"Allen aber, die Ihn aufnahmen,
gab Er Macht, Kinder Gottes zu werden" (Joh. 1, 12)
von
Eberhard Heller
Mit einer gewissen Überraschung habe ich in meinem Philosophiestudium
verschiedene Male erfah-ren, wie am Ende langwieriger, alle
Aufmerksamkeit heischender Reflexionsprozesse Ergebnisse standen, die
mir - in anderer begrifflicher Gewandung - aus dem Religionsunterricht
meiner Schulzeit vertraut waren. Überraschend war für mich nicht so
sehr, daß Glaubensaussage und philosophische Reflexion koinzidierten -
daß es sich so verhalten mußte, wußte ich - nein, es war die Art und
Weise, wie sich beide Ebenen in einem gewissen Punkte überlagerten und
sich gegenseitig interpretierten und bestätigten. Und neu war damals
auch für mich, welche Durch- und Verklärung Aussagen, die unmittelbar
im Glauben angenommen worden waren, durch Operationen der theoretischen
Vernunft erhielten: sie wurden im wahrsten Sinne des Wortes "licht".
In einem ganz besonderen Sinne "licht" wurden so auch die Aussage des
hl. Johannes: "Et verbum carum factum est" ("und das Wort ist Fleisch
geworden" - 1, 14), und zwar in dem Sinne, daß hier philosophisches
Postulat (nach der Erscheinung des Absoluten als Absolutes in der
Erscheinung) auf das Ur-Ereignis stößt, welches zugleich als das Wunder
schlechthin zu verstehen ist, das als das unableitbare,
heilsgeschichtliche Faktum betrachtet werden muß, durch welche die
gesamte Menschheitsgeschichte unmittelbar betroffen ist.
Philosophisches Fordern findet in diesem heilsgeschichtlichen Ereignis
seine Erfüllung. Das Unbegreifliche wird begriffen in der Erscheinung.
Um es religiös zu sagen: Gott wird Mensch, Er erscheint als Gott-Mensch
- Gott und Mensch zugleich -, um uns zu erlösen. Er greift
revolutionierend in das interpersonal-geschichtliche Geschehen ein, um
Heilsgeschichte zu schreiben. Und wir sind von diesem Heilsangebot
betroffen!
Wenn man von dieser Herrlichkeit, die hier erscheint, etwas erahnen
will, wenn man zugleich auch erfahren will, wie wenig wir selbst von
diesem Geist noch getragen sind, dann lese man die visionären Berichte
der gottseligen Anna Katharina Emmerich, die dazu ausersehen war,
unserer verbürgerten, gleichförmigen, desinteressierten, boshaften, alt
gewordenen und blinden Zeit Kunde zu bringen, was damals geschah. Und
sie erzählt auch, wie elektrisiert und erfüllt jene Zeitgenossen, die
Gott "aufnahmen", von der unmittelbaren Begegnung mit diesem
Gottes-Sohn waren, "denn sie [hatten ja] Seine Herrlichkeit gesehen,
die Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und
Wahrheit" (Joh. 1, 14).
Aber wie reagierten die meisten Menschen damals? Wir kennen auch den
anderen Teil des Johannes-Prologs: "Er kam in sein Eigentum, doch die
Seinen nahmen Ihn nicht auf." (1, 11) Sein auserwähltes Volk, dem alle
Verheißungen gegolten hatten, war geistig blind, im Herzen verstockt.
Ich erinnere nur an den logischen Aufbau des Evangeliums bei Matthäus,
der gerade seinen jüdischen Zeitgenossen leidenschaftlich versucht
aufzuzeigen, wie alle Prophezeiungen, die sich auf das Kommen des
erwarteten (!) Messias beziehen, sich in Jesus Christus erfüllen...
dennoch: sie "nahmen Ihn nicht auf". Dieses verstockte Verschließen
gegen das Auftreten des absolut Heiligen, der da den Menschen als der
Andere gegenübertritt, hat seinen Grund im menschlichen Stolz - dem
Gegenteil von dem, was für Gottes Annahme unbedingt vorausgesetzt ist,
nämlich Demut: Er darf doch gerade der nicht sein, der Er ist. Denn Er
'gefährdet' unmittelbar das eigene Bild, welches man sich von Ihm
gemacht hat. Später gibt sich dieser Christus als Gott zu erkennen...
und wird als Gotteslästerer verurteilt: 'Bild' und Realität stimmten in
den Köpfen der Hohenpriester-'Richter' nicht überein.
