54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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7. DECLARATIO
Christus ward für uns zur Sünde.
 
„Christus ward für uns zur Sünde.“ (2 Kor. 5,21)
- Annäherung an ein Problem -

von
Eberhard Heller

Das dramatische Geschehen, welches wir an den Kartagen und dem Osterfest liturgisch mitfeiern durften, ist vorbei. Das Gedenken an Christi Tod am Kreuz, an dem er unsere Sündenschuld getilgt hat, und seine glorreiche Auferstehung, die nicht nur die Besiegung des leiblichen Todes bedeuten, sondern auch die geistige Befreiung von der Sünde anzeigen, hallen in uns noch nach. Darum möchte ich gleichsam als nachösterliche Betrachtung ein Thema aufgreifen, welches mit diesem Festtagszyklus zentral verknüpft ist: die Sühne Christi, durch die es uns ermöglicht wird, wieder in seinen Bund der Liebe einzutreten. Dabei geht es nicht darum, daß Gott uns seine Liebe schenkt, sondern darum, wie er es uns ermöglicht hat, in diesen Liebesbund wieder einzutreten, auch wenn wir gegen ihn verfehlt hatten. Es geht also darum zu zeigen, durch welchen Akt diese Reintegration ermöglicht wird: durch die Sühneleistung Christi, der sich in seiner Liebe für uns selbst aufopfert, um uns in seiner Über-Liebe in seinen Bund zurückzuholen.

Bereits in meinem Beitrag „Ist Jesus Christus der Sohn Gottes?“ (EINSICHT Nr. 4 vom Dez. 2013) habe ich den in der Überschrift zitierten Satz des hl. Paulus reflektiert und greife ihn wieder auf, um dieses Problem erneut zu diskutieren, welches mich schon länger beschäftigt: die Sühne, speziell das Sühnopfer Christi, da dieses eine zentrale Rolle in unserem religiösen Leben spielt. Geht es doch darum zu verstehen, wie es uns möglich ist, an Christi Leben wieder teilzunehmen, auch wenn wir in Sünde gefallen sind.  

Um diese formale Struktur inhaltlich zu füllen, müssen wir auf das zurückgreifen, was uns dann in den tradierten Zeugnissen entgegentritt: der Wille Christi, der den Menschen nicht nur seine Liebe als Willen zur Liebes-Union, d.i. in einem gemeinsamen Willensschluß entgegenbringt, sondern der uns durch seinen Sühnetod aus unserer sündhaften Verstrickung herausholen will und uns wieder bundesfähig mit ihm machen will  - wenn wir nur sein Angebot annehmen. „Christus ward für uns zur Sünde.“ (2 Kor. 5,21) Wie ist dieser Satz zu verstehen? Wir erfahren und erhalten Gottes Liebe und seine Überliebe, indem er sich die Sünden der Menschen als die seinen auflud und durch seinen freiwilligen Sühnetod am Kreuze tilgte. Das ist in dürren Worten der Sinn des Paulus-Zitates-

Als zu Beginn der Debatte um die Gültigkeit des sog. N.O.M. das Problem der gefälschten Wandlungsworte von „pro multis“ in „pro omnibus“ („für viele“ in für „alle“) diskutiert wurde 1), war damit verbunden die Frage, ob so nicht auch die Häresie der Allerlösung hoffähig gemacht werden sollte. Diese meint, daß durch Christi Opfertod automatisch alle Menschen erlöst seien, also auch ohne eigene Mitwirkung, ohne eigenes Verdienst. In diesem Zusammenhang stellte sich dann die Frage nach der Möglichkeit, überhaupt zu sühnen, und wenn ja, wieweit diese Sühneleistung Christi reicht, generell was mit Sühne gemeint ist. Diese Überlegungen führen dann auch zu der Frage, wenn wir zu dem Ergebnis gekommen sind, daß nach der Lehre der Kirche Christi Opfer potentiell zur Sühne aller Sünden der Menschen hinreichend gewesen ist, so bleibt zu überlegen, wer das Maß der zu lei-stenden Sühne festgelegt hat. Speziell dieser Frage möchte ich nachgehen, ohne die schwierigere Frage schon klären zu können, wie denn die Übernahme fremder Sünden durch Christus überhaupt möglich ist.

