Juden und 'Christen' - Verbündete der Schande und der Schmach (1)
von
Léon Bloy
"Dies habe ich euch gesagt, damit ihr nicht Anstoß nehmt. Sie werden
euch ausstoßen aus den Synagogen; ja, es kommt die Stunde, da jeder,
der euch tötet, vor Gott einen heiligen Dienst zu verrichten glaubt.
Und das werden sie euch tun, weil sie weder den Vater erkannten noch
mich. Aber dies habe ich euch gesagt, damit beim Kommen ihrer Stunde
ihr euch erinnert, daß ich es euch gesagt habe. Dies habe ich euch
nicht von Anfang an gesagt, weil ich bei euch war. Nun aber gehe ich zu
dem, der mich gesandt hat, und niemand von euch fragt mich: Wohin gehst
du? Sondern weil ich dies euch sagte, hat die Trauer euer Herz erfüllt.
Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, daß ich fortgehe;
denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Helfer nicht zu euch kommen;
wenn Ich aber hingehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn dieser
kommt, wird er der Welt den Nachweis bringen über Sünde, über
Gerechtigkeit und über Gericht: über Sünde, weil sie nicht an mich
glauben; über Gerechtigkeit, weil ich zum Vater gehe und ihr mich nicht
mehr seht; über Gericht, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Noch
vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht
tragen.Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch
hinführen zur vollen Wahrheit; denn nicht von sich aus wird er reden,
sondern was er hört, wird er reden, und das Kommende wird er euch
künden. Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er nehmen
und euch künden. Alles, was der Vater hat, ist mein; deswegen sagte
ich: Er wird von dem Meinen nehmen und es euch künden." (Joh. 16, 1-14)
(2)
***
Schweigen!
Eine Stimme aus der Tiefe.
Eine Stimme aus der Verbannung - ganz fern erst, schwach und fast
erstorben, die anzuschwellen scheint, indem sie aus der Tiefe
emporsteigt.
- Die erste Person ist die, welche spricht.
- Die zweite Person ist die, zu der gesprochen wird.
- Die dritte Person ist die, von der gesprochen wird.
Diese dritte Person bin Ich, Israel, praevalens Deo, überaus mächtig
durch Gott, Sohn Isaaks, Sohn Abrahams, Erzeuger und Segenspender der
zwölf jungen Löwen, die an den Stufen des elfenbeinernen Thrones
aufgestellt sind zu Diensten dem großen König und zum ewigen Ärgernis
der Völker.
Ich bin der Abwesende von überall, der Fremdling aller bewohnbaren
Stätten, der Verschwender des Vermögens; und meine Zelte sind auf so
trostlosen Hügeln aufgeschlagen, daß sogar die Würmer in den Gräbern
den Befehl erlassen haben, die Pfade in meine Einöde auszulöschen.
Kein Schleier ist meinem Schleier vergleichbar, und kein Mensch kennt
mich, weil niemand außer dem Sohne Mariens das unendlich doppelsinnige
Rätsel meiner Verdammung hat erraten können.
Selbst in jener Zeit, als ich gesund und herrlich schien, in jenen
alten Zeiten voll der Wunder, die dem Geschehen auf Golgatha
vorausgegangen sind, haben mich meine eigenen Kinder nicht erkannt, und
oft weigerten sie sich, mich aufzunehmen, denn mein Joch ist nicht
sanft und meine Bürde sehr schwer.
So trage ich immer die schreckliche Reue Jehovas, den es "reute, die
Menschen und Tiere erschaffen zu haben" (3), und man sieht so gut, daß
ich sie genau so trage, wie Jesus die Sünden der Welt getragen hat!
Deshalb bin ich mit dem Staub vieler Jahrhunderte bedeckt.
Trotzdem werde ich mit der unverlierbaren Autorität eines Patriarchen
sprechen, der ich hundert Mal mit der Sprache des Allmächtigen belehnt
worden bin.
Ich liebe meine Söhne aus Juda und Benjamin nicht sehr, weil sie den
Sohn Gottes gekreuzigt haben. Sie sind zwar die echten Nachkommen ihrer
beiden Ahnen, die ich gezeugt, und die ich einst mit zwei wilden Tieren
verglichen habe.
Aber sie haben ihre Züchtigung erduldet, und ich habe mich nicht
geweigert, der Gemahl und Mitträger ihrer äußersten Verwerfung zu sein.
Wenn ich daran denke, daß ich meinen Bruder Esau treulos beraubt habe,
so war es nur gerecht, daß ich bis in meinen letzten Nachkommen die
Mitschuld an einer Treulosigkeit auf mich nahm, die das Heil des
Menschengeschlechtes vorbereitete, indem sie mich selbst der Herrschaft
über alle Reiche beraubte.
