'STERBEHILFE'
- ODER DEM MORD AN DEN KINDERN FOLGT DER MORD AN DEN ALTEN
von
Hans Lehleitner
Eine klare Mehrheit des Deutschen Bundestages - darunter 32 Abgeordnete
der CDU - hat sich am 26. Juni 1992 dafür entschieden, "daß das Leben
jedes zukünftig in der Bundesrepublik gezeugten Menschen in den ersten
drei Monaten seines Lebens willkürlich beendet werden darf" (DT vom
27.6.92). Trotz des Widerstandes der CDU/CSU-Fraktion und des Landes
Bayern, die gemeinsam eine Einstweilige Anordnung gegen die Anwendung
des Gesetzes auch in den alten Bundesländern erwirkt haben, ist bei dem
geistigen und moralischen Zustand der bundesrepublikanischen
Gesellschaft an der Billigung der Fristenregelung durch das
Bundesverfassungsgericht kaum zu zweifeln. (Vgl. dazu am Schluß den
redaktionellen Anhang.) Damit wird der Weg frei für ein weiteres
Vorhaben der Bevölkerungsplaner und Menschheitsbeglücker geebnet - die
Euthanasie oder, wie man sich in Erinnerung an unselige Zeiten und in
der Absicht, keine Vergleiche mit damaligem Tun aufkommen zu lassen,
ausdrückt: die "Sterbehilfe".
Zunächst geht es um die Aufhebung des Verbots der "Tötung auf
Verlangen" für unheilbar Kranke oder am Leben Verzweifelnde, das schon
1985 der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Wolfgang
Zeidler, bei den 16. Bitburger Gesprächen "eine Insel der Inhumanität
als Folge kirchlichen Einflusses auf unsere Rechtsordnung" nennen
durfte, ohne daß der ranghöchste deutsche Richter hätte seinen Hut
nehmen müssen (Anm.d.Verf.: Zeidler weiß es inzwischen besser, denn er
verunglückte bald nach seiner Pensionierung auf einer Bergwanderung in
den Alpen tödlich, als er eine Geldbörse, die seinem Sohn einen Hang
hinuntergefallen war, bergen wollte). Inzwischen ist in der
Bevölkerung, ausgelöst durch die medienwirksame "Hackethalsche
Cyankali-Tötungsshow" (so damals der Präsident der deutschen
Ärzteschaft, Karsten Vilmar), der Boden für eine Zustimmung zu einem
Gesetz, das die "Tötung auf Verlangen" erlaubt, bereitet. Spektakuläre
Fälle von Patiententötungen durch Pflegepersonal in Krankenhäusern und
Pflegestätten (Wien, Wuppertal, Gütersloh u.a.) haben dem Thema wieder
Aktualität verliehen. Am weitesten ist die Entwicklung hin zur
Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden gediehen. Hier einige
Zahlen: Nach einer im April 1989 veröffentlichten Umfrage traten 88%
der Befragten für eine "aktive Sterbehilfe" bei Menschen
"aussichtsloser geistiger und körperlicher Notlage" ein. Nach einer
Untersuchung, die im Auftrag der niederländischen Regierung von Ärzten
und Juristen erstellt wurde, ergibt sich folgendes Bild: Als gesichert
gilt, daß 63% der praktischen Ärzte in Holland bereits einmal oder
mehrmals "Sterbehilfe" geleistet haben. Im Jahre 1991 begingen 400
Patienten mit Hilfe ihres Arztes Selbstmord, 22500 Menschen starben,
weil ärztliche Hilfe verweigert wurde (sog. "passive Sterbehilfe") und
rund 1000 Patienten wurden durch "Euthanasie-Maßnahmen" umgebracht.
"Sterbehilfe" wird in den Niederlanden als "normale Berufsausübung" des
Arztes angesehen, und das, obwohl in Holland die Euthanasie (noch)
illegal ist. Doch das soll sich bald ändern: nach Auskunft einer
Leserbriefschreiberin in der DEUTSCHEN TAGESPOST vom 11.8.92 wäre mit
der Legalisierung noch im September letzten Jahres zu rechnen gewesen.
Die Gefahr für Alte, Kranke und Behinderte, der Euthanasie zum Opfer zu
fallen, hat in Holland zur Gründung einer Patienten-Vereinigung
geführt. Diese gibt eine "Patientenhilfe" heraus, die eine Verfügung
des Patienten enthält, um sich vor dem "Zugriff" ihres behandelnden
Arztes (Mörders ?) zu schützen. Die Vereinigung warnt alte und kranke
Menschen in Großanzeigen, sich nicht ohne diese Verfügung in die
Behandlung eines Arztes zu begeben.
