PSYCHOTHERAPIE ALS METHODE DER GLAUBENSZERSETZUNG
– Interview mit Prof. Dr. William Coulson –
(aus: THE REIGN OF MARY, Nr. 84, 1996)
übersetzt von Eugen Golla
eingeleitet von Eberhard Heller
Vorbemerkung der Redaktion EINSICHT
Ähnlich wie der jüdische Arzt Dr. Nathanson, dem nach zahlreichen, von
ihm selbst durchgeführten Abtreibungen erst durch ein schreckliches
Erlebnis beim Filmen einer Abtreibung (bekannt geworden unter dem Titel
"Der stumme Schrei") blitzartig das absolut Verwerfliche seines
Handelns bewußt wurde und der seitdem Aufklärungskampagnen in enger
Zusammenarbeit mit den Lebensrechtsgruppen in aller Welt startete, der
sogar vor einiger Zeit die Absicht äußerte, zum katholischen Glauben zu
konvertieren, so reagierte auch der Psychotherapeut Dr. Coulson,
nachdem er das verheerende Ergebnis der von ihm angewandten
"non-direktiven" Therapie (vergleichbar der Gesprächs- oder der
Gruppentherapie 1) - basierend auf der sog. "humanistischen
Psychologie" - gesehen hatte, und wurde zum berufenen Aufklärer gegen
diese Methode.
Mir liegen zwei Interviews vor, die Herr Coulson einmal mit dem
bekannten amerikanischen Autor und Rundfunksprecher Dr. Willam Marra,
der zugleich seit über 35 Jahren Professor für Philosophie an der New
Yorker Fordham Universität ist, geführt hat, 2) und zum anderen dem
Redakteur von THE REIGN OF MARY, Fr. Casimir Puskorius CMRI, gegeben
hat. Ich stütze mich hier auf das Gespräch von Coulson mit dem
Redakteur von THE REIGN OF MARY 3), welches Herr Golla für die EINSICHT
übersetzt und gekürzt hat. Sofern sachliche Ergänzungen nötig waren,
habe ich mich auf das Interview mit Dr. Marra gestützt und Auszüge
davon als Anmerkungen beigegeben. 4) In diesen Interviews diskutiert
Dr. Coulson über seine Rolle bei der Zerstörung katholischer Orden und
seinen nachfolgenden Gesinnungswandel.
Eberhard Heller
***
Um die Tragweite dessen, was durch die Anwendung der "non-direktiven"
Therapie als Methode der "humanistischen Psychologie" erreicht wurde,
ist es notwendig, einiges über die Begründer dieser Psychologie und
ihrer Therapie, Carl Rogers (1902-1987) und Abraham Maslow (1908-1970),
über diese selbst und über Coulson und seine Adaption der
"humanistischen Psychologie" zu bringen.
Rogers war der frühere Präsident der "American Psychological
Association", er hatte dessen ersten "Distinguished Scientific
Contribution Award" gewonnen. Er war der bekannteste amerikanische
Psychologe seiner Zeit und glaubte, daß jeder Mensch von sich aus
absolut gut sei. An der Universität von Chicago, wo er seine
bedeutendste Arbeit geleistet hatte, fand Rogers heraus, daß die jungen
Leute, die er beriet, ihn nicht wirklich brauchten, um Antworten zu
finden, die Antworten steckten in ihnen selbst. Daher hatte Rogers -
wie Coulson sagte -, die Idee, diesen Neurotikern zu helfen, indem er
sie der Quelle ihrer eigenen Autorität zuführen würde: ihrem
(subjektiven) Gewissen. Fehlt aber die Gewissensausbildung, dann ist
die entscheidende Autorität das subjektive Wertgefühl ohne absolut
verbindliche Normen, religiös gesprochen: ohne Verankerung in Gott. Ist
aber das ICH das absolut Normative, fällt auch jede andere Autorität.
Verhältnisse wie Eltern – Kinder, Lehrer – Schüler, Oberer –
Untergebener, also alle Abhängigkeitsverhältnisse fallen in sich
zusammen. Die Humanistische Psychologie geht nicht von einer
Veränderung der menschlichen Natur aus, sondern von John Deweys Idee,
daß, weil wir in einer Zeit des schnellen sozialen Wandels leben, das,
was wir immer gemacht haben, genau das ist, was wir nicht länger tun
sollten. Wie Coulson weiter ausführt: "Nun, das Komische ist, daß wir
seit rund 100 Jahren der Theorie Deweys entsprechend leben. Wir leben
in Deweys Vergangenheit und nicht in unserer eigenen Gegenwart." 5)
Das Entscheidende dieser Psychologie ist also die eigene Selbstfindung
unter der Normativität des eigenen Ichs, das sich selbst seine eigenen
Maßstäbe setzt - vom philosophischen Ansatz vielleicht vergleichbar in
diesem Punkt mit dem Systemansatz Satres. Die Methode dieser
Selbstfindung, die in den 60igern zum großen Reizthema hochgespielt
wurde, war die unvollständig durchgeführte Selbstreflexion, die sich
schließlich in sich verliert und vergißt, auf ihren Gegenstand (auf
ihre Aufgabe) zu schauen. Einfach ausgedrückt, war es die Aufgabe des
Therapeuten, die Probanden dahin zu bringen, sich mit sich
ausschließlich mit sich selbst zu beschäftigen, um ihnen die
Unmittelbarkeit ihres eigenen Ichs zu rauben, bis sie sich zum Schluß
in ihren Lieblingsideen (frei von irgend einer Bindung) verstrickt
hatten.
Um diese Methode zu illustrieren, greife ich auf eine Parabel vom
Tausendfüßler zurück: Als dieser wieder einmal auf allen Vieren -
pardon: auf allen tausend Füßen unterwegs war, traf er eine Ameise.
"Oh", sagte diese, "es ist doch erstaunlich, wie wunderbar gleichmäßig
du mit sovielen Füßen gehen kannst, da du doch immer alle Fußbewegungen
im Kopf haben mußt." – "Wieso?" fragte der Tausendfüßler, "ich laufe
einfach so darauflos, ohne mir große Gedanken zu machen." – "Das gibt's
doch nicht!" entgegnete die Ameise, "man muß doch wissen, was man tut,
und ich habe schon so große Schwierigkeiten, meine acht Beine unter
Kontrolle zu halten und zu wissen, welcher Fuß gerade wo aufsetzt. Ja,
weiß du denn nicht, wo dein 546. Fuß ist, wenn du mit dem 349.
aufsetzt?" – "Nein", sagte der Tausendfüßler, "da muß ich erst einmal
darüber nachdenken." Und er dachte nach, und dachte... und vergaß das
Laufen. Er kam nicht mehr weiter, bis er schließlich vor lauter Grübeln
verhungerte.