Zu dem Vorhaben der reflektiven Nachkonstruktion eines religiösen Vorgangs möchte ich vorab noch eine generelle Anmerkung machen. Die Reflexion eines Problems geht diskursiv vor, d. h. eines nach dem anderen, also hinkt sie in gewisser Weise dem unmittelbar vollzogenen Glaubensakt hinterher. Das darf nicht verwundern, hat doch z. B. die fundamental-philosophische Darstellung bzw. Aufarbeitung der Frage, wie die Menschwerdung Christi zu verstehen sei, erst durch Cyrill von Alexandrien 431 (auf dem dritten Ökumenischen Konzil von Ephesos) in der Formel von der „hypostatischen Union“, wonach Christus zwei Naturen besitzt, nämlich wahrer Mensch und wahrer Gott zu sein, seine zutreffende Antwort gefunden 2). Das war einerseits eine Antwort auf die Position des Arius, 3) der dem Sohn die Wesensgleichheit mit dem Vater absprach und ihm nur Ähnlichkeit mit Gott zusprach und wonach Maria nur die Christotokos (die Christusgebärerin), nicht aber die Theotokos (Gottesgebärerin) sei. Andererseits hat sich Cyrill auch gegen die abgesetzt, die Christus nach der Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen in der Inkarnation nur eine einzige, göttliche Natur zusprachen. Das waren die Monophysiten.

Kommen wir zu unserem Thema zurück, nämlich der Entfaltung des Sühnegedankens. Was ist damit gemeint? Durch die Sühne soll etwas wieder gutgemacht werden, was durch eine freie Willensentscheidung von den Menschen Böses angerichtet wurde. Dabei wird davon ausgegangen, daß von seiten dessen, der etwas wieder gut machen will, ein Gesamtwille zum Guten, in dem das Gute regiert, (wieder) möglich ist. Um diesen Vorgang in philosophischer Sprache abzubilden heißt das: Es soll etwas Böses, eine Sünde = ein Nicht-Soll - nicht (mehr) sein, weil es nicht sein soll. Also dieses Nicht-Soll (Sünde) soll nicht sein und durch einen besonderen Akt, die Sühne, aufgehoben werden, d. h. es soll nicht mehr sein. Damit ist nicht nur gemeint, daß dieses Nicht-Soll als Freiheitsentscheidung in seiner Wertung als dem Sittengesetz widersprechend angesehen wird, also die Sünde als Sünde wertend disqualifiziert wird, sondern darüber hinaus vollständig eliminiert wird. „Die Welt soll wieder heil sein, das Böse soll verschwinden, es soll wieder gut gemacht werden.“ Denn der sittliche Wille gilt generell. Er greift auf das gesamte zeitliche Sein zu, auf das vergangene, wie auf das gegenwärtige wie auch auf das zukünftige. Das ist das Ziel der Sühne: eine vollständig heile Welt zu schaffen. Dabei will der, der zur Sühneleistung bereit ist, daß seine Wiedergutmachung, seine Satisfaktion vom anderen als solche antizipiert und angenommen wird, wobei diese Annahme aus Freiheit geschieht.