Da Holland schon öfter eine Vorreiterrolle in der Zerstörung
christlich-abendländischer Gesittung und Kultur gespielt hat, dürften
auch bei uns die Tage gezählt sein, wo unheilbar Kranke und
pflegebedürftige Alte eines natürlichen Todes sterben dürfen.
Anmerkung der Redaktion:
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am 28. Mai dieses
Jahres bestimmte Passagen der Neufassung des ß218 a für
verfassungswidrig erklärt. In dem Urteil, welches mit sechs gegen zwei
Stimmen gefällt wurde, heißt es: "1. Das Grundgesetz verpflichtet den
Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen (...). 3.
Rechtlicher Schutz gebührt dem Ungeborenen auch gegenüber seiner Mutter
(...) 4. Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der
Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß
rechtlich verboten sein. Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht,
wenn auch nur für begrenzte Zeit der freien, rechtlichen nicht
gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es der Mutter,
überantwortet werden." (MÜNCHNER MERKUR vom 29.5.93)
Obwohl einerseits die Verfassungsrichter die Abtreibung verwerfen als
rechtswidrig, so verzichten sie auf eine Bestrafung der
abtreibewilligen Mutter und des abtreibenden Arztes, wenn die
Abtreibung innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis erfolgt. Da
eine solche Abtreibung aber rechtswidrig bleibt, so kann ein "Anspruch
auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen" nicht gewährt werden
(Punkt 16 des Urteils). - Dieses Urteil ist in sich - vom Standpunkt
des Strafrechtes widersprüchlich: einerseits stellt es zwar den
Standpunkt richtig auf, jede Abtreibung ist rechtswidrig, andererseits
läßt es aber die Täter (in diesem Falle: Mutter und abtreibenden Arzt)
ohne rechtliche Bestrafung agieren (unter gewissen Voraussetzungen) -
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes
gilt ab dem 16. Juni 1993 eine Übergangsregelung, die von diesem
Gericht entworfen wurde, bis der Bundestag auf der Grundlage des
Verfassungsurteiles ein neue Fassung des § 218 a durchgebracht hat.
Diese Übergangsregelung legt den Schwerpunkt auf die Beratung (es
besteht die Verpflichtung, für die Annahme des werdenden Lebens zu
beraten) Doch was nutzt es, auf der einen Seite zu sagen, Abtreibung
sei verfassungswidrig, wenn auf der anderen Seite das Recht von den
Gesetzesorganen nicht mehr geschützt wird?! Damit wird die Idee des
Strafrechtes ad absurdum geführt! Und wenn Rechtsverstöße nicht mehr
gesühnt werden, wenn nicht rechtliche Satisfaktion geleistet wird - und
das nicht nur faktisch nicht, sondern 'rechtlich' propagiert wird, auf
Strafe zu verzichten -, dann wird der Staat in seinem Zwangsmonopol
tangiert. Denn man stelle sich dieses Vorgehen auf einem anderen Gebiet
vor, auf dem Gebiet der Eigentumsdelikte: es ist zwar rechtswidrig
einzubrechen, aber wenn eingebrochen wird, wird der Staat den
Einbrecher nicht fangen. So begibt sich der Staat seines
Zwangsmonopols, weshalb jedem das Recht zufällt, sich sein Recht (mit
Gewalt) selbst zu holen.
Unter diesem Aspekt ist das Karlsruher Urteil eine verhängnisvolle
Selbststrangulierung des Rechtsstaates. Er verzichtet auf die
gesetzliche Garantie des Lebensrechtes der ungeborenen Kinder. (N.b.
die Krankenhausfinanzierung ist nicht abgeschafft für neun Fälle:
medizinische, eugenische und kriminologische Indikationen - in diesen
Fällen (Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Mutter,
Behinderung des Kindes, Vergewaltigung) ist das Töten dann
rechtskonform und kann deshalb auch von den Krankenkassen finanziert
werden.)
Somit ist in der Tat zu befürchten, daß durch diese Neuregelung des §
218 a die von der Abgeordnetenmehrheit anvisierte Fristenlösung doch
durch die Hintertür zwar nicht eingeführt wird, aber praktikabel wird.
Man wird sehen, welche Rolle die 'Kirchen' in diesem rechtlichen und
moralischen Desaster einnehmen. (In diesem Zusammenhang ist der
Leserbrief von Felicitas Küble zur Lektüre zu empfehlen, der in der
DEUTSCHEN TAGESPOST vom 8.6.1993 veröffentlicht wurde.)
E. Heller
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