Leben und Werk des heiligen Don Bosco
von
Werner Olles
Es gibt zwei italienische Priester, die in der ganzen Welt bekannt und
berühmt sind. Der eine ist Don Camillo, jener fromme, gleichwohl
listige Dorfgeistliche, dem Giovanni Guareschi mit seinen
zeitgenössischen Schelmenromanen und der französische Regisseur Julien
Duvivier in seinen gelungenen Filmen mit den Erzkomödianten Fernandel
in der Titelrolle ein unsterbliches Denkmal gesetzt haben. Während
jedoch Don Camillo leider nur eine fiktive Roman- und Filmfigur war,
hat Don Bosco wirklich gelebt und als Priester und Sozialpädagoge - im
besten Sinne des Wortes - fortschrittliche Formen der Jugenderziehung
durchgesetzt. Er war eine „begnadete Erziehergestalt von säkularem
Ausmaß" (Franz Dilger), dessen neue und doch urchristliche
Erziehergedanken bis zum heutigen Tag nichts von ihrer Bedeutung
verloren haben. Wie kaum einem anderen vor ihm ist es ihm gelungen,
katholische Tradition und moderne Pädagogik zum Wohle der Jugend
miteinander zu vereinen.
Giovanni Bosco war von einfacher Herkunft. Am 16. August 1815 als
jüngster Sohn einer einfachen, gläubigen Bauernfamilie in dem kleinen
Weiler Becchi bei Castelnuovo d'Asti geboren, verlor er bereits im
Alter von zwei Jahren seinen Vater. Seine Mutter Margarita, zwar
Analphabetin, aber von großer Herzenbildung und Frömmigkeit erzieht den
Knaben streng und doch voller Liebe und mit mütterlicher Nachsicht. Bei
einem alten Bauern im Dorf lernt der Neunjährige Lesen und Schreiben,
und schon bald ist klar, daß er nicht sein Lebtag das Vieh hüten oder
Maiskolben zusammenbinden wird. Antonio, der ältere Stiefbruder aus der
ersten Ehe des Vaters sieht diese Entwicklung nur sehr ungern und
drängt die Mutter, den Jüngeren nicht zur Schule gehen zu lassen, wobei
wohl auch der Neid auf den lernbegeisterten und allseits beliebten
Jüngeren eine große Rolle spielt. Und so resigniert die Mutter zunächst
und gibt dem Ältesten nach, da ohnehin nicht genug Geld für die Schule
vorhanden ist.
Aber Giovanni weiß sich schnell zu helfen und läßt sich nicht
unterkriegen. Bei Don Calosso, dem alten Pfarrer vom Nachbardorf nimmt
er Lateinstunden und lernt Grammatik. Doch erneut durchkreuzt Antonio
die Pläne des jüngeren Bruders. Nun weiß sich die Mutter keinen anderen
Rat mehr um dem brüderlichen Zwist ein Ende zu bereiten, als Giovanni
auf Wanderschaft zu schicken. Als Verdingbub wandert er nun von Hof zu
Hof und landet schließlich in der Molkerei Moglia in Monucco. Giovanni
paßt auf die kleinen Kinder auf, hütet die Ziegen, packt überall an, wo
ein paar fleißige Hände gebraucht werden, bis ihn eines Tages sein
Onkel Occhiena endlich erlöst. Mit ein paar Lire in der Tasche bringt
er den völlig überraschten zurück zu Don Calosso, der längst bemerkt
hat, welch außerordentliche Fähigkeiten in dem Jungen stecken, und daß
es sich lohnt all seine ihm noch verbliebene Kraft und Mühe in den
Buben zu investieren.
Als der hellsichtige Greis einen Schlaganfall erleidet, soll Giovanni
sein kleines Vermögen von 6000 Lire bekommen, doch der schlägt die
Erbschaft aus. So bringt ihn die Mutter völlig mittellos in die
Lateinschule nach Castelnuovo. Nach Schulschluß verdient sich der
Sechzehnjährige ein Zubrot beim Schneidermeister Roberto, um so selbst
für seinen Lebensunterhalt sorgen zu können. Zudem erlernt er dadurch
ein solides Handwerk, und obendrein erteilt ihm der musikalische
Schneider noch Violin- und Klavierstunden.
