ÜBER DIE DEMUT
- NACHÖSTERLICHE BETRACHTUNGEN -
von
Eberhard Heller
Vor kurzem las ich in einer Kleinbroschüre die Geschichte eines
Flugschülers, der bei schwierigen Flugmanövern in Gefahr geriet. "Unter
Kontrolle bringen" war die Episode überschrieben. Mir fiel beim Lesen
gleich auf, daß sie als Parabel recht dienlich sein könnte, um jene
Tugend zu illustrieren, an der man einen katholischen Christen am
eindeutigsten erkennen kann. Hier zunächst der Bericht:
»Ein Pilot der Royal Air Force
berichtet: Jedem Flugschüler wird beigebracht, daß zu langsames Fliegen
zum "Trudeln" führt, bei dem man mit dem Flugzeug wie ein Baumblatt
herunterwirbelt. Ich werde den Tag nie vergessen, an dem mein
Fluglehrer sagte: "Nun werden wir diese Übung einmal machen." Neben mir
auf dem Flügel sitzend, erklärte er mir alles haargenau und sagte dann:
"Nun starten wir und versuchen es!" Er nahm hinter mir Platz und so
stiegen wir über unbewohntem Gebiet bis auf etwa 4 000 m Höhe. Der
Flugplatz lag nur noch etwa so klein wie eine Zündholzschachtel unter
uns. Es war leicht, die Maschine ins Trudeln zu bringen. Man braucht
nur bei gedrosseltem Motor langsam den Steuerknüppel nach hinten zu
ziehen, um die Fahrt zu verlangsamen und dann mit dem Seitenruder das
Trudeln einzuleiten. Aber als mir der Instruktor die Anweisung gab, die
Steuer wieder in die Ausgangslage zu bringen, gelang mir dies nicht
sofort. Der Erdboden kam mit rasender Schnelligkeit auf uns zu, und der
Steuerknüppel vibrierte, als wir durch die Luft wirbelten. Einige
Sekunden, und ich brach in Angstschweiß aus, während ich vergeblich die
Steuer betätigte. Offensichtlich machte ich alles verkehrt. Bis eine
ernste Stimme in meinem Kopfhörer ertönte: "Ich übernehme!"«
Um die Parabel abzuschließen: der Flugschüler nahm die (aktuell
notwendige) Hilfe an, wohl wissend, daß er momentan selbst nicht mehr
in der Lage war, sich durch eigene Kraft aus dieser prekären Situation
heil herauszumanövrieren.
Wenn man seine Mitmenschen fragt, was sie unter Demut verstehen, kann
man häufig die Meinung antreffen, daß sie damit eher negative
Eigenschaften verbinden. Zu einer etwas genaueren Begriffsbestimmung
der Demut sind sie meist nicht in der Lage. Sie assoziieren damit
häufig Unterwürfigkeit oder Verzicht auf Eigenständigkeit, also
Charakteristika, die doch eigentlich nicht angetan sein dürften, jene
Tugend zu beschreiben, die einen katholischen Christen auszeichnen
sollten. Versuchen wir aber einmal, uns von diesen negativen Aspekten
aus einer genaueren Klärung her zu nähern.
Auch wenn sich vieles in uns gegen solche Beurteilung streubt,
beschreiben die aufgeführten Merkmale dennoch etwas von dem, was in der
Tat zur Demut hinzugehört: Ich ergebe mich in den Willen eines anderen,
ich vertraue mich ihm an, ich beschränke mein eigenes Handeln, setze
nicht ausschließlich auf meine eigene Leistungsfähigkeit. All diese
Momente beschreiben die Demut, nur von der negativen Seite. Um diese
Tugend positiv zu beschreiben, müßte der Grund für all das eigene
Einschränken, Verzichten angegeben werden. Zur Selbstbeschränkung müßte
ein Leistungsangebot in Korrelation stehen. Ihr muß also ein
entscheidendes Angebot entsprechen, welches einen legitimen Grund
liefert, zu sehen, daß und warum ich in ganz bestimmten Bereichen
eingeschränkt bin und deshalb aufgefordert bin, auf dieses Angebot
einzugehen. In der Tat: es besteht darin, daß mir eine Leistung
offeriert wird, zu deren Vollzug ich selbst unfähig bin, (n.b. weil ich
mich dazu selbst unfähig gemacht habe), auf die ich aber in absoluter
Hinsicht angewiesen bin. Dabei geht es also nicht darum zu sehen, daß
ich dazu nur aktuell unvermögend bin, sondern der Sachverhalt
präsentiert sich so, daß ich, daß wir alle zu seinem Vollzug
prinzipiell unfähig sind... uns nämlich in diesem Punkt aus eigener
Kraft zu helfen, uns zu retten, zu erlösen. Unsere Parabel stößt hier
auf die Grenzen ihrer Aussagefähigkeit: anders als in dem Beispiel mit
dem Flugschüler, der ja, wenn er den Vorgang des Trudelns meistert,
sich selbst aus dieser gefährlichen Situation heraushelfen kann, wäre
in dem hier anvisierten Fall eine Hilfsaktion vorzustellen, zu deren
Ausführung ich selbst (wir alle) grundsätzlich nicht mehr in der Lage
wäre(n). Und meine 'Gegenleistung' bestünde darin, diesen Sachverhalt
anzuerkennen und die angebotene Hilfe anzunehmen.
