Der Wüstenwanderer
von
Wilhelm Hünermann
Im Frühjahr 1626 sendet der berühmte Pater Josef Leclerc, als
Richelieus vertrautester Berater die «Graue Eminenz» genannt, seinen
Ordensgenossen Pater Pacificus von Provins nach Syrien, um dort die
Kapuzinermission zu begründen, deren Leitung ein Jahr zuvor Papst Urban
VIII. Pater Josef übertragen hat.
Ein französisches Schiff bringt den jungen, feurigen Missionar sicher
in den Hafen von Saida, der alten phönizischen Königsstadt Sidon.
«Uralte Geschichten könnten die Steine Sidons erzählen. Über seine
Straßen ratterten einst die Streitwagen der Assyrer, Ägypter und
Babylonier, hallte der Marschschritt der Perser, Mazedonier und Römer,
tummelten die Kreuzfahrer ihre gepanzerten Rosse. Hier wandelte Elias,
der große Prophet Israels, hier fand der heilige Paulus freundliche
Aufnahme auf seiner Reise nach Rom.»
Aber an alles das denkt Pater Pacificus nicht, da er durch den
Hafenbasar auf die Stadt zuschreitet; mit inniger Rührung sinnt er über
die biblische Erzählung von der Syrophönizierin nach, die vielleicht
gerade in dieser Stadt zum Heiland voll kindlichen Vertrauens
gesprochen hat: «Herr, auch die Hündlein sättigen sich von den
Brosamen, die von den Tischen ihrer Herren fallen.» Und sie vernahm des
Meisters trostvolle Antwort: «Weib, dein Glaube ist groß, dir geschehe,
wie du willst!» Der arme Kapuziner wandelt nun auf
den gleichen Wegen, das Brot vom Tisch der Gnade den Hungernden zu
reichen.
Vom Hafen aus begibt er sich in den nahegelegenen Palast des
Drusenfürsten Fachr-ed-Din, des Herrn über Saida und Damaskus. Der
Emir, der den europäischen Handel, besonders den Frankreichs, in seine
Hafenstadt locken möchte, empfängt den Missionar huldvoll und gestattet
ihm, neben einer Moschee Kloster und Kirche zu bauen. Unverzüglich
macht sich Pater Pacificus ans Werk; die erste Gottesburg seines Ordens
ersteht in Syrien. Groß ist das Erntefeld, das sich ihm in der
mächtigen Handels- und Hafenstadt auftut, und seine Pläne gehen weit
über ihre Mauern hinaus. Dringend bittet er um Arbeiter für seinen
Weinberg, aber die ersten Kapuziner, die der Orden sendet, fallen in
die Hände von Seeräubern und werden auf dem Markt von Algier als
Sklaven verkauft.
Als endlich andere Ordensgenossen eintreffen, gönnt ihnen Pater
Pacificus wenig Ruhe. Einigen von ihnen überträgt er seine Arbeit in
Saida, schickt sechs nach Beirut, der Hauptstadt von Libanon, während
er selbst mit zwei Gefährten in sengender Sommerhitze nach Aleppo, der
nördlichsten Bastion Syriens, wandert. Nach dem langen Marsch durch
baumlose, von der Sonne ausgedörrte Steppe, erscheint die herrliche,
aus weißem Sandstein und gelbem Marmor gebaute, von einem Kranz
blühender Gärten umgebene Stadt den Missionaren wie ein Märchentraum,
doch sind sie zu erschöpft, um die liebliche Schönheit dieses Juwels
inmitten der Wüste bewundern zu können.
In einem verlassenen Kaufmannsgewölbe auf dem Basar finden sie ihr
erstes Obdach. Später schenkt ihnen ein reicher französischer
Teppichhändler ein Haus, bescheiden neben den stolzen Palästen der
Kaufherren, und doch springt aus dem gepflasterten Hof ein
Marmorbrünnlein, und der Garten mit seinen Zypressen, Zitronenbäumen,
Tamarisken und Rosensträuchern dünkt den armen Söhnen des heiligen
Franziskus ein Paradies.
Die Bewohner der Stadt sind weit friedlicher, liebenswerter,
freundlicher und duldsamer als irgendwo sonst im Orient, und milder
klingt selbst die Stimme des Muezzin, wenn er in den sinkenden Abend
von der Galerie des Minaretts die ernsten Worte ruft: «Betet! Betet!