In Chiari, der nächstgrößeren Stadt, setzt Giovanni seine Studien fort,
nicht ohne zuvor bei ihm bekannten Bauern um Naturalgaben zu bitten. In
einem Jahr überspringt der fleißige und talentierte Bub zwei Klassen
und organisiert nebenbei seine Schulkameraden in einer Art
Pfadfindergruppe. Diese Tätigkeit fasziniert ihn sehr. Dennoch findet
er die Zeit in einem Gasthof als Kellner zu arbeiten, wechselt aber
bald in eine angeschlossene Konditorei, wo er die feinsten Pralinen und
exotischsten Liköre fertigt. Wenn er in einer freien Stunde auch noch
dem benachbarten Hufschmied zur Hand geht, beschwört ihn der
Konditormeister sein Studium und alles andere an den Nagel zu hängen,
weil er als Confiseur reich und berühmt werden könne.
Doch Giovanni hat sich längst entschieden. Die antiken und modernen
Klassiker, Herodot, Seneca, Dante, Tasso, Augustin, Cicero, Sophokles
bis zu Leopardi, das ist die Nahrung für sein zukünftiges Leben. 1834
vollendet er schließlich seine humanistischen Studien und im folgenden
Jahr erfüllt sich sein sehnlichster Wunsch, er tritt ins
Priesterseminar ein. Sechs lange Jahre wird er hier bleiben, um
Philosophie und Theologie zu studieren. Im September 1840 wird er zum
Subdiakon, im März 1841 zum Diakon geweiht. Einen Tag nach seiner
Priesterweihe am 6. Juni 1841 feiert er bereits in Turin seine erste
heilige Messe. Ein paar Tage später, am Fronleichnamsfest, feiert er in
Castelnuovo mit vielen Gläubigen und Priestern seine Heimatprimiz. Don
Bosco ist nun 26 Jahre alt, doch fünfzehn Jahre schwerste Mühen und
Arbeit haben letztlich ihre Krönung gefunden.
Die nächsten drei Jahre verbringt der eben erst dem Seminar entwachsene
junge Neupriester zur Er-gänzung und Vertiefung seiner theologischen
Studien im Turiner Collegio Ecclesiastico. In der Kirche des Heiligen
Franz von Assisi hat er eines Tages ein Erlebnis, das ihn entscheidend
prägen soll. Er bemerkt, wie der Sakristan einen großen Burschen
davonjagen will und tritt sofort dazwischen. Gerade sechzehn Jahre ist
Bartolomeo Garelli alt, Waise, kann nicht schreiben und lesen und hat
natürlich auch keine Ahnung von der Religion. Nach der Messe erteilt
Don Bosco dem unglücklichen Jungen, der auf der Straße zu leben
gezwungen ist, seinen ersten Katechismusunterricht. Und am nächsten
Sonntag soll er seine Freunde mitbringen.
Ein paar Monate später sind es bereits achtzig, die er in den Vorhöfen
und Hallen des Collegio Ecclesiastico unterbringt, um sie nicht länger
den Gefahren der Straße auszusetzen. Doch nach drei Jahren sind Don
Boscos Studien beendet, und er muß das Collegio verlassen. Die Gräfin
Barolo gewährt ihnen zunächst Obdach in einem von ihr gegründeten
Kinderhospital, aber nach acht Monaten ist ihre Geduld erschöpft,
zuviel Unruhe bringt die lärmende Schar in das Haus. Don Bosco zieht
weiter mit seinen Jungen, es sind jetzt schon ein paar hundert, doch
überall, wo er anklopft, findet er verschlossene Türen. Als eine „Obhut
ohne Obdach“ bezeichnet er selbst seine apostolische Arbeit.
Eucharistie, Religionsunterricht, Sakramentsandacht und
Muttergotteslitaneien finden, wann immer es das Wetter zuläßt, unter
freiem Himmel statt. Währenddessen beklagen sich die Turiner Pfarrer,
daß er ihnen ihre Schäfchen wegnimmt, und daß seine Truppe aus lauter
Taugenichtsen besteht, die er doch lieber bis auf ein paar wenige
wegschicken soll.
