Die hl. Margareta von Cortona – zum Fest am 22. Februar –
Von Heinrich Storm
Bei der Beschäftigung mit dem Leben der Heiligen können wir feststellen, daß viele von ihnen, aufgewachsen in einer christlichen Familie, die Ideale des Christentums von frühester Jugend an mit Herz und Geist ergreifen und ihnen bis zu ihrem Tode mit ganzer Kraft nachleben. Ihr Leben erscheint uns, vom ersten Augenblick ihres Bewußtseins an bis zu ihrem letzten Atemzug, als ein Weg der ungebrochenen Heiligkeit und der ständig wachsenden Tugend. Sicherlich wird jeder wahrhaft Gläubige mit Staunen, Bewunderung und Freude auf die strahlende und unversehrte Unschuld dieser Heiligen blicken. Doch gibt sie uns nicht auch manchmal Anlaß zu Traurigkeit und Mutlosigkeit, wenn wir an unsere vielen bereits begangenen Sünden denken, so daß wir geneigt sind, an unserer eigenen Berufung zur Heiligkeit zu verzweifeln?
Aber wie vertragen sich solche Sorgen und Ängste mit den Worten unseres Erlösers, der gesagt hat: "Nicht dazu bin ich da, Gerechte zu berufen, sondern Sünder." (Mt.8,13)? Wir glauben doch an die Barmherzigkeit dessen, der "gekommen ist, zu retten, was verloren war"! (Mt. 18,11) Daß aber der bußfertige Sünder nicht nur gerettet werden, sondern sogar in dieser Welt die höchste Stufe der Heiligkeit erlangen kann, zeigt uns in besonderer Weise das Leben der heiligen Margareta von Cortona.
Von der Kindheit und frühen Jugend dieser Heiligen, die 1247 in Laviano, einem Dorf in der italienischen Landschaft Umbrien zur Welt kam, wissen wir sehr wenig. Ihre Eltern waren arme Pächter und fromme Christen, die ihr Kind auch in diesem Sinne zu erziehen suchten. Zu Margaretas Unglück verstarb ihre Mutter, an der sie sehr gehangen hatte, sehr früh. An den Vater, der einige Jahre später wieder heiratete, scheint sie wenig Bindungen gehabt zu haben, und mit der Stiefmutter, einer zänkischen und herrschsüchtigen Frau, die im Haus bald das Regiment führte, verstand sie sich noch viel weniger. So wurde sie dem Elternhaus mehr und mehr entfremdet und suchte die Erfüllung ihrer Wünsche und Interessen stattdessen im Kreise von Gleichaltrigen' die sie im Streben nach den irdischen Glücksgütern wie Sinnengenuß, Ansehen und Reichtum bestärkten. A1s daher die erste schwere Versuchung an sie herantrat, wurde sie mit Leichtigkeit ein Opfer ihrer Schwäche: Einem jungen Edelmann aus der Umgebung fiel die große Schönheit Margaretas auf und er verliebte sich heftig in sie. Mit den Beteuerungen seiner Liebe, dem Versprechen einer baldigen Heirat und der verlockenden Aussicht auf Reichtum und Ehre machte er sich die arme Pächterstochter geneigt. Froh, ihrem friedlosen Zuhause zu entkommen, und in der Hoffnung auf das angeblich ihr bevorstehende Glück ging Margareta auf die Pläne des jungen Adeligen ein, der sie eines Nachts heimlich von ihrem Elternhaus fort und mit auf seine Burg nahm. Neun Jahre lang lebte er dort mit ihr in Wilder Ehe, indem er, wohl wegen ihrer niedrigen Abkunft, niemals sein Versprechen wahrmachte, sie zu seiner rechtmäßigen Gattin zu nehmen. Margareta besaß nun zwar alles, was einen nur auf das Irdische gerichteten Sinn hätte glücklich machen müssen, aber sie' konnte all des Prunkes und Glanzes nicht froh werden. Quälende Gewissensbisse suchten sie heim und stellten ihr die Sündhaftigkeit ihrer Lebensführung eindringlich vor Augen. Trotzdem wäre ihre verzweifelte Suche nach einem Ausweg aus ihrer zutiefst unwürdigen Lage wohl erfolglos geblieben, hätte nicht Gott selber wenn auch durch ein Unglück, ihr das Tor dazu geöffnet.