Wenn wir einmal auf den Rechtsbereich schauen, dann leistet jemand Wiedergutmachung, indem er das begangene Verbrechen durch entsprechende Aktionen wieder aufhebt. Es soll ein Zustand wieder so sein, wie er vorher, vor dem Vergehen gewesen ist, idealiter! Macht der Verursacher das nicht freiwillig, wird er vom Rechtswesen gezwungen. Wenn jemand z.B. Geld gestohlen hat, kann er den Schaden beheben, indem er das gestohlene Geld zurückgibt, er aber zusätzlich eine Buße für das begangene Unrecht auferlegt bekommt, auch wenn z.B. ein anderer dessen Schulden begleicht. Dabei muß das Maß der Genugtuung dem Maß des begangenen Unrechts entsprechen. In den meisten Fällen wird heute häufig ein Straftatbestand durch ein Äquivalent des Freiheitsentzuges (Gefängnis) geahndet. Begeht jemand z.B. einen Mord, d.h. beendet er willkürlich die Freiheitssphäre einer anderen Person, dann kann er zwar nicht mehr den Zustand herbeiführen wie vor dem Mord, darum ist das Strafmaß, welches den Mörder ereilen sollte, daß er selbst zum Tode verurteilt bzw. durch Entzug seiner eigenen Freiheit als Äquivalent bestraft wird. Daß man bei uns von der Todesstrafe absieht, hat letztlich seinen Grund darin, daß dem moralischen Bereich Vorrang vor dem des Rechtes gegeben wird.

In der Sühne geht es ebenso um Wiedergutmachung und zwar um die Satisfaktion begangener Sünden. Der Sünder kann sein Tun nicht ungeschehen machen, aber er kann in seiner Umkehr wollen, daß er diese Sünde nicht hätte begehen sollen. Er wartet also auf einen Akt der Satisfaktion, den er selbst nicht zu leisten imstande ist. Im Gegensatz zum Rechtsbereich gibt es im Moralbereich kein Zwangsmittel, welches zur Wiedergutmachung eingesetzt werden könnte. Die begangene Sünde soll durch Sühne wieder aufgehoben werden. Es soll sein, daß ein Nicht-Soll nicht sein soll. Das Nicht-Soll, die Sünde soll durch die Sühne aufgehoben werden. Es soll ein Zustand erreicht werden, so, als ob die Sünde nicht begangen worden wäre. Diese Aufgabe erscheint hier zunächst einmal als bloßes Postulat. Zwar kann der Sünder durch Buße versuchen, seine Sünde wiedergutzumachen. Aber sein sündiger Akt als solcher wird damit nicht aufgehoben. Aber darum geht es. Die Frage ist, wie dieses durch Taten eingeholt werden kann. Der hl. Paulus deutet es an. Er schreibt: "Christus ward für uns zur Sünde", indem Er, der absolut Sündenlose, das reine "Opferlamm", das sich schlachten ließ und unsere Sünden auf sich nahm, um sie stellvertretend für uns Sünder, die wir dazu überhaupt nicht imstande waren, zu sühnen. Er nahm den Tod auf sich, um uns zu neuem Leben zu führen. Im Ostergeschehen signalisiert Christus, daß auch wir aus dem Tod der Sünde, die uns auch den physischen Tod gebracht hatte, mit Ihm auferstehen können, wenn wir in Demut sein Opfer annehmen... annehmen, um uns darin dann auch mit Ihm zu vereinigen.

Dabei ist klar, daß jemand nur Sühne leisten kann, der selbst ohne Sünde ist, der absolut reinen Herzens ist. Denn wenn er selbst durch Sünden belastet wäre, wie sollte er dann die Sünden anderer aufheben? Sühne kann also nur die absolut sündenfreie Person leisten, das ist Christus! Christi Sühne ist aber nicht so zu verstehen, daß er die Schulden, die ein anderer macht, gleichsam „aus seiner Tasche bezahlt“, also fremde Schulden übernimmt, sie ausgleicht. Damit wäre zwar der Fehlbetrag ausgeglichen, aber die Sünde als solche nicht aus der Welt geschaffen. Nach Paulus wird darum „Christus für uns zur Sünde“. Er stellt sich in die Person des Sünders hinein, wird dieser Sünder, identifiziert sich mit dessen Sünde, ohne selbst schuldig geworden zu sein, um sie durch eine besondere Sühneleistung wieder aufzuheben. Das bedeutet nicht, daß er die Sünde des anderen gutheißt, aber er identifiziert sich „in der Weise, daß er sie als seine eigene Schuld annimmt, um sie zu tragen und zu sühnen.“ (Reinhard Lauth: „Ethik“,  Stuttgart 1969, S. 137)