Aber Don Bosco hat einen Traum. Eines Tages wird es Häuser, Schulen,
Kirchen und Priester für seine Jungen geben. Bis dahin beobachten ihn
die erschreckten Turiner Bürger jedoch mit großem Mißtrauen: Ein armer
Priester in geflickter Soutane und eine Bande zerlumpter Burschen, die
ihm durch die ganze Stadt und übers Land folgen. Dreizehn-,
vierzehnjährige Handlanger, Karrenschieber, Ausläufer,
Zeitungsverkäufer, Eckensteher, Tagediebe und Tunichtgute, um die sich
niemand kümmert, die keine Familie haben, keine Zukunft. So wirft man
ihm vor die Revolution vorzubereiten, die Buben den Pfarrgemeinden zu
entfremden, wo er doch sowieso nicht für sie aufkommen könne. Und es
werden tatsächlich immer mehr, an die siebenhundert sind es jetzt
schon, die ihm auf Schritt und Tritt folgen. Das bischöfliche
Ordinariat leitet schließlich eine Untersuchung ein wegen der
angeblichen Geistesgestörtheit des Priesters, der jetzt sogar von einem
Orden, den er gründen will, phantasiert. Dann bedroht den Nimmermüden
auch noch eine schwere Lungenentzündung mit 42 Grad Fieber. Zu sehr hat
er sich aufgerieben, nicht geruht und gerastet, um für seine Jungen,
die sich nun, da der Arzt ihn bereits aufgegeben hat, um ihn scharen,
zu sorgen. Sie alle beten für ihn, liegen Nächte auf den Knien, und
ihre Gebete werden erhört.
Die Jungen jubeln, tragen ihn auf ihren Schultern durch die Gassen der
Stadt, an den entgeistert blickenden guten Bürgern vorbei. Jetzt ist er
wirklich einer der ihren, doch Bosco versteht, daß ihre betörende
Huldigung eigentlich einem Höheren gilt, und auch das ist eine
Verpflichtung. Für 30.000 Lire, Leihgaben und Geschenke, kauft er einen
Schuppen, aus dem ein Hospiz für junge Arbeiter wird, die hier ein Dach
über dem Kopf, eine warme Mahlzeit und, was das Wichtigste ist, ein
Refugium für ihr Seelenheil finden. Und Don Bosco baut weiter. Sechs
Jahre später ist bereits ein beachtlicher Komplex daraus geworden, mit
Schulen für die wichtigsten Handwerke, damit die Jungen später nicht
brotlos sind, einer Kirche, einem Gymnasium für Knaben, die das teure
Schulgeld nicht aufbringen können, und einem Lehrerseminar.
Doch Italien steht im Revolutionsjahr 1848. Von staatlicher Seite
versucht man ihn zu erpressen, seine Jungen zu politischen Kundgebungen
zu schicken. Andere Priester schließen sich willfährig der
revolutionären Bewegung an, nicht so Don Bosco. Gewiß, der Staat ist
nötig, aber eine konstitutionelle Verfassung und sogenannte Volksrechte
allein gewährleisten noch keine liebevolle und vernünftige Erziehung
der Jugend. Eine Million Lire bietet ihm die piemontesische Regierung
an, Bosco wäre auf eine Schlag alle seine Sorgen los, aber er bewahrt
sich seine Unabhängigkeit und lehnt ab. Beleidigt zieht der Staat seine
schützende Hand zurück, mehrere Mordanschläge werden in den nächsten
Jahren auf ihn verübt, aber die alten Instinkte, die Jagd- und Rauflust
seiner bäuerlichen Jugend lassen ihn jedesmal seinen Kopf aus der
Schlinge ziehen. Von Schikanen, Spitzeleien, Hausdurchsuchungen,
Verhören und dergleichen bleibt er freilich nicht verschont, gehört die
Jugend doch angeblich dem antiklerikalen Staat und muß der Kirche mit
allen erlaubten und unerlaubten Mitteln entrissen werden.
Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes werden Don Boscos Schulen
geschlossen, bis das persön-liche Eingreifen Viktor Emanuels den üblen
Intrigen gegen sein Werk schließlich ein Ende macht. Doch an eine
Ordensgründung ist dank der piemontesischen Gesetze immer noch nicht zu
denken. So legt die Gruppe der „Salesianer", wie sie sich nach dem
heiligen Franz von Sales, dem früheren Bischof von Genf, nennt, vorerst
nur ein privates Gelübde ab. Vier Jahre später, am 18.Dezember 1859
konstituieren sich dann im Turiner Oratorium achtzehn Männer als
salesianische Gemeinschaft. Don Bosco wird zum Generaloberen gewählt.
Endlich besteht nun die Möglichkeit sich auch außerhalb Turins
niederzulassen. 1875 kommt es zu ersten Gründungen im Ausland, nach
Österreich, Frankreich und Spanien folgen Argentinien, Uruguay,
Brasilien, Chile und England. Im vereinigten Königreich Italien ist man
inzwischen in nahezu allen Regionen einschließlich der Hauptstadt Rom
mit Oratorien, Schulen, Pfarreien, Internaten, Waisenhäusern,
Lehrwerkstätten, Missionen und Ausbildungshäusern für den
Ordensnachwuchs präsent.
Wie der gute Papst Pius IX. unterstützt auch dessen Nachfolger Leo
VIII. nach anfänglichem Zögern die Kongregation der Salesianer aus
ganzem Herzen. 1884 schreibt Don Bosco seinen berühmten "Rombrief" an
die Mitbrüder und Jugendlichen aus Turin. Es ist dies ein
pädagogisch-pastorales Testament, in dem er die Notwendigkeit der von
ihm als "Assistenz" bezeichneten Atmosphäre des Vertrauens und der
aktiven und interessierten Präsenz des Erziehers unter den Jugendlichen
betont. Als genauso wichtig nennt er jedoch den familiären Umgang und
als Grundpfeiler seines gesamten Tuns die Vernunft, die Religion und
nicht zuletzt die Gottes- und Nächstenliebe. Drei Jahre später begegnet
Don Bosco bei der Weihe der Herz-Jesu-Basilika in Rom am 16. Mai 1887,
in der er seine letzte Messe auf römischen Boden liest, Papst Leo VIII.
ein letztes Mal.
Im Dezember des gleichen Jahres verschlimmerte sich sein
Schwächezustand zusehends. Beide Eltern waren an der Lungenentzündung
gestorben, und auch ihn streckt die Krankheit nun zum wiederholten Mal
nieder. An die von den Ärzten verordnete absolute Ruhe und Schonung
hatte er sich nicht gehalten, sondern sich auf zwei anstrengende und
ihn erschöpfende Reisen nach Frankreich und Spanien begeben, wo ihm die
Menschen überall einen jubelnden Empfang bereiteten. Doch noch bis zum
17. Dezember nimmt der todkranke Priester seinen Jungen die Beichte ab,
so wie er und auch sie es nun seit vielen Jahren gewohnt sind. Ãœberall,
auf der ganzen Welt beteten die Gläubigen für ihn, die Salesianerhäuser
werden Tag und Nacht von der Bevölkerung umlagert. Am 24. Dezember, dem
Geburtstag unseres Herrn, spendet ihm Monsignore Cagliero das Sakrament
der Letzten Ölung, und der Segen des Heiligen Vaters wird ihm
übermittelt. Am 29. Januar, dem Fest des heiligen Franz von Sales,
empfängt er zum letzten Mal die heilige Kommunion. In den frühen
Morgenstunden des 31. Januar 1888 beginnt schließlich die Agonie. Man
läutet zum Angelus. Um 4.45 morgens stirbt Don Bosco.
Eine unübersehbare Menschenmenge aus allen Ständen des Volkes entbietet
dem Entschlafenen vor dem Oratorium in stiller Ehrfurcht und
Dankbarkeit den letzten Gruß. Den Betenden überbringt Pater Francesia
die letzten Worte des Heiligen: " Sagt meinen Kindern, daß ich im
Himmel auf sie warte...!" über 100.000 Menschen nehmen am 6. Februar an
der Beerdigung Don Boscos in Valsalice, wo sein Leichnam im
Salesianer-Kollegium aufgebahrt war, teil. Am 2. Juni 1929 wird er
selig gesprochen, seine leiblichen Überreste ein paar Tage später im
Triumphzug in den Kreis der Seinen, in die Maria-Hilf-Basilika
überführt, wo sie heute noch ruhen. Am 1. April 1934 wird Don Bosco von
Papst Pius XI. heilig gesprochen.
