Syllabus
von
Papst Pius IX.
- oder Sammlung der von Papst Pius IX. in
verschiedenen Äußerungen geächteten Irrtümer -
Veröffentlicht zugleich mit der Enzyklika »Quanta cura«
desselben Papstes am 8. Dezember 1864
Index der Äußerungen von Pius IX, aus welchen der Syllabus exzerpiert ist
1’ Enzyklika Qui pluribus vom 9. November 1846.
2’ Ansprache Quisque vestrum vom 4. Oktober 1847.
3’ Ansprache Ubi Primum vom 17. Dezember 1847.
4’ Ansprache Quibus quantisque vom 20. April 1849.
5’ Enzyklika Nostis et Nobiscum vom 8. Dezember 1849.
6’ Ansprache Si semper antea vom 20. Mai 1850.
7’ Ansprache In consistoriali vom 1. November 1850.
8’ Brief Multiplices inter vom 10. Juni 1851.
9’ Brief Ad Apostolicæ Sedis vom 22. August 1851.
10’ Ansprache Quibus luctuosissimis vom 5. September 1851.
11’ Brief an den König von Sardinien vom 9. September 1852.
12’ Ansprache Acerbissimum vom 27. September 1852.
13’ Ansprache Singulari quadam vom 9. Dezember 1854.
14’ Ansprache Probe memineritis vom 22. Januar 1855.
15’ Ansprache Cum sæpe vom 26. Juli 1855.
16’ Ansprache Nemo vestrum vom 26. Juli 1855.
17’ Enzyklika Singulari quidem vom 17. März 1856.
18’ Ansprache Nunquam fore vom 15. Dezember 1856.
19’ Brief Eximiam tuam vom 15 Juni 1847 an den Kardinal-Erzbischof von Köln.
20’ Apostolisches Schreiben Cum catholica Ecclesia vom 26. März 1860.
21’ Brief Dolore haud mediocri vom 30. April 1860 an den Bischof von Breslau.
22’ Ansprache Novos et ante vom 28. September 1860.
23’ Ansprache Multis gravibusque vom 17. Dezember 1860.
24’ Ansprache Jamdudum cernimus vom 18. März 1861).
25’ Ansprache Meminit unusquisque vom 30. September 1861.
26’ Ansprache Maxima quidem vom 9. Juni 1862.
27’ Brief Gravissimas inter an den Erzbischof von Freising vom 11. Dezember 1862.
28’ Enzyklika Quanto conficiamur mærore vom 10. August 1863.
29’ Enzyklika Incredibili afflictamur vom 17. September 1863.
30’ Brief Tuas libenter an den Erzbischof von Freising vom 21. Dezember 1863.
31’ Brief Cum non sine an den Erzbischof von Freiburg vom 14. Juli 1864.
32’ Brief Singularis Nobisque an den Bischof von Monreale vom 29. September 1864.
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Geächtete Thesen
§ 1 – Pantheismus, Naturalismus und absoluter Rationalismus
1. Es gibt kein höchstes, weisestes und über alles vorhersehendes
göttliches Wesen, das von der Gesamtheit dieser Welt unterschieden
wäre. Gott ist zugleich wie das Wesen der Dinge und daher Veränderungen
unterworfen. In der Wirklichkeit ist Gott ein Werdender im Mensch und
in der Welt. Alles ist Gott und besitzt Seine eigene Wesenheit. Gott
und die Welt sind ein und dieselbe Macht und Sache. Deshalb sind
ebenfalls Geist und Materie, Notwendigkeit und Freiheit, Wahrheit und
Falsches, Gutes und Böses, Recht und Unrecht ein und dasselbe 26’.
2. Jede Einwirkung von Gott auf die Menschen und auf die Welt ist zu leugnen 26’.
3. Die menschliche Vernunft ist, ohne daß wir sie irgendwie auf Gott
beziehen müßten, der einzige Richter über Wahrheit und Falsches, über
Gut und Böse. Sie ist sich selbst Gesetz und mit ihrer natürlichen
Kraft ausreichend, um das Wohl der Menschen und Völker zu
sichern 26’.
