DER HL. ALBERTUS MAGNUS
von
Eugen Golla
Als Sohn eines Ministerialen, d.h. eines Beamten in staufischen
Diensten, dessen Geschlecht später unter dem Namen "von Bollstädt"
geadelt wurde, erblickte Albert um das Jahr 1193 in dem zwischen Ulm
und Donauwörth gelegenen Lauingen das Licht der Welt. Wie bei den
meisten Menschen im Mittelalter haben wir nur wenige Nachrichten über
seine frühe Jugendzeit. Erst nachdem er ein Alter von etwa 3o Jahren
erreicht hatte, erfahren wir mehr über Albert: er widmete sich an der
neugegründeten Universität von Padua dem Studium der Freien Künste,
vielleicht auch der Medizin.
Hier lernte er den zweiten Ordensgeneral der Dominikaner, den seligen
Jordanus von Sachsen, kennen, der ihn - wie viele seiner
Studiengenossen auch - derart faszinierte, daß dieser Einfluß für sein
ganzes zukünftiges Leben richtungsweisend werden sollte: Albert
entschloß sich nach kurzem Zögern, das weiße Gewand der Predigermönche
anzuziehen, ungeachtet der Schwierigkeiten, die ihm seine Verwandten zu
bereiten suchten. Jordanus als sein Oberer beließ ihn allerdings nicht
in Italien, sondern schickte ihn nach Köln, damit er im dortigen
Dominikanerkloster sein Noviziat absolvieren solle. Im Alter von etwa
4o Jahren zum Priester geweiht, begann für Albertus ein Wanderleben im
Dienste des Herrn, indem er zunächst als Lektor an verschiedenen
Ordenshäusern, wie denen in Hildesheim, in Freiburg, in Regensburg und
Straßburg, unterrichtete.
Als er sich in dem Kampf des letzten Stauferkaisers, Friedrichs II.,
mit dem Papste, der das gesamte Abendland erschütterte, profiliert
hatte, wurde ihm 1245 die Ehre zuteil, als erster Deutscher an der
Pariser Universität lehren zu dürfen. Dort befand sich unter seinen
Schülern ein unscheinbar aussehender, wortkarger italienischer Adliger,
dem es bestimmt war, als der größte Theologe des Mittelalters seines
Lehrers Werk weiterzuführen: Thomas von Aquin.
Wenige Jahre später wurde Albertus nach Köln zurückberufen, wo sein
Orden - wie bereits in Bologna, Oxford und Montpellier - eine eigene
Hochschule, den Ursprung der späteren Kölner Universität, errichtet
hatte. Hier wirkte er nun nicht nur als Hochschullehrer, der unter
seinen Hörern wieder jenen Thomas von Aquin hatte, den er schon in
Paris unterrichtete, sondern auch als Volksprediger, ja sogar als
Schiedsrichter in den Streitigkeiten der selbstbewußten Kölner Bürger
mit ihrem Erzbischof.
Im Jahre 1254, in einer Zeit voll gefährlicher Krisen - mit dem Tode
Friedrichs II. endete für immer das mächtige Imperium des
Hochmittelalters, es begann die kaiserlose, schreckliche Zeit -, wurde
Albertus zum Provinzial der deutschen Ordensprovinz ernannt, die 4o
Klöster umfaßte. Stets auf die Einhaltung der strengen Ordensregel
bedacht und dabei mit gutem Beispiel vorangehend, legte er sämtliche
Wege auf den weiten Visitationsreisen zu Fuß zurück, begnügte sich mit
ärmlichen Unterkünften in Klöstern, ja er schreckte nicht davor zurück,
notfalls als wirklicher Bettelmönch um Almosen und das tägliche Brot
nachzufragen.
Da sich die Franziskaner und die Dominikaner in vielen Dingen, in den
Ideen und auch den Gebräuchen, stark von den alten Orden unterschieden,
erweckten sie vielfach den Eindruck, Unruhestifter zu sein, ja sie
galten so manchem Zeitgenossen als so revolutionierend, daß er Angst
hatte, sie würden die christliche Gesellschaftsordnung unterminieren.