In welchem Bereich, in welchem Zustand bin ich (prinzipiell) nicht mehr
in der Lage, mir zu helfen, mich zu retten, weswegen ich auf Rettung
angewiesen bin? Ich habe aus Schwachheit gesündigt, habe mich durch
eigenes Verschulden gegen den Willen Gottes gestellt, in dem ich, in
dem wir alle - Maria ausgenommen! - in die Sünde eingewilligt haben.
Die Sehnsucht nach der Erlösung aus diesem Elend der Sünde kann noch so
groß sein, selbst sind wir unfähig, wieder unser Heil zu wirken, wir
haben uns ursprünglich unfähig gemacht, uns zu entsühnen, das Böse, das
Unrecht ungesche-hen zu machen, wieder zu wenden. Gott kam auch deshalb
in diese Welt, um uns durch seinen Opfertod wieder mit sich zu
versöhnen. Er, der Sündenlose, der absolut Heilige, nahm unsere Sün-den
von uns auf sich, aus Über-Liebe, aus Sühne-Liebe. Er hat uns dadurch
das reale Angebot der Erlösung gemacht, in das wir nur einwilligen
brauchen, um den Bund mit Ihm wieder schließen zu können, d.h. wieder
im Heil zu stehen. Der hl. Paulus definiert diese Sühneleistung: "Der
von keiner Sünde wußte, den ließ Er zur Sünde werden, damit wir zur
Gerechtigkeit Gottes werden in ihm." (II. Kor. 5,21)
Was heißt nun Demut im eigentlich religiösen Sinn? Demut heißt, sich
einzugestehen, heißt anzuerkennen, daß man aufgrund seiner
Sündhaftigkeit prinzipiell nicht in der Lage ist, sein Heil selbst
wieder zu wirken und daß man auf die Erlösungstat Christi absolut
angewiesen ist! Demut heißt deshalb auch, Verzicht tun auf alle
Selbstherrlichkeit, auf alle Anstrengungen für eine eigene
Selbsterlösung, auf alles Überschätzen des eigenen Ichs. Und dieser
Gott - selbst demütig von Herzen - bittet uns, Sein Opfer anzunehmen.
Denn Christus kam in diese Welt, um zu dienen. Der Evangelist Matthäus
schreibt: "Jesus sprach zu den Aposteln: Ihr wißt, daß die Fürsten der
Völker über dieselben herrschen, und die Großen Gewalt über sie
ausüben. Nicht so soll es unter euch sein; sondern wer immer unter euch
groß werden will, der sei euer Diener, und wer unter euch der erste
sein will, der sei euer Knecht, gleichwie der Menschensohn nicht
gekommen ist, sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen." (Matth.
10,25-28) Und dadurch, daß wir dieses Opfer annehmen, erweist sich
unsere Demut, werden wir gleichsam wieder zu auf Hilfe angewiesene
Kindern, denn nur ihnen steht nach Christi Verheißung der Weg ins
Himmelreich offen. Man kann es auch in folgendem Paradox formulieren:
wir beweisen Größe (und Weisheit), indem wir unsere Hilfsbedürftigkeit
vor Gott bekennen. "Denn wer sein Leben retten will" - d.h. der es an
Gott vorbei oder gegen ihn retten will -, "der wird es verlieren". (Lk.
9,24)
Zeitgenossen, denen der christliche Glaube fremd ist, werfen
gelegentlich gläubigen Christen ihre Demut als Schwäche vor. Ein Christ
weiß aber, daß Demut nie ein Zeichen von Schwäche ist, im Gegenteil!
Sie muß erst den Stolz in uns überwinden, der seine ganze Vermessenheit
auskosten will und den Widerhall der alten Schlange in sich nachklingen
läßt, nämlich sein zu wollen wie Gott. Und von da her erhalten alle
Versuche, sich selbst zu erlösen, einen anti-christlichen Aspekt, sei
es nun die 'Heilsbotschaften' von New Age, die durch ideologische
Schattenspiele das selbsterlangte Heil vorgaukelen, sei es die
Vorstellung der Scientologen, die durch Psychotraining den Zustand
"clean" erreichen wollen, in dem sie von allem unabhängig sein wollen.
Mit Seiner Auferstehung aber hat Christus den Tod überwunden, nicht nur
den Seinigen, auch den unsrigen, den geistigen Tod, das absolute
Unheil, das wir uns eigentlich durch unsere Sünden zugezogen haben.
Denn an Ostern sind die Früchte Seines Opfers für uns zur Gewißheit
geworden. Er steht vor unserer Tür und bittet darum, eingelassen zu
werden... und wir sollten Ihn abweisen wie einen Hausierer?!
***
Vom hl. Pfarrer von Ars
Ein Freidenker kam einmal zum heiligen Pfarrer von Ars und erklärte
ihm, daß es Glaubenssätze gebe, die er unmöglich glauben könne: "Zum
Beispiel die Ewigkeit der Strafe." - "Mein Freund, ich rate Ihnen,
sprechen Sie nie über Religion." - "Und warum sollte ich nicht darüber
sprechen?" - "Weil Sie zuerst den Katechismus lernen müßten!" - "Was
sagt der Katechismus?" - "Daß man dem Evangelium glauben müsse, weil es
das Wort Gottes ist. Glauben Sie an das Evangelium?" - "Freilich, Herr
Pfarrer." - "Nun gut, das Evangelium sagt: 'Hinweg von mir ins ewige
Feuer!' (Mt 25, 41). Was wollen Sie noch mehr? Mir scheint, das ist
doch klar genug!"
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