Die Zeit geht schnell, das Gericht ist nahe!»
Allein die Derwische, die an jedem Freitag mit wildem Gelärm durch die
Straßen ziehen, verraten den Fanatismus der Prophetensöhne. Sie sind es
auch wohl, welche die Kapuzinerstation mit scheelen Augen ansehen und
die Patres beim Stadtoberhaupt als französische Spione verdächtigen.
Jedenfalls erscheint eines Tages der Pascha Chalil mit strenger Miene
im Hospiz, um nach dem Rechten zu sehen. Doch findet er in dem
freundlichen Haus eine solche Armut, daß er jeden Verdacht fahren läßt
und erstaunt ausruft: «Hier wohnen Heilige. Ich werde diese Derwische
beschützen!» Statt sie zu verjagen, stellt er ihnen einen Ferman aus,
der ihren ungestörten Aufenthalt in Aleppo
sichert.
Zunächst widmen sich die Kapuziner den mit Rom unierten Maroniten und
den zahlreichen europäischen Kaufleuten, die in der Handelsmetropole
glänzende Geschäfte machen. Aber nicht minder gilt ihre Sorge den
getrennten Christen, und eines Tages sucht Pater Pacificus den
schismatischen Metropoliten der Stadt, den armenischen Patriarchen
Melchior, auf. Die gewinnende Art, die gründliche Gelehrsamkeit und die
fromme Bescheidenheit des Ordensmanns verfehlen ihren Eindruck nicht.
An vielen Abenden führt der Patriarch mit ihm ernste Gespräche, und
wirklich erreicht es Pater Pacificus, daß der Metropolit am 25. Mai
1627 zur Einheit mit dem römischen Stuhl zurückkehrt. In dem Brief, in
dem er Papst Urban VIII. seine Unterwerfung anzeigt, schreibt der
Patriarch: «Es kam in unser Land P. Pacificus mit seinen Genossen, den
Kapuzinern, welche gottesfürchtige Männer und und wahre Diener des
Herrn sind, für uns und alle Christen beten, einzig darum bemüht, uns
von der Sünde abzuhalten und zum Guten anzuregen. Darum genießen sie
aber auch allgemein Liebe, besonders von unserer Seite, die wir ihnen
in vorzüglicher Weise verpflichtet sind und mit Freuden ihre Arbeiten
und deren Früchte schauen.»
Dem bekehrten Hirten folgen viele aus seiner Herde, und bald kann die
kleine Kapelle der Kapuziner die Gläubigen nicht mehr fassen. Kaum hat
Pater Pacificus in Syrien festen Fuß gefaßt, denkt er auch schon an
neue Eroberungen. Sein Ziel ist es, den ganzen Vorderen Orient mit der
Liebe seines Meisters zu entflammen, die Katholiken im Glauben zu
befestigen, die getrennten Christen zur Einheit der Herde Gottes
zurückzuführen und vielleicht gar eine Bekehrung der Mohammedaner
anzubahnen.
Mit zwei Ordensbrüdern fährt er nach Zypern, kommt todkrank auf der
Insel an, schleppt sich in schwerem Fieber nach Nikosia und erbittet
vom Pascha die Erlaubnis zu einer Niederlassung. So viele
Ordensgenossen kommen auf seinen Ruf nach Zypern, so daß er nicht nur
in Nikosia, sondern auch in Larnika ein Kloster bauen kann. Die Söhhe
des heiligen Franziskus wirken wahre Wunder der
Nächstenliebe.
Als auf den türkischen Galeeren die Pest ausbricht, wagen sie sich
mutig in die verseuchten Schiffsräume, bleiben sechs Wochen lang unter
den Rudersträflingen, pflegen die Kranken, stehen den Sterbenden bei,
teilen mit den armen Sklaven ihr kärgliches Mahl und das Lager aus
faulem Stroh. Pater Benedikt von Rochelle stirbt, verzehrt vom
Opferdienst der Caritas; bald müssen andere tod krank in ein Hospiz
gebracht werden; aber immer neue Samariter stellen sich ein und nehmen
ihr barmherziges Werk wieder auf.
