prüft
weiter, fährt immer wieder nach Konnersreuth und fasst schließlich 1929
seine Erkenntnisse in einem Bekenntnis zusammen. Er legt ein über 800
Seiten umfassendes quellenkritisches doppelbändiges Werk vor: "Die
Stigmatisierte - Therese Neumann von Konnersreuth" (Verlag Kösel und
Pustet 1929). Erwein von Aretin wird sein vertrauter Freund, der
hochgebildete Eichstätter Kapuzinerpater Ingbert Naab und Professor
Wutz seine geistlichen Berater. Am Michaelstag, dem 29. September 1931
konvertiert Fritz Gerlich im Klosterchor des Eichstätter
Kapuzinerklosters zum katholischen Glauben und trägt nun den
bedeutungsvollen Zusatznamen Michael.
Inzwischen war es 1928 zum nicht ganz freiwilligen Ausscheiden aus dem
Amte des Hauptschrift-leiters der MNN gekommen. Gerlichs fast
unerträgliche Nervenbelastung führte zu dem Zerwürfnis mit der
Verlagsleitung. Den humanen, noblen Juden Coßmann wird Gerlich kurz in
Dachau wiedersehen, wo beide sich unter Tränen versöhnen. Coßmann
konvertierte bereits 1905 zum katholischen Glauben. Er kam in
Theresienstadt um.
Kurzzeitig kehrt Dr. Gerlich in das Münchner Hauptstaatsarchiv zurück.
Dann aber, 1930, beginnt der unerbittliche Kampf gegen den
Radikalismus. In Deutschland gärt es. Drei Millionen Arbeitslose
verzeichnet man im Sommer, hinzu kommt ein Reichstag, der sich selbst
lahmgelegt hatte, und ein autoritäres Präsidialkabinett, das
Deutschland kaputtsparte. Konnte es eine bessere Gelegenheit für die
NSDAP geben, an die Macht zu kommen? Das "Satanische des
heraufziehenden Hitlertums" (Faulhaber) war allenthalben greifbar.
Therese Neumann hatte sowohl P. Ingbert als auch Gerlich zum Kampf
gedrängt und ihnen prophe-zeit "es wird zwar nichts nützen, aber ihr
müsst kämpfen". Zusammen mit Fürst Erich von Waldburg zu Zeil, P.
Ingbert Naab und Therese Neumann entsteht der Plan einer Ãœbernahme des
farblosen Wochenblattes "Illustrierter Sonntag". Ab 14. September 1930
wurde das Skandalblättchen umgestellt zu einem Organ mit politischer
Stoßkraft. 1931/32 wird es auch umbenannt in "Der Gerade Weg". In
dieser Zeitung wird das Deutsche Volk immer dringlicher beschworen, den
Kampf gegen den Nationalsozialismus aufzunehmen. Als historische
Pikanterie darf vermerkt werden, daß durch eigenartige Konstellationen
das Blatt ausgerechnet bei dem Drucker Adolf Müller hergestellt wurde,
der auch den "Völkischen Beobachter" druckte.
Gerlich hatte als Herausgeber und Hauptschriftleiter die volle
Verantwortung für den Inhalt des "Geraden Weges" und die zunehmende
Schärfe des Kampfes. Es seien hier nur einige Artikelüberschriften
zitiert:
Nr. 7 vom 14. Februar 1932 "Hetzer, Verbrecher und Geistesverwirrte - Führertum und Presse der Hitlerbewegung"
Nr. 8 vom 21. Februar 1932 "Konkurs des Dritten Reiches"
Nr. 9 vom 28. Februar 1932 "Untermenschen im Reichstag"
Nr. 10 vom 6. März 1932 "Siegreich woll'n wir Hitler schlagen"
Nr. 17 vom 24. April 1932 "Hitler der Bankrotteur"
Es heißt dort: "Wie ein echter Bankrotteur von großen Ausmaßen wie zum
Beispiel Ivar Kreuger, hat die Führerschaft der Hitlerpartei natürlich
auch nicht das geringste Bedenken, Millionen Menschen auf das schwerste
zu schädigen und unser Vaterland in den Abgrund zu reißen, wenn nur ihr
die Stunde erspart bleibt, sich als bankrott bekennen zu müssen."
Die einschlägige Karikatur lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig.
In der Wahlnummer Nr. 31 vom 31. Juli 1932 heißt es: "Der Nationalsozialismus ist eine Pest".
Und zur Jahreswende 1932/33 schreibt Gerlich: "So wie die Dinge liegen,
muß jede Reform in Deutschland mit einer Reform der heutigen Laxheit in
der Auffassung von dem beginnen, welche Ansprüche man an einen
politischen Führer vom Standpunkt der menschlichen Anständigkeit und
Ehrenhaftigkeit aus zu stellen hat. Und es muß der Zustand wieder
hergestellt werden, daß die Vertreter des Staates es ablehnen, mit
andersgearteten Menschen über das deutsche Schicksal zu verhandeln. Es
muß der Zustand wieder hergestellt werden, daß die einzigen Behörden,
die sich mit ihnen abgeben, die Staatsanwaltschaft und die
Kriminalpolizei sind... Der Weg zur Gesundung unseres öffentlichen
Lebens führt einzig und allein über die Wiederherstellung der
christlichen Moral und Sitte."
