54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Mitteilungen der Redaktion
2. Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
3. My Time with His Excellency, Archbishop Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
4. Ma rencontre avec S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
5. Mi encuentro con Su Excelentísimo y Reverendísimo Arzobispo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Die Auserwählung Marias
 
Die Auserwählung Marias
nach den Visionen der Maria von Agreda

Vorwort der Redaktion:
Es ist erstaunlich, daß uns Gott in der Form von Visionen, die er auserwählten Seelen zuteil werden läßt, an seinen Ratschlüssen und Entscheidungen gleichsam als Zuschauer teilnehmen läßt und uns so Einblicke gewährt, die weit über die nüchternen Berichte der Evangelisten hinausgehen. Sie können so zu einem vertieften Wissen des göttlichen Willens und seiner Allmacht führen und uns auch so vor Zweifeln retten. Bekannt - und in der EINSICHT auch schon häufiger vorgestellt - sind die Visionen der Augustiner-Nonne aus Dülmen, der Anna Katharina Emmerich, die uns u.a. am Leben Marias und dem bitteren Leiden Christi hatte teilnehmen lassen.

Bereits früher hatte Gott der spanischen Äbtissin Maria von Agreda (* 2. April 1602; † 24. Mai 1665) genaue Kenntnisse und besondere Einblicke in das Leben Marias und ihre Erwählung zur Mutter Gottes zuteil werden lassen. Die Visionen erschienen nach ihrem Tod  unter dem Titel »Mistica Ciudad de Dios« (»Die mystische Stadt Gottes«) In den Schauungen gewährt Gott der Maria von Agreda solch tiefe Einsichten in die göttlichen Geheimnisse, weswegen die Lektüre der »mystischen Stadt Gottes« bis weit in das zwanzigste Jahrhundert einen bedeutenden Anteil an der theologischen Mariologie ausmachte und gleichsam als Lehrbuch galt, was von Pius XI. und Pius XII. unterstützt wurde. »Die mystische Stadt Gottes« enthält nicht nur die besonderen Schauungen auf und aus das Leben Marias, sondern löst auch theologische Streitfragen. So hatte bereits Kard. Aguirre am 4. August 1699 an den Erzbischof von Paris geschrieben: "Es ist gewiß, daß kein Mensch, so gelehrt er auch sein mag, zur Abfassung dieses Werkes rein natürlich so erhabene Erkenntnisse hätte beibringen können. Jedermann muß moralisch überzeugt sein, daß diese große Dienerin Gottes alles, was sie geschrieben hat, auf Eingebung des Heiligen Geistes und unter dem besonderen Beistand der allerseligsten Jungfrau Maria geschrieben hat." (Klappentext)

So hatte sie die Frage, ob die Menschwerdung Gottes notwendig geworden sei durch den Sündenfall und dessen Wiedergutmachung oder ob auch Gott das irdische Leben angenommen hätte, wenn es nicht zu dem Sündenfall gekommen wäre, dahin gehend beantwortet, daß Gott auch ohne den Sündenfall Mensch geworden wäre, um den Menschen seine Liebe unmittelbar zuteil werden zu lassen - wie Gott Maria mitteilt: "einzig aus Liebe zu den Menschen habe Ich all diese sichtbaren Geschöpfe gebildet", - daß aber durch den Sündenfall bedingt, Gott den Zugang zu ihm durch den Sühnetod seines Sohnes wieder ermöglichen wollte.

Wie sehr Maria selbst, die damals 14 Jahre alt war, die Erlösung der Menschheit herbei gesehnt hat, die vor dem Besuch des Engels Gabriel nicht wußte, daß sie von Gott auserwählt war, um den Sohn Gottes zu gebären, sollen die nachfolgenden Ausführungen zeigen, um zu verstehen, was es bei Lukas heißt: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort." (Lk. 1, 38)
Eberhard Heller

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8. Maria fleht um die Menschwerdung des göttlichen Wortes und um die Erlösung der Menschheit