Pater Pacificus selbst kehrt so krank nach Aleppo zurück, daß er nur
noch den Tod erwartet; doch er rafft sich wieder auf und denkt, kaum
dem Sensenmann entsprungen, an neue Eroberungen. In der glühenden Hitze
des Sommers wandert er mit seinen Ordensbrüdern Gabriel von Paris und
Justus von Beauvais durch die syrische Wüste nach Osten. Dreiundfünfzig
Tage schleppen sie sich durch die flammende Wildnis, in der kein Baum,
kein Strauch, kein grüner Halm das entzündete Auge labt. Die Gerippe
verendeter Kamele, der Flug der Geier über den erschöpften Karawanen
weisen ihnen den Weg durch die öde Unendlichkeit. Ständig müssen sie
auf der Hut sein vor wilden Tieren und Wüstenräubern; aber ein
Beduinenscheich, der eben noch eine Kaufmannskarawane ausplünderte,
läßt sie zu ihrer großen Überraschung unbehelligt weiterziehen mit den
Worten: «Betet für mich zu eurem Gott!» Schlimmer als alles andere ist
der Durst, der sie oft fast bis zum Wahnsinn quält, wenn sie am Abend,
vor Müdigkeit torkelnd, zu einem ausgetrockneten Wasserloch kommen und
keinen Tropfen finden, die Zunge zu kühlen. Zu Tode erschöpft, gelangen
sie endlich nach Bagdad, der alten Kalifenstadt.
In einer bescheidenen Herberge feiern sie nach langer Zeit wieder das
heilige Opfer. Der Khan der Stadt gestattet ihnen, einen Missionsposten
zu gründen. Pacificus läßt Pater Justus als Missionar zurück, wandert
selbst mit Pater Gabriel weiter durch das Zweiströmeland, durch die
wilden Schluchten des Zagosgebirges, bis er nach fünfundzwanzig Tagen
unsäglicher Anstrengungen und Entbehrungen Isfahan, die Hauptstadt
Persiens, erreicht.
Der armenische Erzbischof nimmt sie in seinem Kloster freundlich auf,
wäscht ihnen sogar die Füße. Der einflußreiche Molain-Bei gibt ihnen
einen Empfehlungsbrief an Muhammed Ali, den Minister und Günstling des
Schahs. Mit diesem kostbaren Schreiben versehen, machen sich die
Missionare wohlgemut auf nach dem hundert Meilen entfernten Cazbin, der
Residenz des persischen Königs: Auf die Fürsprache seines Ministers
gewährt der mächtige Schah Abbas der Große den beiden Kapuzinern eine
Audienz. Ein Hofbeamter führt sie durch eine weite Säulenhalle, vorbei
an Teichen mit schwimmenden Lotosblumen und zierlichen Springbrunnen,
über köstliche Mosaikfliesen in den kühlen Saal, wo sie der Schah auf
seinem Thron unter seidenem Baldachin erwartet. Sein Gewand ist aus
schwerem Goldbrokat gewoben, kostbare Juwelen funkeln an seinem Turban.
Die armen Söhne des heiligen Franziskus wissen, daß sie vor einem der
mächtigsten Herrscher der Erde stehen, der Mesopotamien den Türken
entriß und sein Reich bis an den Kaukasus ausdehnte. Zu seinen Seiten
sitzen vornehme Hofbeamte in seidenen Kleidern und goldenen Halsketten.
Diener fächeln dem König mit Pfauenwedeln Kühlung zu. «Tretet näher!»
fordert der Schah die Kapuziner auf. «Ihr kommt als Gesandte des Königs
von Frankreich, wie man mir sagte.» Pater Pacificus erschrickt. Das
Mißverständnis, an dem er selbst völlig schuldlos ist, kann gefährlich
werden.
«Nein, erhabene Majestät», antwortet er. «Wir sind nichts als arme
Ordensleute, aber der uns sendet, ist mächtiger als der französische
König. Wir erscheinen im Auftrag Gottes vor deinem Angesicht.» Der
Schah runzelt die Stirn; dann aber sagt er mit unveränderter
Freundlichkeit: «Ich weiß, ihr bekennt einen anderen Glauben als ich.