Lauth hat in seiner „Ethik“ das Problem der Sühne ausführlich dargestellt, weswegen es angebracht ist, darauf näher einzugehen. Lauths bemerkenswerte Abhandlung gibt vor, das Problem der Sühne philosophisch gelöst zu haben. Nach ihm geschieht die eigentliche Sühne, also der Akt, durch den der fremde böse Wille aufgehoben und getilgt wird, auf folgende Weise: „Das setzt allerdings auf seiten dessen, der den Gewandelten (d.i. der, der seine Sünden bereut; Anm. d. Red.) annimmt, voraus, daß er dessen Willen mitträgt, ja mit ihm sich identifiziert. Er muß auch den verworfenen bösen Willen als den ihnen beiden nun gemeinsamen, und das ist, als seinen tragen. Nicht daß er das Böse wollen müßte; das würde alles sittliche Leben aufheben; aber er muß den bösen Einzelwillen als seinen tragen. Ich sage: >als seinen<, und nicht nur: >wie seinen<. Der Andere darf sich nicht sagen: Ich übernehme dieses Wollen wie das meinige, aber ich habe es schließlich nicht gewollt. Sondern er muß sich vollständig mit der Sünde des Du identifizieren, muß sie als ihre gemeinsame und darin (seine) auf sich nehmen, ohne doch zu sündigen. In dieser Identifikation erfolgt die hierarchische Überhöhung des schlechten Wollens durch das Gute. Es erfolgt aber noch mehr, wenn der Wille des Aufnehmenden reiner guter Wille ist: Dann nämlich trägt er schuldlos jene Schuld als seine. Und durch diese Übergüte wird die Schuld überhöht und in ihr getilgt. Die bloße Zueignung jener Schuld bedeutet nur eine fruchtlose Partizipation an der Sündenlast. Die bloße Abweisung bedeutet zwar die Verwerfung der Schuld, aber nicht ihre Tilgung. Erst die dem Individuum des anderen nicht geschuldete rein liebende Zueignung in dem Willen der Satisfaktion hebt das Böse auf, sühnt und tilgt es. Der Sühnende tut mehr, als nur selbst gut zu sein; er trägt die Schlechtigkeit des anderen als seine, indem er sie zugleich verwirft. Der Akt der Satisfaktion erfordert eine ungeheure Demut von beiden Seiten. Der aus rein gutem Willen Sühnende trägt unverschuldet Schuld; der Mensch, der entsühnt wird, nimmt das freie Geschenk fremder Sittlichkeit, die damit seine wird, an. Beide tragen das Gewicht des anderen, weil ein und dieselbe Liebe sie bewegt.“ („Ethik“, S. 140 f.)

Für mich erhebt sich die Frage, ob durch diese sehr dezidierte Darstellung das Problem der Sühne bzw. der Tilgung fremder Schuld durch die Übergüte einer anderen Person in der Tat philosophisch schon geleistet ist, ob es sich um eine spekulative Konstruktion handelt, die eine Tilgung nur postuliert und der Vorgang der Tilgung erst  einer eigenen Betrachtung noch harrt. Denn wenn auch die Sühnung intendiert ist, heißt das noch lange nicht, daß sie auch erfolgreich ist, also die Tilgung erreicht ist, wie das im Falle des Sühneleistens Christi gegeben ist. Dies nämlich bestätigt uns der christliche Glaube. Wenn ich Schmutz wegputze, sehe ich unmittelbar, wie das geschieht. Wenn aber Christus am Kreuz stirbt, wie das seine Zeitgenossen erleben konnten, sehen sie zwar, wie er leidet, sehen sie nicht bzw. haben nicht (innerlich) geschaut, wie bzw. daß mit diesem Leiden ihre Sünden getilgt wurden. Lauth gibt da eine Lösung vor, die sich meinem Nachvollzug entzieht. Sie könnte rein spekulativ, d.h. ohne Nachweis in der Realität sein. Er konstruiert eine mögliche Lösung des Problems, die sich für mich als Postulat, nicht aber als Einsicht in das Geschehen des Sühnenden, im speziellen Fall in das Verhältnis präsentiert, in das Gott-Vater und Gott-Sohn eingebunden sind: der Vater, der das Maß der Sühne festsetzt und bereit ist, seinen Sohn zu opfern; der Sohn, der dieses Opfer annimmt und bereit ist, es durch seinen Tod am Kreuz zu vollziehen. Diese Einsicht müßte noch geleistet werden. Entweder in der Form, daß geklärt wird, was die von Lauth gemeinte „Überhöhung der Schuld“ durch die Übergüte meint, durch die die Sünde getilgt wird. Oder aber es könnte sich herausstellen, daß sich diese Einsicht in den Akt der Tilgung prinzipiell der menschlichen Einsicht entzieht, weil dieser Vorgang in das innere Leben Gottes fällt und wir nur den äußeren Vorgang der Opferung Christi miterleben, von dem wir im Glauben zu Recht annehmen, daß er unsere Sünden tilgt.