Maria war nun voll Gnade und Schönheit und das Herz Gottes durch ihre zarten Anmutungen und Begierden so verwundet, daß diese nun das ewige Wort drängten, aus dem Schoße des ewigen Vaters in das Brautgemach ihres jungfräulichen Schoßes niederzueilen und dem mehr als fünftausendjährigen Warten ein Ende zu machen. Die Weisheit und Gerechtigkeit Gottes aber ordnete dieses Wunder so an, daß Maria nicht nur würdige Mutter des göttlichen Wortes, sondern zugleich auch wirksame Mittlerin Seiner Ankunft wurde, und zwar in weit höherem Grade, als Esther die Mittlerin der Befreiung ihres Volkes gewesen war. Das Herz der seligsten Jungfrau glühte von dem Feuer, das Gott selbst entzündet hatte, und sie flehte unablässig um das Heil des Menschengeschlechtes. Doch hielt die demütigste Magd des Herrn auch noch gewissermaßen zurück, weil sie wußte, daß wegen der Sünde Adams das Urteil des Todes und der ewigen Beraubung der Anschauung Gottes über die Menschen ausgesprochen war.

So stritten im reinsten Herzen Mariä Liebe und Demut, und sie betete oft: "Wer wird mächtig genug sein, das Heil für meine Brüder zu erlangen? Wer wird den Eingeborenen aus dem Schoße Seines Vaters zu uns Sterblichen herniederbringen? Wer wird Ihn bewegen, unserer Natur jenen Kuß Seines Mundes zu geben, um den die Braut des Hohenliedes Ihn bittet? Doch wie können wir Kinder dessen, der die Sünde begangen hat, dies erflehen? Wie könnten wir Den zu uns herniederziehen, den unsere Väter so sehr zurückgestoßen haben? 0 meine Liebe, daß ich Dich doch sehen könnte an der Brust Deiner Mutter, der menschlichen Natur. Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, daß Du doch, Deine Himmel neigend, herabstiegest und den in der Finsternis Wohnenden Licht brächtest! Möchtest Du doch Deinen Vater besänftigen! Daß doch, 0 Vater, Dein göttlicher Arm, das ist Dein Eingeborener, den stolzen Aman, den Satan, unsern Feind, stürze! Wer wird die Mittlerin sein, die vom himmlischen Altar wie mit einer goldenen Zange jene glühende Kohle der Gottheit nimmt, um die Welt zu reinigen, wie der Seraph, von dem Dein Prophet spricht, das Feuer genommen hat?"

So betete Maria auch am achten Tage. Da wurde sie um Mitternacht in Gott erhoben und Er antwortete ihr: "Komm, Meine Braut, Meine Taube, Meine Auserwählte! Das allgemeine Gesetz gilt nicht für dich. Seit dem Augenblick deiner Empfängnis bist du ausgenommen von der Sünde und frei von ihren Folgen. Als Ich dich ins Dasein rief, habe Ich das Zepter Meiner Gerechtigkeit von dir abgewendet und das Meiner Güte auf deinen Hals gelegt, damit das Gesetz der Sünde sich nicht auf dich erstrecke. Komm und sei nicht zaghaft in deiner Demut und in der Erkenntnis deiner Natur. Ich erhebe die Demütigen. Ich überhäufe die Armen mit Reichtümern. Du hast Mich auf deiner Seite, und Meine freigebige Barmherzigkeit wird dir gewogen sein. "

Maria vernahm diese Worte geistigerweise und gewahrte dann, daß sie von den Engeln körperlich in den Himmel gehoben wurde wie tags zuvor. Sie stieg zu Gott empor, so reich an Gaben und Schätzen Seiner Gnade, so herrlich und schön, daß die Engel, mehr als je von Staunen ergriffen, zum Lobe des Herrn einander zuriefen: "Wer ist diese, die aus der Wüste emporsteigt, überfließend von Wonne? Wer ist diese, die, auf ihren Geliebten gelehnt, Ihn überwindet und mit sich nimmt zur irdischen Wohnung? Wer ist die, die sich erhebt wie die Morgenröte, schöner als der Mond, auserwählt wie die Sonne? Wie strahlend steigt sie empor von der mit Finsternis bedeckten Erde! Wie stark und kräftig ist sie in einer so gebrechlichen Natur! Ist sie so mächtig, daß sie den Allmächtigen überwinden will? Wie kann einer Frau der Eintritt in den Himmel offen stehen, da er doch dem Adamsgeschlechte, dem sie angehört, verschlossen ist?"

