PREDIGT AUF DAS WEIHNACHTSFEST
vom
hl. Leo dem Großen, Papst von 440-461
Geliebteste!
1. Laßt uns frohlocken, Geliebteste; denn heute ist uns der
Heiland geboren! Darf doch dort keine Trauer aufkommen, wo das Leben
selbst zur Welt kommt, das die Furcht vor dem Tode benimmt und uns
durch die Verheißung ewigen Lebens mit Freude erfüllt. Niemand wird von
der Teilnahme an dieser Jubelfeier ausgeschlossen, alle haben den
gleichen Grund, in festlicher Stimmung zu sein; denn da unser Herr, der
die Sünde und den Tod vernichtet, niemand findet, der ohne Schuld ist
so kommt er, um alle zu befreien. Es jauchze der Heilige, weil er sich
der Siegespalme naht; es frohlocke der Sünder, weil ihm Verzeihung
winkt, und neuer Mut belebe den Heiden, weil ihn das Leben ruft! Denn
nachdem sich die Zeit erfüllt, welche die unerforschliche Tiefe des
göttlichen Ratschlusses dazu bestimmte, nahm der Sohn Gottes die Natur
des Menschengeschlechtes an, das wieder mit seinem Schöpfer versöhnt
werden sollte, damit der Teufel, der den Tod in die Welt gebracht,
gerade durch die menschliche Natur, die er bezwungen hatte, wieder
bezwungen würde. In diesem für uns unternommenen Kampfe wurde der
Streit nach dem erhabenen und bewunderungswürdigen Grundsatz der
Gleichheit geführt, indem sich der allmächtige Herr mit dem so wütenden
Feinde nicht in seiner Majestät, sondern in unserer Niedrigkeit mißt.
Er stellt ihm den gleichen Leib entgegen und die gleiche Natur, die
zwar wie die unsrige sterblich, aber frei von jeder Sünde ist. Gilt
doch von seiner Geburt nicht, was von der aller (andern) zu lesen
steht: "Niemand ist rein von dem Schmutze der Sünde, nicht einmal das
Kind, dessen Lebenshauch nur einen Tag auf Erden währt."
Keinerlei Makel ist auf diese Geburt, die nicht ihresgleichen hat, von
der Begierlichkeit des Fleisches übergegangen, keinerlei Schuld von dem
Gesetze der Sünde auf sie entfallen. Eine königliche Jungfrau aus dem
Stamme Davids wird dazu auserwählt, die heilige Frucht in sich
aufzunehmen und Gottes und der Menschen Sohn zunächst im Geiste und
dann in ihrem Schoße zu empfangen. Und damit sie nicht, unbekannt mit
dem himmlischen Ratschlusse, über eine so ungewöhnliche Wirkung
erschrecke, erfährt sie durch die Unterredung mit dem Engel, was in ihr
der Heilige Geist wirken sollte. Auch glaubt die nicht an Verlust der
Jungfräulichkeit, die bestimmt ist, bald "Gottesgebärerin" zu werden.
Denn warum hätte sie in diese neue Art der Empfängnis Zweifel setzen
sollen, da ihr die Macht des Allerhöchsten dies zu vollbringen
verspricht? Gestärkt wird ihr gläubiges Vertrauen auch noch durch das
Zeugnis eines vorausgehenden Wunders: Der Elisabeth, die nicht mehr
darauf hoffen konnte, wird Kindersegen verliehen, damit man nicht daran
zweifle, daß der jenige, der einer Unfruchtbaren die Kraft zu empfangen
gegeben hatte, auch eine Jungfrau empfangen lassen würde.
2. So ist also das "Wort Gottes", "Gott", "Gottes Sohn", "der im Anfang
bei Gott war, durch den alles gemacht worden ist, und ohne den nichts
gemacht wurde", Mensch geworden, um den Menschen vom ewigen Tode zu
befreien. Dabei hat er sich ohne Minderung seiner Majestät in der Weise
zur Annahme unserer Niedrigkeit herabgelassen, daß er die wahre
Knechtsgestalt mit jener verband, worin er Gott dem Vater gleich ist.
