PREDIGT ÜBER DAS PFINGSTFEST
vom
hl. Leo d.Gr., Papst von 440-461
Geliebteste!
1. Alle Katholiken wissen, daß das heutige Fest als eines der
wichtigsten gefeiert werden muß, und alle sind sich darüber im klaren,
welch große Verehrung man diesem Tage schuldet, den der Heilige Geist
durch ein so erhabenes Gnadenwunder geheiligt hat. Seitdem der Herr
über alle Himmelshöhen emporstieg, um seinen Platz zur Rechten des
Vaters zu nehmen, ist dies der zehnte Tag. Seit seiner Auferstehung
aber ist heute - am Ausgangstage des Festes - der fünfzigste Tag für
uns angebrochen. Große Geheimnisse des Alten und Neuen Bundes birgt er
in sich. Diese offenbaren aufs deutlichste, daß die Gnade durch das
Gesetz vorherverkündet wurde und das Gesetz erst durch die Gnade seine
Erfüllung fand. Am fünfzigsten Tage war einst dem von den Ägyptern
befreiten Volke der Hebräer nach der Schlachtung des Osterlammes das
Gesetz auf dem Berge Sinai gegeben worden (vgl. Exod. 19,17 ff.).
Ebenso kam auch nach dem Leiden Christi, durch welches das wahre Lamm
Gottes getötet wurde, am fünfzigsten Tage seit seiner Auferstehung der
Heilige Geist über die Apostel und die Schar der Gläubigen herab.
Daraus kann der aufmerksame Christ unschwer ersehen, daß der Anfang des
Alten Bundes ein Vorbild des Beginns des Evangeliums war, daß der
zweite Bund von demselben Geiste gegründet wurde, von dem auch der
erste aufgerichtet worden ist.
2. In der Apostelgeschichte steht geschrieben: "Als die Tage des
Pfingstfestes gekommen und alle Jünger an demselben Orte einmütig
beisammen waren, entstand plötzlich vom Himmel herab ein Brausen,
gleich dem eines gewaltig daherfahrenden Windes und erfüllte das ganze
Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie
von Feuer, und es ließ sich auf einen jeden von ihnen nieder. Und alle
wurden erfüllt vom Heiligen Geiste und fingen an, in fremden Sprachen
zu reden, so wie es der Heilige Geist ihnen zu sprechen eingab." (Apg.
2,1 ff.) Wie schnell wirkt doch das Wort der Weisheit! Wie rasch erfaßt
man da, was man lernen soll, wo Gott selbst der Lehrer ist! Da braucht
es keinen Dolmetscher zum Verstehen, keine Übung zum Sprechen und keine
Zeit zur Vervollkommnung. Es wehte der Geist der Wahrheit, wo er wollte
(vgl. Joh. 3,8), und die jedem Volke eigentümliche Sprache wurde zu
einem gegenseitigen Verständigungsmittel im Munde der Kirche. Von
diesem Tage an ertönte der Posaunenruf der evangelischen Predigt. Seit
diesem Tage befruchtete der Tau der Gnade und reichlich fließender
Segen jedes öde und dürre Land; denn um das Antlitz der Erde zu
erneuern, "schwebte der Geist Gottes über den Wassern" (Gen. 1,2)! Um
die alte Finsternis zu verscheuchen, brach ein neuer Lichtstrahl
hervor. Beim Glanze flammender Zungen vernahm man das klare Wort des
Herrn und seine gluthauchende Lehre, der die Kraft innewohnte, zu
erleuchten und wie Feuer auf die Seele zu brennen, damit die Erkenntnis
geweckt und die Sünde getilgt würde.
