Stellungnahme zur neuen "Erklärung" von 2000
(Wiederabdruck aus EINSICHT Nr.3 vom August 2000, S. 77 f.)
Die nachfolgenden Ratschläge haben nichts an Aktualität verloren:
St. Agatha-Tag 2000
Sehr geehrter Herr Dr. Heller,
haben Sie vielen Dank für den Entwurf der "Erklärung" zur Lage der
Kirche oder, genauer gesagt, der "kleinen Herde", die davon übrig
geblieben ist. (...)
1. Wie immer man über gewisse Aktivitäten von Herrn Dr. Siebel denken
mag, so kommt ihm ein für alle Male das hohe Verdienst zu, logisch
einwandfrei nachgewiesen zu haben, daß die heutige römische Kirche
nicht mit der katholischen Kirche identisch ist, in der wir älteren
Menschen noch aufgewachsen sind. Die wahre katholische Kirche besteht
inzwischen aus lauter Einzelgängern, die noch dazu untereinander
zerstritten sind.
2. Grundlegend für eine theologisch einwandfreie Beurteilung der
"nachkonziliaren", insbesondere aber der durch den polnischen Professor
geprägten Zustände sind die Schriften von Johannes Dörmann. Sie sind
keine einfache, auch keine erbauliche Lektüre. Wer sie aber aufmerksam
gelesen hat und noch zu logischem Denken und Schlußfolgern fähig ist,
muß abermals zu dem Ergebnis gelangen: das heutige "Rom" lehrt eine
völlig andere Religion als das Rom von Petrus dem Ersten bis zu Pius
dem Letzten. Die einzig mögliche Konsequenz für alle denkfähigen,
einsichtigen, glaubenstreuen und überlieferungssinnigen Katholiken ist
der Austritt aus der vorgeblichen "römisch-katholischen Kirche".
3. Der "Sedisvakantismus" ist keine Sekte, keine neue Religion, sondern
bloß eine Kurzformel für die Situation, wie sie sich einem
intelligenten, urteilsfähigen Katholiken, der den Mut hat, die Realität
wahrzunehmen, unvermeindbar darstellt. Dies sollten wir immer wieder
unseren Gegnern klarmachen.
4. Leider ist viel, viel kostbare Zeit verflossen. Das verfluchte
Zweite Vaticanum endete ausgerechnet am 8. Dezember 1965. Bereits knapp
ein Jahr zuvor - am St. Martinstag 1964 - hatte Montini die Tiara
abgelegt, die seitdem auch keiner seiner Nachfolger mehr getragen hat.
Dann folgte die Liturgiereform, die "Neue Messe", der "Dialogismus",
der Pseudo-Ökumenismus und so fort. Inzwischen sind mindestens zwei
Generationen herangewachsen, die den authentischen katholischen Glauben
gar nicht mehr aus lebendiger Anschauung und Übung kennen - daran sind
auch wir Älteren in höchstem Maße mitschuldig.
5. Wir befinden uns nun schon seit Jahrzehnten in der Lage, wie sie
Psalm 78 so eindringlich beschwört: "Die Heiden sind in Dein Erbe
eingedrungen, o Herr; sie haben Deinen heiligen Tempel befleckt,
Jerusalem machten sie einem Steinhaufen gleich... Wir wurden unserm
Nachbarn zur Schmach, zum Hohn und Spott unsrer Umgebung ..." Als
geschichtliche Parallelfälle und Analogien, an denen wir uns
schöpferisch ausrichten können, nenne ich: die Juden nach der
Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. und die russischen
Raskolniki, auch "Altgläubige" oder "Altritualisten" genannt. Letztere
widerstanden den "Reformen" des Moskauer Patriarchen, verteidigten die
altrussische Frömmigkeit und nahmen dafür Bann, Repressalien und Spott
auf sich. Im siebzehnten Jahrhundert entstanden, gibt es die Raskolniki
heute noch.
6. Sowohl die Juden als auch die russisch-orthodoxen Raskolniki
beweisen, daß eine Religion auch weltuntergangsähnliche Katastrophen
überstehen kann. Juden und Raskolniki stellen überdies zwei
unterschiedliche Fälle von Glaubensgemeinschaften dar, in der es kein
Priestertum, keinen Tempel, keine Opfer im traditionellen Sinne mehr
gibt. Die Rabbiner sind, wie Sie zweifellos wissen, keine Priester; und
die Synagogen keine Tempel, auch keine Surrogat-Tempel.
7. So wie in äußersten Fällen die sogenannte Begierdetaufe genügt, um
die Früchte des Erlösungswerkes Christi zu erlangen, so haben wir uns
darauf einzustellen auf den "übergesetzlichen Notstand" in der una
sancta catholica. Bald wird es nur noch "Begierde-Katholiken" geben. Da
nicht wir, sondern die "Hierarchie" vom Glauben abgefallen ist, müssen
wir uns mit Gottvertrauen damit abfinden, daß es - abgesehen von den
beiden Ausnahmen nämlich Taufe und Ehe - in absehbarer Zeit keine
Sakramente mehr geben wird. Wir müssen uns als heitere Apokalyptiker
mit dem begnügen, was immer noch möglich ist - auch ohne Priester, ohne
Hierarchie, ohne "Amtskirche", immer im Bewußtsein der untrüglichen
Verheißung: "Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da
bin ich in ihrer Mitte" (Matthäus 18,20; vgl. 1 Korinther 5,4).