Allein, ich war stets duldsam gegen die Diener aller Reli-gionen und
habe, wie ihr wohl wißt, auch christlichen Derwischen gestattet, in
meiner Hauptstadt ein Kloster zu bauen. Wie nennen sich noch diese
Derwische?» fragt er seinen Minister. «Augustiner und Karmeliter,
Majestät!» antwortet Muhammed Ali. «Ganz recht! Und was ist nun euer
Begehr?» «Wir bitten um die Gnade, in Isfahan und Bagdad Kirchen und
Klöster bauen zu dürfen.» «Wir selbst werden sie euch schenken»,
verspricht der Schah, gut gelaunt. «Eine solche Gunst dürfen wir nicht
erwarten», erwidert Pater Pacificus. «Nun denn, wenn es zu viel ist,
solches zu verlangen, so ist es für den Schah nicht zu viel, es zu
geben. Ich schätze weise Männer, die aus dem Abendland in unser Reich
kommen. Für heute seid ihr meine Gäste.»
An der königlichen Tafel werden sie mit gesottenem Schaffleisch,
gebratenen Hühnern, Eierkuchen, Reis, Gemüse und köstlichem Konfekt
bewirtet, wozu von einem Podium aus Musik von Flöten, Lauten und Geigen
erklingt. Der Schah selbst speist an einem gesonderten, ein wenig
erhöhten Tisch und richtet wiederholt das Wort an seine Gäste. Diese
aber sind vor lauter Staunen so verwirrt, daß sie nur mit Mühe ein paar
Bissen herunterwürgen können. Zum Schluß händigt ihnen Abbas einen
Schutzbrief aus, der ihnen Sicherheit im ganzen Reiche
gewährt.
«Mir ist in der Seele bang», sagt Pater Pacificus, als er mit Pater
Gabriel den Palast verläßt. «Bisher war das Kreuz überall mein treuer
Begleiter; daß es sich nun so völlig vor uns verbirgt, macht mich
besorgt.» In Isfahan weist der Wesir den Missionaren auf Befehl des
Schahs einen Palast am linken Ufer des Zenderud als Wohnsitz an. Die
königliche Urkunde, die er ihnen überreicht, lautet: «Wir schenken den
Palast mit seinen Gärten dem König von Frankreich, Unserem Bruder, für
die Kapuziner seines Landes.» Die Missionare wandeln den Palast in
Kloster und Kirche um und feiern am ersten Adventsonntag unter großem
Zulauf des Volkes das heilige Opfer.
Bald darauf stirbt der greise Schah, aber sein Sohn bewahrt, des edlen
Vaters würdig, den christlichen Glaubensboten seine Huld. Doch ist
Pater Pacificus schmerzlich überrascht, als der neue Herrscher ihn
bittet, seinem Herrn, dem König von Frankreich, einen Brief zu
überbringen, in dem er ihm seine Thronbesteigung mitteilt und seine
Hilfe gegen die Türken erbittet. Schweren Herzens nimmt er von seinem
Mitbruder Abschied und reist zurück, diesmal von einem königlichen
Aufgebot begleitet. Zu seiner großen Freude findet er in Bagdad Pater
Justus wohlbehalten beim Bau eines Klosters und einer Kirche am Ufer
des Tigris an. Endlich in Paris angelangt, wird Pater Pacificus von
seinen Oberen nach Kanada geschickt. Nach dem Sonnenbrand Asiens lernt
er nun die Kälte des arktischen Landes kennen. In den Schneefeldern des
Hohen Nordens findet er nach langem, heldenmütigem Apostolat im Jahre
1653 seine letzte Ruhestätte.
Inzwischen blühen seine Gründungen im Orient mächtig auf, müssen sich
aber bald im Feuer der Verfolgung bewähren. In Saida und Beirut werden
die Kapuziner nach dem Sturz ihres Beschützers, des Drusenfürsten
Fachr-ed-Din, 1633 gefangengenommen und auf die Galeeren geschleppt.
Dem gleichen Schicksal zu entgehen, fliehen die Missionare von Aleppo
in die Wüste. Auch den Kapuzinern in Persien blei-ben unter den
trunksüchtigen und verkommenen Enkeln des großen Abbas bittere Leiden
nicht erspart. Aber aus der Glut der Verfolgung erhebt sich die von
Pater Pacificus gegründete Mission zu neuer Blüte.
(aus: Hünermann, Wilhelm: "Geschichte der Weltmission" 2. Bd., Luzern/München 1960, S. 18 ff.)
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