Giovanni Boscos Pädagogik der Vorsorge
Don Bosco wird völlig zu Recht als einer der ganz großen Erzieher der
Jugend betrachtet. Mit seiner Methode, dem sogenannten
„Präventivsystem", das auf menschlichem Verständnis, Vernunft,
Religion, Liebe, Vertrauen, Anerkennung und gesunder Frömmigkeit
beruht, schuf er ein äußerst wirkungsmächtiges Ideal urchristlicher
Pädagogik. Man spricht daher auch vom "typisch salesianischen Geist",
der die von ihm gegründeten Heime erfüllte: ein freudiger Sinn des
Lebens, die Verpflichtung innerhalb der Gesellschaft zum
gemeinschaftlichen Wohlergehen, die Liebe zur Kirche, die Verehrung der
Gottesmutter Maria als "Helferin der Christen" - die von Don Bosco und
Maria Mazzarello 1872 gegründete Ordensgemeinschaft zur religiösen und
sozialen Betreung der weiblichen Jugend nannte sich dementsprechend
"Töchter Mariae, der Hilfe der Christen, im deutschen Sprachraum heute
als "Don Bosco-Schwestern" bekannt -, und nicht zuletzt die Hoffnung
auf den Himmel.
Für Don Bosco war es von großer Bedeutung, daß die Jugendlichen nicht
nur geliebt wurden, son-dern daß sie dies auch spürten. Ein
pädagogisches Stichwort lautet daher "Assistenz". Damit bezeichnete er
eine Form von aktiver und interessierter persönlicher Anwesenheit des
Erziehers unter den Jungen, die nicht einfach nur beaufsichtigt werden
sollten. Genau wie seine Mitbrüder und Mitarbeiter teilte Don Bosco das
Leben mit den Jugendlichen, nahm diese ernst und beteiligte sich
selbstverständlich auch an ihren Spielen und Festen.
Verhaltensänderungen, Lernerfolge, die Formung von Geist und Seele und
ein Beharren im Guten ließen sich dadurch viel leichter und
nachdrücklicher erreichen als durch drakonische Strafen wie körperliche
Züchtigung, die er Zeit seines Lebens immer scharf ablehnte.
"So wenig braucht es, und schon schmilzt das Eis" pflegte Don Bosco zu
sagen, wenn wieder einmal einer seiner zahlreichen Gönner oder der noch
viel zahlreicheren Kritiker von seinen Erziehungsmethoden ganz und gar
nicht überzeugt schien. Der Keim der Sünde, dies hatte er klar erkannt,
lag nicht in der Flegelhaftigkeit, nicht im Trotz und in der
Auflehnung, "sondern in der Langeweile, in der Verdrängung und
Verkümmerung der jugendlichen Kraft, die sich nicht ursprünglich und
geradlinig entladen kann" schreibt Franz Dilger in seinem Buch
"Giovanni Bosco. Motiv einer neuen Erziehung" (Olten, 1946): "Daß Gott,
der Herr, nicht beleidigt wird und meine Kinder nicht zeitlich und ewig
unglücklich werden, das ist mein einziger heißer Begehr. Diesem Ziel
opfere ich alle pädagogischen Traditionen, alle Maximen, aber auch alle
Bequemlichkeiten und persönlichen Ansprüche. So wünsche ich, daß meine
Buben ungehemmt sich entspannen, und sollten auch meine Nerven in
Stücke gehen. Wenn sie vergnügt sind, so sündigen sie nicht, und was
will ich mehr? Sie ahnen nicht, wie bald unsere Jugend dabei ist,
Respekt zu bezeugen, sofern sie sich in Liebe gesichert weiß. Jede
Rebellion hat ihre Wurzel in der Angst, daß die aufgesetzte Autorität
ihre Gewalt mißbrauchen könnte. Lieben Sie ihre Jungen mit einer Liebe,
die ihnen knabenhaft ins Gefühl geht, und sie leiten ihre Herzen wie
Wasserbäche."