4. Alle Wahrheiten der Religion fließen aus der angeborenen Kraft der
menschlichen Vernunft. Daher ist die Vernunft die hauptsächliche
Richtlinie, nach welcher der Mensch die Erkenntnis aller Art von
Wahrheit erreichen kann und soll 1’, 17’, 26’.
5. Die göttliche Offenbarung ist unvollkommen und daher einem stetigen
und unbegrenzten Fortschritt unterworfen, der dem Fortschritt der
menschlichen Vernunft entspricht 1’, 26.
6. Der Glaube an Jesus Christus steht im Widerspruch zur menschlichen
Vernunft. Die göttliche Offenbarung ist daher nicht nur nutzlos,
sondern sie schadet sogar der Vollkommenheit des
Menschen 1’, 26’.
7. Die in der Heiligen Schrift dargelegten und erzählten Prophezeiungen
und Wunder sind Erfindungen von Dichtern. Die Geheimnisse des Glaubens
sind das Ergebnis aus philosophischen Forschungen. In den Büchern der
beiden Testamente sind mystische Erfindungen enthalten. Jesus Christus
selbst ist eine dieser mystischen Erfindungen 1’, 26’.
§ 2 – Der gemäßigte Rationalismus
8. Da die menschliche Vernunft dem Glauben unmittelbar gleichzusetzen
ist, müssen die theologischen Wissenschaften in gleicher Form wie die
philosophischen Lehrfächer behandelt werden 13’.
9. Alle Glaubenssätze der christlichen Religion sind ohne Unterschied
Gegenstand der natürlichen Wissenschaft oder der Philosophie. Die nur
geschichtlich ausgebildete menschliche Vernunft kann aus ihren
natürlichen Kräften und Grundsätzen zu dem wahren Wissen aller, auch
schwieriger Glaubenssätze gelangen, wenn diese Glaubenssätze der
Vernunft als Gegenstand vorgelegt wurden 27’, 30’.
10. Unterschiedlich sind der Philosoph und die Philosophie. Daher hat
der Philosoph das Recht und die Pflicht, sich der Autorität zu
unterwerfen, die er persönlich als wahre Autorität erkannt hat. Die
Philosophie kann und darf sich allerdings keiner Autorität
unterwerfen 27’, 30’.
11. Die Kirche darf nicht nur überhaupt keine Erklärung gegen die
Philosophie abgeben, sondern sie muß auch die Irrtümer dieser
Philosopie dulden und es ihr selbst überlassen, sich zu
verbessern 27.
12. Die Dekrete des Apostolischen Stuhles und der Römischen
Kongregationen behindern den freien Fortschritt der
Wissenschaft 30’.
13. Die Arbeitsweise und die Grundsätze, nach welchen die alten
scholastischen Lehrer die Theologie gepflegt haben, stimmen in keiner
Weise mit den Bedürfnissen unserer Zeit und dem Fortschritt der
Wissenschaften überein 30’.
14. Die Philosophie muß ohne Rücksicht auf die übernatürliche Offenbarung behandelt werden 30’.*
§ 3 – Indifferentismus, Latitudinarismus
15. Jedem Menschen steht es frei, eine Religion anzunehmen und zu
bekennen, die er im Lichte der Vernunft als die wahre Religion
erachtet 8’, 26’.
16. Die Menschen können bei der Ausübung einer jeden beliebigen
Religion den Weg des ewigen Heiles finden und die ewige Seligkeit
erlangen 1’, 3’, 17’.
17. Es darf völlig auf die ewige Seligkeit aller Menschen gehofft
werden, welche nicht in der wren Kirche Christi
leben 13’, 28’.
18. Der Protestantismus ist nichts anderes, als eine eigenständige Form
des gleichen wahren christlichen Glaubens. In diesem Glauben ist es
ebenso möglich, Gott wohlgefällig zu dienen, wie in der katholischen
Kirche 5’.
§ 4 – Sozialismus, Kommunismus, Geheimgesellschaften, Bibelgesellschaften, liberale Kleriker-Gesellschaften
Derartige Seuchen werden oft und in schwerwiegenden Ausdrücken verworfen in 1’,4’,5’,13’, 28’.
