ZEITGEMÄSSE BETRACHTUNGEN
von
Eberhard Heller
Es ist bekannt, daß Problembewältigungen in unserem Lager häufig an
persönlichem Unvermögen oder Unzulänglichkeiten scheitern. Und da
unserer Personaldecke recht dünn und darum wenig tragfähig ist,
entstehen häufig Risse in ihr, die wegen allzu menschlicher Schwächen
und Eitelkeiten schwer zu reparieren sind.
In diesen "Katalog der Probleme" gehört auch ein ganz bestimmte Art
klerikalen Verhaltens. Die wenigsten Priester begreifen, daß sie -
ausgestattet mit gewissen Vollmachten, die ihnen verliehen wurden im
Auftrag der Kirche (als Heilsinstitution) - sie Autorität im Auftrag
der Kirche ausüben (sollen), eine Autorität, die auch im öffentlichen
Bereich wahrgenommen werden muß, weil die Kirche sichtbar ist bzw. sein
soll und die Glieder der Kirche einen "Leib" bilden, der nicht nur ein
mystischer ist, sondern in dieser Welt erscheinen soll als konkretes
Sozialgebilde.
Ein Priester ist also ein Amtsträger der Kirche. In dieser Hinsicht
kommt seiner Exsistenz und seinem Handeln öffentlicher Charakter zu.
Ein katholischer Priester ist also nicht nur einfach Seelsorger,
sondern nach außen Repräsentant der Kirche und ihrer Autorität, und
nach seinem Handeln als Repräsentant wird er auch vornehmlich
beurteilt.
Häufig werden die übertragenen Vollmachten jedoch als persönliche
Privilegien von Klerikern -besonders unter den jetzigen
ungeordneten Verhältnissen - mißverstanden (etwa bloß zur Ausübung
eines pastoralen Dienstes), Vollmachten jedoch, von denen sie
instinktiv spüren, daß sie durch sie in besonderer Weise ausgezeichnet
sind, was aber zu dem falschen Schluß verleitet, zu meinen, der Welt
'entrückt' zu sein: Das Schnöde den Schnöden.
Die richtige Auffassung, daß sie diesen Dienst legitim nur dann ausüben
(dürfen), wenn sie sich als von der Kirche beauftragt sehen, hat
deshalb konfuse Konturen bekommen, weil sich die wenigsten Kleriker
darum kümmern, wo denn heute die Kirche ist, die ihnen solch ungeheure
Vollmachten wie die Vergebung der Sünden, die Vollmacht Brot und Wein
zu verwandeln, gegeben hat, wodurch ihnen in der Tat eine bestimmte
Mittlerrolle zwischen Gott und den Gläubigen zufällt. Es entstehen
nicht nur Probleme in der Einstellung zur Seelsorge und deren
Durchführung, die der hl. Gregor der Große in seinen Patoralregeln
trefflich markiert hat ), nein, viel schlimmer ist der sich
ausbreitende sektiererische Geist, der in den Gläubigen nicht die Herde
Christi sehen läßt, sondern ein Klientel. "Katholisch" bleibt in
solchen Klerikerköpfen in der Tat ein aus dem griechischen entlehntes
Fremdwort. Sie beschränken sich häufig darauf, "die Sakramente zu
spenden" - dazu wurden sie ja auch geweiht, ihrer Meinung nach.
Vielfach sind diese Kleriker überfordert, wenn man sie bittet, ihren
kirchlichen Standpunkt und mittels diesem auch ihre Amtsausübung zu
bestimmen. Häufig werden solche Fragen, die mit Recht von den Gläubigen
gestellt werden müssen, um die Spreu vom Weizen zu trennen, d.h. zu
eruieren, ob es sich bei der betreffenden Person um einen katholischen
Priester oder um einen sektiererischen "clerus vagans" handelt, als
persönliche Provokation aufgefaßt. Und weil auch nicht einmal um die
Berechtigung solcher Anfragen gewußt wird, wird solch kritischer
Glaubensgenosse als arrogant abgestempelt. Und "schwups" haben wir
neben der klerikalen Arroganz auch die Überheblichkeit der Laien
ausgemacht. Fragen an einen Kleriker nach der Legitimität seines
priesterlichen Handelns, nach seinem Kirchenverständnis werden von
diesem am besten gar nicht erst beantwortet mit der Begründung, der
Fragesteller sei ja "Laie".
Abgesehen davon, daß sich hier eine unverzeihliche Ignoranz über die
heutige Situation der Kirche zeigt, eine Situation, in der es meines
Erachtens die Pflicht eines jeden Klerikers ist, seinen Status und sein
Handeln öffentlich zu rechtfertigen (um den Gläubigen die Gewißheit zu
geben, daß sie, die Kleriker, im Dienst der wahren Kirche handeln),
offenbart sich hier mit unüberhörbarer Deutlichkeit die intentionale
Fehleinstellung eines solchen Klerikers, dessen Tätigkeit allein schon
deshalb zum Scheitern verurteilt ist: Er will nicht dienen,
sondern herrschen.
Eigentlich sollte klar sein, daß dieses "non observiam" ("ich will
nicht dienen", nämlich Gott nicht) in seiner radikalsten Form zur
heutigen Katastrophe geführt hat. Man muß ja "Bewahren der Tradition"
nicht unbedingt als Fortführung von offensichtlichen Fehlern
vergangener Epochen mißverstehen. Besonders unverständlich und schwer
nachzuvollziehen, ist solche Haltung bei Priestern, die sich vorgeblich
in den Widerstand gegen die Reformen des II. Vatikanums begeben haben.