Diese Einstellung kennen wir, da hat sich nicht viel geändert, sie ist
heute gerade vorherrschend in jener Institution, die Christus
eigentlich eingesetzt hat, um Sein Erbe, Sein Heilsangebot durch die
Zeit hindurch verwalten zu lassen bis zum Jüngsten Tag, und die noch
immer vorgibt, dies zu tun. Die Ablehnung des Gottes Sohnes findet
zumindest teilweise auch in den Köpfen der heutigen Triumphalisten
statt, den Krustentieren, die sich abgeschottet haben, auch gegen die
Liebe Gottes, die geistig erstarrt sind. Auch sie werden sich schwer
tun, sich darüber freuen zu können, daß ihnen Heil widerfahren
ist.
Aber dann lesen wir weiter: "Denen, die ihn aufnahmen, gab er Macht,
Kinder Gottes zu werden." (Joh. 1,12) - und erfahren es
heute noch. Die ersten, denen die Kunde von der Geburt Christi - um es
philosophisch zu sagen: von der Erscheinung des Absolutehn - zuteil
wurde, die kamen, nieder-fielen und das Kind in der Krippe anbeteten,
waren die Hirten von den nahe gelegenen Feldern, die nicht nur auf ihre
Herden aufpaßten, sondern auch in ihrem Geist aufmerksam waren, sie die
einfach dachten, die sich nicht hatten zerreißen lassen in tausend
widerstrebende Interessen, die nicht ihr 'Heil' an Gott vorbei suchten,
denen Er deswegen im 'Weg' war, sondern die eine große Freude in ihrem
Herzen trugen, als sie das göttliche Kind besucht hatten: sie waren in
der Tat die Privilegierten Gottes bei seinem Erscheinen.
Und wir, was wollen wir, die wir überladen mit Mühsalen und Sorgen
unzufrieden, enttäuscht am Weg der Alltäglichkeiten wartend dastehen,
denen der Mut gesunken ist, die dastehen mit müden Herzen, zermürbt
durch viele Querelen mit unseren Mitmenschen, unseren Verwandten,
mutlos ob all der Lieblosigkeit um uns herum, selbst gelähmt, Liebe zu
verschenken, aufgewärmt ein wenig durch Gesten der Anteilnahme, die
hier und da die Gleichgültigkeit durchbrechen... was wollen wir? Wenn
noch ein wenig Sehnsucht in uns brennt, von all dem Ballast befreit zu
werden, wenn wir noch Freude empfinden - und nicht Trockenheit -, dann
raffen wir uns auf, 'klinken' uns aus dieser Wüste aus, hören wieder
hin, was die Engel verkündet haben: ... und wir sehen sie wieder vor
uns die Schar der Hirten, die voll Erwartung ist, voll Erwartung,
welche nicht enttäuscht wird. Reihen wir uns ein in ihren Zug, um das
Heil zu schauen. Machen wir uns - und hier möchte ich wieder auf die
anfänglich erwähnte Koinzidenz von philosophischem Postulat und dem
unableitbaren Heilswunder, welches dieses Sehnen konkret mit Leben
erfüllt, hinweisen - auch reflexiv bewußt, daß auch uns das Heil
geboren wurde, daß das Wort Fleisch wurde aus übergroßer Liebe,
begreifen wir, daß wir daran Anteil haben, wenn wir IHN "aufnehmen",
der zu uns gekommen ist, den Heiland der Welt: "Wir haben Seine
Herrlichkeit gesehen"... und Freude wird auch unser Herz erfüllen.
Ihnen allen wünsche ich ein gnadenreiches Weihnachtsfest!
Eberhard Heller
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