DIE HEILIGE KLARA
von
Eugen Golla
Die einer adeligen Familie entstammende Klara wurde 1194 zu Assisi
geboren. Wie die Legende berichtet, soll ihre tiefreligiöse Mutter ein
Zeichen erhalten haben, wonach sie einem begnadeten Kind das Leben
schenken würde. Sie soll eine Stimme vernommen haben, die ihr zurief:
"Fürchte dich nicht, denn du wirst ein Licht gebären, das die Welt
erleuchten wird". Nach der Legende soll deshalb das Mädchen in der
Taufe den Namen "Klara", d.h. die Klare, die Glänzende oder die
Leuchtende erhalten haben. Schon in ihrer Kindheit zeigte Klara innige
Frömmigkeit, besonders aber auch eine große Liebe zu den Armen. Als sie
vierzehn Jahre alt geworden war, versetzte ein Ereignis ganz Assisi in
Aufregung: Francesco Bernardone, der Sohn eines reichen Kaufmanns,
hatte allen Freuden einer unbeschwerten Jugend entsagt, um in der
strengsten Nachfolge Christi - als Bettler lebend - in der Folgezeit
der "kleine Arme", der "Poverello" zu werden.
Begreiflicherweise hatten Klaras Eltern vor, ihre Tochter vorteilhaft
zu verheiraten. Aber Francesco, der inzwischen als Einsiedler die
verfallenen Klöster Portiunkula und San Damiano in harter Arbeit
renoviert hatte und binnen kurzem den Ruf der Heiligkeit erlangt hatte,
machte einen Strich durch deren Rechnung. Als Klara nämlich einst
Franzsikus predigen hörte, fühlte sie sich zu dem, was er sagte,
hingezogen und meinte, in ihm den richtigen Führer zu jenem
kontemplativen Leben in Demut und Armut gefunden zu haben, welches ihr
vorschwebte. Sie konnte ihre Tante überreden, sie zu einem Gespräch mit
Franz zu begleiten, der sich bereit erklärt hatte, sie nach Bestehen
einer Aufnahmeprobe, die darin bestand, in einem Bußgewand Almosen zu
sammeln, als seine Schülerin aufzunehmen.
Für den Entschluß, dem weltlichen Leben zu entsagen, wurde der
Palmsonntag, der 18. März 1212, ausersehen. Nachdem Klara vormittags
mit ihrer Familie noch am Gottesdienst teilgenommen hatte, begab sie
sich spät abends nach Portiunkula, wo Franz auf sie wartete. Sie ließ
sich von ihm die Haare abschneiden und legte das Gelübde der Armut und
der Keuschheit ab. Dieses Datum gilt als Gründungstag der Stiftung des
Ordens der Klarissen. Bei Tagesanbruch brachte er sie, die ihre
kostbaren Kleider gegen ein sackähnliches Büßergewand eingetauscht
hatte, in das Benediktinerinnenkloster San Paolo. Sie sollte dort
vorerst bleiben, bis sich eine passendere Unterkunft für sie gefunden
haben würde.
Natürlich hatte man schnell die Spuren der Flucht entdeckt und ehe der
Tag zu Ende ging, umstellte Klaras Vater mit Verwandten und einer Schar
Bewaffneter das Kloster. Klara blieb, ohne auf das Zureden und Drohen
auch nur mit einem Wort einzugehen, zu Füßen des Altars knieen. Als
aber eine gewaltsame Rückführung versucht wurde, entschleiert sie ihr
geschorenes Haupt. Da siegte ihre Standhaftigkeit. Mit leeren Drohungen
verließen die Ritter samt ihren Söldnern das Gotteshaus. Vielleicht
wären sie, wenn sie theologisch geschult gewesen wären, auf den Einwand
gekommen, daß Franz nur Diakon war und folglich nicht das Recht besaß,
Ordensgelübde entgegenzunehmen.
Wenige Wochen später fand Klara im Kloster Sant Angelo di Panso, das
gleichfalls dem Benediktinerorden gehörte, Zuflucht. Dort hielt sie
eines Tages ihre jüngere Schwester Agnes in den Armen. Sie, die von
ihren Eltern mehr oder weniger gezwungen worden war, sich schnell zu
verloben, war zu ihr geflohen, um mit ihr gemeinsam ein Leben der
Askese in der klösterlichen Umgebung führen zu können.