§ 5 – Irrtümer über die Kirche und ihre Rechte
19. Die Kirche ist keine wahre, vollkommene und völlig freie
Gesellschaft. Sie besitzt nicht ihre eigenen und beständigen, von ihrem
göttlichen Gründer verliehenen Rechte. Es ist eine Angelegenheit der
staatlichen Gewalt, die Rechte der Kirche und ihre Grenzen zu
bestimmen, innerhalb derer sie diese Rechte ausüben
darf (13’, 22’, 26’).
20. Die kirchliche Gewalt darf ihre Autorität ohne Erlaubnis und Zustimmung der staatlichen Gewalt nicht ausüben 25’.
21. Die Kirche ist nicht im Besitz der Vollmacht, in einem Glaubenssatz
festzulegen, daß der Glaube der katholischen Kirche den einzigen wahren
Glauben darstellt 8’.
22. Die Verpflichtung, durch die katholische Lehrer und Schriftsteller
völlig gebunden werden, beschränkt sich lediglich auf das, was durch
eine unfehlbare Entscheidung der Kirche als allgemeiner Glaubenssatz
vorgelegt wird 30’.
23. Römische Päpste und Allgemeine Konzile haben die Grenzen ihrer
Befugnis überschritten, sich Rechte der oberen Staatsgewalt angemaßt
und sich in der genauen Festsetzung von Glaubens- und Sittenlehren
geirrt 8’.
24. Die Kirche ist weder zur Anwendung politischer Amtsgewalt befähigt,
noch hat sie irgendeine mittelbare oder unmittelbare Amtsgewalt 9’.
25. Außer der in der Bischofwürde verankerten Gewalt, ist den Bischöfen
eine weltliche Gewalt beigegeben, die von der staatlichen Gewalt
entweder ausdrücklich oder stillschweigend erlaubt wurde. Sie kann
daher von der staatlichen Gewalt nach Belieben widerrufen
werden 9’.
26. Die Kirche hat kein natürliches und gesetzliches Recht auf Erwerb und Besitz 18’ 29’.
27. Die gottgeweihten Diener der Kirche und der Römische Papst sind von
jeder Sorge und Herrschaft über weltliche Dinge völlig
auszuschließen 26’.
28. Ohne Erlaubnis der Regierung, dürfen die Bischöfe keine Apostolischen Schreiben veröffentlichen 18’.
29. Gnaden, die der Heilige Stuhl verleiht, müssen als ungültig
angesehen werden, wenn sie nicht durch die Regierung erwirkt
wurden 18’
30. Die Immunität der Kirche und der kirchlichen Personen hat ihren Ursprung im staatlichen Recht 8’.
31. Die päpstliche Gerichtsbarkeit für zeitliche Angelegenheiten der
Geistlichen, in bürgerlicher oder strafrechtlicher Hinsicht, ist ohne
Beratung und gegen den Einspruch des Apostolischen Stuhles völlig
abzuschaffen 12’ 18’.
32. Ohne Verletzung des natürlichen Rechtes und der Billigung, kann das
persönliche Vorrecht der Kleriker zur Befreiung von der Last und der
Leistung der Militärpflicht abgeschafft werden. Der bürgerliche
Fortschritt erfordert diese Abschaffung, besonders in einer
Gesellschaft mit einer politisch freiheitlichen Regierungsform 32’.
33. Die kirchliche Rechtsprechungsgewalt ist nicht ausschließlich
befugt, theologische Lehren aus eigenem oder angeborenem Recht zu
leiten 30’.
34. Die Lehre derjenigen, die den Römischen Papst mit einem freien
Staatsoberen vergleichen, der in der gesamten Kirche seine Macht
ausübt, ist eine Lehre, die im Mittelalter vorherrschte 9’.
35. Nichts verbietet, durch den Beschluß eines Allgemeinen Konzils oder
die Tat der gesamten Vöker, das Papsttum vom Römischen Bischof und von
Rom auf einen anderen Bischof und eine andere Stadt zu
übertragen 9’.
36. Die Bestimmung eines nationalen Konzils läßt keine weitere
Erörterung und Abhandlung zu. Die staatliche Macht kann eine Abwicklung
der Dinge in diesem Sinn verlangen 9’.
37. Es können staatliche Kirchen errichtet werden, die der Autorität
des Römischen Papstes entzogen und völlig von ihr getrennt
sind 23’ 24’.