Eine der Annahmen Rogers war, daß wenn seine Therapie für Neurotiker
erfolgreich war, sie dies auch für psychisch gesunde Personen sein
müsse. 6) "Der Beweis der Authenzität im Modell der Humanistischen
Psychologie besteht darin, sich gegen das zu stellen, was man gelernt
hat zu sein, all das Heuchelei zu nennen und das zu sagen, was zutiefst
in einem liegt. Was jedoch zutiefst in einem liegt, sind unerfüllte
Sehnsüchte, die auch sexuelle Sehnsüchte einschließen. Wir riefen eine
Epidemie sexuellen Fehlverhaltens unter dem Klerus und den Therapeuten
hervor. Und es schien durch Psychologie, die eine Wissenschaft zu sein
scheint, gerechtfertigt zu sein." 7)
Der bereits erwähnte Maslow hatte vor der Autonomie des Ichs gewarnt.
Coulson führt dazu aus: "Maslow glaubte an das Schlechte und wir nicht.
Er sagte, unser Problem sei unsere absolute Verwirrung über das Böse.
Maslow sagte, die Gefahr liege in unserem Denken und Handeln, als ob es
nicht bereits genug Paranoide oder Psychopathen in der Welt gebe, die
schon genug Schaden anrichteten." – "Wenn wir den Leuten zu verstehen
gaben, daß sie ihren Impulsen vertrauen könnten, verstanden sie auch,
daß sie den negativen Impulsen vertrauen könnten, daß diese nicht
wirklich böse seien." Allerdings spricht Coulson auch die Grenzen der
Maslowschen Einwände an: "Maslow schrieb sein Buch "Religions,
Values, and Peak Experiences" (Religion, Werte und Schlüsselerlebnisse)
1964, in dem er fast eine bestimmte Art von Humanistischer Psychologie
als eine bessere Religion anbietet. Sogar gegen Ende seines Lebens
schrieb er in seinen Tagebüchern: 'Sie sind nicht religiös genug für
meinen Geschmack' als er sich auf diejenigen bezog, die er Priester und
Geistliche nannte. Maslow glaubte in seinem Atheismus, daß er
religiöser war, als die Leute der institutionalisierten Religionen." 8)
Coulson studierte in den 50igern an der katholischen Universität Notre
Dame (in der Nähe von Wisconsin) Philosophie und Psychologie. Er bekam
dort nach eigenem Bezeugen "eine gute Ausbildung in Thomistischer
Philosophie". Seine philosophische Dissertation schrieb er über Carl
Rogers' Theorie der menschlichen Natur. Er wollte Rogers Theorie mit
der von B.F. Skinner, dem bekannten Behavioristen, und mit Sigmund
Freuds Psychoanalyse vergleichen. 1963 lernte er Rogers in Wisconsin
kennen, der ihm ein Stipendium für ein staatliches Forschungsprojekt
besorgte, weswegen er auch seine Dissertation in Wisconsin beendete.
Coulson wurde Anhänger von Carl Rogers "non-direktiver" Therapie 9). Zu
jener Zeit war Rogers am Psychiatrischen Institut der Universität von
Wisconsin. Er hatte von den "National Institutes of Mental Health"
finanzielle Hilfe erhalten, um seine "non-direktive" Therapie zu
testen. 1964 wurde er Rogers' Personalchef in La Jolla, Kalifornien,
und 1968 Leiter von Rogers' "Western Behavioral Sciences Institute's
Center for Studies of the Person" (WBSI), wo es seine Aufgabe wurde,
"ein Kader von Animateuren zu sammeln, um die "Immaculate Heart of Mary
(IHM)-Gemeinde" von Nonnen - und später über 20 andere Orden, unter
ihnen die "Sisters of Mercy", die "Sisters of Providence" und die
Gesellschaft Jesu mit ihrer Therapie zu bearbeiten, indem sie die
Ordensangehörigen zunächst dazu brachten, über ihre Sorgen zu sprechen,
die dann schließlich nur noch über sich selbst reflektierten. 10) Erst
im Jahre 1971 setzte sich die Einsicht bei Coulson durch - gelegentlich
auch bei Rogers -, daß er mit der "non-direktiven" Therapie großen
Schaden angerichtet hatte. Sein 'Glaube' an die Psychotherapie kam ins
Wanken, als ihm die destruktiven Auswirkungen auf die religiösen Orden,
auf die Kirche und Gesellschaft bewußt wurden. Die Ordensangehörigen
fielen scharenweis vom Glauben ab, einfache Leute frönten nur noch
ihren Gelüsten - auf Kosten der Kinder, die als Störenfriede teilweise
gemordet wurden. Coulson gab seine Arbeit auf und hielt ab da vor
katholischen und protestantischen Gruppen Vorträge über die Gefahren
der Psychotherapie. Er ist Gründer und Direktor des "Research Council
on Ethnopsychology"(P.O. Box 134, Compiche, CA 95427).
Auf die Motive, die ihn bewegt hatten, bei diesem Projekt der Anwendung
der "non-direktiven" Therapie doch so lange mitzuarbeiten, gab Prof.
Coulson in dem Gespräch mit Dr. Marra folgende Antwort: "Maslow bezog
sich auf [die Humunistische Psychologie] als Dritten Weg. Dadurch
wollte er sie Freud, dem Ersten Weg und Skinner und Watson, dem
Behaviorismus also, dem Zweiten Weg, gegenüberstellen. Wir Katholiken,
die wir darin involviert waren, dachten, diese dritte Kraft würde
katholische Dinge in Betracht ziehen. Wir dachten, sie würde
einbeziehen, daß jede Person wertvoll sei, daß wir nicht nur
korrumpiert sind, wie Freud das sah, oder eine tabula rasa wären, die
auf jede Art, die der Behaviorist wählt, konditionierbar sei; sondern
wir hätten ein menschliches Potential und das ist glorios, weil wir die
Kinder eines uns liebenden Schöpfers seien, der mit jedem von uns etwas
Großartiges vorhat. Das könnte selbst für Katholiken sehr verführerisch
sein, die die anderen beiden psychologischen Richtungen mit einer
einfachen Handbewegung abtun würden." 11) An anderer Stelle sagt er:
"Sehen Sie, als praktizierender katholischer Laie erschien mir das
Ganze ziemlich heilig: Gott war für jeden Menschen da, der eine gute
Erziehung hatte, so daß er ihn selbst konsultieren konnte, und Gott
sprechen hören konnte. Ich dachte an William James' Idee, daß das
Gewissen Zugang zum Heiligen Geist verschaffen könne." 12)
Selbstverständlich spielten auch die Zielvorgaben und die Trends, die
durch das sog. II. Vatikanum und später in seinem sog. 'Geist' kreiert
und propagiert wurden, für Coulson eine große Rolle. Das Schlagwort von
der Selbstfindung, dem Aufbruch zu neuen Ufern machte die Runde. Der
gedankliche Horizont vom sog. II. Vatikanum und sein Umfeld wurden so
zunächst zum entscheidenden Vehikel für die Therapierung der Orden, die
ihrerseits ja auch dem Geist des Progressismus verfallen waren und in
dem Glauben lebten, mit der Behandlung des individuellen Ichs (in
Gruppentherapie) zu den berühmten neuen Ufern unterwegs zu sein. 13)
Rogers und Coulson arbeiteten mit Dutzenden von religiösen
Organisationen zusammen, weil "in der Aufregung, die dem II.