Er blieb, was er war, und nahm an, was er nicht war. In der Weise hat
er sich herabgelassen, daß er beide Naturen so miteinander vereinte,
daß weder die Erhebung der niedrigeren Natur diese (in der göttlichen)
aufgehen ließ, noch ihre Annahme der höheren Abbruch tat. Indem also
die Eigenart beider Wesenheiten gewahrt bleibt und sich zu ein und
derselben Person verbindet, bekleidet sich die Majestät mit
Niedrigkeit, die Stärke mit Schwachheit, die Ewigkeit mit
Sterblichkeit. Und um die Schuld unseres Sündenzustandes zu tilgen, hat
sich die unversehrbare Natur mit der leidensfähigen vereint, sind
wahrer Gott und wahrer Mensch zur Einheit des Herrn verbunden. Dadurch
sollte - wie dies unserer Erlösung entsprach - ein und derselbe
"Mittler zwischen Gott und den Menschen" einerseits sterben,
andererseits auferstehen können. Billigerweise also brachte die Geburt
des Heils der jungfräulichen Reinheit keinerlei Schaden; denn das
Erscheinen der Wahrheit war ein Schutz der Keuschheit.
Eine solche Geburt, durch die (unser Heiland) in seiner Menschlichkeit
uns gleich, in seiner Göttlichkeit uns überlegen sein sollte, ziemte,
Geliebteste, Christus, "Gottes Macht und Weisheit". Wäre er nicht
wahrer Gott, so brächte er keine Erlösung, wäre er nicht wahrer Mensch,
so böte er uns kein Beispiel. Darum wird auch von den jauchzenden
Engeln bei der Geburt des Herrn gesungen: "Ehre sei Gott in der Höhe!"
Darum wird auch "den Menschen auf Erden, die guten Willens sind",
Friede verheißen. Sehen sie doch, wie sich das himmlische Jerusalem aus
allen Völkern der Erde erbaut. Wie sehr muß sich da menschliche
Niedrigkeit über dieses unbe schreibliche Werk der göttlichen Liebe
freuen, wenn die hehren Engel darüber in solchen Jubel ausbrechen!
3. Laßt uns also, Geliebteste, Gott dem Vater durch seinen Sohn
im Heiligen Geiste danken! Hat er doch um seiner reichen Barmherzigkeit
willen, mit der er uns liebte, sich unser erbarmt, "und obgleich wir
tot waren durch Sünden, uns lebendig gemacht mit Christus", auf daß wir
in ihm ein neues Geschöpf, ein neues Gebilde würden. Laßt uns also
ablegen den alten Menschen mit seinen Handlungen und, nachdem wir an
der Menschwerdung Christi Anteil erhielten, den Werken des Fleisches
entsagen! Erkenne, o Christ, deine Würde! Kehre nicht, nachdem du der
göttlichen Natur teilhaftig geworden, durch entartete Sitten zur alten
Niedrigkeit zurück! Denke daran, welchen Hauptes, welchen Leibes Glied
du bist! Vergegenwärtige dir, daß du der Macht der Finsternis entrissen
und in Gottes lichtvolles Reich versetzt worden bist! Durch das
Sakrament der Taufe wurdest du zu einem Tempel des Heiligen Geistes.
Vertreibe nicht durch schlechte Handlungen einen so hohen Gast aus
deinem Herzen! Unterwirf dich nicht aufs neue der Knechtschaft des
Satans! Ist doch das Blut Christi dein Kaufpreis. Wird dich doch der in
Wahrheit richten, der dich in Barmherzigkeit erlöst hat, der mit dem
Vater und dem Heiligen Geiste waltet in Ewigkeit. Amen.
(aus: "Biblothek der Kirchenväter", Bd. 54, S. 75-78, Sermo XXI)
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