38. Die übermäßige Willkür der Römischen Päpste hat zur Trennung in
eine morgenländische und in eine abendländische Kirche
beigetragen 9’.
§ 6 – Irrtümer über die bürgerliche Gesellschaft, sowohl an sich, als auch in ihren Beziehungen zur Kirche
39. Der Staat besitzt den Ursprung und die Quelle aller Rechte und daher ein uneingeschränktes Recht 26’.
40. Die Lehre der katholischen Kirche widerstrebt dem Wohl und dem Nutzen der menschlichen Gesellschaft 1’ 4’.
41. Der staatlichen Gewalt steht ein indirektes, negatives Recht in
Glaubensdingen zu, selbst wenn sie von einem ungläubigen Herrscher
ausgeübt wird. Ihr steht daher nicht nur das Erlaubnisrecht zu, das man
»Exequatur« nennt, sondern auch das Recht der Berufung vom Mißbrauch,
der sogenannten »Appellatio ab abusu« 9’.
42. Im Konflikt der Gesetze beider Gewalten, erhält das staatliche Recht den Vorrang 9’.
43. Die weltliche Macht ist befugt, feierliche Abmachungen, sogenannte
Konkordate, die mit dem Heiligen Stuhl über die Ausübung der zur
kirchlichen Immunität gehörenden Rechte geschlossen wurden, auch ohne
dessen Zustimmung oder Widerspruch, als ungültig zu erklären und außer
kraft zu setzen 7’ 23’.
44. Die staatliche Autorität kann sich in Dinge einmischen, die den
Glauben, die Sitten und die geistliche Leitung betreffen. Daher kann
sie über Weisungen urteilen, welche die Hirten der Kirche gemäß ihrem
Amt als Richtschnur für Gewissensfragen erlassen. Sie kann sogar über
die Verwaltung der göttlichen Gnadenmittel und über die Anforderungen
zu deren Empfang entscheiden 7’ 23’.
45. Die gesamte Leitung des öffentlichen Schulwesens, die dem
Unterricht der Jugend eines christlichen Staates dient, mit gewissen
Ausnahmen der bischöflichen Seminarien, kann und soll der weltlichen
Autorität zuerkannt werden, sich in die Einrichtung und Ordnung der
Schulen, in die Lehrordnung, in die Titelverleihung und in die Wahl und
Genehmigung der Lehrer einzumischen 7’ 10’.
46. Selbst die Seminarien für den Klerus unterliegen in ihren Lehrmethoden der weltlichen Autorität 18’.
47. Die Rücksicht auf das Wohl des Staates verlangt, daß die
Volksschulen, die allen Kindern jeder Bevölkerungsschicht zugänglich
sind, sowie die öffentlichen Anstalten, welche für den höheren
wissenschaftlichen Unterricht und für die Erziehung der Jugend bestimmt
sind, der Autorität der Kirche vollständig entzogen und der Leitung der
bürgerlichen und staatlichen Macht unterworfen sind, je nach Belieben
der Regierung und unter dem Einfluß der jeweiligen Meinungen des
Zeitalters 31’.
48. Katholische Männer können sich mit einer Art des
Jungendunterrichtes zufrieden geben, der vom katholischen Glauben und
von der Gewalt der Kirche getrennt ist, und nur die Wissenschaft der
natürlichen Dinge sowie die Zwecke des irdischen sozialen Lebens
ausschließlich oder in erster Linie beinhaltet 31’.
49. Die weltliche Autorität kann die Einschränkung geltend machen, daß
die Bischöfe und die bigen Völker mit dem Römischen Papst frei und
gegenseitig verkehren 26’.
50. Die weltliche Macht hat von sich aus das Recht, Bischöfe
vorzuschlagen. Sie kann von ihnen verlangen, die Verwaltung ihrer
Diözesen anzutreten, bevor sie vom Heiligen Stuhl ihre canonische
Einsetzung und das Apostolische Schreiben erhalten haben 18’.
51. Die weltliche Macht hat sogar das Recht, Bischöfe von der Ausübung
ihres Hirtenamtes zu entheben. Sie ist nicht verpflichtet, dem
Römischen Papst in Angelegenheiten zu gehorchen, die sich auf die
Errichtung von Bistümern und Einsetzung von Bischöfen
beziehen 8’ 12’.