Besonders das radikale Armutsideal und ihre Lehrtätigkeit erregten bei
den etablierten Lehrern den Eindruck, die alte Ordnung und die alten
Lehren umstürzen zu wollen. Überall erregten diese Lehrer der neuen
Orden Ärger, besonders in Paris, In ihrer Aufgebrachtheit schreckten
deshalb diese alten Dozenten nicht davor zurück, sie der Häresie
anzuklagen. Zur Klärung dieser nun theologischen Streitigkeiten berief
daher 1256 Papst Alexander IV. Albertus an seinen Hof nach Anagni, das
in den Wirren dieser Zeit wiederholt als päpstliche Residenz dienen
mußte. Der Papst, selbst ein Freund der Bettelorden, ließ sich durch
die überzeugende und gewandt geführte Verteidigung Alberts von der
Rechtgläubigkeit und dem segensreichen Wirken der neuen Orden
überzeugen. Dagegen wurde Wilhelm von St. Amour, der Hauptgegner unter
den Pariser Universitätsprofessoren, verurteilt und aus Paris
ausgewiesen, Thomas von Aquin durfte dagegen dorthin zurückkehren und
seine Vorlesungen wieder aufnehmen.*)
Kurze Zeit nach dieser erfolgreichen Apologie war es Albertus vergönnt,
sich wieder in Deutschland seinen Pflichten als Ordens-Provinzial und
als Gelehrter zu widmen. Wohl aufgrund des Eindrucks, den er beim Papst
hinterlassen hatte, bestimmte ihn dieser zum Oberhirten der Diözese
Regensburg, die ein schlechter Bischof an den Rand des Ruins gebracht
hatte. Sein Oberer beschwor Albertus jedoch, das mit so hohen Ehren
verbundene Amt, das für einen schlichten Mönch unpassend sei,
abzulehnen. Auch Albertus widerstrebte es, das Bischofsamt anzunehmen,
aber Alexander IV. befahl ihm schließlich, seinen Wünschen zu
entsprechen... und Albertus nahm schließlich diese neue Bürde auf sich.
Getreu der Regel seines Ordens, die den Brüdern Pferd und Wagen als
Reisemittel verbot, traf er in derber bäuerlicher Fußbekleidung in
Regensburg ein. Der "Bundschuh" - diesen Spitznamen gaben ihm seine
Diözesanen - mißfiehl nicht nur den hohen Herren, sondern auch vielen
einfachen Gläubigen, denen das schlichte Auftreten ihres neuen Bischofs
im Vergleich mit dem Prunk, den sein Vorgänger entfaltet hatte, nicht
geheuer war. Es gelang Albertus, der weder Ritter noch Adliger, sondern
nur Bischof und Ordensmann sein wollte, innerhalb von zwei Jahren die
in der Diözese eingerissenen Mißstände zu beseitigen, die Verwaltung
neu zu organisieren und die Schulden seines Vorgängers zu tilgen. Daß
er als Regensburger Bischof auch als Prediger Popularität erlangt
hatte, davon zeugen die sogenannten Alberti-Tafeln, d.s. auf Holztafeln
übertragene und passend illustrierte Merksprüche wie z.B.:
"Verurteile niemand; das ist Gott wohlgefälliger, denn daß du dein Blut vergießest sieben Stunden am Tag,"
"Wer ein hartes Wort geduldiglich erträgt in der Liebe unseres Herren,
das ist Gott wohlgefälliger, denn daß er zerschlüge auf seinem Rücken
so viel Besen, als auf einem ganzen Acker gewachsen sind "
"Geh selber zu Gott, das ist dir nützer, denn daß du alle Heiligen und alle Engel hinsendest, die im Himmel sind."
