WAR JOHANNES XXIII. LEGITIMER PAPST?
von
Tomás Tello
übers. von Annemarie Leutenbauer
Einmütiger Konsens besteht darüber, daß die Inhaber des Stuhles Petri
von Montini (Paul VI.) an als Pseudopäpste bzw. Okkupanten zu
betrachten sind. Geteilter Meinung ist man, wenn die Rede auf Roncalli
kommt. Das Feststellen von Meinungsunterschieden in diesem konkreten
Fall darf jedoch kein Grund für neue Reibereien und Spaltungen
innerhalb der Sedisvakantisten sein; sie könnten der Einheit in der
Liebe schaden. Voll Ehrfurcht achte ich Punkt 3 d) des Eides zur
Erhaltung der Einheit der katholischen Kirche, wie er von den Bischöfen
Monsenor Moisés Carmona (R.i.p.) und Monsenor Mark A. Pivarunas
anläßlich der Weihe des letzteren durch Mons. Carmona formuliert wurde.
(1) Dennoch bleiben die Tatsachen bestehen; wir müssen uns darin einig
sein, daß es sich um eine in der Diskussion befindliche Frage handelt,
die auch diskutierbar ist. Dies ist es, was ich im vorliegenden Artikel
herauszustellen mir vorgenommen habe.
Erste These: Die Legitimität von Johannes XXIII. kann nicht angezweifelt werden.
Wichtigste, man könnte sagen einzige Basis, auf die sich diese These
stützt: Die Annahme durch die universale Kirche und die Tatsache, daß
er seine Autorität unangefochten sein ganzes Pontifikat hindurch
aufrechterhalten hat. Folgenden Text von Kardinal Journet pflegt man zu
zitieren: "Gültigkeit und Sicherheit der Wahl. - Die Wahl kann nichtig
sein (...), jedoch die unwidersprochene Annahme durch die universale
Kirche, die sich einem zum Haupt Erwählten, dem sie sich unterwirft,
wirklich anschließt, ist ein Akt, durch den die Kirche ihr Geschick ihm
anvertraut. Es ist ein Akt 'per se', ein unanfechtbarer Akt, der auch
unmittelbar als solcher erkannt wird. (...) Die Annahme durch die
Kirche realisiert sich entweder negativ, wenn die erfolgte Wahl nicht
unmittelbar angefochten wird, oder positiv, wenn die Wahl zunächst von
den Anwesenden, dann fortschreitend von den übrigen akzeptiert wird."
(2)
Konsequenz: Keiner hat das Recht zu protestieren oder die Gültigkeit
der Wahl oder die volle Autorität eines Johannes XXIII., der ja sein
kurzes Pontifikat hindurch unbestritten Papst war, in Frage zu stellen.
So braucht man sich nicht zu wundern, wenn, getreu diesem - anscheinend
unerschütterlichen - Prinzip, es Père Barbara für eine schwere Sünde
gegen den Glauben hält (oder bei Gelegenheit hielt), an der Legitimität
Roncallis als Papst zu zweifeln.
Nichtsdestoweniger wird man mit Galileo Galilei sagen müssen: "Eppur si
muove" ("Und sie bewegt sich doch!"). Denn es existiert ein ganzes Heer
von Sedisvakantisten, welche die diametral entgegengesetzte Meinung
vertreten. Da die Angelegenheit nicht klar ist, müssen sich die
Anhänger der ersten Meinung einer Verurteilung derjenigen der zweiten
enthalten, und umgekehrt, solange, bis diese Frage ordnungsgemäß
geklärt ist.
Zweite These: Roncalli war ein Okkupant, der erste in der Reihe.
(Es gäbe noch eine dritte These, die zwischen den beiden ersten
anzusiedeln wäre und die sich im Bereich des Zweifelns bewegt. Ich
selbst stellte diese vor geraumer Zeit in Frage, wie ich es in meiner
Abhandlung über Johannes XXIII. darlegte.(3) Hier wird von dieser
letzteren These nicht die Rede sein. Der Leser selbst soll schließlich
seine eigenen Schlüsse ziehen.)
Man hat gesagt, Roncallis Illegitimität zu behaupten, sei eine rein
willkürliche Behauptung. Ich will nachweisen, daß es sich - leider! -
nicht um eine willkürliche, sondern um eine sehr ernst zu nehmende und
begründete Behauptung handelt.
Roncalli gab in der Tat offensichtliche Beweise für seine Heterodoxie,
sowohl in Worten als auch durch seine Taten, Verhaltensweisen und
Direktiven - lauter Elemente, die schon für sich betrachtet, Hinweise
auf die Heterodoxie eines katholischen Christen (4) sein können,
besonders aber, wenn sie wie im vorliegenden Fall, in ihrer Gesamtheit
und ihrer Konvergenz gesehen werden.