Allerdings wußten diese elenden Kinder nicht, daß sie so die
Verwirklichung der Visionen und Prophezeiungen erfüllten, und daß durch
ihr namenloses Verbrechen ohne Maß das blutige Reich der zweiten Person
ihres Gottes eingesetzt wurde, das auf die Herrschaft der ersten
folgte, die sie aus dem leidvollen Ägypten errettet hatte.
Von nun an muß die Thronbesteigung der dritten Person erwartet werden,
deren Siegel auf meinem Antlitz ist, die alle Vorhänge in allen Tempeln
der Menschen zerreißen und alle Herden in der strahlenden Einheit
versammeln wird.
Doch diese Dinge werden nicht geschehen, bevor man "die Greuel der
Verwüstung in der heiligen Stadt" gesehen hat, das heißt bevor die
Christen, diese hartnäckigen Tadler meiner treulosen Nachkommenschaft,
nicht ihrerseits mit noch größerer Blutgier die Greueltaten, die sie
ihr vorwerfen, selbst vollbracht haben.
Hört, ihr Christen, auf die Worte Israels, auf den Vertrauten des
Heiligen Geistes. Der da ist, kann immer nur sich selbst wiederholen,
und der Herr der Herren dürstet immer danach zu leiden
...
Wenn der Verheißene, der der Tröster genannt wird, kommt, Besitz zu
ergreifen von seinem Erbe, so muß euch Christus notwendig verlassen
haben, da er erklärte, dieser Tröster könne erst dann kommen, wenn er
vorher fortgegangen sei. (4)
Denn eines Tages wird er euch scheinbar verlassen, wie sein Vater
Jerusalem und ihn selbst verließ, und ihr werdet ebenso unerbittlich
wie die Juden "der ewigen Schmach und der ewigen Schande, die niemals
vergessen wird" (5), ausgeliefert sein.
Seht ihr denn nicht, daß wir von nun an die Tischgenossen beim selben
Mahl der Schande sind, und daß wir gemeinsam unter der Geißel des
Eintreibers gehen?
Haben denn eure Gelehrten, die euch nun so lange schon unterrichten,
nicht begriffen, daß die beiden Hurenschwestern, von denen Ezechiel
spricht, Jerusalem und Samaria überlebt haben, daß sie immer leben in
der Ewigkeit des Symbols, und daß sie heute Synagoge und Kirche heißen?
"Weil du auf dem Wege deiner Schwester
gegangen bist, sprach Gott, der Herr, zur Jüngeren, so will ich ihren
Kelch in deine Hand geben.
Du wirst den Kelch deiner Schwester trinken, den weiten und tiefen Kelch, du wirst wohnen in Spott und großem Hohn ...
Du wirst voll sein von Trunkenheit und Schmerz durch diesen Kelch der
Trauer und der Trübsal, den Kelch deiner älteren Schwester, der Hüterin
ohne Treue, die sich befleckt hat mit dem Schmutz der Völker.
Du wirst ihn trinken und ihn leeren bis zur Bodenhefe, du wirst seine Scherben verschlingen und dir die Brüste zerreißen ...
Und ihr werdet beide ausgeliefert sein der Empörung und dem Raub,
gesteinigt von allen Völkern und getrieben in die Schneide ihrer
Schwerter" (6)
Er wird sich dann einen Steinwurf weit von euch zurückziehen (7),
dieser Erlöser, der ohnmächtig war, euch aufzuwecken, und eure Seelen
werden von ihm verlassen sein wie die Tabernakel seiner Altäre am Tage
der Qual, am Freitag der Klage.
Verlassen von Dem, der eure Stärke und eure Hoffnung ist, wird das
Weltall, erstarrend vor Entsetzen, die unenthüllbare Qual des Heiligen
Geistes schauen, der von den Gliedern Jesu Christi verfolgt wird.
Die Passion wird von neuem beginnen, nicht mehr inmitten eines wilden
und verabscheuten Volkes, sondern am Kreuzweg und am Nabel aller
Völker, und die Weisen werden begreifen, daß Gott seine Quellen nicht
verschlossen hat, sondern daß das Evangelium des Blutes, das sie für
das Ende der Offenbarungen hielten, seinerseits wie ein Altes Testament
ist, das den Tröster des Feuers verkünden soll.
Dieser unerhörte Besucher, den ich seit viertausend Jahren erwarte,
wird keine Freunde haben, und sein Elend wird die Bettler den Königen
gleichmachen.
Er wird der Dunghaufen sein, auf dem der arme Idumäer saß und seine
Schwären auskratzte. Man wird sich über ihn beugen, um den tiefsten
Grund des Leidens und der Verworfenheit zu erblicken.
Bei seinem Nahen wird sich die Sonne in Finsternis und der Mond in Blut
verwandeln; die stolzen Ströme werden zurückweichen wie scheuende
Pferde; die Mauern der Paläste und die Mauern der Zuchthäuser werden
vor Angst schwitzen.