Nach der Wiederherstellung der Ordnung in der Regensburger Diözese
ruhte Albertus nicht eher, bis ihn der Papst wieder von seinen
Pflichten als Diözesan-Bischof entbunden hatte. Dafür wurde er aber von
Alexander IV. mit der Aufgabe betraut, als Kreuzzugsprediger im
Deutschen Reiche und in Böhmen zu wirken. Damals - nur noch ein
Vierteljahrhundert vor dem endgültigen Verlust Akkons, der letzten im
Besitze der Christen befindlichen Stadt des Heiligen Landes - war
allerdings die Kreuzzugsbegeisterung längst erloschen. Man muß daher
annehmen, daß Albertus in Wirklichkeit Missionen abhielt.
Nach Beendigung dieser Aufgabe lehrte er einige Zeit an verschiedenen
Hochschulen, u.a. in Straßburg und Würzburg. Nebenbei war er auch als
Weihbischof tätig, meist in Süddeutschland, wo er viele Altäre und
Kirchen konsekrierte.
Als er ein Alter von ungefähr 80 Jahren erreicht hatte, ging das
Interregnum, die kaiserlose Zeit, zu Ende. Er selbst setzte sich für
die Wahl Rudolfs von Habsburg zum deutschen Kaiser ein.
Ein schwerer Schlag für den greisen Albertus war der im Jahre 1274
erfolgte Tod von Thomas von Aquin, dessen Rechtgläubigkeit kurz zuvor
in Paris angezweifelt worden war. **) Um das Ansehen und das Werk
seines Lieblingsschülers zu retten, unternahm Albertus trotz seines
hohen Alters die anstrengende Reise nach Frankreichs Hauptstadt, wo es
ihm gelang, über die Gegner des Aquinaten zu siegen.
Danach war es ihm noch vergönnt, sich einige Jahre den Wissenschaften
zu widmen. Zuletzt soll er aber sein Gedächtnis verloren haben. Nach
einer Legende sollte sich damit eine Prophezeiung der Gottesmutter an
ihn erfüllen: als er sie nämlich in seiner Jugend um die Erhaltung des
Glaubens, der durch seine wissenschaftliche Betätigung gefährdet
schien, gebeten hatte, soll sie ihm nicht nur seinen zukünftigen Ruhm
als Gelehrter, sondern auch den plötzlichen Verlust seiner
Geisteskraft, ohne daß hierdurch jedoch sein kindlich aufrichtiger
Glaube betroffen werde, vorausgesagt haben.
Wahrscheinlich im Alter von 87 Jahren entschlief er sanft am 15.
November 128o zu Köln. Im Chor seiner Klosterkirche wurde er
beigesetzt, Als diese zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zerstört
wurde, ließ man seine sterblichen Überreste in die Stiftskirche St.
Andreas überführen. Wenn seine Verehrung auch schon frühzeitig in Köln
und Regensburg einsetzte, erfolgte die Beatifikation erst 1622 durch
Papst Gregor XIV. Es war Pius XI. der ihn 1931 heiligsprach und ihm
gleichzeitig den Titel eines Kirchenlehrers verlieh, die höchste Ehre,
die einem Theologen zuteil werden kann. Zusätzlich ernannte ihn 1941
Pius XII. zum Patron der Naturwissenschaftler. Die Kirche feiert sein
Fest am 15. November.
Albertus gilt als der universalste deutsche Gelehrte des Mittelalters
infolge seiner außergewöhnlichen Kenntnisse auf den Gebieten der
Theologie, der Philosophie und der Naturwissenschaften. Die Werke
dieses "doctor universalis" umfassen etwa 50 Anlaß zum Folgebände.
Viele seiner Abhandlungen verfaßte er unter ungünstigen Bedingungen auf
seinen Visitationsreisen oder in primitiven Herbergen Betrachten wir
zunächst seine Leistungen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften. Er
hörte als erster Gelehrter damit auf, sich allzu eng an antike Autoren
anzulehnen, damit er selbst den Kosmos aus eigener Erfahrung beobachten
und interpretieren könne. Dies verleitete ihn aber niemals dazu, in der
Schöpfung nicht das Werk des allmächtigen und weisen Gottes zu sehen.