Im Januar 1933 wird Hitler Reichskanzler. Am 26. Februar 1933 brennt
der Reichstag. Mord liegt in der Luft. Gerlich ist durch den
Doppelspion Bell detailliert von dem Plan unterrichtet, "mittels dessen
Röhm die gesamte Polizeigewalt des Reiches sich in die Hand zu spielen
hoffte." 6) Er weiß, dass Göbbels den Reichstagsbrand inszeniert hat
und Göring die Idee durch den aus der Homosexuellenriege um Röhm
stammenden berüchtigten SA-Mann Röhrbein und seine Mannschaft ausführen
ließ. Ferner ist er - entgegen der offiziellen Selbstmordtheorie -
davon unterrichtet, dass Hitler seine Nichte, Geli Raubal, mit eigener
Hand erschossen hatte, nachdem sie durch ihn, den "Onkel Alf",
schwanger geworden war (vgl. auch Anmerkung 7).
Vor der Märzwahl versucht Dr. Gerlich nochmals - mit aller ihm zu
Gebote stehenden publizistischen Beredsamkeit - das deutsche Volk zu
beschwören, die "Machtergreifung" zu verhindern. Noch vor dem
Wahlsonntag wird Fürst zu Waldburg-Zeil bei dem Bayerischen
Ministerpräsidenten Held vorstellig und beschwört ihn erfolglos, bei
Hindenburg zu intervenieren, um diesen zu veranlassen, die
Polizeigewalt nicht in die verbrecherischen Hände der SA zu legen.
Zusammen mit Gerlich und Bell wiederholt er diesen Versuch bei dem
württembergischen Staatspräsidenten Bolz. Doch auch jener ist der
Ansicht, es sei alles umsonst, denn im Ministerium hänge bereits die
Hakenkreuzfahne aus dem Fenster.
Mit knappen 52 % siegt der "Führer" am 5. März 1933. Bayern liegt weit
unter diesem Durchschnitt. Am 8. März 1933 verabschiedet sich Dr. Fritz
Michael Gerlich von den Lesern des "Geraden Weges" mit den Worten:
"Jedenfalls möchten wir nicht zu denjenigen gehören, die die 'Wechsel'
nämlich die Stimmzettel, dieser Wahlmehrheit einzulösen verpflichtet
sind. "
Gerlich ist sich der Verhaftungsgefahr voll bewusst. Man drängt ihn, in
die Schweiz zu fliehen. Er aber bleibt, bereit "für das, was er
geschrieben hat, mit seinem Leben einzustehen." Am 9. März 1933 stürmen
SA-Leute unter Heil-Rufen die Redaktion des "Geraden Weges". Schützend
stellt sich der Chefredakteur vor seine Mitarbeiter. Der
Augenzeugenbericht seiner Sekretärin Fräulein Breit, lässt an
karfreitagstrüber Deutlichkeit und Drangsal nichts zu wünschen übrig.
Schwersten Misshandlungen ausgesetzt und doch immer wieder von mutigen
Freunden getröstet, wird Dr. Fritz Michael Gerlich in den knapp 1 1/2
Jahren vor seiner Ermordung, am Tag der Hinrichtung Pauli, seinem Herrn
immer ähnlicher. Er erlangt den höchsten Grad der Christusförmigkeit.
Therese Neumann sieht ihn kurze Zeit später visionär unter der Schar
der Heiligen.
Die "Süddeutsche Zeitung" ließ unweit des Verhaftungsortes, in der
Hoffstatt in der Münchner Innenstadt, 1994 eine Gedenktafel aus Anlass
des 60. Todestages des mutigen Publizisten anbringen.
Weiterführende Literatur:
Helmut Witetschek: "Pater Ingbert Naab. Ein Prophet wider den Zeitgeist" Schnell & Steiner 1985.
Alfred Läpple: "Adolf Hitler - Psychogramm einer katholischen Kindheit" Christiana 2001.
Heinz Höhne: "Mordsache Röhm" Rowohlt 1984.
Hinweis:
Der MÃœNCHNER MEKUR vom 25.6.2004 weist auf das Verbrechen an Gerlich
vor 70 Jahren hin: "Gedenken an Fritz Gerlich - Fritz Gerlich stammte
aus Stettin. Von 1920 bis 1928 war er Chefredakteur der 'Münchner
Neuesten Nachrichten', ehe er aufgrund einer Begegnung mit Resl Neumann
von Konnersreuth zum tiefgläubigen Katholiken wurde. In seiner Zeitung
'Der gerade Weg' warnte er schon vor 1933 vor den Nationalsozialismus.
Das mußte er nach der NS-Machtübernahme büßen: Er wurde verhaftet,
mißhandelt und am 30. Juni 1934 im KZ Dachau erschossen."
Anmerkungen:
1) Erwein Frhr. von Aretin: "Fritz Michael Gerlich. Lebensbild des
Publizisten und christlichen Wider-standskämpfers" 2. Aufl. Schnell
& Steiner, München 1983.
2) ebd. S. 29
3) ebd. S. 21/32
4) ebd S. 38
5) ebd. S. 82
6) ebd. S. 111
7) (vgl. auch Artins Zusammentreffen im Polizeigefängnis mit dem
Klavierlehrer Adolf Vogl ebd. S 129. Es heißt dort " ...so traf ich in
diesem Sommer 1933 mit deren (Geli Raubals, Anmerkung M.S.G.)
Klavierlehrer zusammen. Auch er war durch sein allzu großes Wissen
dorthin gekommen, ebenso wie eine Reihe von Genossen widerwärtigster
Hitlerscher Orgien in einem Schlosse bei Neuburg a.D., die so naiv
waren, bei ihrer Freundschaft mit Hitler ihre Internierung als einen
Missgriff der Polizei anzusehen, den der 'Führer' sofort beheben würde,
wenn er davon hörte!"
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