Der Allerhöchste gewährte der seligsten Jungfrau nicht eine intuitive, sondern eine abstrakte Anschauung Seiner Gottheit. Diese war mit unaussprechlichen Gaben göttlicher Erleuchtung und Reinigung verbunden, die ihr der Herr bis auf diesen Tag vorbehalten hatte. Diese waren über alles Irdische so erhaben, daß - menschlich gesprochen - Gott selbst, der sie bewirkte, sich darüber verwunderte. Er lobte dieses Werk Seiner Allmacht und, von Liebe zu ihm hingezogen, sprach Er zu Maria: "Kehre um, kehre um, Sulamith, damit Ich dich sehe und über deine Schönheit Mich erfreue. Es gereut Mich nicht, den Menschen geschaffen zu haben, nein, es freut Mich, weil du von ihm stammst. Meine Engel sollen sehen, daß Ich dich mit Recht zu Meiner Braut und zur Königin all Meiner Geschöpfe erwählt habe! Sie sollen erkennen, daß Ich Mich mit Recht über dein Brautgemach erfreue, wo Mein eingeborener Sohn nach der Glorie, die Er in Mir findet, am meisten verherrlicht sein wird. Alle sollen sehen, daß, wenn Ich Eva, die erste Königin der Erde, wegen ihres Ungehorsams verstieß, Ich nun dich zur höchsten Würde erhebe und Mich groß und mächtig zeige gegenüber deiner reinsten Demut und Selbstverachtung!"

Dieser Tag brachte den Engeln den größten Jubel und die höchste akzidentelle Freude, die sie seit ihrer Erschaffung genossen hatten. Alle erkannten Maria als ihre Gebieterin und Königin an, sangen ihr Loblieder und priesen den Schöpfer. Maria aber war bei diesen wunderbaren Geheimnissen in den Abgrund der Gottheit und in das Licht Seiner unendlichen Vollkommenheit versenkt, so daß sie durch Gottes Fügung nicht alles beachtete, was geschah. So blieb ihr das Geheimnis ihrer Auserwählung zur Mutter des Eingeborenen bis zu dessen Verwirklichung verborgen. Nie erwies sich der Herr an einem Volk oder an einem einzelnen Geschöpf so groß und mächtig, wie an diesem Tag an der seligsten Jungfrau Maria.

Der Allerhöchste sprach in äußerster Herablassung zu ihr: "Meine Braut, du hast Gnade gefunden in Meinen Augen. Verlange von Mir ohne Zagen, was du begehrst. Als treuer Gott und allmächtiger König werde Ich deine Bitte nicht verwerfen, noch dein Begehren zurückweisen." Maria demütigte sich tief. Doch auf das königliche Wort des Herrn gestützt, erhob sie sich vertrauensvoll und sprach: "Mein Gott, habe ich Gnade in Deinen Augen gefunden, so will ich, obwohl ich Staub und Asche bin, mein Herz vor Dir ergießen." Gott forderte sie nochmals auf, alles, was sie wolle, in Gegenwart des ganzen himmlischen Hofes zu verlangen, wäre es auch ein Teil Seines Reiches. Maria antwortete: "Nicht um einen Teil Deines Reiches bitte ich Dich für mich, sondern um das ganze, und zwar für alle Menschen; denn sie sind meine Brüder. Ich bitte, sende uns nach Deiner unermeßlichen Güte Deinen eingeborenen Sohn, unsern Erlöser, damit Er genugtue für alle Sünden der Welt und Dein Volk die Freiheit erlange, nach der es sich sehnt. Verkünde den Menschen auf Erden den Frieden und eröffne ihnen freien Eintritt in den Himmel. Alles Fleisch sehe das Heil! Friede und Gerechtigkeit mögen sich küssen und wir Menschen einen Meister und Führer, ein Haupt und einen Erlöser erhalten, der mit uns lebe und verkehre. 0 mein Gott, daß doch jetzt der Tag Deiner Verheißung erscheine, Dein Wort sich erfülle und der Messias komme, den so viele Jahrhunderte ersehnt haben! Das begehre ich von Deiner unendlichen Güte!"