Wenn auch der Vater über den Verlust der zweiten Tochter vor Schmerz
fast außer sich war, willigte er schließlich in deren Verlangen ein,
zumal er versuchte, den Entschluß vom Religiösen her zu verstehen. So
brach nun eine ruhigere Zeit an, die es u.a. auch Franziskus
ermöglichte, seiner neuen Gründung, dem Klarissenorden, eine feste
Wohnstätte zu geben, und zwar die Klause neben der von ihm unter großen
Mühen wiederhergestellten Kirche von San Damiano. In diesem
bescheidenen Gotteshaus hatte er auch seine Kreuzesvision: der am
Kruzifix nicht als Schmerzensmann, sondern als mild blickender
Pantokrator hängende Christus forderte den vor ihm Knieenden auf, die
verwüstete Kirche wieder aufzubauen.
Innerhalb von zwei Jahren hatten sich Klara bereits acht Gefährtinnen
angeschlossen. Als ihr Vater gestorben und ihre Mutter Hortulana Witwe
geworden war, konnte Klara auch sie in den neuen Orden aufnehmen. Mit
der Zeit erfolgten auch in verschiedenen Städten Italien
Kloster-Neugründungen der Klarissinnen. Auffallend ist, daß in diesen
strengen Orden im Lauf der Zeit mehr als 150 Angehörige des hohen Adels
- darunter auch Prinzessinnen und Königstöchter - eintraten, zuerst die
selige Agnes von Böhmen, eine Tochter des Böhmenkönigs Przemysl Ottokar
I., an die Klara vier uns erhaltene Briefe schrieb.
Obwohl sie als vollkommene Schülerin des heiligen Franz anfangs den
Titel und Rang einer Oberin ablehnte, mußte sie als
Einundzwanzigjährige schließlich das Amt der Äbtissin übernehmen. Die
erste Ordensregel gab ihr Franz nur mündlich. Sie beinhaltete in der
Hauptsache das Armutsprivileg und entsprach ansonsten der strengen
Regel des hl. Benedikt, die jener in der Einsamkeit von Subiaco
konzipiert hatte. Auf dem dritten Laterankonzil im Jahre 1215 war
beschlossen worden, keine neuen Ordensgründungen mehr zuzulassen. Da
aber die Benediktiner mit der Zeit vielfach reich an Gütern geworden
waren, ruhte Klara nicht eher, als bis sie wie Franziskus von Papst
Innozenz III. das sogenannte "Privilegium paupertatis", das
Armutsprivileg, ja sogar das Recht auf die höchste Stufe der Armut,
erhalten hatte. Allerdings versuchte kardinal Ugolino, der spätere
Papst Gregor IX., damals päpstlicher Legat für Mittel- und Norditalien
in der Zeit, als Franz im Heiligen Land weilte, den Klarissen eine von
ihm verfaßte Regel aufzuerlegen, in der stillschweigen die
Verpflichtung zur absoluten Armut gemäßigt worden war. Aber nachdem
Franz zurückgekehrt war, erlangte sie von ihm eine schriftlich
niedergelegte Ordensregel nach dem Vorbild der Franziskaner, die u.a.
äußerste Armut, strenge Klausur, strengstes Fasten sowie das Verbot von
Eigentumserwerb befahl. Nach dem Todes hl. Franziskus erlangte Klara
von Kardinal Ugolino, der inzwischen Papst geworden war, ausdrücklich
die Bestätigung dieses Armtusprivilegs.
Viel ist über die Beziehungen zwischen den beiden Heiligen geschrieben
worden. Mancher mag sie für Geschwister gehalten haben, und es ist dies
nicht einmal falsch, wenn man sagt, Klara sei des hl. Franziskus
mystische Schwester gewesen. Kitschige Romantik gefiel sich bisweilen
darin, die beiden Heiligen Assisis zu Helden einer wenn auch noch so
zarten so doch weltlichen Liebe zu machen. In Wirklichkeit war es aber
Liebe zu Christus, die beide seraphischen Gestalten so innig
miteinander verband.
Klara, von Franziskus mehr und mehr geschätzt, wurde schließlich seine
Ratgeberin bei wichtigen, schweren Entschlüssen, die seinen Orden
betrafen, u.a. auch dann, als einige Brüder den Gehorsam verweigerten
und eine Spaltung drohte. Im übrigen wurden Franziskus' Besuche,
seitdem die Klarissinnen eine feste Organisation besaßen, seltener.