8. Unvermeidlich ist eine gewisse Intellektualisierung des Glaubens. Er
ist zwar der alte, der ewig junge Glaube, aber er wird mehr als in
früheren Zeiten ein durchdachter, ein - soweit dies an uns liegt - ein
intellektuell, ein philosophisch abgestützer Glaube sein. Dies bedeutet
nicht im geringsten "Rationalismus", ganz im Gegenteil! Mehr denn je
wird uns gerade durch geistige Anstrengung, intellektuelle Disziplin
und philosophische Unterscheidungsfähigkeit bewußt, daß Glaube ein
Mysterium ist, ein Leben im Wunderbaren, eine Lebensform der Gnade. Wir
müssen heilige Intellektuelle, intelligente Heilige sein; vergessen wir
nicht, daß Klugheit eine Tugend ist.
Wir gehören auch dann zur Kirche, deren unfehlbares Haupt ER selbst
ist, wenn es keine apostolische Sukzession, keinen Papst, keine
Hierarchie gibt. Gibt es nicht auch eine intellektuelle, ja
meta-intellektuelle, mystische Sukzession? Lesen wir die alten
Kirchenväter, etwa Augustinus und Gregor von Nyssa, Clemens von
Alexandrien und Dionysius vom Areopag, Ambrosius und Johannes
Chrysostomus, dann nicht nur Thomas von Aquin, sondern auch Anselm von
Canterbury, Bonaventura und Duns Scotus. Vergessen wir auch nicht die
"Legenda aurea", den "Gesandten der göttlichen Liebe" der Heiligen
Gertrud von Helfta, die Werke Hildegards von Bingen, die nicht nur
theologisch, sondern auch philosophisch hochbedeutsamen
Dominikaner-Mystiker Eckhart, Seuse und Tauler! Greifen wir endlich
nach den Schätzen, die uns die großen Franzosen des siebzehnten
Jahrhunderts in überreichem Maße anzubieten haben: Charles de Condren,
Pierre de Bérulle, Fénelon und François de Sales! Von späteren Autoren
nenne ich so unterschiedliche wie Anna Katharina Emmerich und Matthias
Joseph Scheeben; sie sind leuchtende Sterne am Himmel des katholischen
Deutschland.
9. Das Wichtigste aber ist, auch im intellektuell hochgerüsteten
"Begierde-Katholizismus" des 21. Jahrhunderts, eine glaubenstreue und
traditionsorientierte Spiritualität. Wir werden schon bald keine
Priester mehr haben, aber jeder und jede von uns kann, ja soll zu
geistlicher Existenz sich aufschwingen. Halten wir uns an die Psalmen,
am besten an alte "vorkonziliare" Ausgaben des Römischen Breviers. Für
Neulinge ist empfehlenswert das auch ins Deutsch übersetzte "Officium
Divinum Parvum", herausgegeben von P. Hildebrand Fleischmann O.S.B.
(Neunte Auflage 1958) oder auch das von Pius XII. erneuerte "Officium
Marianum". Anfänger können auch das von Josef Dillersberger um 1950
herausgegebene Laienbrevier benützen (Restauflage noch beim Verlag Otto
Müller, Salzburg). Die Kirche verwirklicht sich ja keineswegs nur in
Meßopfer und Sakramenten, sondern im traditionellen Stundengebet, das
den gesamten Tag heiligt und erhellt: "Siebenmal täglich preise ich
Dich ..." (vgl. Psalm 118,164).
Schließlich: Neben Lesen und Gebet kommt als Drittes die Lehre, die
Weitergabe, auch das Erzählen. Auch hierin sollen wir die ihres Tempels
beraubten Juden, die dem "alten Glauben" an-hangenden Raskolniki auf
katholische Weise nachahmen. Vielleicht wird es schon sehr bald nur den
allerwenigsten möglich sein, eine wahre heilige Messe mitzufeiern. Aber
wir können an allen Sonn- und Feiertagen mit Hilfe eines alten "Schott"
uns eine gültige Messe meditativ vergegenwärtigen. Wir können dazu, als
Predigtersatz, ergänzend etwa die unausschöpfbaren Bücher von Leonhard
Goffiné (vor allem seine "Hauspostille") oder, um eine modernere
Autorin zu nennen, "Das Herrenjahr. Das Mysterium Christi im
Jahreskreis der Kirche" von Aemiliana Lohr O.S.B. lesen. Sie sind in
theologischen Antiquariaten für verhältnismäßig wenig Geld erhältlich.
Wir werden uns wohl in kurzem keiner Heiligen Messe mehr erfreuen; aber
wir können bis zum Ende, auch nach dem Greuel der Verwüstung am
Heiligen Ort (Matthäus 24,15), die Erinnerung an dieses Mysterium
bewahren. Dies können, dürfen, ja müssen wir tun, auch um unserer
Kinder willen. Wir können und sollen alle bewährten katholischen
Bräuche im Rahmen des Möglichen beibehalten oder erneuern:
Herrgottswinkel und Hausaltar, Maiandacht und Gebet für die Armen
Seelen, Ablaßgewinnung (nach vorkonziliaren Ablaß-Brevieren) und
Weihnachtskrippe ohne Fünfzackstern. Und wer etwas vermögender ist,
kann ohne "kirchliche Erlaubnis im eigenen Garten sogar eine
Privatkapelle errichten. Und lesen wir immer wieder: Dante!
Dies ist gewiß ein Minimalprogramm. Es hat jedoch den Vorzug, daß mit
seiner Verwirklichung sofort, schon heute, begonnen werden kann. Alles
andere sollten wir, so denke ich IHM überlassen, wie dies auch der
Judasbrief 17-25 nahezulegen scheint.
Wir sind die Kirche, sofern wir uns Christus bewahren, mit dessen
Menschwerdung, Passion und Auferstehung die Endzeit bereits begonnen
hat.
Gerd-Klaus Kaltenbrunner
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