Gott hatte diese Bitten Seiner Braut mit Wohlwollen angehört und antwortete ihr: "Deine Wünsche sind Mir angenehm! Es geschehe, wie du verlangst! Ich will, was du begehrst. Ich gebe dir Mein Wort, daß Mein eingeborener Sohn bald auf die Erde herniedersteigen wird, um sich mit der menschlichen Natur zu bekleiden und zu vereinigen. So werden deine Bitten erfüllt."

Bei dieser Zusicherung fühlte Maria in ihrem Innern neues Licht und die Zuversicht, daß nun das Ende der langen Sündennacht und der alten Gesetze bevorstehe und der neue klare Tag der Erlösung nahe. Da die Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit sich schon näherten und in großer Fülle auf sie fielen, strahlte sie wie die Morgenröte und, im Glanze der Gottheit schimmernd, war sie wie in diese umgewandelt. Sie pries in ihrem und aller Menschen Namen den Herrn voll Liebe und Dank für die nahe Erlösung. Dazu verwandte sie den ganzen Tag, nachdem die Engel sie zur Erde zurückgebracht hatten. Meine Unwissenheit und Unfähigkeit, so erhabene Geheimnisse zu beschreiben, schmerzen mich immer. Wenn gelehrte und wissenschaftlich gebildete Männer es nicht in entsprechender Weise zu tun vermögen, wie sollte es dann mir, einer armen Jungfrau, möglich sein? Möge das Licht der christlichen Frömmigkeit meine Unwissenheit ersetzen und der Gehorsam meine Kühnheit entschuldigen! (...)

9. Letzte Vorbereitung auf die Menschwerdung

Am neunten und letzten dieser Tage erneuerte und vermehrte Gott Seine Wunder, indem Er alle Gnaden wiederholte, die Er bis dahin der heiligsten Jungfrau mitgeteilt hatte. Er wirkte in ihr, indem Er Altes aus Seinen unendlichen Schatzkammern nahm und immer viel Neues beifügte. Alle diese Gnadenwunder sind aber darin beschlossen, daß ein Gott sich so erniedrigt und Mensch wird, und daß Er eine Frau so hoch erhebt, daß sie Seine Mutter wird. Um Mensch zu werden, brauchte sich Gott selbst nicht zu ändern. Er hätte es auch nicht gekonnt. Er vermochte unsere Natur mit seiner Person zu vereinigen und konnte dabei doch in sich selbst unveränderlich bleiben. Sollte aber eine Frau Mutter Gottes werden, so schien es notwendig, daß sie eine unendliche Kluft überschreite und über alle andern Geschöpfe sich in dem Maße erhebe, als sie der Gottheit sich näherte.

Nun kam der Tag, an dem Maria die letzte Stufe der Vorbereitung erreichte und in solche Nähe zu Gott trat, daß sie Seine Mutter werden konnte. Wie an den vorhergehenden Tagen wurde sie um die Stunde des größten Schweigens, um Mitternacht, von Gott dem Herrn gerufen. Maria antwortete: "Mein Herz ist bereit, 0 Allerhöchster! Dein göttliches Wohlgefallen geschehe an mir!" Dann wurde sie wie an den vorhergehenden Tagen von den Engeln mit Leib und Seele in den empyreischen Himmel getragen und vor den Thron des Allerhöchsten gestellt. Der Allmächtige erhob sie und wies ihr an Seiner Seite ihren Sitz an, den sie immer in Seiner Gegenwart einnehmen sollte. Dieser war der erhabenste und nächste bei Gott nach dem, der für die Menschheit des Wortes vorherbestimmt war. Er war über die Throne der übrigen Heiligen ohne Vergleich erhaben.