Vatikanischen Konzil folgte, jeder Erneuerung und Modernisierung
wollte. Und wir boten den Leuten einen Weg der Erneuerung, ohne daß sie
sich bemühen mußten, zu studieren. Wir sagten, wir helfen ihnen, nach
innen zu schauen. Ist nicht Gott in eueren Herzen? Genügt es nicht,
wenn ihr ihr selbst seid, und würde das nicht gute Katholiken aus euch
machen? Und wenn dies nicht der Fall ist, solltet ihr vielleicht gar
keine Katholiken sein. Nun, nach kurzer Zeit waren keine Katholiken
mehr übrig." 14) Ähnlich verheerende Wirkungen belegt Coulson auch für
die moralischen Programme, die durch das sog. II. Vatikanum eingeläutet
wurden: "Wissen Sie, daß eine der Zeitbomben des II. Vatikanischen
Konzils eine einzige Zeile war: 'Im Laufe der Jahre sollten Kinder eine
positive und vorsichtige Sexualaufklärung erhalten.' Es wurde nie
gesagt, wir bräuchten eine Sexualaufklärung in der Schule. Aber
aufgrund dieser einzigen verdammten Zeile wurde das gesamte katholische
Schulsystem mit diesem Zeug überschwemmt. Ein Problem ist, daß Kinder
nicht die Intelligenz von Erwachsenen haben. Früher war dies der Fall.
Wir stellten ihnen unsere Augen zur Verfügung. Wir sagen ihnen: 'Seht
die Welt, wie wir sie sehen; aufmerksam, aufmerksam. Hört, was wir
hören, aufmerksam.' Aber heutzutage bringt man Kindern bei, daß sie das
Falsche zum Richtigen machen können, wenn sie es so wollen, solange sie
nur aufrichtig sind in ihrer Wahl." 15)
Wenn man sich diese Vorgänge vor Augen hält und überlegt, daß ganze
Klostergemeinschaften und die mit ihnen zusammenhängenden Schul- und
Hochschulsysteme - in Amerika sind katholische Kinder darauf
angewiesen, eine Erziehung in einem katholischen Institut zu erhalten,
weil die staatlichen glaubensfeindlich/glaubensneutral ausgerichtet
sind - zusammenbrachen, kollabierten, 'nur' weil ihnen ein paar
Therapeuten eingebläut hatten, daß sie ihre Werthaftigkeit in sich
selbst trügen und daß sie nur einmal über ihre eigene Situation
intensiv nachdenken sollten, dann könnte man vielleicht auf die Idee
kommen: so etwas könne nur in Amerika, nie aber im gebildeteren
europäischen Abendland mit seiner alten kulturellen Verwurzeltheit
passieren. Ich warne vor Vermessenheit: hier lief der Abfall (und die
religiöse Gleichgültigkeit) nicht über moderne psycho-therapeutische,
sondern über irrige, theologisch unhaltbare Konzepte. Wie konnte man
bei uns auf die Meinung hereinfallen, daß die kath. Kirche nur eines
der vielen Bekenntnisse sei, mit denen man sich auf eine gemeinsame
Position einigen müsse, selbstverständlich unter Aufgabe der eigenen
katholischen. Wie konnte man sich auf die widervernünftige Meinung
einlassen, die von Mgr. Wojtyla verbreitet wird, daß auch die
Mohammedaner den gleichen Gott anbeten wie wir Christen, wo doch
Christus ausdrücklich gesagt hatte, keiner käme zum Vater außer durch
Ihn (Jo. 14,6); denn "wer den Sohn nicht hat, hat auch den Vater nicht"
(1 Jo. 2,23), und wo es doch absolut einsichtig ist, daß mit dem
profanen Terminus "Gott" unterschiedlichste Inhalte verbunden werden?
Aber all die völlig durchsichtigen, falschen Positionen konnten in
Amerika, konnten in Europa nur deshalb Einzug halten, weil es hüben wie
drüben an festen Glaubensüberzeugungen mangelte. Man glaubte nicht
mehr, daß das "Wort Fleisch geworden war" (Jo. 1,14), daß Christus Gott
und Mensch zugleich war.
***
Nachstehend folgt die Übersetzung dieses Interviews mit Fr. Puskorius in gekürzter Form:
Fr. Puskorius: Können Sie die
geistige Schädigung erläutern, die über die Nonnen vom "Immaculate
Heart of Mary (IHM) (Unbefleckten Herzens Mariae) [d.i. jener Orden, an
dem Coulson die therapeutischen Experimente durchführte] als Folge der
"non-direktiven" Therapie von Carl Rogers kam? 16)
Dr. Coulson: Kein menschliches
Leben ist möglich ohne Autorität. Der Testfall hierfür ist die
Erlernung von Sprachen. Es ist nicht möglich für Eltern, ihren Kindern
zu sagen "Wir wollen, daß ihr die Sprache nach eurer Wahl sprecht, die
nicht unsere sein muß." Sogar dies kann einem Kind nur dann gesagt
werden, wenn es ihre Sprache sprechen gelernt hatte.
Was wir mit dieser Therapie taten, was Erfolg versprach, war, die
Autorität der Kirche durch unsere eigene Autorität als
Psychotherapeuten zu ersetzen. 17) Wir brachten jedermann dazu, sich zu
benehmen, als wäre er ein Patient der Psychotherapie. Wir liebten nicht
den Ausdruck "Patient", (...) aber wir beschlagnahmten deren
menschliche Persönlichkeit. Wir sagten: "Wir wissen, was eine Person
sein soll - Ihre Gefühle zu erforschen und auszudrücken." Für Lehren
war einfach kein Platz. Wir versuchten nicht, die Lehre zu vernichten,
wir ignorierten sie einfach. Wenn die Priester und Nonnen, mit denen
wir arbeiteten, eine Lehre aufbrachten, pflegten wir tatsächlich zu
sagen: "Danke für die Teilnahme" mit der Folgerung "Haben Sie nicht
etwas Wirklicheres, um darüber zu sprechen - wobei wir etwas
Persönlicheres, vielleicht "Beruhigenderes" meinten. 18)
Fr. Puskorius: Können Sie den Verfall der Schwestern vom Unbefleckten Herzen Mariae beschreiben? 19)
Dr. Coulson: Wir begannen mit
den Nonnen Mitte der 60ger-Jahre zu arbeiten. Einmal bildeten wir eine
Versuchsgruppe in ihrem Exerzitienhaus und im Jahre darauf stießen wir
auf eine Gruppe von sämtlichen Abgeordneten für ihr Kapitel - die große
Reorganisation, die nach dem Vatikanum II zu versuchen ihnen
aufgetragen worden war. Von da an schritten wir vorwärts, indem wir in
allen Schulen Begegnungsgruppen bildeten. Es gab bei unserem Beginn 9
Schulen vom Unbefleckten Herzen - weniger als eineinhalb Jahre nach
unserer Dazwischenkunft hatten sie zwei hinterlassen. Der
Kardinal-Erzbischof McIntyre von Los Angeles nahm ihnen ihre Schulen,
denn er liebte nicht, was er sah. Die Schwestern vermochte man
tatsächlich nicht mehr als Nonnen zu erkennen, sie spielten die Rolle
von Therapie-Patienten. 20)
Fr. Puskorius: Brachten Sie die Nonnen vom Unbefleckten Herzen dazu, bei sich selbst und ihren Problemen zu verweilen?