Aber gegen Ende seines Lebens, schwer krank und an Händen und Füßen von
Stigmata gezeichnet, begab er sich nochmals nach San Damiano, wo ihm
Klara in dem kleinen Klostergarten eine Laube errichtet hatte, in der
er seinen wunderbaren Son-nengesang dichtete.
Als 1226 diese überirdische Freundschaft ihr Ende gefunden hatte, wurde
Klara die treue Bewahrerin des Lebenswerkes ihres Meisters. Noch 27
Jahre waren ihr beschieden, die sie hinter den Mauern von San Damiano
verbrachte. In dieser langen Zeit hatte sie wohl kaum je ihr armes
Kloster verlassen, um weiter zu gehen als die Hügel hinauf nach Assisi
oder Portiunkula; mehr wollte sie von der Welt nicht mehr sehen,
höchstens, daß sie nach dem Bekanntwerden des Martyriums von fünf
Franziskanern in Marokko vorübergehend danach verlangte, ebenfalls im
Orient missionieren zu dürfen.
Es wäre falsch anzunehmen, sie habe infolge ihrer so harten Askese
alles menschliche Gefühl verloren. Die Chroniken berichten vielmehr,
daß sie um ihre Mitschwestern wie eine Mutter besorgt war und ihnen
sämtliche, den Ordensregeln nicht widersprechenden Erleichterungen
zukommen ließ, ja im Winter von ihrem Lager aufstand, um sich zu
überzeugen, ob sie alle gut zugedeckt seien.
Klara gilt auch als Vorbild für die Verehrung der heiligen Eucharistie:
Einst belagerten Assisi sarazenische Truppen des Kaisers Friedrich II.,
der, obwohl römisch-deutscher Kaiser, in Wirklichkeit ein Atheist war.
Da ergriff sie trotz schwerer Krankheit umgehend das Ciborium und ließ
sich auf die Umfassungsmauer von San Damiano tragen, von wo sie die
Monstranz den Ungläubigen zeigte, die bei ihrem Anblick flohen.
Klara starb im Alter von 59 Jahren am 11. August 1253. Ihr Leichnam
wurde in die Kirche des hl. Georg in Assisi gebracht, wo vorläufig auch
Franz ruhte. An der Prozession beteiligte sich auch Papst Innozenz IV.,
der damals im nahen Perugia seine Residenz hatte. Sein Nachfolger,
Alexander IV., sprach sie bereits nach zwei Jahren heilig. 1260 wurden
ihre sterblichen Überreste in das neu errichtete Kloster der
Klarissinnen übertragen. Die Kirche feiert ihr Fest am 12. August.
Das franziskanische Werk, dem große Erfolge in der Volkspredigt, der
Heidenmission und der Wissenschaft zuteil wurden, beruht gleichsam auf
zwei Säulen: auf Franz, der in der Welt mittels ungewöhnlicher, ja
scheinbar widersinniger Methoden missionarisch wirkte, und auf Klara,
die in der Verborgenheit eines Klosters in strengster Armut ein
kontemplatives Leben führte, das man treffend mit den Worten "In der
Gegenwart Gottes leben" bezeichnen kann. Ihr Zeitgenosse und Biograph,
Thomas von Celano, schreibt über sie: "Ihre Seele gab sich ohne
Unterlaß dem Gebet hin. Sie erhob sich, ihrer Gewohnheit gemäß, als
erste, weckte dann die jüngsten der Schwester und forderte sie, ohne
das Schweigen zu brechen, mit ihren Blicken auf, den Tag inbrünstig zu
beginnen. Den ganzen Tag aber war sie niemals müßig und betete ohne
Unterlaßt, womit sie sich auch immer beschäftigte."
***
Quellenangabe:
Cuthbert-Widlöcher: "Klara von Assisi", Stuttgart. - Daniel-Rops, H.: "Clara von Assisi", Wien 1953.
Stadler, Joh. Ev.: "Vollständiges Heiligenlexikon in alphabet. Ordnung", 1. Bd., Augsburg 1858
"Vies des X Saints", Bd. 8, Paris 1950.
Wetzer und Welte: "Kirchenlexikon", 3. Bd., Freiburg 1884.
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