Von dort aus sah Maria die Gottheit in einer abstraktiven Vision. Der Herr offenbarte ihr so hohe und neue Geheimnisse, daß ich sie ihrer Tiefe und meiner Unwissenheit wegen nicht beschreiben kann. Ihre Würde als Mutter Gottes blieb ihr aber noch immer verborgen. Sie schaute in der Gottheit aufs neue alle erschaffenen Dinge, auch viele nur mögliche und zukünftige. Sie schaute die körperlichen durch sinnliche Erkenntnisbilder, wie wenn sie sie alle mit leiblichen Augen wahrnähme. Sie sah das ganze Gebäude des Weltalls zugleich. Bisher hatte sie nur dessen Teile geschaut. Auch die darin befindlichen Geschöpfe sah sie so deutlich, als ob sie sie in einem Gemälde vor sich gehabt hätte. Sie erkannte deren Harmonie und Ordnung, ihren gegenseitigen Zusammenhang und ihre Abhängigkeit voneinander. Sie sah, wie alles vom Willen Gottes abhängt, der jedes Geschöpf an seinem Ort und seinem Wesen entsprechend erschafft, regiert und erhält. Sie sah aufs neue alle Himmel, alle Sterne, die Elemente, deren Bewohner, das Fegfeuer, die Vorhölle und die Hölle mit allen, die in diesen Räumen leben. So wie der Ort, an dem die Königin der Geschöpfe sich befand, über alle erhaben war und nur unter Gott stand, so war auch ihre Erkenntnis erhaben, nur unter der Erkenntnis Gottes, dagegen höher als die aller bloßen Geschöpfe.

Maria war ganz versenkt in Bewunderung der Offenbarungen und erwiderte sie mit schuldigem Lobpreis. Da sprach Gott zu ihr: "Meine Auserwählte, einzig aus Liebe zu den Menschen habe Ich all diese sichtbaren Geschöpfe gebildet, und Ich bewahre sie durch Meine Vorsehung in solcher Mannigfaltigkeit und Schönheit. Aus allen Seelen aber will Ich eine Gemeinschaft von Gläubigen auswählen, damit sie abgesondert und gewaschen werden im Blute des Lammes, das die Sünden der Welt hinwegnehmen wird. Diese werden die besondere Frucht der Erlösung durch das Lamm sein und durch das neue Gesetz der Gnade sowie durch die Sakramente die Früchte der Erlösung genießen. Jene, die ausharren, werden zur Teilnahme an Meiner ewigen Glorie und Freundschaft gelangen. Für diese Auserwählten habe Ich an erster Stelle so viele Wunderwerke geschaffen. Wenn alle Mir dienen, Mich anbeten und Meinen Namen bekennen wollten, würde Ich für sie alle und für jeden einzelnen im besonderen ebenso große Schätze erschaffen und sie jedem einzelnen zum Besitze geben.

Ja, wenn Ich nur ein einziges dieser Geschöpfe, die Meiner Gnade und Glorie fähig sind, erschaffen hätte, Ich würde es allein zum Herrn der ganzen Schöpfung machen. Doch dies alles ist weniger als sie teilnehmen zu lassen an Meiner Freundschaft und ewigen Glückseligkeit. Du meine Braut, bist Meine Auserwählte und hast Gnade gefunden in Meinem Herzen. Darum mache Ich dich zur Herrin all dieser Güter, damit, wenn du dich als treue Braut erweisest, sie an jene austeilest, die Mich durch deine Vermittlung darum bitten. Deshalb lege Ich alles in deine Hände nieder." Darauf setzte die heiligste Dreifaltigkeit Maria eine Krone aufs Haupt und weihte sie zur höchsten Königin alles Erschaffenen. Diese Krone trug die Aufschrift: »Mutter Gottes«. Die seligste Jungfrau verstand sie damals noch nicht, wohl aber die Engel. Sie wunderten sich, daß Gott so Großes an dieser glücklichen Jungfrau tat, der Gebenedeiten unter den Frauen. Sie bezeigten ihr Ehrfurcht und Huldigung als ihrer und der ganzen Schöpfung rechtmäßigen Königin und Herrin.