Dr. Coulson: Das war
genau das, was wir taten. Und wenn sie es nicht wollten, pflegten wir
zu denken, sie seien "schlüpfrig" und würden besser werden, wenn wir
sie veranlaßten, es zu tun.
Fr. Puskorius: Und doch waren sie am glücklichsten, wenn sie weniger über sich nachdachten und mehr über Gott und die Rettung der Seele.
Dr. Coulson: Jawohl - "Vergiß' dich", "Opfere es auf", war immer ein guter Rat.
Fr. Puskorius: Haben Sie sich
nicht selbst eingestanden was sie diesen Nonnen antaten? Konnten Sie
zugeben, daß eine kausale Verbindung zwischen der Therapie und ihrer
Zerstörung als religiöser Orden bestand?
Dr. Coulson: Ja, wir konnten
es. Aber damals sahen wir es wahrscheinlich als eine gute Sache an. Wir
erleichterten wenigstens die Aktion, aber wir dachten: "Was ist daran
falsch? Sie sind jetzt frei, was sie zuvor nicht waren. Sie mußten sich
vorher alle gleich kleiden und nun können sie ihr Haar in Locken
tragen, wenn sie es wollen." 21)
Fr. Puskorius: Aber Sie waren damals ein Katholik ...
Dr. Coulson: Jawohl, ich war
immer ein Katholik, aber ich war gefangen im ungestümen Geist, der dem
Vatikanum II folgenden Erneuerung - unsere Haltung war: "Etwas läuft,
schaut her und lauft mit uns."
Fr. Puskorius: Zurückkommend auf Carl Rogers, können Sie das Hauptproblem beschreiben oder Probleme mit der non-direktiven Therapie?
Dr. Coulson: Als Therapie war
sie nicht ganz schlecht, aber man muß etwas einschließen, wor-über
Rogers niemals schrieb, weil er es lebte. Er sagte mir einst in einem
Interview auf Tonband, daß die Disziplin das Lebenselement sei, in
welchem er schwimme. Er sagte: "Wäre ich ein Fisch, so wollte ich nicht
wissen, daß ich mich im Wasser befinde. Disziplin ist mein Lebensweg."
Tatsächlich legte er eine Art von Disziplin seinen Klienten auf, ohne
sie jeweils zu realisieren. Man kam zu den Sitzungen von Rogers
rechtzeitig, oder man wurde nicht gesehen. Man ging weg, wenn er sagte:
"Unsere Zeit ist abgelaufen" - oder man wußte nicht, was passieren
könnte. Innerhalb dieses sehr strengen Rahmens konnte er liebend,
sorgend, verständnisvoll und großzügig sein - aber niemand tat etwas,
das er nicht wollte, daß man es tue. Dieser Aspekt seiner Therapie kam
nicht in seine Lehrbücher.
Fr. Puskorius: Mit anderen Worten: Man muß "nein" sagen können, und wenn man es nicht sagt, ist die Therapie schädlich.
Dr. Coulson: Das stimmt. Auch
Freud sagte so etwas wie dies. Ein "Ja" ist nur möglich innerhalb der
Grenzen eines ursprünglichen "Nein". Man kann nicht tun, was man will.
Fr. Puskorius: Können Sie den Trend, Psychologie anstelle von Religion zu setzen, erläutern?
Dr. Coulson: Das ist sehr
allgemein. Wir können ihn wenigstens auf die Epoche von John Dewey
zurückführen, möglicherweise auch früher. Er hatte die Idee, daß wir
eine demokratische Gesellschaft haben können, wenn wir demokratische
Klassenzimmer erhalten. Religiöse Klassenzimmer - Pfarrklassenzimmer -
waren am wenigsten demokratisch, sie waren hierarchisch gewesen. Die
Idee war, dies zu zerstören. Die Klassenzimmer der öffentlichen Schulen
waren im letzten Jahrhundert ebenso hierarchisch. Dewey gelang es,
diese Strukturen zu zerstören, aber der einzige Weg hinzu war, Schluß
zu machen, einen Gegenstand zu lehren. Diesem wohnt es inne, zu
unterscheiden zwschen dem, der es weiß, und dem, der es nicht weiß.
(...) Das Thema wurde fallengelassen, so daß jedermann gleichgestellt
wurde. Unsere Nation bringt junge Schüler hervor, von denen man nur
lachhaft sagen kann, sie seien gelehrt. Die amerikanischen Burschen
fahren fort, am Tabellenende eines internationalen Wettbewerbs nach dem
anderen zu erscheinen und dies deshalb, weil in den Schulen
therapeutische Psychologie anstelle der Religion gesetzt worden ist. 22)
Fr. Puskorius: Mit anderen
Worten, unsere Gesellschaft vergaß, wie die Realität zu akzeptieren und
das Kreuz zu tragen ist und jeder seine Grenzen anerkennen muß.
Dr. Coulson: Ja, und dies
scheint sehr gut für uns Katholiken zu sein, denn sie haben es
tatsächlich vergessen. Sie werden auf unsere Position zurückkommen
müssen, weil die andere nicht wirkt.
Fr. Puskorius: Gibt es also eine rechtmäßige Psychologie oder Psychotherapie?
Dr. Coulson: Jawohl, ich glaube
wirklich, daß jeder der Kummer hat, eine Gelegenheit haben muß, gehört
zu werden und nicht zu schnell auf unsere vorgezogene Lösung gelenkt
werden soll. Ein guter Therapeut vermag tatsächlich in der Therapie
seine Geschicklichkeit im Anhören und sein Wissen über gestörtes
Verhaltens anzuwenden. Ich bin kein Kritiker der Psychologie
graduierter Fachleute. Ich bin ein Kritiker der Amateurpsychotherapie,
besonders im Klassenzimmer und in der Kirche. Es gibt ausreichend Platz
für eine gute Psychologie. Ich kann mir keine bessere Autorität denken
als die des hl. Thomas v. Aquin.