Wenn ich sage, „Christus ward für uns zur Sünde“, dann muß neben dem aus der philosophischen Ethik gewonnenen Postulat, daß das Nicht-Soll nicht sein soll, für den religiösen Bereich weiter konstruiert und gefordert werden, daß eine Übernahme der Sündenlast nur durch eine Identifizierung mit der Sünde möglich ist.

Wie stellt sich denn das Leiden Christi dar, welches uns zur Sühne dient? Die Juden lassen Christus wegen angeblicher Gotteslästerung letztendlich durch den römischen Statthalter Pontius Pilatus zum Tode am Kreuz verurteilen, der sich lange gegen diese Verurteilung gewehrt und erst auf massives Drängen der Juden nachgegeben hatte. Auf dessen Frage an Christus, was er denn Schuldhaftes getan hätte, antwortete dieser: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, so würden gewiß meine Diener für mich streiten, damit ich den Juden nicht überliefert würde, jetzt aber ist mein Reich nicht von hier.“ (Joh. 18,36) Also hätte Christus auch die Möglichkeit gehabt, sich gegen die ungerechte Verurteilung zu wehren. So aber nimmt er den Schuldspruch und die Verurteilung zum Tode am Kreuz freiwillig auf sich. Christi Leid und den Tod am Kreuz nimmt die Kirche, um diese Vorgänge als Sühne für die Sünden der Welt zu verstehen, und sieht in der glorreichen Auferstehung von den Toten die Erfüllung für die erfolgreiche Sühne und für die Tilgung der Sündenschuld.

Wie bei der Rechtsstrafe geht es auch im moralischen Bereich um die Bemessung der Strafe nach der Schwere des Verbrechens bzw. der Sünde. Die Sühne muß der Schwere der Sünde angemessen sein, sie ist der „Preis“, der bezahlt werden muß. Der Sünder muß dann diese Leistung freiwillig in Demut annehmen, wenn sie für ihn wirksam werden soll/kann. Darum heißt es auch beim letzten Abendmahl: das Blut, das „für euch und für viele“ und nicht, welches „für alle“ geflossen ist, weil viele Christi Sühneopfer nicht annehmen bzw. angenommen haben. Nicht alle wollen sich die Erlösungstat zueignen. Unser einstiger geistlicher Mentor, H.H. Dr. Katzer, der 1979 gestorben ist, hat uns einmal gefragt, welcher Moment in Christi Leben für diesen besonders schmerzlich gewesen sei. Seine Antwort: als Christus beim Letzten Abendmahl bei der Formel für den Kelch nicht beten konnte „für alle“, sondern nur „für viele“, weil er wußte, daß viele sein Opfer verwerfen würden und ewig verloren gingen.

Im Zusammenhang mit dem Geschehen an den Kartagen, wo Christus durch seinen Kreuzestod die Sünden der Menschheit sühnen will, habe ich mir die spezielle Frage gestellt, wer denn die Sühneleistung berechnet hat, die nötig ist, um alle Verbrechen der Menschen zu sühnen. Lehre der Kirche ist, daß diese Sühne ausreichend sei für alle Sünder, wenn sie sich alle diese zunutze machen würden. Diese Sühne-Leistung, die Christus bereit war, auf sich zu nehmen, hat Gott-Vater festgesetzt, der bereit war, für das Heil der Menschen seinen Sohn zu opfern. Und nur von daher ist auch das Opfer Abrahams zu verstehen, von dem Gott verlangt hatte, seinen Sohn zu opfern, aber eigentlich nur dessen Gehorsam in seinen Willen sehen wollte.