52. Die Regierung kann in Ausübung ihres eigenen Rechtes das von der
Kirche vorgeschriebene Alter zur Ablegung von Ordensgelübden sowohl bei
männlichen als auch bei weiblichen Orden ändern und allen
Ordensgemeinschaften vorschreiben, jemanden ohne Erlaubnis zur Ablegung
der feierlichen Gelübde zuzulassen 18’.
53. Die Gesetze zum Schutz der Orden sowie ihre Rechte und Pflichten
sind abzuschaffen. Die weltliche Macht kann allen Beistand leisten, die
ihren gewählten Ordensstand verlassen und ihre feierlichen Gelübde
brechen wollen. Ebenso kann sie diese Ordenshäuser, Kollegiatskirchen,
einfache geistliche Pfründen sowie auch das Patronatsrecht ganz
aufheben und ihre Güter und Einkünfte der staatlichen Verwaltung und
Staatsverfügung unterstellen 12’ 14’ 15’.
54. Könige und Staatsoberhäupter sind nicht nur von der Rechtssprechung
der Kirche enthoben, sondern stehen auch in der Entscheidung der Frage
der Rechtssprechung über der Kirche 8’.
55. Die Kirche ist vom Staat und der Staat von der Kirche zu trennen 12’.
§ 7 – Irrtümer über das natürliche und christliche Sittengesetz
56. Die Sittengesetze bedürfen keiner göttlichen Bestätigung. Es ist
nicht notwendig, daß die menschlichen Gesetze mit dem Naturrecht in
Ãœbereinstimmung gebracht werden, oder ihre verpflichtende Kraft von
Gott erhalten 26’.
57. Die Philosophie und die Sittenlehre, ebenso die bürgerlichen
Gesetze, können und sollen von der göttlichen und kirchlichen Lehre
abweichen 26’.
58. Es sind keine anderen Kräfte anzuerkennen, als die, die in der
Materie liegen. Die Sittlichkeit, der Anstand und die Würde sind in der
Anhäufung und Vermehrung von Reichtümern auf jegliche Weise und in der
Befriedigung der sinnlichen Genüsse zu suchen 26’ 28’.
59. Das Recht besteht in der Tatsache. Alle Pflichten der Menschen sind
leere Worte. Alle menschlichen Handlungen haben den Anspruch auf
Rechtskraft 26’.
60. Autorität bedeutet nichts anderes, als der Inbegriff der Zahlenmenge und der Gesamtheit der materiellen Kräfte 26’.
61. Eine erfolgreiche Ungerechtigkeit bringt der Heiligkeit des Rechts keinerlei Nachteile 24’.
62. Der sogenannte Grundsatz der Nichteinmischung(1) muß verkündet und beachtet werden 22’.
63. Rechtmäßigen Staatsoberhäuptern darf der Gehorsam versagt und sich
sogar gegen sie aufgelehnt werden 1’ 2’ 5’ 20’.
64. Der Bruch eines jeden noch so heiligen Eides, ebenso jede
verbrecherische und unsittliche Handlung, die dem ewigen Gesetz im
Widerspruch steht, sind nicht nur nicht zu verdammen, sondern durchaus
erlaubt und sogar höchst lobenswert, wenn sie aus Liebe zum Vaterland
geschieht 4’.
§ 8 – Irrtümer über die christliche Ehe
65. Es kann auf keine Weise zugegeben werden, daß Christus die Ehe zur Würde eines Sakramentes erhoben hat 9’.
66. Das Sakrament der Ehe ist nur eine Zufügung zum Vertrag und daher
von ihm trennbar. Das Sakrament selbst besteht einzig und allein im
Eheschließungssegen 9’.(2)
67. Nach dem Naturrecht ist das Eheband nicht unauflöslich. In
verschiedenen Fällen kann eine Ehescheidung im eigentlichen Sinn von
der staatlichen Behörde gesetzlich eingesetzt werden 9’ 12’.
68. Die Kirche hat nicht die Macht, trennende Ehehindernisse
aufzustellen. Diese Macht steht der staatlichen Gewalt zu, durch welche
die bestehenden Ehehindernisse aufzuheben sind 8’.