3. Obwohl die Art und Weise jenes Vorganges, Geliebteste, überaus
wunderbar war, und es keinem Zweifel unterliegt, daß sich in jener
plötzlich zutage tretenden Fähigkeit, die Sprachen aller Völker zu
sprechen, die majestätische Macht des Heiligen Geistes offenbarte, so
möge doch niemand glauben, daß sich in dem, was man mit leiblichen
Augen sah, sein göttliches Wesen gezeigt habe! Seine unsichtbare Natur,
die er mit dem Vater und dem Sohne teilt, hat damit nur einer
besonderen Wirkung ihrer Gnade, so wie es ihr beliebte, durch ein
sinnlich wahrnehmbares Zeichen Ausdruck verliehen, während sie das ihr
eigene Wesen unter ihrer Gottheit verborgen hielt. Weder den Vater noch
den Sohn noch den Heiligen Geist vermag der Mensch zu schauen; denn in
der göttlichen Dreieinigkeit ist nichts unähnlich, nichts ungleich.
Alle Vorstellungen, die man sich von ihrem Wesen machen kann, laufen
auf dieselbe Kraft, Majestät und Ewigkeit hinaus. Wenn auch als Person
betrachtet der Vater ein anderer ist als der Sohn und der Heilige
Geist, so ist doch ihre Gottheit, ihre Natur die gleiche. Wenn auch der
eingeborene Sohn vom Vater stammt, und der Heilige Geist der Geist des
Vaters und des Sohnes ist, so ist er dies doch nicht im Sinn all der
Geschöpfe, die der Vater und der Sohn geschaffen haben, sondern im
Sinne eines zusammen mit beiden lebenden und regierenden Wesens. Seit
Ewigkeit ist seine Natur die nämliche wie die des Vaters und des
Sohnes. Darum sprach auch der Herr, als er am Tage vor seinem Leiden
seinen Jüngern die Ankunft des Heiligen Geistes verhieß: "Noch vieles
habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht fassen. Wenn aber
jener Geist der Wahrheit kommt, so wird er euch die ganze Wahrheit
lehren; denn er wird nicht von sich selber reden, sondern alles, was er
hört, wird er reden und das Zukünftige wird er euch verkünden. Alles,
was der Vater hat, ist mein. Darum habe ich euch gesagt, daß er von dem
Meinigen nehmen und euch verkünden wird." (Joh. 16,12 ff.) Dem Vater
ist also nichts anderes eigen als dem Sohne und dem Heiligen
Geiste. Alles, was der eine besitzt, besitzen auch die anderen.
Von jeher bestand bei der Dreieinigkeit diese Gemeinschaft; denn bei
ihr deckt sich dieses gemeinsame, "alles umfassende Haben" mit ihrem
"ewigen Sein". Nicht darf man bei ihr an Alter, Rang oder sonstige
Unterschiede denken. Wenn schon niemand erklären kann, was Gott ist ,
so soll auch niemand zu behaupten wagen, was er nicht ist; denn
entschuldbarer wäre es, sich über das unerklärliche Wesen der
Dreieinigkeit in ungebührender Weise zu äußern, als ihr Eigenschaften
anzudichten, die mit ihr im Widerspruche stehen! Was also fromme Herzen
von der ewigen und unveränderlichen Herrlichkeit des Vaters zu fassen
vermögen, das sollen sie ohne allen Unterschied zugleich auch vom Sohne
und vom Heiligen Geiste glauben! Gerade deshalb bezeichnen wir ja die
heilige Dreieinigkeit als "einen" Gott, weil es in ihren drei Personen
keine Verschiedenheit des Wesens, der Macht, des Wollens oder des
Wirkens gibt.