Eines Tages kehrte der Hund ihres Geliebten ohne seinen Herrn zurück. Margareta folgte dem Tier, das sie zu einem nahegelegenen Wald führte. Dort fand sie zu ihrem Entsetzen den grausam entstellten Leichnam des ermordeten Ritters, der bereits erste Spuren der Verwesung an sich trug. Alles das, was sie in diesem Augenblick an Verzweiflung, Angst und Trauer empfand, gipfelte in der einen Frage an den, der sie verführt hatte und gestorben war, ohne seine schwere Sünde wieder gutmachen zu können: „Wo ist nun deine Seele?"
Das schreckliche Ereignis wurde zum Wendepunkt in Margaretas Leben. All der äußere Glanz, der sie so lange geblendet hatte, war dahin, und vor dem Auge ihres Geistes entstand um so strahlender das Bild der Taufunschuld, die sie so lange befleckt hatte und die wiederzugewinnen es nun galt. Fest entschlossen, zu einem Leben der Buße kämpfte sie alle Versuchungen, die ihr aus der Gewöhnung an das luxuriöse Schloßleben erwuchsen, nieder. Sie verschenkte ihren Schmuck und die kostbaren Kleider und verließ die Burg so arm, wie sie gekommen war, an ihrer Hand nur ihr Kinder, die Frucht der unrechtmäßigen Verbindung.
Da sie von der Tür ihres Elternhauses fortgestoßen wurde, wanderte sie weiter in die Stadt Cortona, wo sie bei mitleidigen Frauen, denen sie ihre Lebensgeschichte anvertraut hatte, Aufnahme fand. Mit größter Energie ging sie von nun an ihrem Ziel, nämlich durch ein Leben der Sühne den Frieden ihrer Seele wiederzufinden, nach. Das erste Mittel dazu war ihr die härteste und vollkommenste Abtötung aller ihrer natürlichen Bedürfnisse, soweit sie nicht lebensnotwendig waren. Sie fastete streng, ernährte sich nunmehr von Wasser und Brot, Gemüse und Früchten und trug ständig ein Bußkleid auf dem bloßen Leib, den sie darüber hinaus häufigen Geißelungen unterwarf. Sie schnitt sich die Haare ab und suchte auch sonst ihre äußere Schönheit, die ihr zum Verhängnis geworden war, zu vernachlässigen und zu entstellen. Ihrem Beichtvater, einem Franziskanerpater, der ihr riet, sich in ihren körperlichen Bußwerken zu mäßigen, entgegnete sie: "Vater, es kann kein Friede mehr bestehen zwischen meiner Seele und meinem Leib. Lassen Sie mich ihn behandeln, wie man einen unversöhnlichen Gegner behandelt, und schenken Sie seinen Gegenvorstellungen kein Gehör. Als er in Genüssen schwelgte, da hat er sich nicht beklagt. Oh, mein Körper, daß du mir nicht gehoffen hast, deinem Gott und Schöpfer zu dienen. Daß nicht auch du bestrebt bist, ihm Genugtuung zu geben, der du dabei warst, sein Gesetz zu verletzen! Keine Vorspiegelungen, kein Murren. Du hast mich besiegt, ich werde dich besiegen!"
Margareta war auch bestrebt, für das Ärgernis, das sie durch ihren Lebenswandel ihren Mitmenschen gegeben hatte, Genugtuung zu leisten. Zwar verbot der Beichtvater ihr, sich in Montepulciano, wo das Schloß ihres ermordeten Geliebten stand, öffentlich ihrer Schuld zu bezichtigen, doch führte sie, trotz ihrer großen Beschämung und Angst, diesen Vorsatz in ihrem Heimatort Laviano durch. In ihrer Demut hielt sie sich für das verworfenste Geschöpf auf dem Erdboden, für ein "Gefäß der Unehre", und fragte, wenn Besucher zu ihr kamen, diese oft: "Glauben Sie, daß Gott sich würdigt, mir armen Sünderin zu verzeihen?"