Dieses Geschehen, nämlich die Annahme des Willens des Vaters, sich zu opfern, schildert das Drama im Garten Getsemani:
„Darauf kam Jesus mit ihnen zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu den Jüngern: Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete! Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriffen ihn Traurigkeit und Angst und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Wieder ging er weg, zum zweiten Mal, und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.“ (Matt. 26, 36-42

Und ähnlich schildert der Evangelist Lukas das Geschehen im Garten Getsemani: „Dann verließ Jesus die Stadt und ging, wie er es gewohnt war, zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm. Als er dort war, sagte er zu ihnen: Betet, dass ihr nicht in Versuchung geratet! Dann entfernte er sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete: Vater, wenn du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.  Da erschien ihm ein Engel vom Himmel und stärkte ihn. Und er betete in seiner Angst noch inständiger und sein Schweiß war wie Blut, das auf die Erde tropfte. 4) Nach dem Gebet stand er auf, ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend; denn sie waren vor Kummer erschöpft. Da sagte er zu ihnen: Wie könnt ihr schlafen? Steht auf und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! (Lk. 22, 39-46)

Daß Christus dabei Blut schwitzt, muß sich nicht nur auf die zu erwartenden Schmerzen beziehen, die ihm die römischen Soldaten zufügen werden, die ihn schlußendlich auch kreuzigen werden, sondern auch auf die unendliche geistige Schmach, die ihm die Juden zufügen, indem sie ihn, den Gottessohn, als Gotteslästerer verurteilen lassen. Auch dieser Frevel ist in dem „Kelch“ enthalten, den er auf Befehl des Vaters austrinken wird. Er wird den vom Vater festgesetzten „Preis“ zahlen! Christus opfert sein Leben: er wird gekreuzigt! Aber wie soll sein Tod unendlich mehr wert sein als der Tod vieler Menschen, die durch grausame Foltern zu Tode gekommen sind? Der Tod Christi ist deshalb so kostbar, weil er verbunden ist mit der unendlichen Schmach, die ihm angetan wurde durch den Hohen Rat der Juden: er,  der Sohn Gottes wurde verurteilt als Gotteslästerer.

Es gibt von Joseph Blinzler eine genaue Beschreibung, wie allein die römische Geißelung vollzogen wurde: „Der Delinquent wurde entkleidet, an einen Pfahl oder eine Säule gebunden, manchmal auch einfach zu Boden geworfen und von mehreren Folterknechten so lange geschlagen, bis diese ermüdeten und das Fleisch des Delinquenten in blutigen Fetzen herabhing.“ (Vgl. „Der Prozeß Jesu“, Regensburg 1969; in: EINSICHT, April 2007, Nr. 2) Allein diese Tortur war aber nur ein Teil der Qualen, die noch folgen sollten. Sie fanden ihren Höhepunkt in dem Ruf der Verlassenheit, als Jesus am Kreuze hing und rief: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen.“ (Mk. 15,34) Die aber in Demut endeten, als Jesus sprach: „Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist.“ (Lk. 23,46) Aber hier reden wir „nur“ von den physischen Schmerzen, die Christus zugefügt worden waren. Wie viel größer war bzw. ist die Pein, die ihm – und heute durch den großen Verrat seiner angeblichen Hirten, die ihn nicht nur einfachhin verraten haben, sondern ihn an den letzten großen falschen Propheten, an Mohammed ausliefern – immer noch zugefügt werden. Und wenn wir bemüht sind, befreit durch die Beichte von Sündenlasten, durch die Aufopferung unseres Leidens Christi Schmach zu mildern, sollten wir sehr bescheiden sein und uns bewußt bleiben, wie gering unser Verdienst ist. In dem „Exsultet“ der Osternacht heißt es:
„Dies ist die Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach
und aus der Tiefe als Sieger emporstieg. (...)
O unfaßbare Liebe des Vaters: Um den Knecht zu erlösen, gabst du den Sohn dahin!
O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, du wurdest uns zum Segen,
da Christi Tod dich vernichtet hat!
O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“