Wann fingen die Mutmaßungen an? Wann ließ man das Stadium des bloßen
Zweifels beiseite und durfte behaupten, Johannes XXIII. sei ein
Eindringling? Diese Annahme soll in dieser Arbeit belegt werden, nach
einem zwar nicht erschöpfenden, dennoch gründlichen Streifzug durch den
nunmehr schon dichten Wald der traditionalistischen Literatur zu diesem
Problem. Das Resultat dieser Sondierung - u.a. äußerst vielsagend, wie
z.B. hinsichtlich der definitiven Zurückweisung der Beschuldigung, es
handle sich bloß um eine willkürliche Behauptung - überraschte mich
selbst, weil ich davon ausging, wie es wohl manche taten, die Ansichten
über die Illegitimität Roncallis als Papst seien zu spät ans Tageslicht
gelangt.
Mutmaßungen bezüglich der Heterodoxie Roncallis tauchten schon früh
auf, noch zu seinen Lebzeiten, seit Beginn seiner Amtsinhabe, könnte
man sagen. Sehen wir weiter!
"Das unbestrittene Innehaben des Hl. Stuhles durch eine lange Abfolge
von (rechtmäßigen) Pontifikaten ließ das Problem eines 'Papa
haereticus' in Vergessenheit geraten. Doch kann ein aufmerksamer
Beobachter mit Beginn des Pontifikates Johannes XXIII. (Hervorhebung
durch den Autor) wahrnehmen, daß diese delikate Angelegenheit von neuem
anfängt, nach und nach die Fachkreise zu interessieren" (5), wodurch
dieses Problem erneut Aktualität erlangte:
- "Die Einberufung des II. Vatikanischen Konzils,
- die tiefreichenden Symptome der Kirchenkrise, die schon
damals, (d.h. während der
Regierungszeit Johannes XXIII.)
Grund zur Besorgnis für viele Gemüter abgaben."
Die Vermutungen, von Johannes XXIII. würden heterodoxe Positionen
vertreten, kamen - wie gesagt - schon während seiner Regierungszeit im
traditionalistischen Lager auf. Die Ehre, zuerst zitiert zu werden,
erhält ein Dokument, welches mir erst ganz zuletzt in die Hände
gefallen ist. "Seit mehr als 3o Jahren, seit der Amtsperiode des so
überaus unheilbringenden Johannes XXIII. unterhielt ich eine sehr
wertvolle Korrespondenz von großer religiöser Bedeutung, die ich
irgendwann zu ordnen und zu veröffentlichen hoffe." Das schreibt Herr
Dr. C. Disandro in HOSTERIA VOLANTE (6) in einem Nachruf auf Herrn
Anacleto Gonzalez Flores. Wenn die obengenannte Korrespondenz mehr als
3o Jahre zurückliegt, müssen wir zumindest bis auf das Jahr 1961
zurückgehen, mitten in die Regierungszeit Roncallis. Es steht seine
Orthodoxie zur Diskussion, und infolgedessen (virtuell) auch seine
Legitimität. Logisch und konsequent stand deshalb Dr. Carlos Disandro
später zur Behauptung von der Illegitimität Roncallis und verkündete
sie klar und deutlich. "Dieser Wojtyla will die von dem Freimaurer
Roncalli begonnene Zerstörungsarbeiten vollenden".(7) "Illegitime
Päpste sind also Roncalli, Montini ..." (8). "Dieser Modernismus
entpuppt sich folglich als ein echter Betrug, der zum soziomorphen
Ökumenismus Johannes' XXIII. (...) Pauls VI., etc. führt." Er stellt
ihn auf dieselbe Ebene der übrigen, die weltweit als Usurpatoren
beurteilt werden.(9) Den Fünf-Jahres-Zeitraum zwischen 1959 und 1964
nennt er die "ersten fünf Jahre des Ruins." (9). Die Perspektive des
katholisierenden Progressismus, des Konzils Johannes XXIII., Joh. Pauls
II., d.h. von 1959 bis 1988, sind lediglich Variable einer Invariablen,
veränderliche Größen einer unveränderlichen, nämlich des Doketismus,
des Nestorianismus, des Ebionismus, des Evolutionismus (...) - bedeckt
mit dem Mantel der Solidarität und der Humanität (...)" (9). Ich bitte
Herrn Dr. Disandro, er möge zur Erhellung der Wahrheit und zum Wohl der
Kirche sowie zur Ehre Gottes sobald wie möglich diese dokumentarisch
wertvolle Korrespondenz mit Herrn A. Gonzalez Flores veröffentlichen,
denn sie fällt in die Zeit, in der Johannes XXIII. noch lebte. Ich bin
überzeugt, daß sie die Grundlage für die oben gemachten entschiedenen
Behauptungen sein könnten, deren Wurzeln in dieser zeitgenössischen
Analyse zu suchen sind. Herr Dr. Hugo Maria Kellner vertrat bereits im
Jahre 1964 die Ansicht, daß die von Johannes XXIII. gegebene Erklärung
zur Eröffnung des II. Vatikanums "einen schweren Irrtum" enthielte,
wegen ihres wesentlichen Zieles, eine (universelle) Einheit anzustreben
(ohne sie in der Wahrheit zu verankern, Anm.d.Red.), was offene Türen
für grundlegende Änderungen bedeutet hätte... (10)
Aber da gibt es noch mehr Indizien. Bei der Abfassung dieses Artikels
habe ich mich wieder an eine Episode erinnert, die in die ersten Monate
des Pontifikates von Roncalli zu datieren ist. Es war Anfang Sommer
1963. Der Sterbemonat Johannes' XXIII. war vielleicht noch gar nicht
vorbei. Wir befanden uns mit mehreren Freunden auf einem Spaziergang.