Die verwesenden Leichen werden mit duftenden Essenzen übergossen, die
man kühnen Seefahrern abkauft, um sich gegen ihren Pesthauch zu
schützen, und in der Hoffnung, ihrer Berührung zu entgehen, werden die
Vergifter der Armen oder die Mörder der Kinder rufen: "Ihr Berge,
fallet über uns!"
Nachdem der Ekel das Mitleid vernichtet hat, wird er sogar den Zorn
töten, und dieser Geächtetste unter allen Geächteten wird
stillschweigend noch von den mildesten Richtern verdammt werden.
Jesus hatte von den Juden nur den Haß geerntet, und welch einen Haß!
Die Christen werden dem Tröster das in Fülle geben, was den Haß noch
übertrifft. Er ist so sehr der Feind, so sehr mit diesem Luzifer, der
Fürst der Finsternis genannt wurde, eins, daß es selbst in seliger
Schau fast unmöglich ist, sie zu trennen. Wer es fassen kann, der fasse
es. (8)
Die Mutter Christi ist die Braut dieses Unbekannten genannt worden, den
die Kirche fürchtet, und sicherlich wird aus diesem Grunde die
allerweiseste Jungfrau unter dem Namen "Morgenstern" und "Geistliches
Gefäß" angerufen.
Um die "Entfesselung" des Abgrundes herbeizuführen, wird die Kirche der
Märtyrer und Bekenner, die zu den Füßen Mariens kniet, gegen den
Schöpfer-Geist mit einer friedenshungrigen Wildheit die Entfesselung
der Synagoge erneuern müssen.
Das Herz der Menschen aber würde verdorren schon beim Gedanken an diese
glühende Sonnenwende des Sommers der Welt, in der selbst die Wesenheit
des Feuers in den sieben Glutöfen der sieghaften Liebe murren wird, und
in der der geizige, so lange verfluchte und so lange mit Kot begossene
Feigenbaum endlich die einzige Frucht der Freude und des Trostes wird
spenden müssen, die das "Ausspeien" Gottes zu beendigen vermag.
Dann wird es ganz einfach sein, daß der Gekreuzigte herabsteigt, da das
Kreuz seiner Schmach mit Recht das ewige Bild und Gleichnis des
unsteten Befreiers ist, nach dem er neunzehn Jahrhunderte lang gerufen
hat, und dann wird man zweifellos auch verstehen, daß ich selbst dieses
Kreuz bin, vom Kopf bis zu den Füßen!
...
Denn das Heil der Welt ist an mich, an Israel, geheftet,
und von mir muß es "herabsteigen".
Antony , am Feste der Enthauptung des heiligen Johannes Baptista, 1892.
Léon Bloy (aus: "Das Heil durch die Juden" Wien und Leipzig 2002, S. 104 ff.)
Anmerkungen:
(1) Ãœberschrift und Motto von der Redaktion EINSICHT.
(2) Wie die Juden Christus gekreuzigt haben, als sie den Gottessohn,
das Wort (Joh. 1,1), der Gotteslästerung bezichtigten (Matth. 26, 65
f.), so wollen die modernen Christen heute den Hl. Geist zum Schweigen
verurteilen, als sie den Geist der Wahrheit abgewürgt und erdrosselt
haben, den Lebensspender, der gesandt wurde, uns "zur vollen Wahrheit"
zu führen. Und so kooperieren heute Synagoge und 'Konzils-Kirche' als
Verbündete des Verrats an Gott. Eberhard Heller
(3) Genesis, Kap. 6, 7.
(4) Johannes, Kap. 16, 7.
(5) Jeremias, Kap. 23, 40.
(6) Ezechiel, Kap. 23, 31-47.
(7) Lukas, Kap. 22, 4 1.
(8) Diese Zeilen hatten die Ehre, einen Jesuiten zu ärgern, der
behauptete, solche Anschauungen zerstörten das Dogma. "Ist das eine
metaphorische Angleichung oder eine absolute Behauptung?" Mit dieser
Frage zog er wie Popilius Laenas einen Kreis um mich. Wie soll man
einem Kopf, der mit Formeln vollgestopft ist, klar machen, daß die
Schwierigkeit aufhört, und der Kreis zum Beispiel sofort durchbrochen
ist, wenn man diese Stelle mit dem liturgischen Gebet am Karsamstag
vergleicht: "Lucifer, inquam, qui nescit occasum?" Die wenigen
Christen, die ihren Verstand noch gebrauchen, können feststellen, daß
es sich weder hier noch dort um eine Metapher handelt, noch weniger um
eine strikte Behauptung im Sinne der geoffenbarten Lehre, sondern
einfach darum, das Mysterium zu bestätigen, die Gegenwart des
Mysteriums, zum Ärgernis der Dummköpfe oder der pedantischen Theologen,
die behaupten, es sei doch alles ganz klar.