Es bestand für ihn kein Gegensatz zwischen Glaube und
Naturwissenschaften. Vielmehr böten - so seine Auffassung - die Worte
des Herrn für den wahren Naturforscher keinen Anlaß zum Zweifeln.
Selbstverständlich konnte er keine mit Hilfe wissenschaftlicher
Methoden vorbereitete Experimente durchführen - wie wir dies heute tun
-, fehlte es seiner Zeit doch an allen Geräten, mit denen die moderne
Naturwissenschaft arbeitet. Aber sein konzentriertes Versenken in
Naturvorgänge und sein Suchen nach Zusammenhängen und Kausalitäten
veranlaßten ihn z B. nicht nur, den gestirnten Himmel zu beobachten,
sondern auch Heilkräuter zu testen und zu beschreiben, das Auge eines
Maulwurfes zu sezieren oder in Bergwerken Gesteine und Mineralien zu
untersuchen. Er zählte auch zu den Gelehrten, welche die damals noch
stark umstrittene Theorie von der Kugelgestalt der Erde vertraten und
mehr als 200 Jahre vor Kolumbus annahm, daß Indien auch vom Westen her
erreicht werden könne. War es ihm auch nicht vergönnt, Naturgesetze zu
entdecken, so legten doch seine Forschungen die Grundlage für so manche
spätere Entdeckungen.
Epochemachend war Albertus auf dem Gebiet der Theologie und der
Philosophie, vor allem dadurch, daß er Aristoteles, der bisher im
Abendland wenig bekannt war und kaum studiert worden war, in die
abendländische Philosophie einbrachte. Die Voraussetzungen hierzu waren
gegeben, da sich damals die wissenschaftlichen Werke der Araber, unter
welchen sich insbesondere die aristotelischen Schriften in arabischer
Übersetzung befanden, über ganz Europa verbreiteten. Er war der erste,
der die gesamte Philosophie des Aristoteles sowie die von arabischen
und jüdischen Gelehrten verfaßten Kommentare, in denen allerdings
theologische Irrtümer enthalten waren, nach denen z.B. die Welt ewig
sein sollte oder die individuelle Seele geleugnet wird sowie deren
Unsterblichkeit, in die mittelalterliche Theologie und Philosophie
einarbeitete. Dies war ihm möglich, da ihm die Schriften des
Aristoteles vorlagen, frei von Entstellungen und Überfremdungen. Mag
auch Aristoteles für Albertus auf dem Gebiet der Philosophie eine
Autorität gewesen sein, auf dem der Theologie vertrat er immer die
Positionen der Kirche. Stets blieb es das Anliegen von Albertus, der
Vernunft neben dem Glauben den ihr gebührenden Platz einzuräumen, um so
die geistigen Voraussetzungen für das einträgliche Zusammenwirken von
Offenbarung und Vernunft, von Theologie und Philosophie, zu schaffen
Der Einfluß seiner Werke auf die philosophische und theologische
zeitgenössische Entwicklung in diesen Gebieten endete mit dem
Mittelalter. Erst unser Jahrhundert begann wieder damit, seine
Abhandlungen zu studieren und aufzuarbeiten. Zweifellos ist an dieser
Unterbelichtung seines Ruhmes die überragende Persönlichkeit des hl.
Thomas v.A. 'schuld', der ihn an Verstandesschärfe und Systematik
übertraf. Welch große Bedeutung Albertus dennoch für seine Zeitgenossen
hatte, geht allein daraus hervor, daß selbst Thomas von Aquin und seine
anderen Schüler von diesen "Albertisten" genannt wurden.
Zum Schluß soll Albertus Magnus noch als Beter bzw., als Verfasser
volkstümlicher Betrachtungen zu den Sonntagsevangelien des
Kirchenjahres zu uns sprechen. So schrieb er für den Sonntag Sexagesima
folgende Meditation (Evangelium vom Sämann):
"Herr Jesus Christ,
Du hast den Samen deines Wortes ausgesät
in meinem Geist in jedem guten Gedanken,
in meinem Willen zu jedem guten Werk.