Alle diese Wunder wirkte der Allerhöchste in der Ordnung Seiner unendlichen Weisheit. Es geziemte sich, daß der ganze himmlische Hof Seine Mutter als Königin und Herrin anerkannte und ihr die schuldige Ehrfurcht erwies. Bevor Er in den jungfräulichen Schoß Mariä niederstieg. Es entsprach der Ordnung, daß Gott sie zuerst zur Königin und dann zur Mutter des Fürsten der Ewigkeiten erhob. Der Allerhöchste war es der Majestät Seiner Gottheit sozusagen schuldig, daß Er den Tabernakel, den Er sich zur Wohnung erwählte, mit aller Würde, Vollkommenheit, Größe und Herrlichkeit ausrüstete und adelte, ohne irgend etwas Mögliches zu unterlassen.

Zur letzten Vollendung dieses Wunderwerkes erneuerte der Herr selbst den Geist und die Seelenkräfte Mariä durch neue Erleuchtungen, Fähigkeiten und Vollkommenheiten, deren Größe und Beschaffenheit man durch irdische Ausdrücke nicht wiedergeben kann. Dies war sozusagen der letzte Pinselstrich an diesem lebendigen Abbilde Gottes, in dem und aus dem der Leib gebildet werden sollte, mit dem sich das ewige Wort, das wesenhafte Abbild des Vaters und der Abglanz Seiner Wesenheit bekleiden wollte. So ward Maria ein lebendiger Tempel, vorzüglicher als der Salomons, innen und außen mit dem reinsten Gold der Gottheit bekleidet, ohne daß man an ihr auch nur die kleinste Spur einer irdischen Tochter Adams entdecken konnte. Sie war durch Teilnahme Gott ganz ähnlich; denn das ewige Wort hatte sie so vorbereitet, daß Es in ihr die größtmögliche Ähnlichkeit zwischen Mutter und Vater vorfand.

Mir fehlen die Worte, um die unfaßbaren Wirkungen zu schildern, die alle diese Gnaden im Herzen Mariä hervorbrachten. Kraft des Lichtes, das ich darüber empfing, versetzt mich die Demut Mariä und der Wettstreit zwischen ihr und der Macht Gottes am meisten in Staunen. Welch außerordentliches Wunder der Demut! Diese zarte, heiligste Jungfrau Maria, zur höchsten Würde und Heiligkeit nach der Heiligkeit Gottes erhöht, erniedrigt und vernichtet sich im selben Augenblick bis auf die unterste Stufe aller Geschöpfe. Kraft dieser Demut steigt auch der Gedanke nicht in ihr auf, sie könne die Mutter des Messias werden. Sie dachte überhaupt nichts Großes, nichts Wunderbares von sich selbst, und je höher der Allmächtige sie erhob, desto niedriger dachte sie von sich. Wahrlich, es war gerecht, daß Gott auf ihre Demut niedersah und alle Geschlechter sie selig preisen. (...)


10. Die frohe Botschaft des heiligen Erzengels Gabriel

Seit unendlichen Jahrhunderten war, im Schoße der ewigen Weisheit verborgen, die Stunde der Offenbarung des Geheimnisses der Menschwerdung festgesetzt. Jetzt kam die Fülle der Zeit, die bis dahin, obwohl voll von Weissagungen und Verheißungen, doch äußerst leer gewesen war, weil ihr die Fülle der seligsten Jungfrau Maria fehlte. Durch ihre Zustimmung sollten alle Jahrhunderte ihre Vollendung erhalten, nämlich das ewige Wort als Erlöser in leidensfähiger Menschheit. Da nun Maria auf Erden war, brauchte der Herr nicht mehr in Zelten oder fremden Hütten gleichsam mietweise zu wohnen. Jetzt konnte Er in Seinem eigenen Tempel wohnen, in Seinem eigenen Hause, das Er sich auf seine eigenen Kosten zum voraus gebaut und ausgestattet hatte, herrlicher als Salomon auf Kosten seines Vaters David den Tempel ausstattete.

In der Fülle der Zeit wollte nun Gott der Welt Seinen eingeborenen Sohn senden. Er offenbarte dem heiligen Erzengel Gabriel Seinen Willen. In der gewöhnlichen Ordnung erleuchtet Gott zuerst die höheren Engel, diese erleuchten dann die niederen bis zum letzten, indem die einen den andern mitteilen, was Gott geoffenbart hat. Bei diesem Ereignis war es anders. Der heilige Erzengel erhielt seine Botschaft unmittelbar vom Herrn selbst.