69. Die Kirche hat erst in späteren Jahrhunderten damit begonnen,
trennende Ehehindernisse einzuführen, die nicht aus eigenem Recht,
sondern in der Ausübung des ihr von der staatlichen Gewalt geliehenen
Rechts entstanden sind 9’.
70. Die Canones des Konzils von Trient, welche über diejenigen den
Ausschluß aus der Kirche verhängen, die die Berechtigung der Kirche zu
leugnen wagen, trennende Hindernisse aufzustellen, sind entweder nicht
im Glaubenssatz enthalten, oder müssen im Sinne einer angeeigneten
Rechtsgewalt verstanden werden 9’.
71. Die Tridentinische Form der Eheschließung verpflichtet nicht unter
Strafe der Ungültigkeit, wenn das staatliche Gesetz eine andere Form
vorschreibt und die Gültigkeit der Ehe von dieser Form abhängig
macht 9’.
72. Bonifatius VIII. hat als erster behauptet, daß das bei der Weihe abgelegte Keuschheitsgelübde die Ehe nichtig mache 9’.
73. Durch einen rein weltlichen Vertrag kann unter Christen eine wahre
Ehe zustande kommen. Es ist falsch zu behaupten, daß der Ehevertrag
zwischen Christen immer ein Sakrament darstellt, oder den Vertrag als
nichtig erklärt, wenn das Sakrament ausgeschlossen
wird 9’ 11’ 12’ 23’.
74. Ehesachen und Trauungen gehören ihrem Wesen nach vor das weltliche Gericht 9’ 12’.â€
§ 9 – Irrtümer über die bürgerlichen Herrschaft des Römischen Papstes
75. Ãœber die Vereinbarkeit der weltlichen Herrschaft mit der
geistlichen sind sich die Söhne der christlichen und katholischen
Kirche uneinig 9’.
76. Die Abschaffung der bürgerlichen Gewalt, die der Apostolische Stuhl
innehat, trüge viel zur Freiheit und zum Glück der Kirche
bei 4’ 6’.‡
§ 10 – Irrtümer, die den Liberalismus unserer Tage betreffen
77. In unserer Zeit ist es nicht mehr denkbar, daß die katholische
Religion als einzige Staatsreligion anerkannt und alle anderen Arten
der Gottesverehrung ausgeschlossen werden 16’.
78. Es ist daher lobenswert, in gewissen katholischen Ländern, den
Einwanderern gesetzlich die öffentliche Ausübung ihres Kultes zu
garantieren 12’.
79. Es ist falsch, daß die staatliche Freiheit für jeden Kult und die
allen gewährte Befugnis, frei und öffentlich ihre Meinungen und
Gedanken kundzugeben, dazu führt, Geist und Sitte der Völker zu
verderben und zur Verbreitung der Seuche des Indifferentismus
führen 18’.
80. Der Römische Papst kann und muß sich mit dem Fortschritt, dem
Liberalismus und der modernen Zivilisation versöhnen und
vereinigen 24’.
Anmerkungen:
* Zu 14 NB: Mit dem System des Rationalismus hängen
zum größten Teil die Irrtümer von Anton Günther zusammen, die
verurteilt werden in 19’ und 21’.
†Zu 74 NB: Hierher kann man noch zwei weitere
Irrtümer stellen: daß der Zölibat der Kleriker aufzuheben und daß der
Ehestand dem jungfräulichen Stand vorzuziehen sei; dagegen
1’ 8’.
‡ Zu 76 NB: Außer diesen ausdrücklich benannten
Irrtümern werden noch viele weitere kraft der längst vorgelegten und
entschiedenen Lehre über die bürgerliche Herrschaft des Römischen
Papstes implizit zurückgewiesen, welche alle Katholiken fest bewahren
müssen und die offen dargelegt wird
in 4’ 6’ 20’ 22’ 24’ 26’.
(1) »Principium de non-interventu«; darauf berief sich Napoleon III.
von Frankreich, um seine Versprechen nicht halten und Pius IX. gegen
die ins Territorium des Römischen Papstes einrückenden Truppen der
Piemonteser keinen Beistand leisten zu müssen.
(2) So etwa Melchior Cano, De locis theologicis VIII,5, S. 196 f., Venedig 1759.
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