Getreu dem Wort Christi "Wer eines dieser Kleinen aufnimmt, der nimmt
mich auf" folgend, lebte und arbeitete Don Bosco nach dem Motto
"Solange wir nicht im letzten Flegel den Knaben Jesu sehen, der da ist
Gott und Mensch zugleich, werden wir ewig den Leibern Schmerz und den
Seelen Gewalt antun" (Franz Dilger). Niemals sollte der Erzieher
"Zwangsmittel" (mezzi coercitivi) anwenden, betonte er in einem seiner
Rundschreiben über die Strafen (castighi), die in den
Salesianer-Häusern angewendet werden dürfen. Vielmehr sollten einzig
und allein die Methoden der Ãœberzeugung und der Liebe zur Anwendung
kommen. Ohne sich jedoch über die dem Bösen stets zugeneigte Natur des
Menschen irgendwelche Illusionen zu machen, plädierte er energisch
dafür zunächst alle anderen Mittel auszuschöpfen, sich in Geduld zu
fassen und mit Standfestigkeit, väterlicher Kritik und Güte gegenüber
widerspenstigen und unfolgsamen Kindern zu reagieren, bevor man eine
Strafe ausspricht. Aufrichtigkeit, Herzlichkeit, Offenherzigkeit,
Lebendigkeit, Fröhlichkeit, Zuneigung und Vertrauen sind nach Don
Boscos tiefster Überzeugung die Schlüssel zu den Herzen der Jugend.
Lustlosigkeit, Mißtrauen, Mattigkeit, Heimlichtuereien und innere Kälte
führen hingegen nur zu Argwohn und Verstocktheit, und verhindern
letztlich das große Ziel der Heranbildung froher, selbständiger, junger
Menschen, die gelernt haben, ihr Leben auf der Basis christlicher
Überzeugung und Selbstbeherrschung zu führen.
Don Bosco sah sein Präventivsystem als Gegenentwurf zum
Repressivsystem, das auf der Drohung mit strenger Bestrafung beruht und
jeden vertrauten Verkehr mit den dem Vorgesetzten, dem Direktor oder
den Assistenten anvertrauten Untergebenen strikt meidet. Das präventive
System sollte dagegen die Jugendlichen in die Unmöglichkeit versetzen,
Fehltritte zu begehen. Es macht den Jugendlichen zum Freund, und läßt
ihn in seinem Erzieher den Wohltäter sehen. Häufige Beichte und
Kommunion sowie die tägliche Messe sind die Säulen, die das Gebäude
einer Erziehung tragen müssen, von der Drohung und Stock fernzuhalten
sind. Ein ernster Blick wirkt auf die meisten nachhaltiger als eine
Ohrfeige, und niemals dürfen Zurechtweisungen öffentlich erfolgen,
sondern privat und abseits von den Kameraden. Der Aufmunterung, dem
Ratschlag, der hilfreichen Belehrung und dem Lob für eine gute Handlung
ist jederzeit der Vorzug zu geben vor Strafe und Tadel, die zwar nicht
ausgeschlossen sind, aber für den Präventiv-Erzieher weder Selbstzweck
noch Vergeltungsmaßnahme sein dürfen.
Literaturempfehlungen:
Giovanni Bosco: Pädagogische Visionen und Reflexionen. Verlag Julius Klinkhardt. Bad Heilbrunn, 1965
Johannes Bosco: Erinnerungen an das Oratorium des hl.Franz von Sales. München 2OO1
Leonhard von Matt u. Henri Bosco: Don Bosco. Don Bosco Verlag. München 1979
Johannes Lechermann: Wie Maria den seligen Don Bosco unterweist die Jugend zu erziehen. Verlag des Don Bosco-Heimes. Linz, 1931
Franz Dilger: Giovanni Bosco. Motiv einer neuen Erziehung. Verlag Otto Walter, Olten 1946
Kurt Gerhard Fischer: Giovanni Bosco. Pädagogik der Vorsorge. Schöning, Paderborn 1966
Monsignore Carlo Salotti: Der selige Johannes Bosco. Salesianer-Verlag, München 193O
Reinhold Weinschenk: Grundlagen der Pädagogik Don Boscos. München 1987
Herbert Dieckmann: Deutschsprachige Don-Bosco-Literatur. Rom 1997 |