Von dem Bewußtsein ihrer großen Schuld, das schwer auf ihr lastete, konnte sie sich erst befreien durch eine ausführliche Lebensbeichte, in der sie, auf ihr inständiges Flehen hin vom Heiligen Geist erleuchtet, alle, auch die geringsten Fehler ihres vergangenen Lebens erkannte und bereute. Die Gewißheit, der göttlichen Vorsehung gewürdigt worden zu sein, erfüllte sie mit einer ungeheuren Freude, die nur noch mit jener zu vergleichen war, die sie beim Empfang der heiligen Kommunion empfand.
Margareta war eine große Verehrerin des Altarssakramentes, vor dem sie ungezählte Stunden in inniger Anbetung verbrachte und aus dessen täglichem Empfang sie allein die für ihr Büßerleben schöpfte. Mit welch großer Freude und Dankbarkeit sie die Gegenwart des Herrn im Allerheiligsten Altarssakrament erfüllte, können wir aus ihren Worten ermessen: "Ich wundere mich nicht, daß die ersten Christen, die Martyrer, mit Freude im Herzen, ja mit einem Lächeln auf den Lippen, dem Tod entgegengeeilt sind. Trotz meiner Schwäche fühle ich bei dem Gedanken an die Wonnen des Paradieses eine solche Kraft, daß ich, um sie zu verdienen, alle, alle Strafen erleiden wollte. Mit der Kraft, die ich hier, bei der heiligen Kommunion schöpfe, würde ich, selbst wenn ich über blanke Degen oder glühende Kohlen gehen müßte, nicht zögern und alle Schmerzen für nichts achten, ja ich würde, wenn es möglich wäre, tausendmal für meinen Gott sterben, so groß ist meine Freude an Seiner Gegenwart."
Drei Jahre nach dem Tode des Geliebten, 1276, durfte Margareta den Schleier des Dritten Ordens des heiligen Franziskus nehmen, äußeres Zeichen ihres Wiedereintrittes in den Stand der Gnade, und konnte dabei aus tiefstem Herzen sprechen: „Ich liebe Gott so sehr, daß ich keinem Geschöpf einen Vorzug mehr gäbe und vor keiner Versuchung ferner zurückschrecke." Eben diese Versuchungen blieben ihr nichts erspart, im Gegenteil! Je höher ihre Tugend wurde, desto schwereren Versuchungen sah sie sich ausgesetzt. Unter diesen können wir drei Stufen unterscheiden: In der ersten stellte ihr Satan die Genüsse dieser Erde verlockend vor Augen. Diese Anfechtung überwand sie durch Gebet und strengste Askese. Die zweite Versuchung, die des geistigen Hochmutes ob ihrer Sittenstrenge und Willensstärke, besiegte Margareta durch ihre Haltung der tiefsten Selbstverdemütigung: A1s sie einmal untertags von einer solchen Anfechtung befallen wurde, eilte sie ohne zu zögern auf das Dach des Hauses, das sie bewohnte, und begann, sich laut gerade der Fehler anzuklagen, deren sie sich am meisten schämte. Aus der dritten und schwersten Versuchung aber, in der sie Zweifel an der göttlichen Herkunft ihrer Begnadigung quälten, erlöste sie der Zuspruch des Herrn selber.
Erst nachdem Margaretas Seele so im Feuer der Versuchungen geläutert worden war, stand ihr das Tor zur höchsten Stufe der Heiligkeit, nämlich der der stellvertretenden Sühne' offen. In freudiger Bereitschaft erbot sie sich, für die Sünden der Welt jedes, auch das schwerste Leid auf sich zu nehmen: "Aus Liebe zu Dir, der DU so viele Schmerzen für mich erduldet hast, erbiete ich mich freudig, alle Arten von Schmerzen zu erdulden, und ich bin bereit, für Dich, den Hochgeliebten, mit aller Freude zu sterben.“
In der Fastenzeit 1288 wurde sie einer erhabenen Vision gewürdigt: Sie sah in mystischer Weise alle Greuel, Laster und Schwächen der Menschen, besonders der Christen auf der Erde und faßte bei diesem Anblick den Entschluß, sich selbst als Sühnopfer für diese Sünden darzubieten. Wenige Tage darauf schwebte ihr beim Empfang der hl. Kommunion ein leuchtendes Kreuz entgegen, auf dem sie die Arme ausbreitete. Gleichzeitig erschien ihr Christus als der Schmerzensmann und richtete an sie die Worte: „Du sollst mit mir gekreuzigt werden, es muß deine Seele sich reinigen im Feuer der Trübsal, wie das Gold im Feuer geläutert wird, aber nicht dein Leib wird gekreuzigt werden, wohl aber dein Herz." Margareta erhielt daraufhin die Weisung, sich in eine Felsenhöhle am Fuß der Festungsmauern der Stadt als Einsiedlerin zurückzuziehen. Nicht ohne Schmerz folgte sie diesem Ruf, der für sie die Trennung von ihrem Hospital, dem "Haus der Barmherzigkeit“, und ihrer Kongregation der "Armen Schwestern" bedeutete. Beide Werke christlicher Nächstenliebe hatte sie in den vergangenen Jahren mit bewunderungswürdiger Tatkraft errichtet.