Du hast ihn ausgesät in all mein Wirken,
Laß mich ausziehn aus dem Altland meines Lebens,
damit der Same deines Wortes
nicht von den leichten Vögeln eitler Gedanken aufgefressen werde,
damit er nicht zertreten werde auf dem flüchtigen Wege,
damit er nicht vertrockne auf dem harten, zähen Felsgestein
und nicht ersticke in den Dornen der Kümmernisse.
Gib mir ein mildes Herz voll Demut und Fröhlichkeit,
daß ich ein gutes und bestes Erdreich werde
und Frucht bringe in Geduld.
Amen."
Benutzte Literatur:
"Albert von Bollstädt", in: "Allgemeine Deutsche Biographie" 1875, Neudruck: Berlin 1967.
Feldmann, Christian: "Gottes sanfte Rebellen" Freiburg 1984.
Tüchle, Hermann: "Aus dem schwäbischen Himmelreich. Religiöse Gestalten des Schwabenlandes" Ulm 1977.
***
Anmerkungen der Redaktion:
*) In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gab es einen Wendepunkt in
der Geschichte der mittelalterlichen Wissenschaft. Sie erlebte einen
bedeutenden Umbruch. Über den Umweg der arabischen Philosophie war das
Gesamtwerk des Aristoteles bekannt geworden, von dem man bis gegen Ende
des 12. Jahrhunderts nur die logischen Schriften, das "Organon",
besessen hatte. Dieses Gesamtwerk des Aristoteles umfaßte neben der
Metaphysik, der (nikomachischen und eudemischen) Ethik, der Politik und
der Poetik auch die Darstellungen der Naturwissenschaften und übte
wegen der Erweiterung des Wissens hinsichtlich seines Inhalts und
Umfangs einen tiefgreifenden Einfluß auf die damalige Zeit aus. Die
Einarbeitung dieses wissenschaftlichen Materials in die christlich
abendländische Gedankenwelt war Aufgabe der Zeit, an der Albertus
maßgeblich beteiligt war. Seine Stellung in der Geschichte der
Wissenschaft resultiert aus der Erfüllung dieser Aufgabe. Für ihn
stellt das universelle Wissen des Aristoteles den wissenschaftlichen
Unterbau dar, auf dem ihm die Errichtung der christlichen Theologie als
Wissenschaft möglich erschien. Denn dessen Begrifflichkeit bot nach
Albertus Meinung die Mittel zur wissenschaftlichen Darstellung und zum
systematischen Schematisieren der christlichen Lehrinhalte. Bedeutsam
waren für ihn nicht nur des Aristoteles (realistische) Seins- und
Erkenntnislehre, sondern auch dessen Theismus, obwohl die darin
entfaltete Gottesvorstellung sich mit dem christlichen Gottesbegriff
keineswegs deckte. Nach Aristoteles ist die Welt unentstanden, in der
sich in ewigem Rhythmus des Geschehens die Naturformen verwirklichen.
Für Aristoteles stellt sich nicht die Frage nach dem Ursprung des Seins
dieser Welt, sondern nach der Bewegung (in) der Welt. Die Lösung sieht
er in der Annahme eines ersten Bewegers, der selbst unbewegt ist.