Eigentlich sollten doch zumindest sie sich über die tieferliegenden
Gründe dieser "Revolution von oben" Gedanken gemacht und festgestellt
haben, daß dieses "non observiam" zur schrecklichen Manipulation am
Willen und Auftrag Christi geführt hat.
Naiverweise sollte man dann annehmen dürfen, daß sich an dieser Haltung
etwas ändern müßte, wenn man das Gegenteil von dem erreichen will, was
man zu recht ablehnt. Man müßte bereit sein zu dienen in Geduld, als
Diener Christi, der sich vor falscher Bescheidenheit nicht in
pastoralen Diensten versteckt, sondern sich seiner Verantwortung als
Amtsträger und Repräsentant der Kirche bewußt ist. Aber obwohl Herr,
hat Christus den Jüngern im Abendmahl die Füße gewaschen, also
niedrigste Dienste an ihnen verrichtet, um den Seinen ein Beispiel zu
geben, daß das Führen der Herde andererseits keine Grenzen in der
Selbstlosigkeit kennt. Also dienen in Geduld... aus Demut und mit der
Bereitschaft, auf die seelischen Nöte der Zeit zu hören und auf sie
einzugehen, und hof-fen, daß Gott Seinen Segen schenkt. Dann dürften
Zurückhaltung nicht mit Verschlossenheit, Kritik nicht mit Anmaßung und
Offenheit nicht mit Anbiederung verwechselt werden.
Viele Laien begehen den unverzeihlichen Fehler, Kleriker generell zu
hofieren und ihnen damit das Gefühl zu geben, das Tragen einer Soutane
- Importware aus Frankreich - bedeute in sich schon Legitimation
schlechthin. Es enthebe sie (die Priester) gleichsam der Pflicht, in
Diskussionen zutreffende Argumente vorzutragen. Diese Art 'Schonung'
sollten sich die Laien schnellstens abgewöhnen und lernen, auch
gegenüber Klerikern wahrhaftig und gerecht zu sein.
Kleriker sollten sich gelegentlich wieder einmal fragen, warum sie
überhaupt Priester geworden sind. Ich weiß, die Antwort ist klar: sie
wurden berufen oder fühlten sich berufen... ja von wem? In der Tat, so
einfach ist das nicht. Wenn Gott jemanden in Seinen Dienst beruft, dann
tut Er es, um ihm hier auf Erden Gelegenheit zu geben, für Ihn in
besonderer Weise zu streiten, um von ihm be-stimmte Aufgaben hic et
nunc bewältigen zu lassen. Gott kennt kein Entschweben aus der Welt.
Doch ob jung oder alt: Kampfspuren auf einer klerikalen Uniform sucht
man meist vergebens. Gottes Anruf ist immer ein konkreter, ein
unmittelbarer. Für die heutige Zeit gilt besonders: einen geistigen
Kampf zu kämpfen. Wir haben, wie es der verstorbene Herr Dr. Disandro
aus Argentinien so treffend formulierte, einen "semantischen Krieg" zu
bestehen. Man kann nur hoffen, daß die Priester tatsächlich Gottes Ruf
und nicht dem einer ehrgeizigen Mutter gefolgt sind.
Den jungen Klerikern kann man zugutehalten, daß sie schon in der
Revolution heranwuchsen, d.h. daß sie die Kirche nicht mehr als intakte
Heilsinstitution, als geistig-soziales System kennenlernten, sondern
nur noch als Torso... der Restitution dringend bedürftig. Aus diesem
unverschuldeten Defizit, aus diesem Mangel an Erfahrung ergeben sich
sicherlich eine Menge Probleme. Aber egal, wo sie ihre
priesterliche Formation erhalten haben - abgesehen von einer
Ausbildung in einer offenkundig sektiererischen Einrichtung -, sollten
sie doch wissen, daß es in der christlichen Religion, um Heil und
Unheil, um Leben und Tod, um die personale Beziehung zu Gott und der
Vereinigung mit Ihm geht, zu deren Verwirklichung Sein Sohn den
Sühntod auf sich genommen hat, um uns zu erlösen, und er uns frei die
Gnadenmittel schenkt, um mit Ihm zwar verborgen (hier auf Erden), aber
real wieder in Verbindung treten zu können. Und ein junger Kleriker
sollte auch mitbekommen haben, daß durch die "Revolution von oben", die
sich im und nach dem II. Vatikanum durchgesetzt hat, die Lebensadern zu
Gott zerschnitten wurden, d.h. daß es fast keine lebensspendenden,
übernatürlichen Gnadenströme mehr gibt. Ohne sie aber zehrt die Welt -
die Welt das ist mein Freund, meine Frau, mein Nachbar, mein Kind -
geistig und moralisch aus - ohne Gott stirbt sie. Da von der sog.
Konzils-'Kirche' kein Heilswirken mehr erwartet werden kann, liegt die
Verantwortung für das Heil der Seelen der gesamten Menschheit - ich
habe keinen Grund zu übertreiben! - bei den rechtgläubigen katholischen
Geistlichen. Und es liegt an ihnen, zu retten, was sich noch retten
läßt.
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