Fr. Puskorius: Es besteht
heutzutage die geistige Gefahr, der unsere jungen Leute in den höheren
Schulen gegenüberstehen, denn man lehrt sie viele falsche Philosophien
und Psychologien, die zum Verlust von Glauben und/oder der Moral führen
könnten. Was können wir tun für unsere jungen Leute, um sie vor den
Gefahren zu schützen?
Dr. Coulson: Ich will
Ihnen die Lösung meines bevorzugten Psychiaters, der zufällig Dr. Rama
Coomaraswamy ist, geben. Er sagte, seinen eigenen Kindern geraten zu
haben, wissenschaftliche Kurse zu belegen, deren Antworten genau und
lehrbar seien. Was den Rest betrifft sagt er sei die Regel: "Bei einem
Ohr hinein und beim anderen hinaus." Nehmen Sie sich dieses Zeug nicht
zu Herzen. Man muß die Kinder aus jedem Gebiet, welches mit dem Risiko
behaftet ist, eine Konkurrenz zur Religion zu werden, herausbugsieren.
Gott gibt uns als Eltern die Gelegenheit zu wissen, was am besten für
unsere Kinder ist, und wir müssen darauf vertrauen und unseren Kindern
raten, nicht auf Gurus zu hören. 23)
Fr. Puskorius: Zurück zu Carl
Rogers und etwas, was Sie gestern erwähnten: "Wenn ich bei mir
verweile, bekomme ich Kummer." Können Sie erklären, warum der
Fehlschlag den Nonnen vom Unbefleckten Herzen Mariae soviel Leid
brachte? 24)
Dr. Coulson: Carl Rogers
sagte, daß er oft dann real (echt) fühle, wenn er entschieden Kummer
habe. Wir besitzen Anziehungskraft, wenn wir über unseren Kummer reden.
Simone Weil sagte dies wie folgt: "Es ist nichts schöner als das
Schöne. Nichts ist häßlicher als das Übel. Wenn wir aber Geschichten
erzählen, ist das Übel attraktiv und die Schönheit ist eher fad." In
der Therapie und der Gruppentherapie erzählt man Geschichten über sich
selbst. Die Leute sind sehr interessiert an dem, was Ihnen schief ging
- sie lieben den Skandal. Jawohl, Rogers war sich im klaren, daß wenn
ich mich in der Therapie befinde, ich über meinen Kummer reden muß und
wenn ich dies tue, beginne ich mein Kummer zu werden.
Fr. Puskorius: Carl Rogers hatte das Schlagwort "Therapie für Normale". Können Sie dies erläutern?
Dr. Coulson: Ja. Er
wollte wissen, was geschehe, wenn die Therapie, die er erfunden hatte,
welche die "non-direktiven" Therapie oder nicht-befehlende genannt wird
und die sehr gut an neurotischen graduierten Studenten der Universität
Chicago wirkte, weil diese munter und gut erzogen waren, dieselbe
Wirkung habe auf Leute, die weder so munter noch so gut erzogen sind.
Auf dem einen Ende des Spektrums waren Schizophrene und am anderen
normale Menschen, die nicht begriffen, weshalb sie Psychotherapie
benötigten. Die Frage war, was geschehen werde, wenn sie sie bekämen?
Dies wurde eingerichtet bei den Nonnen vom Unbefleckten Herzen - sie
fielen ab. Sie wurden tatsächlich Patienten. 25)
Fr. Puskorius: Sie
erwähnten gestern einen Priester, der ein Hochschullehrer war und
unglücklicherweise sein Leben durch Selbstmord endete. Sicherlich hatte
er Kummer - aber weshalb? Können Sie von Problemen berichten, die er
vorher hatte?
Dr. Coulson: Als dieser
Priester fünf Jahre vor seinem Tod an die Hochschule von Colorado
Springs kam, waren die Studenten aufgefordert, täglich die Messe zu
besuchen. Sie war die tägliche Praxis in der Schule. Des Fathers Idee
war es, daß er nicht ausreichend auf ihr Erwachsensein vertraute. Er
sagte tatsächlich, daß wir den Studenten für den Rest ihres Lebens
nicht nachgehen könnten, um zu sichern, daß sie die Messe besuchen, daß
wir also als Erwachsen behandeln sollen. Aber in vielen Fällen
behandelte er sie nicht als erwachsen, noch sollte er es. Wenn sie für
den Religionsunterricht eine Prüfungsarbeit schrieben, verlangte er,
daß jedes Blatt mit der Schreibmaschine beschrieben und mit der
neunzehnten Linie begonnen werde und der Rand auf jeder Seite 1 1/4
Zoll betrage. Die Schüler folgerten daraus, daß Maschinenschreiben
wichtig sei, aber nicht die Messe. Unsere Kinder blicken auf das, was
wir nachdrücklich betonen und folgern, daß es wichtig sei und nicht
das, was wir freistellen. Der Priester muß verzweifelt gewesen sein. Er
wurde angeklagt, sich sexuell mit einem seiner männlichen Studenten
eingelassen zu haben; und statt dafür geradezustehen, verübte er
Selbstmord, aber nicht bevor er dem Rektor sagte, er habe "nichts
Unrechtes getan". Das Problem ist, daß wir nicht wissen, was er damit
meinte, denn er schien sich mit dem psychologisierenden Rahmenwerk zu
beschäftigen, das sagt, daß "nichts schlecht sei, wenn ich nicht fühle,
es sei schlecht." 26)
Fr. Puskorius: Und das ist wirklich ein Hauptpunkt der Psychologie von Rogers - fühlt man sich gut, muß es recht sein.
Dr. Coulson: Das stimmt.
Fr. Puskorius: Es unterminiert das gesamte Moralsystem.
Dr. Coulson: So ist es
und es untergräbt auch jedermanns Sicherheit. 27) Der Selbstmord ist
nunmehr die dritthäufigste Todesursache in Amerika für junge Leute
zwischen 15 und 25 Jahren. Es ist kein Wunder, daß wir in der "Ära der
Psychologie" den Selbstmord haben.
Fr. Puskorius: Sie
erwähnten, daß der Priester, als er den Meßbesuch als freiwillig
hinstellte die Studenten in gewisser Hinsicht als Erwachsene
behandelte, obwohl er sie so doch nicht hätte einstufen dürfen.
Dr. Coulson: Es gibt eine
Art und Weise, die mich freut, daß die Kirche mich nicht "als
erwachsen" behandelt. - Sie verpflichtet mich, die Messe zu besuchen.
Ich glaube, daß meine protestantischen Bekannten mich darum beneiden,
wenn meine Frau mit mir reist. Oft, wenn wir eingeladen sind, eine
Stadt zu besuchen, wohnen wir privat. Samstagabends sage ich dann:
"Morgen muß ich in die Messe gehen". Ich erinnere mich an einen Herrn,
der den Eindruck erweckte, als wenn er sagen wolle: "Weshalb sagen Sie,
Sie müßten gehen und nicht, daß Sie gehen wollten?" Meine Antwort würde
lauten: Ich will nicht immer gehen, aber ist es nicht wunderbar,
Verpflichtungen zu haben? Bin ich nicht mehr als ich selbst? Bin ich
nicht mehr als das, was ich will oder fühle? Bin ich nicht tatsächlich
ein Kind Gottes, ein Glied der Kirche, die Er errichtet hat?