Diesen Beweger nennt er Gott, der reine Aktualität ist. Auch Thomas
v.A. fußt u.a. auf der theistischen Vorstellung von Aristoteles, von
dem er die Auffassung von der Welt als "ordo" übernimmt, welche bei ihm
von entscheidender Bedeutung wird. Zugleich galt es, das tradierte
Material des Aristoteles von den Schlacken seiner arabischen Übersetzer
und Interpreten, zu deren bedeutendsten Avicenna (980-l037) und der in
Cordoba / Spanien geborene Averroes (1126-1198) gehörten, zu reinigen
und Irrlehren zu bekämpfen, die von diesen verbreitet worden waren wie
z.B. der eigenartige Pantheismus des Averroes, der bereits im
christlichen Abendland viele Anhänger (u.a. die Libertinisten) gewonnen
hatte, Fußend auf dem aristotelischen Theismus (Gott nur als
Erstbeweger und nicht als Schöpfer) hatte dieser behauptet, daß Gott
die Einzelwesen nicht kennt bzw. anerkennt, weshalb nach Averroes es
auch keine göttliche Vorsehung geben kann. Dieser reduzierte
Gottesbegriff hatte auch (destruktive) Auswirkungen auf die Konzeption
des Sittengesetzes. Die Scholastiker taten alles, um die
averronistischen Irrtümer zu bekämpfen (mit einem gereinigten und
vertieften Aristotelismus) und sahen darin gleichsam einen geistigen
Kreuzzug gegen die arabische Welt, von der man annahm, via Philosophie
noch den Sieg über das Christentum erringen zu wollen, den sie auf
politischem Gebiet bereits verloren hatte. Thomas v.A. war 1248 nach
Köln gekommen, wo er unter Albertus studierte und 1252 sein Studium
abschloß. Auf dessen Anraten ging er darauf nach Paris, um den
theologischen Magistertitel zu erwerben. Dort war er zugleich als
Lehrer tätig (1252-1259). Diese Tätigkeit nahm er dann 1269 (bis 1272)
wieder auf, verließ aber dann nach harten Auseinandersetzungen mit den
Bettelorden und franziskanischen Vertretern des Augustinismus die
Universität endgültig. Er starb am 3.7.1274.
**) Auch wenn die Erweiterung des Wissensstandes durch den neu
entdeckten Aristoteles und die Auseinandersetzung mit ihm Gebot der
Stunde war, um in der Diskussion mit den arabischen Philosophen zu
bestehen und um immanent die von ihnen vertretenen (und verbreiteten)
Irrtümer zu bekämpfen, so war die Einführung und Adaption seiner Lehren
als systembildende theoretische Basis für die christliche Theologie
mehr als problematisch. Denn die Ansätze des Aristoteles stellten weder
ein System dar noch waren sie wissenschaftlich abgesichert (vgl. z.B.
seinen Theismus), weshalb ihre Anwendung in der Theologie und für sie
als Reformvorhaben aus
a) methodischen und
b) sach-logischen Gründen
gravierende Probleme mit sich brachte. Dies wurde von den
Repräsentanten der Kirche sehr genau gesehen. Bereits 12l0 hatte ein
Konzil unter dem Vorsitz von Erzbischof Petrus v. Corbeil in Paris die
Behandlung der Naturphilosophie des Aristoteles und deren Kommentare in
Vorlesungen untersagt, welches Verbot von Papst Gregor IX. im Jahre
1231 bestätigt und wiederholt wurde. 1215 verbieten die Statuten der
Universität von Paris die Lektüre der aristotelischen Naturphilosophie
und der Metaphysik. Nur durch Umgehen dieser Verbote konnte Thomas v.A.
nach seinem Weggang von Monte Cassino im Jahre 1239 an der kaiserlichen
Universität von Neapel, wo diese Verbote nicht in Kraft waren,
Aristoteles studieren. Weitere Zensuren folgten: Papst Innozenz IV.
dehnte 1245 das Aristoteles-Verbot auf die Universität von Toulouse
aus; im Jahre 1263 wiederholte Papst Urban IV. das Verbot, die
Naturphilosophie zu lesen. Als die Interpretation des Aristoteles ab
1265 sich immer stärker von christlichen Positionen wegbewegte,
predigte der hl, Bonaventura mehrfach öffentlich gegen den
Aristotelismus und nahm dabei auch Positionen von Thomas aus seiner
Kritik nicht aus. In der Osterpredigt von 1272 kritisierte er mit bis
dahin nicht gekannter Schärfe erneut den Aristotelismus, dessen
Philosophie für ihn eine "apokalyptische Bedrohung der Christenheit"
darstelle. Am 3. Todestag vom Thomas v.A., am 7. März 1277 verurteilte
der Pariser Erzbischof Stephan Tempier - auf Ersuchen des Papstes in
einem Brief vom 18.1.1277 - 219 philosophische Thesen der
Averroenisten, unter denen sich nun auch 16 Sätze des Thomas befanden.