Unter den verschiedenen Gesprächsthemen ging das beharrlichste und
ausgedehnteste über den jüngst verschiedenen Papst. Man war ganz Lob
und Ruhm für die Güte, Demut, Schlichtheit, etc. des Roncalli-Papstes.
Zahlreich waren die Anekdoten, an die man sich erinnerte. Unter allen
aber blieb mir folgende besonders gut im Gedächtnis. Ein
Franziskaner-Pater (Pedro de Alcantara), ein großer Bewunderer des
verstorbenen Papstes, erzählte uns in einem eher ironischen Ton, wie
ein Dorfpfarrer auf die Worte, Freiheiten, ungezwungenen Allüren und
verdachterregenden Verhaltensweisen Johannes' XXIII. kurz nach dessen
Besteigen des Thrones Petri reagierte. Ich schenke dem Kern des
Erzählten Glauben.
Besagter Pfarrer soll in einer Predigt seine Pfarrkinder ermahnt und
gedrängt haben, für den neuen Papst doch zu beten, da er ja vielleicht
wegen seines bereits vorgeschrittenen Alters kindisch werde, jämmerlich
dummes Zeug rede und dabei Gefahr laufe, eine Katastrophe in der Kirche
hervorzurufen. Das wurde wie ein Witz gefeiert, unter Lachen und
mitleidsvollem Lächeln. Ich lachte auch, weil ich damals am allgemeinen
Enthusiasmus teilnahm, den jener Mensch auf unerklärliche Weise unter
den Katholiken entfacht hatte. Schmerzlich bedauere ich meine Torheit:
Ehre gebührt diesem demütigen Pfarrer - mag er noch leben oder schon
gestorben sein -, der bei jenem Anlaß für seine treffsichere Diagnose
zum Gegenstand der Belustigung wurde, obgleich er sie mit dem Hinweis
auf geistige Verwirrung ausstellte. Er stellte die richtige Diagnose,
in der Ätiologie (Lehre von den Ursachen) irrte er. Das ist alles.
Niemand aber wird ihm die durchdringende Intuition absprechen können,
die der "sensus Fidei" erteilt und die ihn befähigte, die Rolle zu
erfassen, die Roncalli in dem ganzen Geschäft der Zerstörung der
kirchlichen Strukturen von innen spielte, wie einige aus dieser Clique
hervorgehoben haben, wie z.B. Yves Congar, O.P. mit den Worten, "die
Katholische Kirche ist in einen Prozeß innerer Reform eingetreten, wie
sie in ihrer ganzen Geschichte noch keinen erfahren hat (...)". Und:
"Johannes XXIII. verstand es, (in wenigen Wochen) (Hervorhebung durch
den Autor), ein neues kirchliches Klima zu schaffen. Die weiteste
Öffnung ist also von oben (Hervorhebung durch den Autor) gekommen. Mit
einem Schlag können nun die Kräfte der Erneuerung, denen es bisher kaum
möglich war, in Erscheinung zu treten, ihre Aktivitäten nun frei
entfalten." (11)
Ebenfalls aufmerksam auf die Situation der beginnenden, jedoch
galoppierenden, fortschreitenden vorkonziliaren Krise machte Georges de
Nantes, wobei er auf Johannes XXIII. als Ursache derselben hinwies.
(12) Wie wir aber bereits erfahren haben, darf man von G. de Nantes
nicht verlangen, er solle in einer bestimmten Hinsicht konsequent sein.
Er ist einer von der Sorte Männer, die es zwar verstehen, mit
Sachverstand eine Prämisse aufzustellen, die sich dann aber weigern,
die sich daraus ergebende Konsequenz zu ziehen.
Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß, nachdem nun einmal die weiter
oben dargestellten Prämissen vorlagen, dann auch sehr bald expliziter
das Urteil ausgesprochen wurde, daß nämlich der Hl. Stuhl seit dem Tode
Pius XII. vakant sei. Hier das früheste Zeugnis für dieses Urteil:
"Extrem kritisch gegenüber dem Konzil, das gerade zu Ende gegangen war,
war Prof. Reinhard Lauth, und mit ihm eine Reihe seiner Schüler, die
davon überzeugt waren, daß der Stuhl Petri seit Johannes XXIII.
leerstehe." (13) (...)
Zum Schluß noch ein weiteres Zeugnis, das in die Dekade der 60iger
Jahre paßt. G. de Nantes berichtet, jemand habe in einer Debatte (die
am 30.l.l970 stattfand) folgende Bemerkung verlauten lassen: "Vom Tod
des großen Papstes Pius XII. an habe ich keinen Hirten mehr." (14)
Mit diesen Präzedenzien - die ich als Vorgeschichte der Frage nach der
Sedisvakanz und ihrer Protagonisten, Vorläufer oder Pioniere derselben
beschreiben könnte - erkläre ich diese Abhandlung für beendet. Es wurde
gezeigt, daß der "Sensus fidei", d.i. ein gewisses Gespür aus dem
Glauben heraus, von den ersten Anfängen an die Glaubensabweichungen
desjenigen, der auf den päpstlichen Thron gehoben wurde, nämlich
Roncalli, aufdeckte. Die Prämissen wurden angegeben. Daraus ergibt sich
mit Notwendigkeit die Illegitimität des Innehabens des päpstlichen
Stuhles durch Johannes XXIII., die sich nach 1960 explicit zu erkennen
gegeben hat.
***
Anmerkungen:
(1) In ihrem gemeinsamen "Eid zur Erhaltung der Einheit der
katholischen, apostolischen und römischen Kirche" hatten Mgr. Carmona
und der neu-konsekrierte Bischof Pivarunas unter Punkt 3,d) geschworen,
"Spaltungen des Widerstandes zu vermeiden durch den Versuch, das Datum
genau zu fixieren, wann genau die Vakanz einsetzte". Mgr. Carmona
dachte hierbei an die verheerenden Wirkungen, die durch das Insistieren
von Mgr. Guerard des Lauriers auf seiner Privatmeinung bezüglich der
Besetzung bzw. Nicht-Besetzung des Hl. Stuhles (Papa materialiter, noch
formaliter) entstanden waren, deren Adaption von den von ihm geweihten
Bischöfen verlangte. Eine
Spaltung auf der Grundlage reiner Privatmeinungen wollte Mgr. Carmona
vermeiden. Selbstverständlich hat der Eid nur Gültigkeit bei
denjenigen, die ihn abgelegt haben. Eine Erforschung der kirchlichen
Situation ist damit nicht behindert. E. Heller
(2) Vgl. "L'Eglise du verbe incarne" Tom. 1, pag. 624. ("Die Kirche des fleischgewordenen Wortes.")
(3) Vgl. "Die Zwielichtigkeit der Gestalt Johannes XXIII." in EINSICHT XVIII(3) vom
September 1988 (Sondernummer); diese Abhandlung ist auch erschienen in der argentinischen Zeitschrift ROMA vom Juli 1991.
(4) Vgl. I-II, q. 103, a.4, sed contra.
(5) Arnaldo Xavier da Silveira: "La nouvelle messe de Paul VI. Qu'en penser" Chire-en-
Montreil 1975, Seite 213 ff. ("Die neue Messe Pauls VI. Was ist davon zu halten?")
(6) Nr. 35, vom April 1992, Seite l0.
(7) "Proclamaciones doctrinales" No. 5, vom 20.l0.1978 ("Erklärungen, die Lehre betreffend").
(8) "Proclamaciones doctrinales" No. 7, vom 7.4. 1979.
(9) "La Tradicion en la perspectiva trinitaria y teandrica" in HOSTERIA VOLANTE 1989,
Seite 7, 12 und 26. ("Die Tradition in trinitarischer und theandrischer Hinsicht"
in DAS FLIEGENDE WIRTSHAUS).
(10) Vgl. EINSICHT vom Juli 1986, XVI(2), Seite 34 und 36.
(11) "Verdadera y falsas reformas en la iglesia" Madrid 1973 , Einleitung ("Wahre und
falsche Reformen in der Kirche").
(12) Siehe "Lettres a mes amis" no. 120, vom Oktober 1962 ("Briefe an meine Freunde")
(13) Vgl. TRENTA GIORNI Nr. 5 vom Mai 1987, Seite 68 f.; hier zitiert nach MYSTERIUM
FIDEI Nr. 80, vom Dezember 1987, S. 23
(14) Vgl. "C.R.C." Nr. 29, vom Februar 1970, S.l0.
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