In vollkommenem Gehorsam gegen die Anordnungen des Herrn lebte Margareta in ihrer Höhle noch neun Jahre lang, nur den Werken der Abtötung und dem Gebet für die Armen Seelen für alle Stände der streitenden Kirche und für die Bekehrung der Juden und Heiden. Die Zeit ihrer höchsten Begnadigung auf dieser Erde sollte genau solange dauern wie die ihrer tiefsten Erniedrigung. Am Ende ihres Büßerlebens kannte sie nur mehr eine Sehnsucht: Vollkommen und auf immer mit Christus vereinigt zu sein. „Dank mein Herr! Je weniger Recht ich auf Deine Wohltaten habe, desto mehr Recht hast Du auf meine Dankbarkeit. Möge ich zu einer Stunde und in einer Weise sterben wie es Dir gefällt, vorausgesetzt, daß ich aus Liebe zu Dir sterbe, wie Du aus Liebe zu mir gestorben bist.“
Am 22. Februar 1297 starb Margareta von Cortona, tief betrauert von der ganzen Stadt, die in ihr ihre beste Fürsprecherin bei Gott verehrte, und von den ungezählten Sündern, die ihrem Zuspruch und Gebet ihre Bekehrung verdankten. Der letzte Rat, den Margareta den an ihr Sterbebett geeilten Mitbrüdern und -schwestern gab, war der: "Der Weg des Heiles ist leicht: Es genügt zu lieben."
Zu Beginn dieser Erzählung war die Rede von Jesus Christus als dem Heiland, der sich vor allem der Sünder erbarmt, und der sogar aus Sündern Heilige machen kann. Wenn wir uns nun fragen, welchen Sinn und welche Bedeutung für uns das Leben dieser "zweiten hl. Maria Magdalena", wie die Kirche sie nennt, hat, so finden wir die vollkommenste und klarste Antwort darauf in ihrer Lebensgeschichte selbst: AIs die Heilige den Herrn eines Tages fragt, warum Er gerade sie so großer Gnaden teilhaftig gemacht habe, gibt Er ihr zur Antwort: "Ich habe dich zu einem Spiegel für die Sünder gemacht. An dir werden die Verstocktesten erkennen, wie gerne ich gegen sie barmherzig bin, um sie zu retten. Du bist eine Leiter für die Sünder, damit sie zu mir kommen durch dein Beispiel. Meine Tochter, ich habe dich gesetzt als ein Licht inmitten der Finsternis, als einen neuen Stern, den ich der Welt gebe, um den Blinden Licht zu bringen, die Verirrten wieder zurück zu führen und die aufzurichten, die unter ihren Sünden zusammengebrochen sind. Du bist der Weg der Verzweifelten, die Stimme der Barmherzigkeit."
Literatur: Auguste von Pechmann: Lebensgeschichte der großen Büßerin, der hl. Margarita von Cortona, München 1912. Léopold de Chérancé: Sainte Marguerite de Cortone, 1912. Gaetano Lorini: Vita di S.Margherita da Cortona, Cortona 1925. Mariano Nuti: Margherita da Cortona, Roma 1923. Die erste Lebenebeschreibung von ihrem Beichivater Giunta Bevagnate findet sich in den Acta Sanctorum' Febr.III (1658).
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