4. Wie wir demgemäß die Anhänger des Arius verabscheuen, die zwischen
Vater und Sohn einen gewissen Unterschied gemacht wissen wollen, ebenso
verwahren wir uns gegen die des Macedonius. Diese weisen zwar dem Vater
und dem Sohne die gleiche Natur zu, halten jedoch den Heiligen Geist
für ein niedrigeres Wesen. (Anm.: die Irrlehre des Macedonius wurde auf
dem Konzil zu Konstantinopel im Jahre 381 einstimmig verdammt.) Dabei
bedenken sie nicht, daß sie sich dadurch einer Gotteslästerung schuldig
machen, die weder hier auf Erden noch beim künftigen Gerichte Gnade
finden soll, nach dem Ausspruch des Herren: "Wer immer ein Wort redet
gegen den Menschensohn, dem wird vergeben werden; wer aber redet gegen
den Heiligen Geist, dem wird nicht vergeben werden, weder in dieser
Welt noch in der zukünftigen." (Matth. 12,32; ebenso Mark. 3,29 und
Luk. 12.10) Wer also bei dieser gottlosen Irrlehre verharrt, der
erlangt keine Verzeihung, weil er sich von dem abgewandt hat, durch den
er zu einem Bekenntnis hätte kommen können. Nie wird der durch
Vergebung Heilung finden, der keinen Anwalt als schützenden Fürsprecher
zur Seite hat. Gerade vom Heiligen Geiste geht es ja aus, wenn wir zum
Vater rufen. Durch ihn kommen die Tränen der Reumütigen, durch ihn die
Seufzer der um Verzeihung Bittenden. "Und keiner kann sagen: 'Herr
Jesus!', außer im Heiligen Geiste." (1 Kor. 12,3) Daß dieser aber die
Allmacht mit dem Vater und dem Sohne teilt, und die Gottheit nur eine
ist, das spricht der Apostel ganz deutlich aus, wenn er schreibt: "Es
sind zwar verschiedene Gnadengaben, aber es ist derselbe Herr. Und es
sind verschiedene Wirkungsweisen, aber es ist derselbe Gott, der alles
in allen schafft" (1 Kor. 12,4 ff.)
5. Durch diese und andere Aussprüche, durch welche die göttliche Lehre
an unzähligen Stellen so deutlich zu uns spricht, sollen wir,
Geliebteste, zur einmütigen Verehrung des Pfingstfestes angefeuert
werden! Freuen sollen wir uns zu Ehren des Heiligen Geistes, der die
ganze katholische Kirche mit seiner Heiligkeit erfüllt und zu jeder
nach Weisheit strebenden Seele kommt, der uns den Glauben einhaucht und
alles Wissen lehrt, der die Quelle der Liebe, das Siegel der Keuschheit
und der Urgrund jeglicher Tugend ist! Freuen sollen sich die
Herzen der Gläubigen, daß sich auf der ganzen Welt die Zungen aller zu
dem "einen" Gott, dem Vater, dem Sohne und dem Heiligen Geiste bekennen
und ihn preisen! Freuen sollen sie sich, daß jene Erscheinung der
feurigen Zungen in ihren Wirkungen wie in ihren Gnadengaben auch noch
weiterhin fortdauert; denn der Geist der Wahrheit erfüllt selbst mit
seinem glänzenden Lichte das Haus seiner Herrlichkeit. In seinem Tempel
duldet er weder irgendwelche Finsternis noch irgendeine Lauigkeit.
Seine hilfreiche Gnade und Unterweisung hat uns auch die Reinigung
durch Fasten und Almosen gebracht: Diesem verehrungswürdigen Tage folgt
ja der Brauch, jene überaus heilsamen Werke zu üben, deren großen
Nutzen alle Heiligen immer wieder an sich erfahren haben. Als
treubesorgter Hirte ermahne ich euch, sie eifrig zu pflegen, damit die
Zucht des Fastens und hingebende Nächstenliebe die Fehler beseitigen,
in die ihr vielleicht durch achtlose Nachlässigkeit in den letzten
Tagen geraten seid. So wollen wir denn am Mittwoch und Freitag fasten,
am Samstag aber zu demselben Zwecke in gewohnter Andacht die Vigilien
feiern durch Jesus Christus, unseren Herrn, der mit dem Vater und dem
Heiligen Geiste als "ein" Gott lebt und waltet in Ewigkeit!
Amen.
(aus: "Bibliothek der Kirchenväter" Bd. 55, München 1927; übers. von Theodor Steeger.)
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