Anmerkungen:
1) Zur Einführung in die Thematik seien genannt:
Gassmann, Lothar: "Fühlen statt zu denken" Uhldingen; Senn, U.: "Was
ist Gruppendynamik" Pfäffikon 1980; Frankl, Viktor: "Der unbewußte Gott
- Psychotherapie und Religion".
2) wiedergegeben in THEOLOGISCHES, Juni 1994, 24. Jahrg., Nr. 6,
Col.275-287, unter dem Titel "Wir zerstörten ihre Traditionen, wir
überwanden ihren Glauben – Das beunruhigende Zeugnis eines
schuldbewußten katholischen Psychologen über seine zentrale Rolle bei
der Zerstörung religiöser Orden". Bei diesem Beitrag handelt es sich um
eine Übersetzung aus der Veröffentlichung der "The Latin Mass", 1331
Red Cedar Circle, Ft. Collins, CO 80524, USA. Das Copyright der
deutschen Übersetzung liegt beim VPM, Zürich.
3) Zuerst befragte Fr. Puskorius Dr. Coulson über Abraham Maslow
(1908-1970), den Mitbegründer der sog. "humanistischen Psychologie",
dessen Theorie der Bedürfnishierarchie ein Modell in Gestalt einer
Pyramide entwickelte, an deren Basis sich die physiologischen
Bedürfnisse befinden, weiter oben die Ego-Bedürfnisse wie
Selbstachtung, Leistung, Anerkennung und an deren Spitze die
Selbstverwirklichung steht. Dr. Coulson wies darauf hin, daß Maslow
später sein ganzes System selbst ablehnte. Er gelangte zur Erkenntnis,
daß die Kinder - einschließlich seiner eigenen - sowie die Studenten
mehr Leitung bedürfen, und daß die, welche ihr Selbst für das
Wichtigste halten, nicht arbeiteten, so mit ihren Geist nicht
entwickelten.
4) Im folgenden zitiert nach der Veröffentlichung in THEOLOGISCHES.
5) vgl. THEOLOGISCHES, Col. 287.
6) William Coulson führt dazu im Gespräch mit Dr. Marra aus: "Als ich
in Wisconsin war, schloß ich mich Rogers in seiner Studie der
nicht-direktiven Psychotherapie mit normalen Menschen an. Wir hatten
die Idee, daß diese, wenn sie für Neurotiker gut sei, müsse sie auch
für normale Menschen gut sein. Nun, die normalen Menschen Wisconsins
bewiesen, wie normal sie sind, indem sie, sobald sie wußten, was wir
wollten, wegblieben. Keiner wollte daran teilhaben." (vgl.
THEOLOGISCHES, Col. 277.)
7) ibd., Col. 281.
8) vgl. THEOLOGISCHES, Col. 279, 283. - Im Interview mit Marra sagt
Coulson noch folgendes über die berechtigte Kritik Malows: "Maslow, ein
selbstdeklarierter glücklicher Atheist, aber ein Jude, der das Böse
verstand, weil Hitler versucht hatte, sein Volk zu zerstören." (vgl.
THEOLOGISCHES, Col. 283.)
9) Vor den Gefahren dieser therapeutischen Methode hatte bereits Maslow
gewarnt, er schrieb in seinen Aufzeichnungen: 'Meine Studenten verloren
ihren traditionellen jüdischen Respekt vor dem Lernen, dem Wissen, dem
Lehrer.' Er sah es auch als Destruktion der Profession. Er sagte, man
könne in einer Encountergruppe kein Chemiker, Doktor, ja nicht einmal
ein Installateur werden. Man muß unterrichtet werden. Nun, es zerstörte
die Profession auch noch auf andere Art: es zerstörte den Beruf der
katholischen Religion, genauso wie es die medizinische Praxis zerstören
würde, wenn die Medizin die Idee ernst nehmen würde, daß alle Antworten
im Studenten liegen; ebenso zerstörte es auch das Gelübde der Nonnen.
Es gab viele Priester, die sich nicht einmal die Mühe gaben, in den
Laienstand überzutreten. Sie gingen einfach und sagten: 'Meine Gelübde
zählen nicht, weil sie von anderswo kamen; sie kamen nicht aus mir
heraus'." ibd., Col. 285.
10) Obwohl die Therapie bei den Jesuiten zu ähnlich verheerenden
Ergebnissen führte, verliehen diese Rogers die Ehrendoktorwürde.
11) ibd., Col. 279.
12) ibd., Col. 277.
13) Einer der jungen Jesuiten, der kurz vor der Ordination stand,
schrieb Rogers folgendes, nachdem er 1965 fünf Tage an einer
Encounter-Gruppe mit ihm teilgenommen hatte: "Es erschien mir wie eine
wundervolle Geburt in eine neue Existenz. Es schien, als ob ich so
viele Dinge, die ich dem Wort nach schätzte, in die Tat umsetzen
könnte. Es ist extrem schwer, diese Erfahrung zu beschreiben. Ich hatte
weder gewußt, wie unbewußt ich meiner tiefsten Gefühle war, noch wie
wertvoll sie für andere Personen sein könnten. Erst als ich
auszudrücken begann, was sich irgendwo tief in meinem Zentrum zu
erheben begann und die Tränen in den Augen der anderen
Gruppenteilnehmer sah, weil ich etwas äußerte, was auch für sie so war,
erst dann begann ich zu spüren, daß ich auch zutiefst ein Teil der
menschlichen Rasse war. Niemals vor diesem Gruppenerlebnis habe ich
mich selbst so fest entschlossen erlebt". (ibd., Col. 282.)
14) ibd., Col. 281. – An anderer Stelle sagt Coulson: "Nun, die
Dokumente des II. Vatikanischen Konzils werden nie gelesen, aber sie
beziehen schöne und tiefgründige Dinge mitein. Man kann auch sehr naive
Dinge darin finden, u.a. die Aussage, daß Theologie von den Einsichten
zeitgenössischer Sozialwissenschaften profitieren könne. Ich weiß
nicht, welches Dokument dies war, aber es gab Leuten wie ihnen die
carte blanche." (ibd., Col. 282)
15) ibd., Col. 284.