Sogleich stand der heilige Gabriel wie an den Stufen des Thrones Gottes, aufmerksam auf das unveränderliche Wesen des Allerhöchsten. Gott selbst übergab und erklärte ihm die Botschaft und auch die Worte, mit denen er Maria begrüßen und anreden mußte. Der Allerhöchste selbst ist also ihr Urheber. Er bildete sie in Seinem göttlichen Geiste. Der Herr offenbarte in diesen Worten dem Erzengel Gabriel viele tiefe Geheimnisse über die Menschwerdung. Dann gebot ihm die heiligste Dreifaltigkeit, Maria zu verkünden, daß Gott sie zur Mutter des ewigen Wortes erwählt habe. Sie werde Es vom Heiligen Geiste in ihrem jungfräulichen Schoße empfangen und doch Jungfrau bleiben.

Darauf offenbarte Gott allen übrigen Engeln, daß die Zeit der Erlösung der Menschen gekommen sei und Er Maria die höchste Würde der Gottesmutterschaft verleihen werde. Die Engel vernahmen die Stimme ihres Schöpfers mit unaussprechlicher Wonne und innigem Dank. Sie sangen Ihm neue Loblieder, in denen sie immer den Hymnus Sions wiederholten: "Heilig, heilig, heilig bist Du, Herr der Heerscharen! Gerecht und mächtig bist Du, Herr unser Gott, der Du in den Höhen wohnst und auf die Demütigen der Erde schauest. Wunderbar, o Allerhöchster, sind Deine Werke. Erhaben bist Du in Deinen Gedanken!"

Gabriel, der erhabene Himmelsfürst, gehorchte mit besonderer Freude. Viele Tausende der schönsten Engel begleiteten ihn in sichtbarer Gestalt. Er selbst erschien wie ein anmutiger Jüngling von seltener Schönheit. Sein umstrahltes Antlitz leuchtete. Seine Miene war ernst und majestätisch, seine Schritte gemessen, seine Haltung würdevoll, seine Worte gewichtig und kraftvoll. Sein ganzes Wesen voll ernster Anmut repräsentierte die Gottheit in vollkommenerer Weise als irgend ein Engel, den Maria bis dahin in ähnlicher Gestalt gesehen hatte. Seine Prachtgewänder schimmerten in verschiedenen hell leuchtenden, strahlenden Farben. Er trug ein Diadem von seltenem Glanze, auf der Brust ein sehr schönes, wie in Gold eingefaßtes Kreuz, das Geheimnis der Menschwerdung andeutend. Dies alles erweckte die Aufmerksamkeit und die Gefühle der weisesten Jungfrau Maria in hohem Grade. Der Erzengel Gabriel und seine Begleitung flogen nach Nazareth in die arme, kleine, schmucklose Kammer der seligsten Jungfrau. Maria war erst vierzehn Jahre, sechs Monate und siebzehn Tage alt. Am 8. September erreichte sie vierzehn Jahre.

Maria war wohlgebaut und größer als die Jungfrauen gewöhnlich in diesem Alter sind. Ihre Gestalt war äußerst anmutig, höchst ebenmäßig und ganz vollkommen. Ihr Angesicht war mehr lang als rund, aber schön, ihre Farbe hell, ein wenig gebräunt, die Stirne breit, jedoch mit Ebenmaß. Die Augenbrauen waren schön gewölbt, die Augen groß und ernst, von unglaublicher unaussprechlicher Schönheit und von unschuldiger Anmut. Deren Farbe spielte zwischen schwarz und dunkelgrün. Die Nase war gerade und vollkommen, der Mund klein, die Lippen rot und wohlgeformt. Ihre ganze Person, ausgestattet mit solchen Gaben der Natur, war so ebenmäßig und schön gebaut, daß kein anderer Mensch ihr je gleichkam. Ihr Anblick weckte Freude, Ehrfurcht, Liebe und heilige Scheu zugleich. Sie zog die Herzen an und hielt sie dennoch in sanfter Ehrfurcht zurück. Ihre Würde und Vollkommenheit regten zum Lobe an und zugleich zum Schweigen. In allen, die sie sahen, brachte ihr Anblick himmlische Wirkungen hervor, die sich nicht leicht beschreiben lassen, aber sie erfüllten das Herz mit himmlischen Einflüssen und Regungen, die zu Gott führten.