Caterina v. Siena beschreibt in dem „Gespräch von Gottes Vorsehung“ nicht nur, warum Christi Sühneleiden aus der Sicht der Satisfaktion notwendig war, sondern auch, wie sich dieses Leiden für uns ausgestaltet: „Weil das menschliche Fleisch durch die Sünde des ersten Menschen Adam verdorben war und ihr alle als aus diesem Stoff geformte Gefäße verderbt und unfähig zum ewigen Leben seid, darum gab Ich Meinen eingeborenen Sohn dahin, sandte das Wort, mit derselben Natur bekleidet wie ihr, mit dem verderbten Fleische Adams, damit er in eben der Natur, die gesündigt hatte, die Strafe erdulde. Und indem Er in Seinem Leib litt bis zum schmachvollen Kreuzestod, stillte Er Meinen Zorn. In der Einigung der beiden Naturen nahm Ich das Opfer des Blutes Meines Sohnes an, das mit der göttlichen Natur vermengt und verschmolzen wurde durch das Feuer Meiner göttlichen Liebe; sie war die Fessel, die Meinen Sohn ans Kreuz geheftet und genagelt hielt. So nur wurde die menschliche Natur befähigt, die Schuld zu sühnen – und zwar allein in der Kraft der göttlichen Natur; auf diese Art wurde die Fäulnis der Sünde Adams hinweggenommen, und es verblieb davon nur die Spur: die Neigung zur Sünde und alle leiblichen Mängel, so wie die Narbe zurückbleibt, wenn der Mensch von einer Verwundung geheilt ist. Da nun der große Arzt, Mein eingeborener Sohn, gekommen war, heilte Er den kranken Menschen, indem Er die bittere Arznei trank, die der allzu Geschwächte nicht mehr zu trinken vermochte. Er handelte wie die stillende Amme, die anstelle des Kindleins die Arznei einnimmt, weil sie groß und stark ist, das Kindlein aber nicht kräftig genug, um das Bittere zu vertragen. So hat Er Sich zur Amme gemacht, in dem Er in der Größe und Kraft Seiner Gottheit, die sich mit eurer Natur verband, die bittere Arznei des schmerzvollen Kreuzestodes auf sich nahm, um euch, den durch die Schuld geschwächten Kindern, Heilung und Leben zu schenken. Dies geschieht in der heiligen Taufe, die in der Kraft des glorreichen und kostbaren Blutes wirksam ist und das Leben der Gnade schenkt. Sie macht das Gefäß der Seele bereit, Gnade zu empfangen und in sich zu vermehren: viel oder wenig, je nach ihrer Bereitschaft, Mich voll Eifer und Verlangen zu lieben und Mir zu dienen. Denn ungeachtet der in der heiligen Taufe empfangenen Gnade kann sie sich zum Bösen oder Guten entscheiden... Alle seid ihr im Allgemeinen und im Besonderen von Meiner Wahrheit dazu eingeladen worden, als Christus von Sehnsucht verzehrt im Tempel ausrief: Wer dürstet, der komme zu Mir und trinke, denn Ich bin ein Quell lebendigen Wassers. Er sagte nicht: der gehe zum Vater und trinke, sondern: der komme zu Mir. Warum? Weil sich in Mir, dem Vater, kein Leiden findet, wohl aber in Meinem Sohn. Ihr aber werdet, solange ihr Pilger und Wanderer dieses sterblichen Lebens seid, nie ganz frei sein können von Leiden, weil die Erde der Sünde wegen Dornen hervortrieb. Also sollt ihr euch an Ihn halten, der Sich für euch zur Brücke gemacht hat, so dass weder Dornen noch widrige Winde, weder Gunst noch Ungunst und anderes Leid, das ihr etwa ertragen müsst, euch verleiten, den Kopf zurückzuwenden; ihr müsst vielmehr ausharren, bis ihr Mich findet, der Ich euch lebendiges Wasser spende und es euch reiche durch die Vermittlung des liebreichen Wortes, Meines eingeborenen Sohnes. Warum aber sagte Er: ich bin Quell lebendigen Wassers? Weil Er der Brunnen war, der Mich fasste, in dem Er die göttliche Natur mit der menschlichen in Sich vereinigte. Darum sagte Er: keiner kann zum Vater gelangen außer durch Mich.“ (S. 26, f., 65, f.)