16) Auf die Frage, warum Rogers und er gerade den IHM-Orden ausgesucht
hatten, gab Coulson zur Antwort: "Sie drängten uns ziemlich. Die waren
schon ziemlich progressiv. Ein entfernter Verwandter von einem von
Rogers Kollegen in Wisconsin war ein Mitglied dieser Gemeinde. Zu jener
Zeit waren wir bereits am "Western Behavioral Sciences Institute"
(WBSI) in La Jolla, was eine Vorstadt von San Diego ist. Als Katholik
wurde ich ausgewählt, die Verbindung auszunutzen. Ich sprach vor der
"California Conference of Major Superiors of Women's Religious Orders"
und zeigte ihnen einen Film von Carl Rogers, während er
psychotherapeutisch tätig war. Und Rogers war bereits bekannt." (ibd.,
Col. 280.) "Wie ich bereits sagte, waren die IHMs ziemlich progressiv,
aber einige ihrer Leiter waren etwas beunruhigt über den weltlichen
Psychologen, der von La Jolla kam. Und so traf ich mich mit der
gesamten Gemeinde, eine Turnhalle voll von Nonnen an der Immaculate
Heart High School, in Hollywood an einem Apriltag im Jahre 1967. Wir
teilten ihnen mit, wir hätten bereits eine Pilotstudie durchgeführt.
Nun wollten wir jeden in das System der nicht-direktiven
Selbsterforschung bringen. Wir nennen dies Encounter Gruppen (...). So
gingen sie mit und vertrauten uns, und dies liegt zum Teil in meiner
Verantwortung, weil sie dachten, diese Leute werden uns nicht
verletzen, der Projektleiter ist ein Katholik." (Col. 279.)
17) Coulson gibt selbst zu: "Rogers jedoch war der Hauptuntersucher. Er
war das Gehirn hinter dem Projekt und er war wahrscheinlich
antikatholisch eingestellt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich das jedoch nicht
bemerkt, weil ich das wahrscheinlich selbst auch war. Wir hatten beide
Vorurteile der Hierarchie gegenüber. Ich war ermutigt durch das Zweite
Vatikanische Konzil und dachte "Ich bin die Kirche; ich bin genauso
katholisch wie der Papst. Wollte Papst Johannes XXIII. nicht, daß man
die Fenster öffnete und frische Luft einließ? Hier kommen wir also."
Und wir kamen und innerhalb eines Jahres wollten die Nonnen von ihren
Gelübden entbunden werden. (ibd., Col. 279.)
18) Im Gespräch mit Dr. Marra führt Coulson erläuternd aus: "Aber wir
fanden die "Sisters of the Immaculate Heart of Mary", die IHMs. Sie
waren damit einverstanden, uns an ihre Schulen kommen zu lassen und uns
mit ihren normalen Fakultäten und mit ihren normalen Studenten arbeiten
zu lassen und die Entwicklung normaler katholi-scher Familien
beeinflussen zu lassen. Es war eine Katastrophe." - "Rogers und ich und
später 58 andere [führten einen Pilotversuch in dem Orden durch]: wir
hatten 60 Animateure. Wir überschwemmten das System mit Humanistischer
Psychologie. Wir nannten sie "Therapie für Normale, TFN". Die IHMs
hatte ungefähr 60 Schulen als wir anfingen; am Ende hatte sie eine. Es
gab ungefähr 560 Nonnen als wir anfingen. Nach dem ersten Jahr unserer
ersten Intervention schrieben 300 nach Rom und baten, von dem Gelübde
entbunden zu werden. Sie wollten keiner Autorität mehr unterstellt
sein, außer der Autorität ihres eigenen Selbst. (ibd., Col. 277.)
19) Auf die Frage, wieviele übrig blieben, gibt Coulson zur Antwort:
"Es gibt die pensionierten Nonnen, die im Mutterhaus in Hollywood
leben; es gibt eine kleine Gruppe radikaler Feministen, die ein Zentrum
für femini-stische Theologie in einem Laden in Hollywood leiten."
Frage: "Aber der Orden als ganzes, die Immaculate Heart of Mary, der
all die Schulen leitete?" Antwort: "Es gibt einige von ihnen in
Wichita, die ich kürzlich besuchte, die versuchen als traditionelle,
lehrende Nonnen zu leben; und es gibt einige, die dasselbe in Beverly
Hills versuchen. Es mögen viel leicht insgesamt zwei Dutzend übrig
sein, ansonsten ist alles kaputt, sind alle gegangen. Das College wurde
verkauft. Es gibt kein Immaculate Heart College mehr. (...) Eine Mutter
zog ihre Tochter heraus, bevor es schloß, und sagte: "Sie kann ihren
Glauben an einem staatlichen College kostenlos verlieren." Unser
Stipendium war für drei Jahre angesetzt, aber wir brachen die Studie
nach zwei Jahren ab, weil wir über die Resultate schockiert waren."
(ibd., Col. 281.)
20) In dem Interview mit Marra wird Coulson deutlicher: "Es gibt ein
tragisches Buch mit dem Titel "Lesbische Nonnen - das Schweigen
brechen", welches zum Teil den Einfluß auf die IHMs und andere Orden
zeigt, die in ähnliche Experimente verwickelt waren, die wir
"Sensitivity" oder "Encounter" nennen. In einem Kapitel der "Lesbischen
Nonnen" beschreibt eine frühere Immaculate Heart Nonne den Sommer 1966,
als wir den Pilotversuch in ihrem Orden durchführten. (...) Eine der
Autorinnen von "Lesbian Nuns" (Lesbische Nonnen) war Schwester Mary
Benjamin, IHM. Schwester Mary Benjamin kam im Sommer 1966 mit uns in
Kontakt und wurde das Opfer lesbischer Verführung. Eine ältere Nonne in
der Gruppe, "die sich befreite, um besser ausdrücken zu können, wer sie
innerlich wirklich sei", entschied sich, daß sie mit Schwester Mary
Benjamin sexuellen Kontakt wollte, danach wurde sie von Schuld
heimgesucht und überlegte, um ihr Buch zu zitieren: "Tat ich etwas
Falsches, tat ich etwas Schreckliches? Ich sprach mit einem Priester,
der sich weigerte, meine Handlungen zu beurteilen. Er sagte, ich solle
entscheiden, ob sie richtig oder falsch seien. Er öffnete die Tür und
ich ging durch die Tür hindurch und realisierte, daß ich alleine war."
(ibd., Col. 278.)