Ihre Kleidung war demütig, einfach, arm und reinlich, bescheiden und sittsam, dunkelsilberfarbig oder aschgrau. Als die Gesandtschaft des Himmels sich ihr nahte, war sie in höchster Beschauung über die Geheimnisse, die der Herr ihr in den vergangenen neun Tagen geoffenbart hatte. Da Maria wußte, daß der Eingeborene Gottes bald Mensch werde, war sie voll Eifer und Freude im Glauben an dieses Geheimnis. Demütig und liebeglühend sprach sie in ihrem Herzen: "Ist es möglich, daß die so glückliche Zeit nahe ist, in der das Wort des ewigen Vaters geboren werden und mit den Menschen verkehren wird? Darf die Welt Ihn besitzen? Dürfen die Menschen Ihn mit leiblichen Augen schauen? Soll dieses unzugängliche Licht erscheinen, um jene zu erleuchten, die von Finsternissen umringt sind? Wer wird so glücklich sein, Ihn von Angesicht zu Angesicht zu schauen? Wer darf die Erde küssen, wohin Er Seinen göttlichen Fuß setzt?

Es freue sich der Himmel und frohlocke die Erde! Alle mögen Ihn ewig loben und preisen; denn jetzt ist ihr ewiges Heil nahe. O Kinder Adams, durch Schuld niedergebeugt, aber doch Geschöpfe meines einzigen Gutes, bald werdet ihr das Haupt erheben und das Joch eurer alten Feindschaft abschütteln. Es naht eure Erlösung, es kommt euer Heil! Ihr Altväter, Propheten und alle Gerechten in der Vorhölle, bald wird euer Trost kommen! Der ersehnte und verheißene Erlöser wird nicht mehr zögern! Wir alle wollen Ihn lobpreisen! Wer mag die Dienerin jener sein, die Isaias als Mutter bezeichnet hat? O Emanuel, Gott und wahrer Mensch! O Schlüssel Davids, der den Himmel öffnen wird! O ewige Weisheit! O Gesetzgeber der neuen Kirche. Komm zu uns, o Herr! Befreie Dein Volk von der Gefangenschaft! Alles Fleisch sehe Dein Heil! " So betete Maria, als der heilige Erzengel Gabriel ankam. Sie war makellos der Seele, vollkommen dem Leibe nach, ganz edel in ihren Gedanken, hocherhaben an Heiligkeit, voll der Gnaden und Gott so ähnlich, so wohlgefällig, daß sie Seine würdige Mutter werden konnte und ein wirksames Werkzeug, um Ihn aus dem Schoße des himmlischen Vaters in ihren jungfräulichen Schoß herabzuziehen. Sie war das mächtige Mittel unserer Erlösung. Ihr verdanken wir sie aus vielen Gründen, und darum verdient sie für ewig den Lobpreis aller Nationen und Geschlechter. Was beim Eintritt des Erzengels geschah, werde ich im folgenden Kapitel sagen. In diesem Kapitel will ich nur noch eins bemerken, was Verwunderung erregt. Gott ließ nämlich Maria beim Empfang der Botschaft und beim Vollzug des erhabenen Geheimnisses der Menschwerdung in dem gewöhnlichen Zustand der Tugenden, den ich im ersten Teil beschrieben habe. Jenes Geheimnis mußte sich als ein Mysterium des Glaubens vollziehen, bei dem Maria die göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe üben sollte.

(zitiert nach: „Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria“ Jestetten 1982, ins Deutsche übersetzt von Schwester Assumpta Volbert nach der „Nueva Edición de la Mistica Ciuda de Dios“ Barcelona 1911-1914, S. 75-92)

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