Wir haben versucht, uns der Lösung unseres Problems, wie wir denn durch die Sühne Christi dieses irdische, mit Sünden belastete Erdental durchschreiten können, um am Schluß trotz aller Belastungen in Christi Armen aufgefangen zu werden, zu nähern. Ich habe versucht, einige Zusammenhänge zu verdeutlichen. Die Frage, wie denn die Identifizierung Christi mit dem Sünder bzw. allen Menschen, die gesündigt haben, damit die Aufhebung für deren Nicht-Soll erreicht werden soll, bleibt bisher noch unbeantwortet bzw. nur angedeutet. Ich verweise aber noch einmal auf die entscheidenden Passagen in Lauths „Ethik“, deren einsichtiger Nachvollzug mir nicht möglich war.

Anmerkungen:

1
) Wenn Ratzinger diese Falschübersetzung wieder rückgängig gemacht hat – wobei diese Korrektur weitgehend nicht befolgt wurde -, hatte das seinen Grund in der ökumenischen Angleichung an den Protestantismus, der die richtige Übersetzung von „pro multis“ in „für viele“ beibehalten hatte.

2) Cyrill von Alexandrien, im Jahr 431 in der Verteidigung seiner 12 Kapitel gegen Theodoret von Cyrus, zu Kap. 2: „ Es erfolgt die Einigung nach der Hypostasis, wobei der Ausdruck „nach der Hypostasis“ nichts anderes bedeutet als nur dies, daß die Natur oder Hypostasis des Logos, d.h. der Logos selbst, mit seiner menschlichen Natur wahrhaft geeint wird ohne jede Veränderung und Vermischung und … als Ein-Christus gedacht wird und es auch ist, derselbe Gott und Mensch.“ Hypostatische Union bedeutet dann, daß die Einheit von Gottheit und Menschheit in Jesus durch die Hypostase zustande kommt.


3) 
Auch wenn die Kirche den Arianismus erfolgreich abgewehrt hat, so ist doch die von Arius vertretene Auffassung auch heute noch virulent. Ich merke hier an, daß Prof. Ratzinger in seiner Christologie von Christus redet als Gottes Sohn, weil dieser den Willen des Vaters vollkommen adaptiert hat. Damit wird aber der prinzipielle Unterschied zwischen der Erfüllung von Gottes Willen, wie sie die Heiligen leisten, und der Offenbarung der absoluten Liebe durch und in Jesus Christus aufgehoben und Christus als ein werdender Gott vorgestellt, wodurch sich Ratzinger zumindest als Semi-Arianer präsentiert (vgl. auch Wigand Siebel: „Zur theologischen Position von Kardinal Ratzinger - Ist Ratzinger ein Arianer?“ in EINSICHT Nr. 6 vom Okt. 2005).

4) 
Auf „PraxisVita“ beschreibt die Autorin Verena Elson das äußerst seltene Phänomen, daß Menschen Blut schwitzen können. Unter dem Titel „Lässt Todesangst mich Blut schwitzen?“ beschreibt sie den Fall einer Italienerin: „Dass Menschen in Todesangst Blut und Wasser schwitzen können, ist nicht nur eine Redensart – tatsächlich kommt es vor, dass unter Stress Blut aus den Poren gesunder Haut austritt.“ (https://www.praxisvita.de/laesst-todesangst-mich-blut-schwitzen-14628.html)
 
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