21) Coulson zu Marra: "Psychologie ist heute vor allem die
therapeutische Psychologie, und in diesem Sinne sind sie anti-thetisch,
weil man in der Therapie niemandem sagen will, wie man zu sein hat, vor
allem nicht in moralischer Hinsicht. (...) Aber ich betrachte Therapie
als fundamental entgegengesetzt zum zivilisierten Leben. Es ist so, als
ob man einen fähigen Pianisten fragen würde, was er mit seinen Fingern
macht. Im Laufe der Antwort hört die Musik auf, weil er nicht weiß, was
er mit seinen Fingern macht. Und um es zu analysieren, muß er mit der
Musik aufhören. Falls die Zivilisation so etwas wie Musik wäre, hört
sie auf zu existieren, wenn jeder therapiert wird." (Col. 286)
22) Coulson zu Marra: "Sie kennen Dr. Paul Vitz. Er schrieb ein Buch
"Psychology as Religion" (Psychologie als Religion), was eine Attacke
auf die humanistischen Psychologen war. Vitz erzählte mir, die
Seelensuche in der Zunft der Psychologie sei im Moment weit verbreitet;
er sagt, sie seien erschöpft. Tatsächlich müssen sie sich an New Age
Psychologen wenden. Sie erinnern sich, daß Maslow den Begriff "die
dritte Kraft" für die Humanistische Psychologie prägte. Aber Maslow
erkannte bald, daß es etwas gab, das er die vierte Kraft nannte. Dies
wurde seither unter dem Namen Transpersonale Psychologie bekannt. Das
ist das Gebiet der Psychologie, das am schnellsten wächst. Aber es
gehört vor allem in den Bereich des New Age, weil es traditionellen
religiösen Glauben nicht einbeziehen möchte. Es ist eine Art
Psychologie, die versucht Religion zu sein, weil eingesehen wur-de, daß
eine humanistische Orientierung inadäquat ist." (ibd., Col. 285.)
23) Auf die Frage von Marra, wie Rogers und seine Anhänger Bildung im
allgemeinen und die katholische Bildung im speziellen, beeinflußten,
antwortete Coulson: "Die grundsätzliche Botschaft war, daß Bildung,
Erziehung im Klassenzimmer, eine Form von Gruppenpsychotherapie ist."
(ibd., Col. 285.)
24) Coulson berichtet: "Vater Elwood Kieser, ein Paulinischer Priester,
Produzent von "Insight" - schrieb 1991 ein Buch unter dem Titel
"Hollywood Priest". Darin schildert er ein romantisches Erlebnis mit
einer unserer Nonnen, mit einer der IHMs. Vater Kieser erklärt, daß
Genevieve, wie er sie nennt, ihn sexuell anging, nachdem sie mit dem
Geist von Rogers' non-direktiver Encountergruppe in Berührung kam. Er
verweigerte sich ihr, weil er nicht verstand, wie er sich mit ihr
einlassen könnte und dennoch ein guter Priester bleiben könne. Aber sie
hatte ein sexuelles Verhältnis mit ihrem Rogers-Therapeuten. (...) Er
verwickelte sie in Sexspiele während der Therapie." (ibd., Col. 280.)
25) "Wir führten ähnliche Projekte mit den Jesuiten, den Franziskanern,
den "Sistern of Providence of Charity" und den "Mercy Sisters" durch.
Wir arbeiteten mit Dutzenden von religiösen katholischen
Organisationen". (ibd., Col. 281.)
26) Coulson: "Wenn wir den Leuten zu verstehen gaben, daß sie ihren
Impulsen vertrauen könnten, verstanden sie auch, daß sie den negativen
Impulsen vertrauen könnten, daß diese nicht wirklich böse seien. Aber
sie waren tatsächlich böse." (ibd., Col. 283.)
27) Coulson zu Marra: "Damals waren wir bereits das "Center for Studies
of the Person" in La Jolla, das sich vom WBSI abgespalten hatte; und
zum selben Zeitpunkt trennte sich eine andere Gruppe, die sich" Center
for Feeling Therapy" nannte, einer der drei Gründer dieser Gruppe war
übrigens ein Jesuit, der den Orden verlassen hatte, und der Staat
Kalifornien war wachsam genug, sie wegen der Tötung von Babies
anzuklagen. Elfmal wurden Frauen, die während ihrer Zeit in der Gruppe,
dem "Center for Feeling Therapy" schwanger wurden, zur Abtreibung
gezwungen. Der Staat Kalifornien verfolgte diese Verbrechen (...) Die
staatliche Gesundheitsbehörde hielt fest, daß es von diesen Männern
unethisch gewesen sei, die Frauen zu Abtreibungen gezwungen zu haben,
weil diese Frauen ihre Kinder wollten." – "Und dies ist das
Resultat der psychologischen Gefühlstherapie?" – "Ja. Die Idee, die
dahinter steht, ist, daß man nicht wirklich auf sich selbst hören kann,
wenn man das Baby schreien hört. Wenn das Baby gefüttert werden muß,
oder man sich selbst abgelenkt fühlt durch das, was das Baby tut, sei
man nicht in der Lage, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die
Humanistische Psychotherapie dieses Typs, der praktisch die ganze
Kirche in Amerika übernommen hat und so viele Arten von fehlgehender
Aufklärung, wie Sexualaufklärung und Drogenaufklärung dominiert,
behauptet, die wichtigste Quelle der Autorität liege in einem selbst,
daß man auf sich selbst hören müsse. Nun, wenn man ein Baby in sich
trägt, muß man es los werden. Frauen, die mit Kindern in das "Centre
for Feeling Therapy" kamen, wurden gezwungen, diese zur Adoption
freizugeben. Die einzige Person, der es gestattet war, ein Baby zu
haben, war der Gründer der Institution. Alle anderen Babies wurden
getötet oder weggeschickt, damit man mit seinem souveränen Selbst in
Berührung kommen könne." (ibd., Col. 283.)
***
Jean Guitton über Paul VI.
»(...) Die Absicht Pauls Vl. in Bezug auf die Liturgie und in Bezug auf
das, was man gemeinhin die Messe nennt, bestand darin, die katholische
Liturgie solcherart zu reformieren, daß sie mit der protestantischen
Liturgie fast übereinstimmt. (...) Dabei ist es auffallend, daß Paul
Vl. all dies getan hat, um sich dem protestantischen Abendmahl
möglichst anzunähern. (...) Aber ich wiederhole, daß Paul Vl. alles in
seiner Macht Stehende getan hat, um die katholische Messe entgegen dem
Konzil von Trient - dem protestantischen Abendmahl anzunähern. (...)
Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß die Absicht Pauls
Vl. und der neuen Liturgie, die seinen Namen trägt, darin besteht, die
Gläubigen zu einer regeren Teilnahme an der Messe zu führen, der
Heiligen Schrift mehr Platz einzuräumen, und all das zu beschneiden,
was einige "magisch" nennen, andere "Wesensverwandlung",
"Transsubstantiation", also das, was den katholischen Glauben ausmacht.
Anders gesagt gibt es bei Paul Vl. eine ökumenische Zielsetzung, das im
traditionellen Sinn allzu Katholische in der hl. Messe auszulöschen,
oder wenigsten zu korrigieren oder abzumildern, und die katholische
Messe, ich wiederhole es, der kalvinistischen Messe anzunähern.«
(Jean Guitton in einer Radiodiskussion am 19.12.1993; zitiert in »Les
amis du monastere«, Rundbrief des Klosters Le Barroux vom 2.6.94;
Übersetzung aus dem Französischen; zit. nach dem MITTEILUNGSBLATT DER
PRIERSTERBRUDERSCHAFT PIUS X.)
|