Diese Verurteilung wurde vom Papst brieflich am 28.4.1277 gutgeheißen.
In den folgenden Jahren wurden Thesen von Thomas noch mehrfach
zensuriert. Auch wenn bald darauf die immense Arbeitsleistung des
Aquinaten gewürdigt und er bereits 1323 von Papst Johann XXII.
heiliggesprochen (Fest: 7. März), 1567 durch Pius V, zum Kirchenlehrer
und von Leo XIII. 1880 zum Patron aller kath. Hochschulen ernannt
worden ist und das Studium seiner Schriften u.a. von Leo XIII. 1879 in
"Aeterni patris", ebenso von Pius XII. in "Humani generis" vom
12.8.195o ausdrücklich empfohlen wird (DH 3894), so handelt es sich
dabei nicht um eine zwingende Verpflichtung, auch nicht in der
Fixierung des Studiums des Aquinaten in CIC c. 1366 § 2, sondern nur um
eine Empfehlung (die lateinischen Versionen benutzen alle den
Konjunktiv! - Pius XII!: "...instruantur..."). Abgesehen davon, daß man
sich philosophisches Wissen nur durch eigene EINSICHT im Vollzug des
Denkens - und nie durch bloßes Memorieren! - aneignen kann, wobei man
sehr wohl auf die klassischen Autoren als pädagogische und
propädeutische Stützen zurückgreifen kann, zeigt ein signifikantes
Beispiel auch die sach-logische Begrenztheit des Thomismus. Auf dieses
hat u.a. der inzwischen verstorbene Mgr. Storck hingewiesen: "Eine
(...) vom Primat der theoretischen Vernunft (wie z.B. im
Aristotelismus) ausgehende Philosophie bleibt unfähig, die Gesetze des
Denkens selbst zu begründen. Hier liegt nebenbei auch ein Fehler der
Argumentation des Thomas v. Aquin in den 'quinque viae': S.th. I q 2a
3. Alle von ihm genannten 'Beweise' setzen ganz unreflektiert die
Geltung des Grund-Folge-Verhältnisses voraus. Das Bewiesene ist aber
nur so beweiskräftig wie die Voraussetzungen, von denen der Beweis
ausgeht bzw. mit denen er operiert. Das 'Absolute' dieser Gottesbeweise
hängt also von der Geltung der Denkgesetze ab!" (Storck, Günther: "Die
Gottesidee der Wissenschaftslehre J.G. Fichtes", I.-D., München 1976, S
42)
Quellen:
Codex Iuris Canonici, ed. 1917
Denifle, Henri / Chatelain, Emile: "Chartularium Universitatis Parisiensis", Paris 1889 ff.
Denzinger-Hünermann: "Enchiridion Symbolprum definitionum et
declarationum de rebus fidei et morum", Barcelona-Freiburg-Rom(36)
1976.
Denzinger-Schönmetzer: "Enchiridion...", Barcelona-Freiburg-Rom(37) 1991.
Flasch, Kurt: "Aufklärung im Mittelalter" Mainz 1989.
Imbach, Ruedi: "Die Vorworte der Aristoteleskommentare des Thomas v Aquin, Frankfurt am Main 1992.
Steenbergen, Fernand van: "Die Philosophie im 13 Jahrhundert" München-Paderborn-Wien 1977.
Weisheipl, James: "Thomas von Aquin" Graz-Wien-Köln 1980
(Quellen zusammengestellt und ausgesucht von Christian Jerrentrup)
Eberhard Heller
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